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Schule, Leistung, Leistungsmessung und Leistungsbewertung liegen im Schulsystem eng beieinander. Schüler*innen werden in unterschiedlichsten Bereichen je nach Leistung eingestuft, miteinander verglichen und erfahren eine Zuordnung, wie bereits im Kapitel 9 angeführt, in die Kategorien besser und schlechter, wovon im Anschluss ihr künftiger Werdegang nach Ende ihrer Schullaufbahn abhängig ist (Bräu, 2018, S. 207).

Eine Handhabung wie diese wird zwar in allen Fächern vertreten, zeichnet sich jedoch vor allem im Sportunterricht stark aus. „In wenigen anderen Bereichen des Lebens wird Leistung derart offensichtlich und auch künstlich erschaffen, wie es im Sport und auch im Sportunterricht der Fall ist“, so Kuhlmann und Balz (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 183 zitiert nach Kuhlmann und Balz, 2003).

Während in Vereinen oft Sportler*innen vertreten sind, die ähnliche Voraussetzungen aufweisen, ist dies im Schulsport und insbesondere im inklusiven Schulsport nicht der Fall, weshalb dafür gesorgt werden muss, dass

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hinsichtlich der Leistung die Voraussetzungen der Lernenden Berücksichtigung erfahren (Unfallkasse NRW, 2021, S. 35). Findet keine Berücksichtigung statt, können Schüler*innen den Leistungsanforderungen, vor denen sie stehen, nicht gerecht werden (Giese & Weigelt, 2015, S. 81).

Im Allgemeinen werden im Bewegungsunterricht drei unterschiedliche Auffassungen von Leistungen vertreten, die im Folgenden erläutert werden.

11.1 Leistungsprinzip als Selektionskriterium

Die erste Auffassung von Leistung ist jene, in der das Leistungsprinzip als Selektionskriterium verstanden wird. Hierbei geht es darum, dass der Mensch als ein leistendes Wesen betrachtet wird, das sich auch im Konkurrenzkampf mit anderen vergleichen möchte (Ruin, Meier & Leineweber, 2016 zitiert nach Gruppe, 1982, S. 176). Dass Schulsysteme im Allgemeinen selektieren, wird an den beiden Parametern, dass die Möglichkeit besteht, eine Klasse zu wiederholen und an dem Zwang zu einer ersten Schullaufbahnentscheidung, deutlich (Saldern, 2001, S. 4).

Wird die Auffassung, Leistung als Selektionskriterium zu betrachten, im Sportunterricht vertreten, werden sportmotorische Spitzenleistungen als Bewertungsmaßstab herangezogen und das Training mit dem Ziel absolviert, neue Rekorde aufzustellen (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 184 zitiert nach IOC, 1949).

Leistung in dieser Form ist auch in den aktuellen kompetenzorientierten Lehrplänen verankert, in denen geschrieben wird, dass es darum geht, alle Schüler*innen gleichermaßen auf das Erreichen diverser sportlicher Ziele vorzubereiten (Ruin, Meier, Leineweber, 2016, S. 184 zitiert nach Prohl, 2012, S. 84ff).

Saldern begegnet dem eben Genannten mit Kritik und vertritt die Auffassung, dass eine Notwendigkeit besteht, zuerst zu fördern, bevor selektiert wird. Er nennt dabei das Beispiel eines Trainers, der zuerst das Alter seiner

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Sportler*innen beachtet, bevor er Maßstäbe, die zu erreichen gelten, nennt.

Das Erreichen der vorgegebenen Ziele wird also auf die Sportler*innen angepasst (Saldern, 2001, S. 5).

Angeknüpft an die Forderung der Förderung seitens Salderns wird in dieser Arbeit vor allem in den Kapiteln 13.1 und 13.2 in denen sich der Individualisierung und innerer Differenzierung gewidmet wird.

11.2 Leistung als zu erbringendes Produkt

Neben dem Leistungsprinzip als Selektionskriterium kann Leistung als zu erbringendes Produkt aufgefasst werden. Dabei kommt es dazu, dass „die Ansprüche, die gesetzt werden, als absolut verstanden und die Leistungen der Lernenden im Sinne von Objekten daran ausgerichtet werden“ (Ruin, Meier &

Leineweber, 2016, S. 185 zitiert nach Prohl 2012, S. 81ff).

Ausrichtungen wie eben genannt, lassen sich unter anderem bei den kompetenzorientierten Sportlehrplänen finden, die durch eine starke Fertigkeitsorientierung geprägt sind (ebd.).

Beispiele hierfür sind unter anderem Rekordlisten, die im Rahmen des Sportunterrichts aufgestellt werden, um individuelle Leistungen miteinander zu vergleichen (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, zitiert nach Prohl 2010, S. 105ff).

Den Schüler*innen wird vor Augen geführt, welche Leistungen von ihnen erwartet werden, wodurch sie als Auftrag der individuellen Leistungsmaximierung verstanden werden können (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 185 zitiert nach Franke, 2007).

Leistung als zu erbringendes Produkt im Sportunterricht großzuschreiben, für alle Schüler*innen jedoch dieselben Ziele festzulegen, wird der Idee von inklusivem Sportunterricht nicht gerecht. Individuen müssen berücksichtigt werden, indem vorgegebene Ziele individuell angepasst werden (Landesinstitut für Schule, 2004, S. 24).

Eine Möglichkeit besteht darin, beispielsweise langfristige individuelle Zielsetzungen durch Arbeitspläne festzulegen sowie individuelle Rekordlisten

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oder die Auflistung von Einzelleistungen zu erstellen. Diese werden im Anschluss zu einer individuellen Gesamtleistung zusammengeführt und stellen somit Leistungen dar, bei der die individuelle Leistungsfähigkeit Berücksichtigung erfährt (ebd.).

11.3 Leistung als individuelle Erfahrung

Bei dieser Form wird Leistung als individuelle Erfahrung aufgefasst, bei der die Selbst-Erfahrung am und mit dem Körper in den Fokus rückt und dabei die Wechselwirkung zwischen der Ausführung der sportlichen Aktivitäten und der Bewertung dieser von Bedeutung sind (Ruin, Meier & Leineweber, 2016 zitiert nach Balz und Kuhlmann, 2003, S. 197).

Leistung als individuelle Erfahrung muss nicht zwingend fremdbestimmt sein, sondern kann, wie der Name schon sagt, vom Individuum selbst definiert werden. Dies kann unter anderem dadurch erfolgen, dass Schüler*innen merken, ob sie bestimmte Anforderungen erfüllen oder nicht erfüllen. Als Beispiel kann hierbei das Aufhocken auf einen Kasten im Geräteturnen angeführt werden (Scherler, 2000, S. 170ff).

Erfahrungen, die gemacht, können demnach erlebt und einer Reflexion unterzogen werden, was selbst als Leistung erfahren werden kann (Ruin, Meier

& Leineweber, 2016 zitiert nach Kurz, 2000, S. 38).

Auch wenn es im ersten Moment den Anschein erwecken mag, dass der Thematisierung von Leistung im inklusiven Sportunterricht abgeraten wird, ist dem nicht so, da es gerade der Rang und der Vergleich sind, die für viele den Sportunterricht spannend machen (Giese und Weigelt, 2013, S. 4).

Das Ziel ist es jedoch, eine Balance herzustellen, zwischen Möglichkeiten, die Benachteiligungen ausgleichen und dem Beibehalten der Attraktivität diverser Spielecharaktere, die oft durch den eben angeführten Wettkampcharakter zustande kommt (Weichert, 2003, S. 27).

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11.4 Leistung im inklusiven Sportunterricht

Inklusion fordert eine neue gedankliche Umstrukturierung des Sportunterrichts.

Es werden neue fachdidaktische Konzepte benötigt, durch die äußere Differenzierungen aufgehoben werden und es infolgedessen zu einer Auflösung oder zumindest Adaptierung der klassischen Wettkampfidee kommt (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 175).

Den Schüler*innen soll vermittelt werden, dass im Bewegungsunterricht nicht in erster Linie Rangvergleiche in Form von Wettkämpfen oder spezifische Sportarten im Vordergrund stehen (Unfallkasse NRW, 2021, S. 35).

Insbesondere sollen inklusive Settings im Sport Möglichkeiten eröffnen, um den Unterricht dahingehend zu entwickeln, nicht die Leistungsorientierung, sondern das Bewegungserlebnis und die Freude an der sportlichen Betätigung in den Mittelpunkt zu stellen (Unfallkasse Berlin, 2016, S. 9).

Darüber hinaus wird im inklusiven Bewegungsunterricht für eine Anschauung von Leistung als ein offenes, nicht abgeschlossenes und individuell bestimmtes und bestimmbares Konstrukt plädiert, bei der unterschiedliche Auffassungen von Leistung Akzeptanz erfahren. Es soll davon Abstand genommen werden, ausschließlich die motorische Weiterentwicklung der auszuübenden Sportart zu bewerten und als Leistung zu definieren (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S.

187 zitiert nach Giese und Weigelt, 2013).

Die Unfallkasse Berlin gibt an, dass sich die Leistungsbewertung an der aktuellen Leistungsfähigkeit der Schüler*innen orientieren muss (Unfallkasse Berlin, 2016, 10). Dem individuellen Leistungsfortschritt wird demnach eine besondere Bedeutung zugeschrieben, die dem Vergleich mit anderen vorgezogen wird (Unfallkasse NRW, 2021, S. 33).

Begründet wird die Forderung damit, dass ein Sportunterricht, der stark darauf ausgelegt ist, den Fokus auf Leistung und Vergleiche, die unvermeidbar damit einhergehen, zu richten, immer die Gefahr von Niederlage, Ausgrenzung und Beschämung mit sich bringt, was zweifelsohne vermieden werden soll (Giese und Weigelt, 2015, S. 81).

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Um diese Fälle zu verhindern, kann den Schüler*innen vor allem im Zusammenhang mit Sportspielen gezeigt werden, dass jede*r etwas zu einem Ergebnis einer Mannschaft beitragen kann und durch sein*ihr Mitwirken einen Teil im Team übernimmt, ohne den die Teamarbeit nicht möglich wäre (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 187 zitiert nach Arentzen).

In diesem Zusammenhang wird den Schüler*innen nahegelegt, das individuelle Können so einzubringen, dass ein Ziel durch Kooperation erreicht wird. Dadurch entsteht die Aufgabe, das eigene Verhalten so auszurichten, dass der Fokus auf ein gemeinschaftliches Erreichen des Vorhabens gelenkt wird und die Einzelleistung in den Hintergrund rückt. Es wird gelernt, sich auf die Mitschüler*innen einzustellen, sich auszutauschen und abzusprechen sowie ein Verständnis dafür entwickelt, auf Klassenkolleg*innen Rücksicht zu nehmen (Unfallkasse NRW, 2021, S. 34).

Um die gelungene Umsetzung des Angeführten zu unterstützen, sollen die Rollen, die die Lernenden zugeteilt bekommen, im Vorfeld von den Lehrpersonen an die individuellen Voraussetzungen angepasst werden.

Dadurch, dass dies bewusst geschieht, kann es darüber hinaus dazu kommen, dass die Wertschätzung den Mitschüler*innen gegenüber gesteigert wird (Ruin, Meier & Leineweber, 2016, S. 187 zitiert nach Arentzen).

Neben dem Entwickeln einer passenden Leistungsbewertung, die die Voraussetzungen aller Schüler*innen berücksichtigt, muss zudem auch eine Beurteilung erfolgen, die fair ist. Dafür benötigt es eine Bewusstmachung, wann Rangvergleiche nicht mehr lernförderlich, sondern einschränkend und ausgrenzend sind (Reich, 2016, S. 21).

Es gilt alternative Lehr- und Lernformen für den Sportunterricht zu finden, die nicht durchgehend auf rangbezogene Ergebnisse ausgelegt sind, sondern es ermöglichen, dass sich die Schüler*innen individuell entwickeln können (ebd.).

Lösungen diesbezüglich halten Differenzierungsmaßnahmen, die individuelle Faktoren berücksichtigen, bereit (Unfallkasse NRW, 2021, S. 34). Bevor auf diese jedoch im Kapitel 13.4.1 eingegangen wird, wird ein Blick in die

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Beurteilung und Benotung, die mit dem Leistungsverständnis miteinhergehen, gegeben.

Im Dokument Chancengerechter Sportunterricht (Seite 45-51)