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Wie bereits im vorigen Kapitel erwähnt, beziehen sich manche AutorInnen auch auf die KundInnenrolle im öffentlichen Sektor. Es wird darauf eingegangen, dass ein Perspekti-ven- und Paradigmenwechsel stattfindet. Die BürgerInnen werden nicht mehr als Bittsteller betrachtet, sondern ihre Rolle ist mit jener der KundInnen in der Privatwirtschaft ver-gleichbar.76 BürgerInnen sind damit nicht mehr nur EmpfängerInnen staatlicher Leistun-gen, sondern werden im Rahmen der Verwaltungsreformen auch aktiv in die Entschei-dungsfindung eingebunden. Außerdem haben BürgerInnen soziale und politische Rechte.

Das bedeutet, dass sie durch das ihnen zugesprochene Wahlrecht oder institutionalisierte Formen von BürgerInnenbeteiligung ein Mitbestimmungsrecht erlangen.77

Der KundInnenbegriff in der öffentlichen Verwaltung ist also bereits auf den ersten Blick deutlich schwieriger auszumachen, als in der Privatwirtschaft, auch wenn zahlreiche ge-meinsame Charakteristika erkennbar sind. Bevor man daher die KundInnenrolle im öffent-lichen Bereich näher betrachten kann, ist es wichtig, einige allgemeine und privatwirt-schaftliche Charakteristika des KundInnenbegriffs festzulegen.

Im Zeitalter der Computertechnik und des Internets ist ein bis ins Unendliche gestiegener Informationsaustausch kaum noch wegzudenken. Daten sind günstig oder gar kostenlos, leicht zugänglich und fast genauso einfach zu vervielfältigen. Natürlich hat diese Informa-tionsflut auch Einfluss auf KundInnen. So viele Informationen wie möglich werden in den Kaufprozess eingebunden. Durch den Informationsvorsprung nehmen KonsumentInnen eine stärkere Verhandlungsposition ein und sind in der Lage ein breiteres Spektrum an

76 Vgl. Frieser, C. (1998): NPM und österreichische Gesetzgebung, in: Mitterlehner, R./Kyrer, A. (Hrsg.):

New Public Management. Effizientes Verwaltungsmanagement zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich, 2. Aufl., Wien, S. 5–8, S. 7.

77 Vgl. Bogumil, Jörg: Veränderungen im Kräftedreieck zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung, http://homepage.rub.de/joerg.bogumil/Downloads/ASammelbaenden/Bogumil2003e.pdf, 29. No-vember 2012, S. 3.

Leistungen zu vergleichen. Gut informierte KundInnen wissen nicht nur die Leistungsqua-lität zu bewerten, sondern setzen sich meist auch mit der geltenden Rechtslage und den damit verbundenen Pflichten der AnbieterInnen auseinander.78

Im Laufe der Zeit veränderte sich nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die KundInnen-rolle wird von gesellschaftlichen Veränderungen und Ereignissen geprägt. Lewis und Bridger (2001) beschreiben die KundInnen folgendermaßen: KonsumentInnen kennen den Mangel an Produkten und Dienstleistungen – hervorgerufen durch die Weltwirtschaftskrise in den 20iger und frühen 30iger Jahren, später durch den Zweiten Weltkrieg – meist nur mehr aus Erzählungen oder Geschichtsbüchern. Der Großteil der KundInnen der damali-gen Zeit hatte (in manchen Ländern gilt das leider auch heute noch) also Geld-, Angebots- und Lieferengpässe zu überwinden. Die „modernen“ KonsumentInnen sind mit etwas an-deren Problemen konfrontiert. Zeit ist ein immer knapper werdendes Gut. Auch Aufmerk-samkeit, in einer mit Reizen überfluteten Gesellschaft, sowie Vertrauen nehmen einen ho-hen Stellenwert ein. Der gravierendste Unterschied, der sich laut Lewis und Bridger mit dem Zeitverlauf herauskristallisiert hat, ist, dass früher Bequemlichkeit im Vordergrund stand und heute KundInnen vom Wunsch nach Authentizität geleitet werden.79

Günter und Helm (2003) wiederum beschreiben, dass im privaten Sektor KundInnen frei entscheiden können, ob es eine weitere Interaktion geben wird. Betrachtet wird der Netto-nutzen, der sich aus Aufrechterhaltung oder Beendigung einer Geschäftsbeziehung ergibt.80

Die Autoren Lewis und Bridger (2001) beschreiben die „neuen“ KundInnen als individua-listisch. Ein Experiment, das in einem Abstand von 30 Jahren wiederholt wurde, brachte diese Erkenntnis hervor. In diesem Experiment (durchgeführt von Solomon Asch) wurden kleine Gruppen von Studenten [sic] um die Beurteilung zweier, offensichtlich unterschied-lich langer, Linien gebeten. Die Besonderheit lag darin, dass in jeder Gruppe nur eine

78 Vgl. Lewis, D./Bridger, D. (2001): Die neuen Konsumenten. Was sie kaufen - warum sie kaufen - wie man sie als Kunden gewinnt, Frankfurt/Main u.a., S. 34.

79 Vgl. Lewis, D./Bridger, D. (2001): Die neuen Konsumenten. Was sie kaufen - warum sie kaufen - wie man sie als Kunden gewinnt, Frankfurt/Main u.a., S. 20-21.

80 Vgl. Günter, B./Helm, S. (2003): Einführung. Kundenwert – eine Einführung in die theoretischen und praktischen Herausforderungen der Bewertung von Kundenbeziehungen, in: Günter, B./Helm, S.

(Hrsg.): Kundenwert. Grundlagen – innovative Konzepte – praktische Umsetzungen. 2. Aufl. Wies-baden, S. 3-38, S. 7.

„echte“ Testperson vorhanden war, alle anderen wurden angewiesen eine einheitlich fal-sche Antwort zu geben. Im ersten Durchlauf schlossen sich 95 Prozent der Testpersonen den falschen Meinungen an. 30 Jahre später war das Ergebnis ein völlig anderes: Nun wa-ren die Testpersonen von ihrer Meinung überzeugt und bestanden auf der Korrektheit ihrer Antwort. Es hat sich also gezeigt, dass VerbraucherInnen eine Verwandlung durchgemacht haben. Das Streben nach Authentizität spielt eine große Rolle, was zu dem Resultat führt, dass KundInnen eigene Wege gehen und sich von der Masse abheben wollen. Sie gewin-nen aus diesem Authentizitätsdrang und der Differenzierung ihren Stolz und ihr Selbst-wertgefühl.81

Koch und Weirich (2007) zitieren Nötzel (1982) und bringen die Definition des KundIn-nenbegriffs in direkte Verbindung mit dem eigentlichen Kaufereignis. Nötzel behauptet weiters, eine KundIn ist eine regelmäßige KäuferIn und dies kann im Sinne von Stamm-kundInnen gesehen werden.82

Ein weiteres Verhaltensmerkmal, das den KundInnen zugesprochen wird, ist das aktive Mitspielen. Es wurde bereits erwähnt, dass KundInnen nach Authentizität streben. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie vermehrt in den Leistungsprozess oder die Leistungs-erbringung einbezogen und beteiligt werden. Auch der Wunsch Produkte und Dienstleis-tungen auszuprobieren wird immer stärker. Das Selbstvertrauen der KundInnen und das Interesse an der Leistungserstellung bringen viele HerstellerInnen in Zugzwang. Dinge, die früher einfach so hingenommen wurden, werden nun in Frage gestellt. Etwa die Herkunft einzelner Produkte und deren Komponenten und wer an dem Herstellungsprozess in wel-cher Form beteiligt war.83

Häufig werden in der Literatur unterschiedliche Rollen beschrieben, die eine KundIn ein-nehmen kann. Unter anderem gibt es die Rolle der MitgestalterIn. Eine genauere Beschrei-bung der einzelnen Rollen erfolgt in einem späteren Kapitel. Auch Grün (2002) schreibt über diese Art von KundInnen. Sie werden in seinem Buch als „Prosumer“ bezeichnet. In

81 Vgl. Lewis, D./Bridger, D. (2001): Die neuen Konsumenten. Was sie kaufen - warum sie kaufen - wie man sie als Kunden gewinnt, Frankfurt/Main u.a., S. 30-31.

82 Vgl. Nötzel, R. (1982): Kunde, in: Falk, B.R./Wolf, J. (Hrsg.): Das Grosse Lexikon für Handel und Ab-satz, 2. Aufl., Landsberg, S. 453–455, S. 453, zitiert bei: Koch, S./Weirich, C. (2007): Kundenbin-dung. Zusammenhang von Kundenloyalität und Kundenprofitabilität, 1. Aufl., o.O., S. 2.

83 Vgl. Lewis, D./Bridger, D. (2001): Die neuen Konsumenten. Was sie kaufen - warum sie kaufen - wie man sie als Kunden gewinnt, Frankfurt/Main u.a., S. 31-33.

diesem Fall ist die KundIn sowohl NachfragerIn einer Leistung, als auch am Leistungser-stellungsprozess (Co-Produktion) beteiligt. Das System in dem sich AnbieterIn und Nach-fragerIn bewegen, wird aber dennoch von der AnbieterIn bereitgestellt und auch kontrol-liert. Da KundIn und ProduzentIn eine so genannte Symbiose bilden, sind beide erforder-lich, um das System aufrecht zu erhalten. Grün (2002) erwähnt weiters, dass die Konsu-mentInnen, neben FirmenkundInnen und MitarbeiterInnen, die größte und auch bedeu-tendste Gruppe für die Co-Produktion bilden.84

Mit steigendem Angebot in Verbindung mit dem Selbstbewusstsein der KundInnen wächst auch die Unabhängigkeit. Es kann frei entschieden werden, wann und von welchem der meist zahlreichen AnbieterInnen eine Leistung in Anspruch genommen wird. Belehrungen, Bedrängnis oder Überredungsversuche bewirken meist, dass sich KonsumentInnen zurück-ziehen und skeptisch werden. Es entsteht das Verlangen nach einem Meinungsaustausch, Selbstgespräche sind nicht erwünscht. Lewis und Bridger (2001) raten Unternehmen daher auf ihre KundInnen zuzugehen und sich nicht auf deren Initiative zu verlassen, da ihnen die selbstbestimmte Entscheidung in allen Lebensbereichen sehr wichtig ist.85

Homburg und Bruhn (2010) unterscheiden zwischen zwei Arten von KundInnen:

 (Freiwillig) gebundene KundInnen und

 nicht gebundene KundInnen.

Es wird davon ausgegangen, dass freiwillig gebundene KundInnen häufig eine höhere Preisbereitschaft aufweisen.86

Ein anderer Zugang ist, den Kunden/die Kundin als noch formbar zu sehen. Damit ist ge-meint, dass nicht nur die Anbieter sich auf ihre KundInnen einstellen und aus ihnen lernen, sondern die KundInnen selbst eine Entwicklung durchleben. Sie werden schrittweise an andere Bestandteile des Leistungsangebots herangeführt.87

84 Vgl. Grün, O./Brunner, J.-C. (2002): Der Kunde als Dienstleister. Von der Selbstbedienung zur Co-Produktion, 1. Aufl., Wiesbaden, S. 117.

85 Vgl. Lewis, D./Bridger, D. (2001): Die neuen Konsumenten. Was sie kaufen - warum sie kaufen - wie man sie als Kunden gewinnt, Frankfurt/Main u.a., S. 33-34.

86 Vgl. Homburg, C./Bruhn, M. (2010): Kundenbindungsmanagement – Eine Einführung in die theo-retischen und praktischen Problemstellungen, in: Bruhn, M. (Hrsg.): Handbuch Kundenbin-dungsmanagement, 7. Aufl., Wiesbaden, S. 3–39, S. 18.

87 Vgl. Kracklauer, A./Mills, Q.D/Seifert, D. (2002): Kooperatives Kundenmanagement. Wertschöp-fungspartnerschaften als Basis erfolgreicher Kundenbindung, 1. Aufl., Wiesbaden, S. 19.

Muthers und Muthers-Haas (2001) wiederum beschreiben die KundInnen von heute als nicht eindeutig einzuordnen oder einzuschätzen. Sie kritisieren, dass sich KundInnen häu-figer beschweren, hohe Ansprüche stellen und ihre Wünsche und Bedürfnisse nur schwer festzustellen sind.88