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The show must go on: Konzerte an den „Phantomgrenzen“

Im Dokument "Phantomgrenzen" in Zeiten des Umbruchs (Seite 147-175)

Ein wesentlicher Bestandteil des „Phänomens“ Balašević waren und sind seine Konzerte. Eine Be-sonderheit dieser Ereignisse stellt ihr einzigartiger Aufbau dar, der seit Beginn seiner Karriere aus sich abwechselnden Liederaufführungen und Erzählabschnitten bestand. Bei den meisten seiner Konzerte nahm sich Balašević die Zeit, um in den Pausen zwischen den Liedern die eine oder andere Anekdote „einzustreuen“, womit er nicht selten auch die thematische Überleitung zum darauf fol-genden Lied ausführte. In den letzten Jahren, insbesondere bei seinen neuesten Auftritten mit dem Pianisten Aleksandar Dujin, die Teil seines „multimedialen Projektes“ Der Kalender meiner Kindheit sind, scheint sich allerdings das Verhältnis zwischen dem Gesungenen und dem Erzählten zuguns-ten des Letzteren zu verschieben. Bedenkt man, dass die durchschnittliche Dauer eines Liedes von Balašević zwischen drei und sechs Minuten beträgt, wirken bei narrativen Partien von über fünfzehn Minuten die Lieder zunehmend als Illustration dieser Geschichten. Doch es war immer eben diese Kombination von Musik und Erzählkunst, die zum einen den hohen Unterhaltungswert seiner Kon-zerte garantierte und zum anderen eine weitere Besonderheit seiner Live-Auftritte erklärt – ihre Dauer von manchmal über zwei bis drei Stunden. Schließlich ließe sich durch den Einsatz von

669 Boarov, Dimitrije (2010): Brend – Vojvodina stara. Povodom filma „Kao rani mraz“ Đorđa Balaševića. In: Vreme 21, 29.04.2010 (1008). Online verfügbar unter http://www.vreme.com/cms/view.php?id=928361&print=yes, zuletzt geprüft am 29.05.2012.

670 Ebd.

671 Džodan, Neven (2004): Godina izgurana dostojanstveno. Đorđe Balašević otkriva za ‚Blic‘. In: Blic 9, 31.12.2004 (2840).

Online verfügbar unter http://www.blic.rs/stara_arhiva/zabava/75822/Godina-izgurana-dostojastveno, zuletzt geprüft am 29.05.2012; Džodan, Neven (2011): Đorđe i Olivera Balašević: Za trideset godina znaćemo da li smo uspeli. Zajednički novogodišnji intervju. In: Blic 14, 02.01.2011 (5002). Online verfügbar unter

http://www.blic.rs/Zabava/Vesti/226889/Djordje-i-Olivera-Balasevic-Za-trideset-godina-znacemo-da-li-smo-uspeli/print.

672 Đ., Đ. V. (2009): Đorđe Balašević rasprodao 12 koncerata u Zagrebu. In: Blic 12, 31.03.2009 (4360). Online verfügbar unter http://www.blic.rs/Zabava/Vesti/86010/Djordje-Balasevic-rasprodao-12--koncerata-u-Zagrebu/print, zuletzt geprüft am 23.06.2012.

Anekdoten, die in der Regel Balaševićs Alltag, seiner Familiengeschichte oder in den 1990er Jahren verstärkt der politischen Situation in Serbien entstammten, auch die große Beliebtheit Balaševićs durch seine Fans erklären. Denn, selbst wenn das Publikum die meisten Lieder bereits auswendig kennt – abgesehen vielleicht von den jeweils neu veröffentlichten – besteht der Reiz dieser Konzerte oftmals gerade in der Erwartung neuer Anekdoten, obgleich sich auch diese nicht selten wiederho-len. Diese Art von „Balašević-Show“ garantierte jedenfalls jahrzehntelang ausverkaufte Konzerthal-len und scheint bis heute ihre Popularität nicht verloren zu haben.

Einen großen Bruch in seinem Verhältnis zu seinem Publikum, das er vor allem mittels der Kon-zerte aufzubauen suchte, erlebte Balašević mit dem Ausbruch der Kriege zu Beginn der 1990er Jahre.

Nach Jahrzehnten großer Erfolge – im Sinne der Konzertbesucherzahlen wie auch der verkauften Platten – konnte Balašević in den westlichen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina) zunächst wegen der Kriegshandlungen und schließlich wegen einer Kulturpolitik, die die „Musik der Aggressoren“ nicht duldete, nicht mehr auftreten. Aber auch im vom Milošević-Regime regierten Serbien, hatte es Balašević, der seit Ende der 1980er Jahre Milošević offen kritisierte, nicht besonders leicht, Konzerte zu organisieren. Wegen der Gefahr von den Mili-tärbehörden festgenommen und an die Front geschickt zu werden vermied Balašević mitunter grundsätzlich jeden öffentlichen Auftritt. So kam es nach einer einjährigen Pause673 erst Ende 1993 bzw. Anfang 1994 erneut zu seinen „traditionellen“ Neujahrskonzerten im großen Saal des „Sava-Zentrums“ in Belgrad, die bis zu 16 000 Besucher versammelten.674 Gleichzeitig stellten diese Kon-zerte den Beginn einer längeren Pause im Hinblick auf Balaševićs Live-Auftritte in Serbien dar. Im Laufe der 1990er Jahre verhärtete sich aus verschiedenen Gründen zunehmend Balaševićs Ansicht, er würde in Belgrad erst dann wieder auftreten, wenn die Stadt frei sei. Dies geschah schließlich dann auch im Herbst 2000, als Balašević der Einladung der Widerstandsbewegung Otpor! folgte und zwei Tage nach der jugoslawischen Präsidentschaftswahl675 am 26 September in Belgrad ein Konzert gab.676 Anfang Oktober folgten dann weitere „Protestkonzerte“ in Niš, Novi Sad, Valjevo, und Laza-revac.677

Infolge seiner öffentlichen „Stummschaltung“ in Serbien suchte Balašević im „postjugoslawischen Ausland“ nach Möglichkeiten für Auftritte. So gehörte er zu den ersten Musikern aus Serbien, die in anderen ehemals jugoslawischen Republiken auftraten. Als Sprungbrett für die „Rückkehr“ auf den

„alten Markt“ dienten Balašević vor allem die Konzerte in Slowenien.678 Seit Mitte der 1990er Jahre schaffte er es bei diesen Auftritten, Tausende von Musikliebhabern zu versammeln. Die hohe Besu-cherzahl lässt sich vor allem durch zahlreiche Fans – gelegentlich bis zu 10 000 –, die aus Kroatien zu seinen Konzerten nach Ljubljana, Maribor oder Portorož anreisten,679 erklären. Ähnlich hohe Besu-cherzahlen verzeichneten jedoch auch seine Konzerte in Mazedonien und Montenegro im Laufe der

673Stanić, Rade (2002): Balašević: Ponovo mi prete, tako kako ni Sloba sebi nije dozvoljavao. In: Blic News 4, 13.11.2002 (149).

674Luković, Petar (1994): Putuj, Evropo. Koncerti Đorđa Balaševića u Centru „Sava“, Beograd, januara 1994. In: Vreme 5, 17.01.1994 (169), S. 48–50.

675 Die Wahl gewann der Kandidat der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) Vojislav Koštunica. Der Versuch Slobodan Miloševićs, die Wahlergebnisse nicht anzuerkennen und sein Bestehen auf einer zweiten Wahlrunde löste Massenproteste in allen größeren Städten Serbiens aus und führte am 5. Oktober zu seinem Sturz.

676Jovićević, Aleksandra (2000): Hupen für die Freiheit. Die Hoffnung regiert: Belgrad nach der Wahl. In: Süddeutsche Zeitung, 27.09.2000 (224), S. 17; Stanić.

677 Grujić, Nada (2000b): Kako je opevan završni čin hvatanja. In: Blic 5, 09.10.2000 (1334). Online verfügbar unter http://www.blic.rs/stara_arhiva/intervju/135823/Kako-je-opevan-zavrsni-cin-hvatanja, zuletzt geprüft am 26.12.2011.

678 Die ersten Konzerte in Slowenien fanden 1994 statt. Es folgten weitere Auftritte in Ljubljana, Maribor und Portorož. Zu den Konzerten im Zeitraum 1996-1999 siehe z.B.: [N., N.] (1996): Đorđe Balašević. In: Intervju 16, 27.12.1996 (394-395);

Grgić, Velimir (1998a): Da l’ je sve bilo samo fol? In: Arkzin (4); Herman, Zmagoslav G. (1999): Neću da pevam dok tuku klince. In: Vreme 10, 22.07.1999 (420).

679 Baker (2006), S. 280.

1990er Jahre, obwohl bei diesen Auftritten von „Gastbesuchern“ aus anderen Republiken des ehema-ligen Jugoslawiens weniger auszugehen ist.680

Eine wichtige Zäsur beim Versuch, sein Publikum „zurück zu gewinnen“, waren Balaševićs Auf-tritte in Sarajevo Anfang Februar 1998. Von dem UNHCR eingeladen, gab Balašević an zwei Abenden Konzerte in Sarajevo, die gleichzeitig zu den ersten großen Auftritten der Musiker aus Serbien in der bosnisch-herzegowinischen Hauptstadt nach dem Krieg gehörten. Bei „hohem Risiko“ und entspre-chenden Sicherheitsmaßnahmen – aus Serbien kamen Gerüchte, es sei ein Attentat gegen Balašević geplant – fanden die Konzerte im überfüllten Skenderija-Saal in bester Stimmung und ohne jegliche Zwischenfälle statt.681 Das emotional hoch aufgeladene Spektakel wurde von internationalen Medien und Organisationen als bestes Beispiel für die Versöhnung zwischen den Völkern im ehemaligen Jugoslawien bewertet. So sprach die Berliner tageszeitung von Brücken „aus Tönen“, die gebaut wür-den,682 während die Washington Post die „285 extraordinary minutes at the Skenderija auditori-um“683 würdigte, indem sie Balašević als Helden darstellte und ihn mit Bob Dylan verglich.684

Eine Folge dieser Sarajevo-Konzerte für Balašević war, dass er wenige Monate später vom UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) zum Botschafter des Guten Willens ernannt wurde.685 Eine an-dere Folge war, dass er in nationalistischen Medien in Serbien endgültig als Verräter „entlarvt“ wur-de: Vorgeworfen wurde ihm vor allem, dass er sich für die Verbrechen entschuldigt habe, während sich auf der „anderen Seite“ keiner bei den Serben entschuldigt hätte. Diese Art von Kommentaren verfolgten Balašević auch bei seinen ersten Auftritten in Kroatien einige Jahre später.686

Ob und inwiefern Balaševićs Auftritt in Sarajevo eine „strategische“ Maßnahme der internationa-len Organisationen mit dem Ziel der Versöhnung in Bosnien-Herzegowina war, sei dahin gestellt.

Dass Balašević, der die gesamte Summe, die durch den Verkauf von Konzertkarten zusammenkam, auch in Sarajevo zu humanitären Zwecken spendete,687 ein besonderes Verhältnis zu dieser Stadt hatte, lässt sich am folgenden Ausschnitt aus einem seiner 1992 in der Belgrader Zeitschrift TV Revija veröffentlichen Essays erkennen:

„Montag, der zweite Märztag 1992. Drei Götter haben flagrant den Waffenstillstand missachtet.

[...] In Sarajevo aber Barrikaden, Tränengas und ‚Kalaschnikows‘...

Jeder ungerade Weltkrieg beginnt neben der Miljacka, sagt die Statistik...

680 Zum Konzert in Skopje 1996 siehe z.B. [N., N.] (1996); zum Konzert Ende Mai 1998 in Podgorica siehe z.B. Küppers, Bernhard (1998): Letzte Lieder vor der heißen Saison. Montenegro: Das nächste Pulverfaß auf dem Balkan? In: Süddeut-sche Zeitung, 29.05.1998 (122), S. 3.

681Radović, Zagorka (1998): Lastavica sarajčica. Đorđe Balašević; o utiscima iz Sarajeva i novoj pesmi. In: Naša borba 4, 15.02.1998 (1104). Online verfügbar unter http://www.yurope.com/nasa-borba/arhiva/Feb98/1502/1502_13.HTM, zuletzt geprüft am 25.05.2012; Vulović, Dušan (1998): Entitet Balašević. Sarajevo u znaku pomirenja, novih registarskih tablica i slobode kretanja. In: Naša borba 4, 15.02.1998 (1104). Online verfügbar unter http://www.yurope.com/nasa-borba/arhiva/Feb98/1502/1502_12.HTM, zuletzt geprüft am 25.05.2012; Grgić, Velimir (1998b): Spavaj mala moja, mašala…

In: Arkzin (6).

682 Rathfelder, Erich (1998): Eine Brücke aus Tönen. In: die tageszeitung, 10.02.1998 (5454), S. 11.

683 Smith, Jeffrey R. (1998): A Ballad for Bosnia: The Times They Are A-Changin’. Yugoslav Bob Dylan Marshals the Power of Poetry to Foster Tolerance in a Tortured Land. In: Washington Post 121(40), 09.02.1998, S. A13.

684 Der im Laufe der Jahre oft benutzte Vergleich mit Bob Dylan schien Balašević zu schmeicheln, obwohl er auch behaup-tete, Dylan könnte sich trotz des Rebellischen in seinen Liedern, das anzuerkennen sei, nicht mit ihm messen. Vgl. [N., N.] (1996).

685 UNHCR (1998): Ogata names Balasevic as UNHCR’s Goodwill Ambassador for former Yugoslavia. Press Releases, 08.04.1998. Online verfügbar unter http://www.unhcr.org/print/3ae6b8113c.html, zuletzt geprüft am 24.05.2012; [Beta]

(1998): Balašević ambasador dobre volje UNHCR. In: Danas 2, 08.04.1998 (302), S. 1.

686 Balašević wurde in Serbien durch seine Militärdienstverweigerung schon zu Beginn der 1990er Jahre von vielen Medien als Verräter bezeichnet. Vgl. Milosavljević, Marijana (1993): Kleknuću kao Vili Brant. Đorđe Balašević, „izdajnik“. In: NIN, 14.05.1993, S. 30.

687 Balašević bestand auch bei seinen ersten Konzerte in Kroatien darauf, dass der Gesamtertrag seiner Auftritte humanitä-ren Einrichtungen zugutekommt. Nicht selten führte dies zu Konflikten mit den Organisatohumanitä-ren seiner Konzerte.

Gestern Abend lief der Große Woiwode nicht die Baš-Čaršija entlang. Nicht einmal der Kleine Woi-wode, leider...

Gefallen ist der Unglückliche namens Nikola. Er war unter den Hochzeitsgästen, sagen die Nachrich-ten, aber das sind die ersten NachrichNachrich-ten, die man verwirft...

So wie man diejenigen verwerfen sollte, die sie in letzter Zeit senden. Aus Pakrac, Foča oder Dubro-vnik, oder aus dem Horror-Kindergarten in Borovo-Naselje...

Nun...

Am heiligen Sonntag, im Hochzeitsreigen, töteten Suad, Igor und Muhamed Nikola...

Nein, das ist kein Vers aus ‚Smail-Aga Čengić‘688. Das ist ein Vers aus unserer laufenden Tragödie. Ein jahrelang durchdachter Vers...

Die Gusla-Spieler sind jetzt angeblich sehr überrascht...

Sie rufen Krisenstabs zusammen und holen Automatikgewehre aus dem Schrank heraus, in die sie monatelang pusteten, und sie wie das Familiensilberbesteck polierten...

Eh, meine Bösen Opas689...

Ihr habt dieses Land in Suads, Igors und Nikolas geteilt. Ihr habt zwanzigjährige Burschen geil ge-macht, damit sie sich nach der Anzahl der Finger unterscheiden, mit denen sie sich bekreuzigen, o-der nach dem angeritzten Schwanz...

Dann zum Referendum...

Von mir aus. Aber ein Staat ist kein Doppeltarifzähler, so dass jeder ihn haben muss...

Und schön ist Sarajevo...

Hier und da ein Haus. Alles andere Cafés...

Da werden die ‚Blauhelme‘ ordentlich was haben, wo sie sich besaufen können...

Ich erinnere mich, die Blonde und ich liefen eigenfüßig ins Hotel zurück, aus der ‚Skenderija‘, nach dem Konzert, und stießen auf drei schaukelnde Silhouetten beim Marienhof.

Ich war schon bereit, den Ziegelstein zum erschwinglichen Preis zu kaufen.

- Hey! Das ist doch UNSER Đorđe...

Das ist euer Đorđe. Keine Frage...

Ich denke, dass ich jenes Lächeln nicht vergessen werde. Der bosnische Eintopf ist gut, ich sag ja nichts, er ist auf zahllosen Menüs und Rezeptbüchern abgedruckt, aber wenn ihr mich fragt, ist das bosnische Lächeln die eigentliche Nummer Eins. Eine Spezialität, wie es sie sonst nirgendwo auf der Welt gab...

Gibt es denn noch welche auf Lager? Wer weiß...“690

Vielmehr als Balaševićs Sympathie für Sarajevo und seine Bewohner wurde hier jedoch sein Bedau-ern über den Zerfall des früheren gemeinsamen Staates zum Ausdruck gebracht. So führte er fort, indem er die zu jenem Zeitpunkt immer noch imaginäre Route zeichnete, die er einige Jahre später dann tatsächlich auch wieder nahm:

„Nach Doboj mit dem Pass? Über eine Grenze, die Krajina-serbische691, in Ilok, dann über eine zwei-te, MUP-Grenze692 in Županja, und die dritte, an der Save, bei Šamac, da bin ich immer lang gefah-ren, da ist es am nächsten...

688 Anspielung auf das 1847 von Ivan Mažuranić verfasste Epos Smrt Smail-age Čengića. (Erste Übersetzung ins Deutsche:

Mažuranić, Ivan (1876): Cengic Aga’s Tod. Aus dem Kroatischen übersetzt von Wilhelm Kienberger. Zagreb: Agram Verlag der Universitäts-Buchhandlung Albrecht & Fiedler). Das Epos handelt vom osmanischen Offizier Smail Čengić aus der Herzegowina, der infolge eines Konfliktes mit montenegrinischen Aufständischen getötet wird. Das zum Sinnbild des heroischen Widerstandes der Jugoslawen gegen das „türkische Joch“ hochstilisierte Werk Mažuranićs war bis in die 1990er Jahre Teil der schulischen Pflichtlektüre im ehemaligen Jugoslawien.

689 Die Hervorhebungen in den folgenden Zitaten in diesem Kapitel sind im Original vorhanden, werden jedoch mittels Großbuchstaben vorgenommen. Aufgrund orthographischer Besonderheiten der deutschen Sprache werden diese in der Übersetzung kursiv gesetzt.

690 Balašević (1997a), S. 61 f.

691Hier wird Balaševićs Nichtanerkennung der Behörden serbischer autonomer Gebiete in Kroatien zum Ausdruck ge-bracht, die er allesamt als Krajina-Serben bezeichnet, auch wenn es sich hierbei um den Osten Kroatiens handelt.

692 MUP ist die Abkürzung der serbokroatischen Bezeichnung für Innenministerium. Als „MUPovci“ wurden in Serbien zu Beginn des Krieges in Kroatien die kroatischen Polizisten bzw. Streitkräfte bezeichnet.

Das ist noch ein durchgestrichenes Ziel im Labyrinth meiner zukünftigen Reisen.“693

Umso emotionaler erlebte Balašević seinen ersten Auftritt in Sarajevo. In seinem als Liedersamm-lung im selben Jahr publizierten Buch, in dem er die bedeutendsten Auftritte seiner Karriere schil-derte, beschrieb Balašević auch die Konzerte in Sarajevo:

„Aida Pobrić vom UNHCR kündigten sie uns Ende November dramatisch an, als eine Frau, die aus Sarajevo kommt. An unserem Haustor winkte sie aufgeregt mit einem Wedel aus Empfehlungen und Akkreditierungen, und dann, bevor sie irgendetwas sagte, flossen ihr zwei Tränen übers Gesicht, obwohl auch nur eine mehr als ausreichend gewesen wäre. Sie und Olja694 hatten schon in diesem Augenblick alles ausgemacht, ohne dabei auch nur irgendwas zu sagen...

Und es kam das Beste dabei raus...

Hätten die Frauen mehr unter sich ausgemacht, würde vielleicht heute in diesem Land nicht jede zweite oder dritte Brücke den Anspruch erheben, eine Grenze zu sein, wer weiß? [...]

Jahrelang vermied ich Aufforderungen, in den Krieg zu ziehen, nun kam auch die erste Aufforderung zum Frieden, meine richtige Mobilisierung [...].

Indem ich mit dem Krieg Krieg führte, verlor ich zahlreiche Städte...

Einige von ihnen fand ich an jenem Abend in Sarajevo...

Nach Banja Luka, Mostar und Tuzla wurden jeweils zwei Tausend Tickets verschickt. Noch drei [Tau-send] in andere Städte. Unsere Absicht war es, das Alle kommen, und sie kamen, ob das nun jeman-dem gefällt oder nicht...“695

Insbesondere der Beginn des ersten Konzertes blieb Balašević als besonders rührend in Erinnerung:

„Bis 1998 wurde am 7. Februar nie ein Heiliger gefeiert...

Ein paar Minuten nach acht liefen Fadil und ich langsam durch den leeren Gang in Richtung Bühne.

Profis. Die zwei wohl ruhigsten Menschen in der Skenderija, wie das am Tag darauf einer der Journa-listen beschrieb. Mustafa tauchte weit vorne auf, aus dem Nichts, wie ein Flaschengeist, und hinter meinem Rücken, wie den Schatten eines Delfins unter dem Schiff spürte ich auch die Anwesenheit des schweigsamen Mirsad...

Sie hatten schon den Papst bewacht. Und Clinton. Und alle anderen, wie mir Fadil sagte...

– Ach, was habt ihr denn... Mich wird hier keiner...

Zweifelnd lächelte er und gab bei dieser Geste höflich dem Lächeln den Vorrang vor dem Zweifel.

Später hörte ich, dass in den vier Kriegsjahren durch Scharfschützen mehr Menschen gefallen sind als Menschen, die beim Konzert waren, aber dieses berühmte Attentat, angekündigt durch wer weiß welches Attentat in Folge der Boulevardjournalisten auf meine Familie, fand dort doch nicht statt.

Ein schweres moralisches Attentat erlebte ich erst nach der Rückkehr nach Hause, auf den Straßen, auf denen ich mich bis dahin am sichersten gefühlt hatte.

[...]

Zwanzig Jahre? Tausend und ein Konzert? Das wird mir heute Abend zugutekommen, dachte ich, indem ich den Schall all der Emotion spürte, die sich wie ein unterirdischer Fluss durch die dunklen Höhlen des Saals wälzte und drohte, jeden Augenblick in Form eines Blitzes zu explodieren...

Nein, Lampenfieber habe ich wirklich nie, ich habe nicht gelogen...

Aber ein Herz habe ich immer, das ist doch etwas ganz Anderes...

- Guten Abend, Sarajevo, auch dieser Tag ist gekommen... Tja, so läuft das... Die Kriege vergehen...

Die Menschen bleiben...“696

Abseits von einer ihnen zugeschriebenen Symbolik des Friedens oder der Versöhnung markierten die beiden Konzerte vor allem Balaševićs „Rückkehr“ auf den vormals jugoslawischen Musikmarkt

693 Balašević (1997a), S. 61 f.

694 Gemeint ist Balaševićs Ehefrau Olivera, die bis in die Gegenwart einen Großteil an organisatorischen Aufgaben in Ver-bindung mit seinen Konzerten übernimmt.

695 Balašević (1998), S. 27.

696 Ebd.

oder besser gesagt auf die postjugoslawischen Konzertbühnen. Denn, obwohl Balašević jahrelang keine Konzerte geben konnte und seine Schallplatten über den „offiziellen“ Vertrieb nie den Weg in kroatische oder bosnische Musikgeschäfte fanden,697 blieb seine Musik dank der florierenden Pro-duktion von Raubkopien in all diesen Ländern anwesend und beliebt.698 Weit mehr als unzuverlässi-ge Verkaufszahlen zeugte vor allem eins vom Erfolg des Schwarzmarktes für jugoslawische Musik:

der Umstand, dass Balaševićs Publikum bei seinen Konzerten selbst bei den neuesten – offiziell nicht zugänglichen – Liedern mitsingen konnte.699

Das Bild des „friedlichen Vojvodiners“, das Balašević schließlich gut vermarktete, wirkte in Kroa-tien dagegen weniger überzeugend. Auch insgesamt war Ende der 1990er Jahre dort der Widerstand verschiedener nationalistischer Kreise – dabei vorwiegend der Kroatischen Musikunion (Hrvatska glazbena unija – HGU) – gegen den Auftritt serbischer Künstler am größten.700 Doch nach Balaševićs Sarajevo-Konzerten stellte sich zunehmend die Frage, wann er in Zagreb auftreten könnte.

Eine erste Möglichkeit bot sich im Sommer 2000 anlässlich des fünfunddreißigjährigen Beste-hens der Band Atomsko sklonište (Atombunker) aus Pula an, als deren Sänger Bruno Langer eine Feier organisieren wollte und seinen langjährigen Freund Balašević einlud, bei dieser aufzutreten.

Balašević willigte zunächst ein, ließ wenige Wochen darauf über seinen Manager verkünden, er möchte das Konzert doch nicht abhalten. Diese Nachricht brachte zusätzliche Aufregung im Hin-blick auf den in der kroatischen Presse ohnehin kontrovers diskutierten Auftritt, wobei die Kritik Langers an seinem bis vor kurzem „langjährigen“ Freund zunehmend beleidigend wurde.701 Ba-lašević selbst erklärte nach einigen Wochen, er hätte den Auftritt abgesagt, weil er sich hintergangen

Balašević willigte zunächst ein, ließ wenige Wochen darauf über seinen Manager verkünden, er möchte das Konzert doch nicht abhalten. Diese Nachricht brachte zusätzliche Aufregung im Hin-blick auf den in der kroatischen Presse ohnehin kontrovers diskutierten Auftritt, wobei die Kritik Langers an seinem bis vor kurzem „langjährigen“ Freund zunehmend beleidigend wurde.701 Ba-lašević selbst erklärte nach einigen Wochen, er hätte den Auftritt abgesagt, weil er sich hintergangen

Im Dokument "Phantomgrenzen" in Zeiten des Umbruchs (Seite 147-175)