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9. Forschungsbericht - Entwicklungen seit 1999

9.1 Analyse und Diagnose

9.1.1 Bewusstseinsprozess mit der Orientierung an der Vorbereitung eines Weges zu einer lernenden Gemeinschaft

Nach den Phasen der Ideenfindung (in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, 1), der Gründung (Konzeptionelle Gestaltung der Berufsbildung Voith, 2), der Jahre des Wachstums der Berufsbildung am Standort Heidenheim, 3), befindet sich die Organisation in der Konsolidierungs- 4) und Vereinfachungsphase ("Lean Management", 5). Aufgaben bestehen in der Systematisierung des Erreichten nach dem Abflachen des Wachstums (in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts), in der Vereinfachung der Strukturen und im Finden von Lösungen für die gesellschaftlich aufkommenden Herausforderungen an die Berufsbildung, bzw. Ausbildungspraxis Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (siehe Kapitel 6 Berufsbildung in der Diskussion), die zeitgleich auf die Verantwortlichen zukamen. Um das Wachstum zeitgemäß (siehe die Kapitel 6 bis 9 zu den gesellschaftlichen, industriellen, politischen, bildungs- und jugendspezifischen Veränderungen) organisatorisch gestalten zu können, wurden Methoden wie Gruppen- bzw. Gesprächsarbeit und Projektorientierung des Ausbildungsalltags notwendig. Damit war allerdings unweigerlich die Herausforderung verbunden, die Institutionalisierung zu verringern und die Ausbildung des Bewusstseins der Mitarbeiter und des Managements zu verstärken. Erst aus diesem Verständnis und der Offenheit für einen gemeinsamen Lernweg war die Entwicklung von der lernenden Organisation zu einer lernenden Gemeinschaft mit den Mitarbeitern möglich (Soziale Phase, 6). Ich teile die Ansicht Friedrich Glasls, dass Entwicklung nur durch einen Bewusstseinsprozess möglich ist, d. h. der Gestaltung bedarf. Er umschreibt dies wie folgt: "Keine der hier beschriebenen Entwicklungsphasen tritt mit naturgesetzlicher Notwendigkeit von selbst auf. Entwicklung muss immer bewusst angestrebt werden"

(Glasl, 2001, S. 18).

Nach B.C.J. Lievegoed teilen sich die Aufgaben eines Unternehmens in die stabilisierenden und die dynamischen Tätigkeiten (vgl. Lievegoed, 1974).

In den einzelnen Phasen der Unternehmensentwicklung der Berufsbildung Voith spielten immer drei Elemente zusammen:

- die Initiativelemente (Leben) - d. h. neue kreative die Organisation betreffende, bzw.

unternehmerische Ideen, Verbesserungsvorschläge in der Gestaltung, zu den Strukturen, Methoden, Produkten, usw.

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Beispiel: Der seitherige Förderlehrgang Voith (er endete am 31. Juli 2004) bot seit 32 Jahren Schulabgängern, die noch keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz hatten, die Möglichkeit sich für einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu qualifizieren. Durch die politischen Umstrukturierungen im Bereich der Berufsvorbereitenden Maßnahmen veränderte die Berufsbildung Voith ihr Konzept und stellt sich nun dieser Aufgabe in Form der Eröffnung einer Privaten Sonderberufsfachschule und einer Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme. Die Vorbereitungen wurden durch ein Team von Januar bis Juli 2004 gestaltet.

- die Ordnungselemente (Formen) - d. h. die Formen zur Bewältigung der jeweils aktuellen Aufgaben binden neue Ideen in das Gefüge ein, z. B.

Organisationsrichtlinien als Voraussetzung zur Integration von Veränderungen in das Gesamtkonzept.

Beispiel: Durch die Schulgründung wird sich das Organisationsgefüge der Berufsbildung verändern (u. a. durch die Form der Schulführung, Personalverschiebungen, Ausbau von Berufsfeldern, z. B. Garten- und Landschaftsbau, Dienstleistungen).

- die Integrationselemente (Bewusstsein) - d. h. es bedarf eines Bewusstseins bei allen Kollegen für Zusammenhänge und Abhängigkeiten, damit die Gefahr nicht aufkommen kann, dass einzelne Bereiche ein zu starkes Eigenleben beginnen.

Beispiel: Die neue Situation in der Berufsbildung Voith braucht zeitgemäße Informations- und Kommunikationsstrukturen und eröffnet aus dieser Erkenntnis die Chance zum Aufbau einer alle Bereiche umfassenden lernenden Organisation, bzw. einer lernenden Gemeinschaft. (vgl. Bacher, 2002, S. 68ff).

9.1.2 Strategisch-didaktischer Prozess mit der Orientierung an den beteiligten Menschen, an einem zielorientierten Leitbild und an einem dynamischen, lebendigen Konzept mit dialogischen Methoden

Seit Beginn der 90er Jahre griff das HR-Management (Personalleitung) bei Voith zeitgemäße, aber auf arbeitsorganisatorische Methoden beschränkte Entwicklungsgedanken zum Bereich Ausbildung und Bildung auf und verfasste entsprechende Zielbeschreibungen, z. B. zur Rolle des Ausbilders. (Arbeitsblatt vom 21.05.92 von Personalleiter Klaus Wolf - siehe Anlage 8). Er beschreibt: Früher waren sie (die Ausbilder) "Unterweiser", haben sie einen Vorgang vornweg genau erklärt, haben oft reine Übungsaufgaben gegeben, folgten dem Prinzip: Vormachen - Nachmachen, haben alle Informationen vorgegeben, forderten von den Auszubildenden, sich an die Vorgaben zu halten, sodass Fehler möglichst gar nicht vorkamen, leiteten die Arbeit des Auszubildenden Schritt für Schritt an, haben geholfen, dass eine "richtige" Lösung nachvollzogen werden konnte, haben die Arbeit des Auszubildenden genau vor besprochen - heute werden sie zu Lernberatern, geben Erklärungen erst nach der praktischen Erfahrung, wählen eine reale Arbeitsaufgabe entsprechend dem Lernfortschritt des Auszubildenden, übergeben die Aufgabenstellung zum selbstständigen Durchdenken und Ausführen, lassen den Auszubildenden die nötigen Informationen selbst beschaffen, lassen Fehler als Lernhandlungen zu, und der Auszubildende wird ermuntert, sich selbst zu korrigieren; bleiben heute im Hintergrund, beobachten die Lernprozesse, stehen zur Verfügung und warten ab, ob und wann sie wirklich eingreifen müssen, lassen eigene Erfahrungen und Lösungen zu und ermuntern den Auszubildenden, durch Fragen, selbst einen richtigen Weg zu finden, müssen heute die Arbeit des Auszubildenden vor allem intensiv besprechen.

Die strategische und didaktische Dimension löste sich in den 90er Jahren von den pädagogischen Notwendigkeiten ab, indem durch das Human Resources Management und die Ausbildungsleitung arbeitsorganisatorische Veränderungen vorgegeben wurden,

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die sich vorwiegend an den technologischen Errungenschaften der Zeit und den betrieblichen Notwendigkeiten orientierten, die allerdings den Dimensionen der Leitbildgestaltung und soziopsychologischen Realitäten der Berufsbildung wenig Aufmerksamkeit widmeten. Die Folge war eine Entwicklungsstagnation, bzw. die Hemmung der Veränderung des Ausbildungsgeschehens in der Konsolidierungs- und Vereinfachungsphase.

1998 erkannte ich den Widerspruch und legte den Schwerpunkt meiner Vorschläge auf die Verbindung der Initiativelemente (u. a. die Auseinandersetzung mit den Ideen der sich wandelnden Voith-Philosophie und den konzeptionellen Grundlagen Dr. Hanns Voiths, mit der tatsächlichen "geistigen" Haltung und dem Bewusstsein der Ausbilder, der Schaffung eines Wahrnehmungs- bzw. Lebensraumes, um Visionen entwickeln zu können, z. B. darüber, ob Ausbildung "als Bildung" zu verstehen ist, was es heißt als Ausbilder an einer kreativen Organisation mit dem Anspruch der beruflichen Bildung in Freiheit mitzugestalten und damit die Offenheit zu erreichen, für die Persönlichkeitsbildung des Einzelnen zu denken, das Menschenbild der Berufsbildung lebendig zu halten und einen ästhetischen, d. h. lebendigen Blick auf das Ausbildungsgeschehen zu richten) mit den Ordnungselementen (u. a. Hinwendung zum Dialoggedanken, veränderte Formen der Zusammenarbeit, ein "neues"

Beurteilungsverfahren, das sich dem Grundsatz "Beobachten, beschreiben und fördern statt urteilen" verpflichtet) und den Integrationselementen (v. a. durch die Schaffung einer Ausbildungskultur, die gemeinsame Werte und Zukunftsbilder hervorbringt und regelmäßige Reflexionsgespräche mit der Methode des Dialogs).

9.1.3 Pädagogischer Prozess mit der Orientierung, die Ausbildung als Bildung zu gestalten.

Mir war bewusst, dass die strategische Dimension nicht im unternehmensspezifischen und gesellschaftspolitischen "Denken von Zukunft" begrenzt bleiben durfte. Der einzelne Mitarbeiter (auch Auszubildende) ist ebenso wie die Personal- und Ausbildungsleitung in den Gestaltungs- bzw. Umsetzungsprozess aktiv einzubinden, d. h. an der Entwicklung und Realisierung des didaktischen, methodischen und pädagogischen Konzeptes (einschließlich der Reflexionen) zu beteiligen, will man sowohl den Persönlichkeiten als auch den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft und den Ansprüchen der Unternehmen gerecht werden. Entwicklung bedarf eines Zusammenspiels der strategischen, didaktischen und pädagogischen Dimension (Hypothese).

Ich war überzeugt, dass der pädagogischen Grundhaltung des Ausbildungspersonals als Bindeglied eine zentrale "Schlüsselfunktion" zukommt. Die "geistige" Haltung wirkt sich auf das Lerngeschehen aus (1), hat Einfluss auf die Arbeitshaltung (2) im Team und auf die intrinsische Motivation der Azubis (3) gegenüber dem Unternehmen, dem Ausbildungsalltag, den Kollegen, den Leistungsanforderungen, usw. (Hypothese).

Die Visionen und Ideale der humanitären und sozialen Gedanken aus der Ideen-, Gründungs- und Wachstumsphase, die eng mit der Person von Dr. Hanns Voith verbunden waren, leben trotz der ungeheuren Expansionen aller Bereiche des Voith Konzerns weiter und sind Verpflichtung für die gegenwärtige Gestaltung der Firmenkultur.

Ein Großunternehmen mit menschlichem Antlitz zu gestalten war ihm tiefstes Anliegen.

Im Mittelpunkt sollte der mündige Mitarbeiter stehen, womit die umfassende Förderung des Einzelnen sowohl im gesundheitlichen Bereich als auch auf kulturellem Gebiet begründet wurde. Wie beschrieben war dies auch Leitgedanke für das Ausbildungsgeschehen.

9.1.4 Allgemeine Bildung und Fachausbildung 1999

Die Berufs(aus)bildung hatte es trotz aller Anstrengungen bis 1999 nicht geschafft, neben dem inhaltlichen Fachwissen das Orientierungswissen (u. a. Eigenständiges Arbeiten und Lernen, Stärkung der Selbstverantwortung, Kooperations- und Dialogfähigkeit) zum von allen Beteiligten getragenen Gegenstand des Lernens im Ausbildungsalltag zu machen;

einzig für die Bereiche der fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse formulierten die Ausbilder rigide Ansprüche. Die reformpädagogischen Bestrebungen, z. B. die Verzahnung und Durchdringung der betriebseigenen Allgemeinbildung mit der

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Fachausbildung, deren Inhalte sich als Mittler der zentral formulierten Ausbildungsziele etablierten, hat sich bis 1999 nicht durchgesetzt.

Die inhaltliche Fachausbildung (Fach- und Sachkompetenz) nahm einen wichtigen Stellenwert ein, bedurfte allerdings der Bereicherung und Erweiterung durch allgemeinbildende Übungsfelder, die für die Entwicklung einer umfassenden Bildung standen. Sie sollten dazu befähigen, das eigene Leben und die soziale und ökologische Umwelt sinnvoll und verantwortungsbewusst zu gestalten. Die Vorherrschaft des Faktenwissens musste also einem Ansatz Platz machen, der das Orientierungswissen (auch für das berufliche Lernen) in den Mittelpunkt des Interesses stellte, kombiniert mit der Fähigkeit, sich das für die jeweilige konkrete Problemstellung nötige Detailwissen zu beschaffen und kompetent verarbeiten zu können (u. a. als Vorbereitung auf die fachlichen Anforderungen nach der Grund- und Fachbildung beim Betriebseinsatz im 3.

Ausbildungsjahr, hinsichtlich der Forderungen nach einer offeneren Ausbildungsgestaltung ab September 2004 mit neu definierten Bildungsstandards, u. a.

sichtbar im Wegfallen der Differenzierung von Dreh- und Frästechnik bei den Zerspanungsmechanikern, durch die Neuordnung der gewerblichen Berufe). Größte Herausforderung der Berufsbildung Voith ist seit 1999 die Entwicklung der konzeptionellen Erneuerung und tatsächlichen Umsetzungsgestaltung in den einzelnen Ausbildungsgruppen.

9.1.5 Arbeitsorganisatorische Veränderungen

Von 1990 bis 1998 versuchte die Personalleitung und die Ausbildungsleitung eine arbeitsorganisatorische Entwicklung hin zu Gruppenarbeit, Projektorientierung, Gestaltung von Selbstlernprozessen, Visualisierung der Arbeitsprozesse und die Erneuerung des Bildungsanspruchs (vgl. Ausführungen zu Hanns Voith) in der Ausbildung durch die Verzahnung, bzw. Durchdringung von Fachausbildung und Allgemeinbildung (entwicklungsbezogene Persönlichkeitsbildung) einzuführen. Die Visionen aus der Ideenphase der 60er Jahre und der damit verbundenen langjährigen "geistig"-bildungspädagogischen Ausrichtung der Berufsbildung Voith am Standort Heidenheim mit einem entsprechenden Leitbild verflachten u. a. durch die personellen Neubesetzungen seit 1989 und der fehlenden gemeinschaftlichen Auseinandersetzung zwischen Azubis, Ausbildern, Ausbildungsleitung und Personalleitung. Der arbeitsorganisatorische Entwicklungsanspruch rückte in den Mittelpunkt des Interesses, wobei es darum ging " die Ausbilder und Auszubildenden methodisch und "handwerklich" zu unterstützen, damit sie Projektarbeit als Gruppenarbeit mit der notwendigen Visualisierung der Lernprozesse selbstständig durchführen können", wie Ausbildungsleiter Kratzsch, am 15.05.2000 mir gegenüber äußerte. Die Dimensionen der Leitbildgestaltung, unternehmensgerechter Bewusstseinserfahrungen („gedankliche Auseinandersetzung als Voraussetzung des Handelns") und der Grundsatz, dass die Ausbildungs- und Lernorganisationen "etwas gestaltbares und veränderbares" sind und unweigerlich mit allen beteiligten Menschen zu tun haben, wurde zu selten beachtet. Eine Konsequenz der fehlenden geistigen Auseinandersetzung war die geringe Akzeptanz bei den Ausbildern für die Entwicklungsvorgaben.

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