• Keine Ergebnisse gefunden

2 Einfluss der Unternehmensbesteuerung auf die Investitionstätigkeit

2.2 Kapitalnutzungskosten nach Jorgenson

2.2.1 Theoretische Grundlagen

2.2.1.4 Kritik am Modell

Das neoklassische Investitionsmodell nach JORGENSON bietet sich zur Un-tersuchung steuerlicher Einflüsse auf die Investitionstätigkeit an, da sich

86Vgl. KING, M. A./FULLERTON, D., 1984, S. 21-23.

die wichtigsten Einflussgrößen explizit über die Kapitalnutzungskosten in die Theorie einbauen lassen. 87 So stellt das Konzept der Kapitalnutzungs-kosten eine gebräuchliche Methode zur Analyse von Steuerwirkungen dar.88 Die strengen Modellannahmen führen allerdings zu Einschränkungen, die bei der Interpretation von Auswirkungen steuerlich induzierter Verände-rungen der Kapitalnutzungskosten auf die Investitionstätigkeit zu beachten sind.

In dem von J ORGENSON entwickelten Modell erfolgen Anpassungen des aktuellen an den optimalen Kapitalstock grundsätzlich in einer un-endlich kurzen Zeitspanne. Anpassungsverzögerungen sieht das Modell in seiner ursprünglichen Form nicht vor, so dass die Herleitung der Investi-tionsfunktion nicht modellendogen erfolgt, sondern auf ad hoc-Annahmen beruht.89. Für empirische Untersuchungen geht JORGENSON davon aus, dass nicht näher analysierte Zeitverzögerungen einer augenblicklichen An-passung an den optimalen Kapitalstock entgegenstehen.90 Ursachen für derartige Verzögerungen können z.B. in der Informationsbeschaffung, der Entscheidungsfindung im Unternehmen oder in Lieferzeiten der Investi-tionsgüterindustrie bestehen. 91

Das Modell der neoklassischen Investitionstheorie geht von der Re-versibilität von Investitionsentscheidungen aus. Übersteigt der vorhandene Kapitalstock den optimalen Kapitalstock, wird ein Unternehmen desin-vestieren. Es wird nicht benötigte Anlagegüter verkaufen. Sofern dieses stets in vollem Umfang gelingt, passt sich der vorhandene Kapitalstock vollständig an den jetzt niedrigeren optimalen Kapitalstock an. In der Folge führen steuerliche Investitionsanreize dann über verminderte Kapital-nutzungskosten zu einer sofortigen Erhöhung der Investitionsbereitschaft und -tätigkeit.

Sind Investitionen hingegen irreversibel, können nicht benötigte An-lagegüter nicht oder nur begrenzt veräußert werden. Geringere Kapital-nutzungskosten führen dann nicht zu einer sofortigen Erhöhung der

In-87Vgl. JATZEK, H.-G./LEIBFRITZ, W., 1982, 8. 41.

88Vgl. HARHOFF, D./RAMB, F., 2000, 8. 7; CHIRINKO, R. 8./FAZZARI, 8. M./MEY-ER, A. P., 1998, S.5; CuMMINS,J.G./HASSETT,K.A./HuBBARD,R.G., 1994, S.38-48; AUERBACH,A.J., 1992, S.165; CUMMINS,J.G./HASSETT,K.A., 1992, S.244f.;

AUERBACH, A. J./HASSETT, K.A., 1991, 8. 24f.

89Vgl. RoLOFF, 0., 1994, S.13f; HAYASHI, F., 1982, S. 213.

90Vgl. JORGENSON, D. W., 1963, 8. 249f.

91Vgl. ROLOFF, 0., 1994, 8. 13.

vestitionstätigkeit; sie vermindern lediglich den gewünschten Umfang der Desinvestitionen.92 Wegen der Irreversibilität von Investitionen ist deshalb mit einem vergleichsweise trägeren Anstieg der aggregierten Investitions-tätigkeit bei einer Senkungen der Kapitalnutzungskosten zu rechnen. Ins-besondere in Rezessionen wirken sich steuerliche Anreize relativ gering auf die Investitionstätigkeit aus, da viele Unternehmen bestrebt sind, ihren Kapitalbestand weiter zu vermindern.

Auch die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung von Faktor-preisen, Produktivität und Absatz kann dazu führen, dass Unternehmen In-vestitionsentscheidungen hinauszögern.93 Sofern Investitionen zeitlich ver-schoben werden, können zukünftige Informationen vor deren Durchführung Aufschluss über die Vorteilhaftigkeit des Projekts geben. Die Realisa-tion des Projekts erfolgt, wenn die Vorteilhaftigkeit nach Vorliegen der zusätzlichen Informationen noch immer gegeben ist; anderenfalls wird die Investition nicht durchgeführt. Die Unsicherheit über die Nachsteuerren-dite führt bei nicht umkehrbaren Investitionsentscheidungen daher zu ver-halteneren Reaktionen auf eine - z.B. steuerlich induzierte - Senkung der Kapitalnutzungskosten als bei reversiblen lnvestitionen.94 Der Entschei-dungsträger ist geneigt, die Unsicherheit über den Projekterfolg zu ver-ringern, indem er auf neue Informationen wartet.

Obgleich das neoklassische Investitionsmodell von einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens ausgeht, berücksichtigt das Konzept der Kapitalnutzungskosten keine zukünftigen steuerlichen Änderungen mehr, wenn die Anpassung des tatsächlichen an den optimalen Kapitalstock erst einmal erfolgt ist.95 Für die Betrachtung einer langfristig ausgelegten Steuerpolitik ist dieser Sachverhalt zwar von untergeordneter Bedeutung, da steuerliche Änderungen in der fernen Zukunft einen vergleichsweise geringen Einfluss auf den Kapitalwert in der Gegenwart haben. Geht man indessen von der Realität aus, gibt es de facto keine langfristig an-gelegte Steuerpolitik. Der Unternehmer trifft seine Investitionsentschei-dungen vielmehr unter Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des

92Vgl. AUERBACH, A. J., 1992, S.167.

93Vgl. KALCKREUTH, U. V., 2000, S. 1 f.; FUNKE ET AL., 1998, S. 3; DORNBUSCH, R./

FISCHER, S./STARTZ, R., 1998, S.334; DIXIT, A. K./PINDYCK, R. s., 1994, S.14.

94Vgl. AUERBACH, A. J., 1992, S.167.

95Vgl. HAYASHI,F., 1982, S.215f.; FULLERTON,D., 1986, S.287.

Steuersystems.96 Die Unsicherheit des Investors über zukünftige steuer-liche Änderungen und sein Vertrauen in die Steuerpolitik wird im Modell nicht erfasst, kann aber die Investitionsentscheidungen zugunsten von kurz-lebigen Anlagegütern verzerren. 97

Das neoklassische Investitionsmodell geht davon aus, dass ein Unter-nehmen so lange investiert, bis die Grenzkosten der letzten Investition mit dem Wert des Grenzprodukts derselben übereinstimmen. Zu diesem Zweck können sich die Unternehmen unter der Annahme des vollkomme-nen Kapitalmarkts zum Marktzinssatz uneingeschränkt mit Fremd- und Eigenkapital versorgen. Da viele Unternehmen in der Realität jedoch Finanzierungsbeschränkungen unterliegen, ist nicht nur die Steuerbelas-tung der marginalen Investition für die betriebliche Investitionstätigkeit von Bedeutung. Veränderungen des Steuersatzes bewirken eine veränderte steuerliche Belastung des Gewinns und damit eines Teils der Rückflüsse aus bereits existierenden Investitionsprojekten, die sich in einer Erhöhung oder Verminderung der Liquidität des Unternehmens äußert.98 Da eine ausreichende Liquidität eine notwendige Voraussetzung für Investitionen darstellt, wird die Investitionstätigkeit finanziell restringierter Unterneh-men sowohl von der Grenzsteuerbelastung der marginalen Investition als auch von der Durchschnittssteuerbelastung existierender Investitionspro-jekte beeinflusst.

In dem hier betrachteten neoklassischen Modell der optimalen Kapital-akkumulation verhält sich der langfristig optimale Kapitalstock nach Glei-chung (22) umgekehrt proportional zu den Kapitalnutzungskosten. Damit beträgt die Kapitalnutzungskostenelastizität des langfristig optimalen Ka-pitalstocks

8K c pO c

-- =

(-1)-y---

=

-1. (44) 8c K c2

'YP!J-Die Elastizität von minus eins stellt demnach die neoklassische Bench-mark für die Reaktion des Kapitalstocks auf Veränderungen der Kapital-nutzungskosten dar.99 Die angeführten Kritikpunkte an der neoklassischen Investitionstheorie führen jedoch zu suboptimalen Anpassungsreaktionen.

96Vgl. KEUCHEL, J./NoE, M., 2002, S. l; HELABA TRUST BERATUNGS- UND MANA-GEMENT GESELLSCHAFT MBH (HRSG.), 2000, S. 3; ROSE, G., 1989a, S. 318.

97Vgl. AUERBACH, A. J., 1992, S.165 f.

98Vgl. HASSETT, K. A./HUBBARD, R. G., 1996, S. 23f.

99Vgl. CABALLERO, R. J.jENGEL, E. M. R. A./HALTIWANGER, J. C., 1995, S. 4.

Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass in empirischen Untersuchun-gen betragsmäßig deutlich niedrigere Kapitalnutzungskostenelastizitäten des Kapitalstocks geschätzt werden. Eine Literaturanalyse entsprechender aktueller Untersuchungen wird im nachfolgenden Abschnitt vorgenommen.