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(K)Ein Ende in Sicht? Die Autonomie der Vojvodina nach Ende der „Ära Milošević“

Im Dokument "Phantomgrenzen" in Zeiten des Umbruchs (Seite 114-119)

Die Veränderungen im politischen Kontext nach dem Regimewechsel in Serbien im Jahr 2000, die von den Akteuren der „Revolution vom 5. Oktober“ als politische Wende bezeichnet und von vielen Wissenschaftlern sogar als historischer Bruch und „eigentlicher Beginn“ der Demokratisierung in Serbien gedeutet wurden, veränderten im Hinblick auf den Status der Autonomie der Vojvodina we-nig. Der rechtliche Status der Provinz blieb trotz einiger Kompetenzverschiebungen mittels des Ge-setzes über die Festlegung bestimmter Kompetenzen der Autonomen Provinz523 – wegen seines viele verschiedene Bereiche umfassenden Inhaltes auch „Omnibus-Gesetz“ genannt – im Rahmen der serbischen Verfassung von 1990 im Wesentlichen unverändert. So erhielt die Provinzregierung einen breiter gefächerten Kompetenzbereich – Bildung, Kultur etc. – nicht aber die Kontrolle über den Provinzhaushalt. Die einmal an die Republik- bzw. Bundesebene abgeführten Steuereinnahmen etwa – ähnlich verhielt es sich auch mit den Einnahmen aus der Privatisierung staatlicher Unter-nehmen auf dem Gebiet der Vojvodina – wurden nur zu einem geringen Anteil für den Provinzhaus-halt bereitgestellt. Dies veränderte sich auch im Rahmen der 2006 verabschiedeten Verfassung der Republik Serbiens bzw. durch die Verabschiedung des Statutes der Autonomen Provinz im Jahr 2009 nicht grundlegend.

Da sie an das „vojvodinische Geld“, das weiterhin „in Belgrad“ blieb, nicht herankamen, widmeten sich die an der Provinzregierung beteiligten Autonomisten vielmehr der symbolischen Umgestal-tung der Provinz. Insbesondere das Parlament der Vojvodina, vor allem in der ersten Legislaturperi-ode nach 2000, wurde unter der Leitung von Nenad Čanak zum stärksten Verfechter derselben Au-tonomierhetorik und -symbolik, die die LSV im Laufe der 1990er Jahre verbreitete. Ein bedeutendes Beispiel für den Kampf um die Deutungshoheit in der Provinz war das Einführen eines amtlichen Wappens der Autonomen Provinz Vojvodina.524Gewissermaßen als „heraldischer Remix“ verschie-dener Wappen konzipiert, besteht es aus drei Teilen, welche die drei Regionen der Vojvodina symbo-lisieren sollen.525 Dabei steht der Hirsch im Wappen für Srem, der Löwe für das Banat und Petrus für die Bačka.526 Abgesehen von Protesten nationalistischer Historiker gehörte zu den ersten Reaktionen in der Provinz der Spitzname für das neue Wappen, der sich schnell ausbreitete: „zwei Bier und ein Heiliger“. Schließlich sind bis heute „Jelen“ (Hirsch) und „Lav“ (Löwe) die bekanntesten einheimi-schen Biermarken in Serbien. Ob das Wappen, das schließlich auch vom serbieinheimi-schen Parlament be-stätigt wurde, in der Vojvodina mehr als Witze auslöste und womöglich zur Stärkung der Autono-mieidee beitrug, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Die Gegenreaktionen der Nationalisten fielen im Gegensatz zur kurz darauf verabschiedeten Fahne der AP Vojvodina527 jedenfalls aus.

523 Skupština Republike Srbije (2002): Zakon o utvrđivanju određenih nadležnosti Autonomne Pokrajine. In: Službeni glasnik (6/2002).

524 Ein parlamentarischer Beschluss über die Einführung eigener Provinzsymbole der Vojvodina erfolgte bereits 2002. Vgl.

Skupština AP Vojvodine (27.06.2002): Pokrajinska skupštinska odluka o upotrebi istorijskog znamenja Аutonomne Pokrajine Vojvodine. In: Službeni list APV (10/02).

525 Siehe Abb. 1 im Anhang.

526Ebd. Die Nutzung des Wappens wurde ein Jahr später durch eine Richtlinie der Regierung der Vojvodina zusätzlich geregelt: Izvršno veće APV (24.12.2003): Uputstvo o bližem uređivanju upotrebe grba APV. In: Službeni list APV (18/2003).

527 Skupština AP Vojvodine (27.02.2004): Pokrajinska skupštinska odluka o zastavi Autonomne Pokrajine Vojvodine. In:

Službeni list APV (02/04). Siehe zudem Abb. 2 im Angang.

Während die verabschiedeten Beschlüsse über die Symbole der AP Vojvodina vom Parlament der Republik Serbien anerkannt wurden, zeigte sich insbesondere bei der Fahne der Autonomen Pro-vinz, dass viele politische Akteure in Serbien, aber auch in der Vojvodina, dies nicht taten. Als Reak-tion gegen die Ablehnung der Symbole der AP Vojvodina, die sich sogar in Form von Beschlüssen einzelner Gemeindeverwaltungen manifestierten, die Nutzung der Fahne der Vojvodina in den ent-sprechenden Städten, wie etwa 2006 in Zrenjanin, zu verbieten, wurde von Aktivisten der LSV und anderen Befürwortern die Kampagne „Die Fahne der Vojvodina“ (Zastava Vojvodine) ins Leben geru-fen. Dabei wurden Jahr für Jahr öffentliche Kundgebungen und Protestmärsche in mehreren Orten der Vojvodina organisiert, bei denen die Fahne eingesetzt und propagiert wurde. Überdies wurde eine Internetseite eingerichtet, die über die Nutzung und ggf. das Fehlen der Fahne auf öffentlichen Gebäuden in der Provinz informiert.528Trotz solcher Bemühungen gelten die Fahne und das Wap-pen der AP Vojvodina nicht nur bei serbischen Nationalisten weiterhin als Zeichen, ja sogar Beweise für den vojvodinischen Separatismus.529

Ein weiterer Versuch, die Autonomie der Vojvodina durch die bestehenden Institutionen zu stär-ken, umfasste den Ausbau internationaler Kontakte zu anderen Regionen Europas. Dazu gehörten sowohl Regionen im postjugoslawischen Raum und den Nachbarstaaten, etwa einzelne Gespan-schaften in Kroatien oder Kantone in Bosnien-Herzegowina als auch zu föderalen Einheiten westeu-ropäischer Staaten. Diese Zusammenarbeit bleibt bis heute von einer Reihe von politischen Ab-sichtserklärungen bzw. einzelnen interregionalen Abkommen gekennzeichnet, es wurden aber auch mehrere gemeinsame Projekte dieser Regionen, vor allem in den Bereichen der Kultur, Bildung und Tourismus durchgeführt.530 Durch einzelne von der Autonomen Provinz mitfinanzierte Kulturveran-staltungen sollte die Vojvodina ihr Profil stärken. So hatte etwa die mit großem Aufwand organisier-te und personell ausgestatorganisier-teorganisier-te Veranstaltung „Tage der Vojvodina“ im Rahmen des Ulmer Donaufes-tes im Jahr 2004 viel eher die Funktion, die Öffentlichkeit in der Vojvodina davon zu überzeugen, dass die Vojvodina endlich in Europa respektiert werde, als beim Ulmer Publikum für noch mehr Begeisterung für vojvodinische Korbflechterinnen und sonstige osteuropäische Folklore zu sorgen.

Die „internationalen Auftritte“ der Vojvodina – angefangen mit Aufnahme in die Versammlung der Regionen Europas531 im Jahr 2002532 bis hin zur Eröffnung einer eigenen Vertretung der Provinz in Brüssel im Oktober 2011 dienten in erster Reihe dazu, die für innenpolitische Zwecke verwendete Bild der Vojvodina als „Lokomotive Serbiens auf dem Weg in die Europäische Union“ zu stärken. Wie die Absicht dieser Internationalisierungsinitiativen blieben die Folgen dieser Politik symbolisch und

528 Siehe: [Zastava Vojvodine] (2006): Zastava Vojvodine. Novi Sad. Online verfügbar unter http://www.zastavavojvodine.com/, zuletzt geprüft am 03.05.2013.

529 Obwohl sie die Fahne der AP Vojvodina nicht anerkennen, unternahmen nationalistische und klerikal-faschistische Gruppen mehrere erfolgreiche Versuche, die auf öffentlichen Gebäuden oder dem Sitz der Liga der Sozialdemokraten der Vojvodina in Novi Sad ausgehängten Fahnen öffentlich zu verbrennen. Vgl. [Tanjug]; [Radio 021] (2012): „Naši“ spalili zastavu Vojvodine. In: B92, 12.03.2012. Online verfügbar unter http://www.b92.net/info/vesti/index.php?yyyy=2012&mm=03&dd=12&nav_category=12&nav_id=590043, zuletzt geprüft am 03.05.2013; [Beta] (2013): SNP „Naši“ spalili zastavu Vojvodine. In: Press Online, 14.01.2013. Online verfügbar unter http://www.pressonline.rs/info/srbija/258681/snp-nasi-spalili-zastavu-vojvodine-.html, zuletzt geprüft am 03.05.2013.

530 Dazu siehe z.B. Tomić, Đorđe (2005): Vojvodina – the Political Aspect. Regional Organizations and Initiatives in Vojvo-dina. In: István Tarrósy und Gerald Roßkogler (Hg.): Regional co-operation as Central European perspective. Proceedings of the 1st DRC Summer School, Pécs 2004. Unter Mitarbeit von Daniella Csizmadia. Pécs: Europe Centre PBC, S. 100–114.

531 Die Versammlung der Regionen Europas ist ein 1985 gegründetes unabhängiges Netzwerk von inzwischen über 250 Regionen in rund 35 Staaten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. Seit Beginn setzte sich das Netzwerk für die Förderung des Regionalismus ein und hat nach eigenen Angaben auch die Gründung des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union maßgeblich beeinflusst. Vgl. Versammlung der Regionen Europas: Über die VRE. Online ver-fügbar unter http://www.aer.eu/de/ueber-die-vre/vre.html, zuletzt geprüft am 11.06.2013.

532 Vgl. Skupština AP Vojvodine (2012): Međuregionalna saradnja. Online verfügbar unter http://www.skupstinavojvodine.gov.rs/Strana.aspx?s=saradnja&j=SRL, zuletzt geprüft am 11.06.2013.

sorgten bestenfalls für Aufregung in den Reihen nationalistischer Politiker und Intellektueller in Serbien.

Dennoch muss festgehalten werden, dass durch die Beteiligung autonomistischer Parteien an der Provinzregierung, vor allem die LSV und die SVM, und insbesondere durch die Stärkung des Parla-mentes der AP Vojvodina, in dem diese vertreten waren, die Autonomiefrage erstmalig seit Ende der 1980er Jahre und weitaus effektiver als in den 1990ern in den Fokus politischer, aber auch intellektu-eller Debatten gelangte. So nahmen sich die „Autonomisten“ vor, im Rahmen ihrer parlamentari-schen Arbeit, einen „Entwurf des Grundgesetzes der Autonomen Provinz Vojvodina“ zu verfassen.533 Der Text der Arbeitsversion des Entwurfs sollte in der Plenarsitzung am 17. März 2003 präsentiert werden. Wegen des Mordanschlags auf den Premierminister der Republik Serbien Zoran Đinđić und die darauf folgende politische Krise wurde die Diskussion des Dokumentes jedoch verschoben.534 Nach der Selbständigkeitserklärung Montenegros und der Verabschiedung der neuen Verfassung Serbiens im Jahr 2006 musste diese Initiative vollkommen aufgegeben werden, lag doch nunmehr ein neuer gesetzlicher Rahmen vor. Interessant war hierbei vor allem, dass die neue und gegenwärti-ge Verfassung Serbiens, die bei einer zweitägigegenwärti-gen Volksabstimmung bestätigt werden sollte, von der Bevölkerung der Autonomen Provinz Vojvodina nicht mehrheitlich anerkannt wurde, lag doch die Beteiligung bei weit unter der nötigen Hälfte aller Stimmen. Auch der Anteil jener, die mit „Nein“, also gegen den Verfassungsentwurf, stimmten, war in der Vojvodina wesentlich höher als im Rest Serbiens.535 Durch die für ganz Serbien zusammen gerechnete (knappe) Zustimmung, trat die Ver-fassung in Kraft. Die Arbeit an einem neuen vojvodinischen Grundgesetzestext wurde jedenfalls erst im Vorfeld des schließlich 2009 verabschiedeten und vom Parlament Serbiens bestätigten Statutes der Autonomen Provinz wieder aufgenommen, der aber 2012 vom serbischen Verfassungsgericht in weiten Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde, wodurch die Autonome Provinz vorübergehend ohne jede Art gültigen „Grundgesetzes“ blieb.

Mit den verschiedenen parlamentarischen Initiativen – von der Intensität der parlamentarischen Arbeit in der Vojvodina zeugt nicht zuletzt auch die im Vergleich zu den 1990er Jahren drastisch er-höhte Zahl der Plenarsitzungen – ging auch eine veränderte wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Autonomie der Vojvodina einher, die langsam die kleinen Kreise autonomistischer Intellek-tueller verließ. Auch fanden im Gegensatz zu den Veranstaltungen der 1990er Jahre die Tagungen über die „Vojvodinische Frage“ bzw. die „Vojvodinische Identität“, etwa im Jahr 2004 in Zrenjanin536 und 2006537 und 2007538 in Novi Sad, ohne das „theoretische Versteckspiel“ statt: Die Autonomie der Provinz wurde nicht mehr im Rahmen von „Regionalismus“ oder ähnlichen Konzepten thematisiert, sondern vielmehr als aktuelle politische Frage besprochen.

533 Siehe: Skupština AP Vojvodine (2002): Radna verzija prednacrta Osnovnog Zakona Autonomne Pokrajine Vojvodine.

Online verfügbar unter http://www.skupstinavojvodine.gov.rs/?s=aktAPV100&j=SRL#, zuletzt geprüft am 14.05.2013.

534Vukadinović, Đorđe (Hg.) (2005): Vojvođansko pitanje. Beograd: IIC Nova srpska politička misao (Posebna izdanja / Nova srpska politička misao, 1), S. 151. Der Text des Entwurfs wurde in derselben Publikation vollständig abgedruckt und in zwei Aufsätzen kritisch kommentiert. Vgl. Skupština AP Vojvodine (2005): Radna verzija prednacrta Osnovnog zakona Autonomne Pokrajine Vojvodine. In: Đorđe Vukadinović (Hg.): Vojvođansko pitanje. Beograd: IIC Nova srpska politička misao (Posebna izdanja / Nova srpska politička misao, 1), S. 151–193; Ristivojević, Branislav (2005): Nacrt „Osnovnog Zakona“: statut pokrajine ili ustav države? In: Đorđe Vukadinović (Hg.): Vojvođansko pitanje. Beograd: IIC Nova srpska politička misao (Posebna izdanja / Nova srpska politička misao, 1), S. 195–207; Čavoški, Kosta (2005): Vojvodina – država nacionalnih manjina. In: Đorđe Vukadinović (Hg.): Vojvođansko pitanje. Beograd: IIC Nova srpska politička misao (Po-sebna izdanja / Nova srpska politička misao, 1), S. 209–214.

535 Zu den genauen Ergebnissen siehe die Karten 4-6 im Anhang, die gewissermaßen auch als eine visuelle Darstellung der

„Phantomgrenzen“ der Vojvodina zu betrachten sind.

536 Dazu siehe: Vukadinović.

537 Dazu siehe: Domonji, Pavel (Hg.) (2006): Vojvođanski identitet. Beograd: Helsinški odbor za ljudska prava u Srbiji (Hel-sinške sveske, 24).

538 Dazu siehe: Biserko, Sonja (Hg.) (2008): Multietnički identitet Vojvodine. Izazovi u 2007-08. Beograd: Helsinški odbor za ljudska prava u Srbiji (Helsinške sveske, 27).

Den Hintergrund dieser Entwicklung stellte ohne Zweifel die neue politische Konstellation in der Vojvodina dar. Zu den Parteien an der Macht gehörten seit 2000 neben der Demokratischen Partei auch die Liga der Sozialdemokraten der Vojvodina sowie der Bund der vojvodinischen Ungarn, deren Bemühungen um die Wiederherstellung der Autonomie, trotz wiederholter Behauptungen, die Vojvodina sei von einer „wirklichen“ Autonomie weit entfernt, der Autonomiefrage eine neue Bedeu-tung verliehen. Dies äußerte sich nicht nur in den zunehmenden Warnungen vieler Nationalisten vor dem vojvodinischen „Separatismus“, der wieder auf dem Vormarsch sei, sondern eben auch da-rin, dass eine Diskussion über den Status der Vojvodina und die Fragen nach der Art, Umfang und Notwendigkeit der Autonomie auch nach über zehn Jahren weiterhin für Interesse und durchaus auch Kontroversen sorgte sowie auch über die Grenzen der Provinz bzw. die „eingeweihten“ Kreise hinaus zunehmend stattfand. So waren die (vorwiegend Belgrader) Intellektuellen aus dem „enge-ren“ Serbien nicht nur Gäste, sondern Mitorganisatoren der genannten Veranstaltungen.539 Damit gelangen – trotz nachhaltiger Meinungsunterschiede – zumindest erste Versuche, (moderat) natio-nalistische bzw. zentralistische Ansichten den antinationatio-nalistischen bzw. autonomistischen und/oder föderalistischen gegenüberzustellen, verlief doch die bis dahin ohnehin eher verhaltene Beschäftigung einzelner Belgrader Intellektuellen mit der Autonomie der Vojvodina eher als „Ein-bahnstraße“ und keineswegs als Austausch von Argumenten welcher Art auch immer. Die wenigen Versuche, „fundierte“ Erkenntnisse und „wissenschaftliche“ Argumente gegen die Autonomie der Vojvodina zu präsentieren, fanden dabei meistens nach 2000 statt540 und sind sowohl in (bürgerlich-) nationalistischen Kreisen541 als auch im Umfeld der Sozialistischen Partei Serbiens542 zu finden.

Die Argumentation dieser Studien reichte dabei von reproduzierten Warnungen gegen den Separa-tismus und die Zerstörung der Einheit Serbiens bis hin zur These des Novisader Zentralismus in der Vojvodina, der nur durch eine allumfassende Dezentralisierung, Regionalisierung oder sogar Födera-lisierung Serbiens, allerdings bei gleichzeitiger Aufhebung jeder Form von Autonomie der Vojvodi-na, vorzubeugen wäre.543 Auch wenn vor allem für den Separatismusvorwurf der Nationalisten jede Art von Beleg fehlte und dieser sich somit nur als absurd bezeichnen ließe, bleibt er als „Argument“

in den Auseinandersetzungen zwischen den „Nationalisten“ und den „Autonomisten“ weiterhin be-stehen.

Doch trotz der zweifellos größeren Freiräume für die Thematisierung der vojvodinischen Auto-nomie in wissenschaftlichen Kreisen nach 2000, bleibt bis heute eine Art „Regionalismus“-Fraktion innerhalb der vojvodinischen Intellektuellen bestehen, die im Konzept des Regionalismus anschei-nend immer noch einen sicher(er)en Weg sieht, über die Autonomie der Vojvodina zu diskutieren, ohne von Autonomie zu sprechen. Diese bereits zu Beginn der 1990er Jahre eingesetzte „Strategie“

verfestigte sich spätestens mit den Institutionalisierungsversuchen Ende des Jahrzehnts. So wurde im Oktober 1998 in Novi Sad das „Zentrum für Regionalismus“ gegründet, „mit dem Ziel, die Idee des Regionalismus im Einklang mit den neuesten europäischen Trends und Erfahrungen zu fördern.

Dies bedeutet[e] auch ein kontinuierliches Engagement und eine fachliche Begründung des

Bedürf-539 Zu den Veranstaltern der Konferenz von 2005 gehörten Politikwissenschaftler aus Belgrad (NSPM), während die Konfe-renz 2006 vom Helsinki Komitee für Menschenrechte organisiert wurde.

540 Eine Ausnahme ist die Neuauflage der „Studie“ von Glamočanin, die bereits während der „Antibürokratischen Revoluti-on“ 1988 den Demonstranten in Pančevo verteilt und diskutiert wurde. Vgl. Glamočanin, Jovan (1998): Srbija i autonomi-ja. Beograd: Dereta (Biblioteka Džepna knjiga, 16).

541 Pejin, Jovan M. (2002): Autonomija Vojvodine – košmar srpskog naroda. Zrenjanin: IP „Beograd“ (Biblioteka „Svetozar Miletić“, 1); Mijatović, Boško (Hg.) (2003): Polemika o Vojvodini. Beograd: Centar za liberalno-demokratske studije (Rad-ni dokumenti, 4).

542 Ðurović, Borislav (Hg.) (2004): Autonomija Vojvodine. Beograd: Beogradski forum za svet ravnopravnih (Edicija Sveske, 8).

543Mitrović, Milovan M. (2002): Kontroverze oko decentralizacije, regionalizacije i lokalne samouprave u Srbiji. In: Soci-ološki pregled 36 (1-2), S. 81–90.

nisses nach Demokratisierung und Dezentralisierung Serbiens, wie auch eine Förderung von Zu-sammenarbeit in der Region, vor allem der Zivilgesellschaft.“544 Zu den ersten Vorhaben der Gruppe gehörte auch das Projekt „Verfassungsrechtlicher Rahmen der Dezentralisierung Serbiens und der Autonomie der Vojvodina“, das insgesamt neun wissenschaftliche Studien umfasste, die von einem Team unter der Leitung von Dejan Janča erarbeitet wurden und verschiedene rechtliche und politi-sche Optionen der Neugestaltung Serbiens als eines „regionalen Staates“ herausarbeiteten.545 Die anvisierte dem Prinzip des Regionalismus folgende Dezentralisierung Serbiens unterschied sich als Idee dabei kaum von den Föderalisierungsvorschlägen etwa der LSV und blieb wie diese ohne jede politische Konsequenz. Die einzigen sichtbaren Ergebnisse des Zentrums für Regionalismus, das bis heute fortbesteht und inzwischen eine Reihe weiterer, darunter auch den aktuellen politischen und rechtlichen Bedingungen der Autonomie gewidmeten Publikationen veröffentlichte, bestehen in der fortschreitenden Vernetzung mit anderen regionalistischen zivilgesellschaftlichen Initiativen in Südosteuropa. Blickt man jedoch auf die wissenschaftlichen „Begründungen“ des Zentrums, schei-nen dabei sowohl die thematischen Schwerpunkte – insbesondere die unter dem Motto der Dezent-ralisierung Serbiens gemeinte Autonomie der Vojvodina – wie auch die Autoren weiterhin vorder-gründig die gleichen zu bleiben.546 Rechtswissenschaftliche und politikwissenschaftliche Beiträge dominieren dabei bis heute die Arbeit der Organisation und prägen vor allem den juristischen Be-reich des Autonomiediskurses in der Vojvodina.547

Die Bemühungen um eine „rechtliche Lösung“ des Statusproblems der Vojvodina blieben auch nach der neuen Verfassung Serbiens im Fokus der Provinzbehörden. Nach über einem Jahr mitunter schwieriger Gespräche zwischen Novi Sad und Belgrad wurde 2009 endlich ein Statut der Autono-men Provinz548 verabschiedet und vom Parlament Serbiens bestätigt. Doch die Parlamentswahlen auf Republik- und Provinzebene im Frühjahr 2012 setzten dieser als Absprache innerhalb der regie-renden Demokratischen Partei in Belgrad und in Novi Sad erfolgten Lösung ein Ende. Erstmalig seit 1988 kam es zu unterschiedlichen politischen Machtkonstellationen in Belgrad und Novi Sad. Wäh-rend die Republikparlamentswahlen die aus der Sozialistischen Partei Serbiens und der Serbischen Fortschrittspartei bestehende Regierung Dačić-Vučić hervorbrachten, behielt die Demokratische Partei, gemeinsam mit den alten Koalitionspartnern der SVM und der LSV die Macht in der Provinz.

Nur wenige Tage nach der Regierungsbildung in Belgrad ließ das Verfassungsgericht Serbiens ver-künden, dass das Statut der AP Vojvodina in einigen Teilen verfassungswidrig sei. Dieses wohl

zufäl-544 Centar za regionalizam (2013): O Centru. Novi Sad. Online verfügbar unter

http://www.centarzaregionalizam.org.rs/html/srp/o_centru.html, zuletzt geprüft am 13.05.2013.

545Serenčeš, Žužana (2000): Regionalna država nudi kompromis. Prof. dr Dejan Janča. In: Vojvodina 2, 31.03.2000 (21), S.

10–11. Zu den einzelnen Studien siehe: Centar za regionalizam (Hg.) (1999): Ustavno pravni okvir decentralizacije Srbije i autonomije Vojvodine. Rezimei koncepta ekspertskog tima. Novi Sad: Centar za regionalizam; Centar za regionalizam (Hg.) (2001): Ustavno pravni okvir decentralizacije Srbije i autonomije Vojvodine. Rad članova ekspertskog tima Centra za regionalizam. Novi Sad: Centar za regionalizam.

546 Siehe z.B.: Popov, Aleksandar (Hg.) (2008): Decentralizacija u kontekstu novog Ustava Srbije i EU integracija. Novi Sad:

Centar za regionalizam; Pajvančić, Marijana (2009): Ustavni okvir regionalne države. Primer Srbije. Novi Sad: Centar za regionalizam; Perković, Jelena (Hg.) (2012): Alternativna nacionalna strategija decentralizacije. Prilozi. Zbornik naučno istraživačkih radova. Novi Sad: Centar za regionalizam.

547 Anders als etwa eine Gruppe von Soziologen an der Universität in Novi Sad, die sich in den letzten Jahren zunehmend den Fragen nach „Multikulturalismus“ oder „Identitäten“ widmet und sich somit um eine sozialwissenschaftliche Be-gründung der Besonderheit und gleichzeitig der Autonomie der Vojvodina bemüht. Siehe z.B. Žolt, Lazar (Hg.) (2007):

Vojvodina amidst multiculturality and regionalization. Novi Sad: Mediterran Publishing (Biblioteka Academica, 3). Zu neuesten Versuchen, die Vojvodina als „offene“ bzw. „geschlossene“ Gesellschaft zu diskutieren, siehe: Đurić-Bosnić, Aleksandra (Hg.) (2014): Zatvoreno-otvoreno: društveni i kulturni kontekst u Vojvodini 2000-2013. Petrovaradin: Centar za interkulturnu komunikaciju.

548 Skupština AP Vojvodine (2009): Statut Autonomne Pokrajine Vojvodine. In: Službeni list APV 65 (17/2009), S. 1213–1223;

Skupština AP Vojvodine (14.12.2009): Pokrajinska skupštinska odluka o sprovođenju Statuta Autonomne Pokrajine Vojvodine. 01 Broj: 010-1/08. In: Službeni list APV (18/09), S. 1125–1126. Im selben Jahr wurde zudem ein neues Gesetz über die Festlegung der Kompetenzen der Autonomen Provinz verabschiedet. Siehe: Narodna Skupština Srbije (2009):

Zakon o utvrđivanju nadležnosti Autonomne Pokrajine Vojvodine. In: Službeni glasnik Republike Srbije (99/2009-3).

Zakon o utvrđivanju nadležnosti Autonomne Pokrajine Vojvodine. In: Službeni glasnik Republike Srbije (99/2009-3).

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