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4. Das Phänomen Lernen

4.4. Auseinandersetzung mit den Lerntheorien

4.4.3 Konstruktivismus

Ende des 20. Jahrhunderts entstanden bezüglich des Phänomens Lernens konstruktivisti-sche Theorien (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 54) und der Entwicklungspsychologe sowie Biologe Jean Piaget beeinflusste den kognitiven Konstruktivismus maßgebend (vgl. ebd., S. 55). Dittler merkt an, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die konstruktivistische Lerntheorie durchsetzte (vgl. Dittler 2011b, S. 8). Die Begrifflichkeit Konstruktivismus sei vorwiegend ein Theoriekonstrukt für differente erkenntnistheoretische Ansätze, die interdisziplinär entstanden seien (vgl. ebd., S. 56; vgl. Göhlich, Zirfas 2007, S. 25f.; vgl.

Siebert 2011, S. 86) und aufgrund dessen „(…) beschreibt demnach [der Konstruktivis-mus] keine spezifische Theorie (…)“ (Gardner, Thielen 2015, S. 56). Eine einheitliche Theorie oder eine konforme theoriebasierte Thematik lasse sich nicht formulieren (vgl.

Herzig 2001, S. 163; vgl. Tulodziecki, Herzig 2004, S. 142).

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„Die Diskussion um konstruktivistische Ansätze wird in der Literatur sehr breit gefächert ge-führt; es gibt inzwischen viele Spielarten konstruktivistischer Couleur, sodass von einer ein-heitlichen Theorie oder einer sich auf einen einein-heitlichen theoretischen Gegenstand bezie-henden Diskussion nicht mehr ausgegangen werden kann“ (Tulodziecki, Herzig 2004, S.

142).

Nach Siebert sei Konstruktivismus keine Theorie der Pädagogik oder der Gesellschaft, sondern eine Metatheorie, bei der Konstruktivisten Beobachtungen durchführen und feststellen würden, in welcher Weise Wirklichkeit im Alltag oder in der Wissenschaft betrachtet und hergestellt werde (vgl. Siebert 2003, S. 69). Der Konstruktionsprozess sei eine Herleitung von Erkenntnissen der Neurowissenschaften und der Biologie (vgl.

Gardner, Thielen 2015, S. 57).

Beim Konstruktivismus sei Wissen und Lernen ausschließlich ein persönlicher und subjektiver, (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 54) aktiver, individueller situativer, sozialer, selbstbestimmter, kreativer und selbstorganisierter Prozess (vgl. ebd., S. 58f.; vgl.

Göhlich, Zirfas 2007, S. 26 und S. 66; vgl. Petko 2014, S. 32; Herzig 2001, S. 165; vgl.

Martens 2011, S. 241; vgl. Drummer 2011, S. 18 und S. 20; vgl. Röll 2016, S. 17),

der durch das Individuum stattfinde (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 59; vgl. Herzig 2001, S. 163; vgl. Tulodziecki, Herzig 2004, S. 142; vgl. Kerres 2013, S. 97).

„Es geht nicht mehr um Abbildung, Weitergabe, 'richtige' Rekonstruktion und Erinnerung 'ob-jektiven' und 'wahren' Wissens, sondern um subjektive Wirklichkeits- und Sinnkonstruktion jedes einzelnen lernenden Individuums. Lernen vollzieht sich damit individuell und unvorher-sagbar (…)“ (Drummer 2011, S. 18).

Damit das Lernen hinsichtlich konstruktivistischer Lerntheorien erfolgreich sein könne, sollte der Lernende ausreichend selbstgesteuert lernen können und die Lehrperson sollte die Fragenstellung konkret formulieren, damit ein Lehrziel konstatiert werden kann (vgl.

Drummer 2011, S. 20). „Nur, wenn die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind, wird sich der gewünschte Lernerfolg einstellen. Andererseits besteht die Gefahr, dass die gewählte Lehrform nicht zum Erfolg führt. Dies äußert sich unter anderem darin, dass der Schüler vor dem Lernstoff kapituliert und den Lernvorgang im ungünstigen Fall abbricht“

(Drummer 2011, S. 20).

Lernen sei hinsichtlich des Konstruktivismus eine Konstruktion des Wissens, welches vom Vorwissen bestimmt werde und aufgrund dessen seien die persönlichen Erfahrungen und das individuelle bereits vorhandene Wissen des Lerners zu beachten (vgl. Dittler 2011, S. 3 und S. 8). „Lernen wird im Konstruktivismus verstanden als die Konstruktion von Wissen auf der Basis individuellen Vorwissens; Lehr- und Lernsituation müssen daher

immer auf den einzelnen Lernenden und seine individuelle Situation eingehen können“

(ebd., S. 8).

Beim Lernen im konstruktivistischen Sinne erfolge eine Veränderung der Wirklichkeit durch eine Assoziation von bekannten und unbekannten Wissen (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 64; vgl. Seel, Ifenthaler 2009, S. 191). Demzufolge sei Lernen bezüglich des Konstruktivismus von der beschriebenen Konstruktion von Wirklichkeit sowie von den Erkenntnissen und Erfahrungen, vom subjektiven Wirklichkeitsempfinden, die anhand einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit sich selbst und der Umwelt stattfinden, abhängig (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 58).

„Jedes Individuum hat einen eigenen Zugang zur außersubjektiven Umwelt und konstruiert sich daraus eigenständig die eigene Wirklichkeit. Die Konstruktion dieser findet dabei auf Basis der individuellen Erfahrung statt. Die subjekteigene Wirklichkeit wird überprüft und mit eventuellen Änderungen rekonstruiert“ (Gardner, Thielen 2015, S. 56).

Zudem könne beachtet werden, dass mittels einem direkten und persönlichen Lebensbe-zug sowie einem Andocken an vorhandenes Wissen des Individuums, das Erinnern an neues Wissen erleichtert werde und sich neuronale Netzwerke verbinden lassen (vgl.

Gardner, Thielen 2015, S. 67). „Bei Lehr-Lernprozessen sind demnach das vorherige Wissen, die Situation, der Alltagsbezug und in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der Informationen relevant“ (Gardner, Thielen 2015, S. 116).

Hinsichtlich der Lerntheorien des Konstruktivismus sei die individuelle Perspektive, das Empfinden und die Verwertung sowie Bewältigung von Erlebnissen der Umwelt ausge-prägter, als beim Kognitivismus (vgl. Tulodziecki, Herzig 2004, S. 142). „Konstruktivisten betonen noch stärker die Prozesse der individuellen Wahrnehmung und Verarbeitung von Erlebnissen“ (Herzig 2001, S. 163).

Eine starke Differenz hinsichtlich der Perspektive zwischen den basalen Auffassungen eines konstruierenden oder konstruktiven Individuums sei dennoch nicht zu erkennen (vgl.

ebd., S. 145). Eine entscheidende Differenzierung sei, dass beim Konstruktivismus, im Gegensatz zum Kognitivismus davon ausgegangen wird, dass Lernen ein Prozess sei, der selbstorganisiert sei und Hilfen angeboten werden können, diese dennoch nicht zwingend vorgesehen sind und beim Kognitivsmus Anweisungen und Leitung einbezogen werden (vgl. Tulodziecki, Herzig 2004, S. 145).

Beim konstruktivistischen Lernen werde Lernen folglich, „(…) als einen aktiven und sozial ausgehandelten Prozess (…)“ (Gardner, Thielen 2015, S. 25) wahrgenommen (vgl. auch Martens 2011, S. 241). „Der Prozess des Lernens ist individuell, aktiv und nimmt Bezug auf die Lerngemeinschaft“ (Brandhofer 2012, S. 135).

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Die Wirklichkeit sei demzufolge vom Subjekt abhängig und werde von ihm erschaffen (vgl.

Gardner, Thielen 2015, S. 64). „Jedes Wahrnehmen der außersubjektiven Wirklichkeit kann zu einer Veränderung der subjektiven Wirklichkeit führen“ (Gardner, Thielen 2015, S. 58). Hinsichtlich des Lernens im konstruktivistischen Sinne könne konstatiert werden, dass die Sichtweise des jeweiligen Individuums, die ebenso praktikabel sei, eine konstitu-tive Funktion habe und ein „(…) solches individualisiertes Verständnis von Lernen (…) weitreichende didaktische Konsequenzen [habe]“ (Petko 2014, S. 33).

Laut Petko sei ein Lernverständnis notwendig, bei dem beachtet werde, dass Lernen ausschließlich angeboten werden könnte und nicht in dogmatischer Weise gelehrt werden sollte. Dagegen sollte es den Lernenden ermöglicht werden, Erfahrungen durch das Verfügungstellen von Lernumgebungen zu sammeln und dadurch das Vorwissen zu extendieren oder zu redrigieren (vgl. Petko 2014, S. 32). „Das Bereitstellen einer Lernum-gebung und weniger das Übermitteln von Informationen wird zur zentralen didaktischen Aufgabe“ (Petko 2014, S. 32).

Der Unterschied zu den Lerntheorien des Behaviorismus und Kognitivismus sei die Annahme, dass Wissen ausschließlich angeregt und nicht übertragen lasse. Der Lernen-de entscheiLernen-de selbstständig, ob und in welcher Art Lernangebote genutzt werLernen-den (vgl.

Petko 2014, S. 33; vgl. Dittler 2011b, S. 8; vgl. Drummer 2011, S. 18). Lehrende sollten, nach Erkenntnissen des interaktionistischen Konstruktivismus, nicht ausschließlich Wissen vermitteln, sondern ebenso Lernprozesse anleiten und begleiten (vgl. Brandhofer 2012, S. 135; vgl. Drummer 2011, S. 19). „Lehrende sind nicht mehr 'Trichterbefüller', sondern begleiten den Lernprozess“ (Brandhofer 2012, S. 135). Lehrpersonen würden beim Konstruktivismus keinen starken Einfluss haben (vgl. Drummer 2011, S. 19), stattdessen sei die Lehrkraft Coach und Unterstützer (vgl. ebd. und S. 33).

„Beim konstruktivistischen Lernen übernimmt der Lehrende die Rolle eines Coaches oder Trainers und unterstützt den Lernenden beim Aufbau von eigenen Wissensstrukturen und mentalen Modellen sowie kognitiven Repräsentationen“ (Dittler 2011b, S. 8).

Die Lernenden sollten bei den konstruktivistischen Lerntheorien im Mittelpunkt sein.

„In vielen Klassenzimmern ist dieser Paradigmenwechsel bereits zu beobachten: vom Leh-ren zum Lernen, von der LehLeh-renden-Zentrierung zur Lernenden-Zentrierung, von der In-struktion zur KonIn-struktion usw. Durch den Wechsel der Perspektive nehmen die verschie-denen Spielarten der konstruktivistischen Didaktik an Bedeutung zu“ (Bauer 2012, S. 122).

Es könne dennoch nicht garantiert werden, dass der Lernende de facto etwas erlernt, die Lehrkraft könne ausschließlich Anstoße für ein Lernen zur Verfügung stellen und das Lernen sei demzufolge allein vom Individuum abhängig (vgl. Gardner, Thielen 2015,

S. 59; vgl. Herzig 2001, S. 165). „Lehrende können maximal Anreize setzen, bspw. Inhalte und Räume zur Verfügung stellen, ob, wann und wie der Lernende sich jedoch wie das Wissen aneignet ist ausschließlich auf den Lernenden zurückzuführen“ (Gardner, Thielen 2015, S. 59). Aufgrund dessen sei für ein erfolgreiches Lernen eine Selbststeuerungs-kompetenz, die sich aus der Vorbereitung auf das Lernen, Ausführen sowie Regulation der Lernaktion, die Bewertung der Leistung sowie das Aufrechterhalten von Motivation und Konzentration zusammensetzt, notwendig (vgl. ebd., S. 70f.).

„Während kognitionstheoretische Ansätze Instruktionen z.B. durch Lehrpersonen in ihre Be-trachtungen integrieren, ist im strengen (radikalen) Sinne des Konstruktivismus Lernen ein Selbstorganisationsprozess, bei dem Informationen als Unterstützung angeboten werden können, anleitende Maßnahmen aber nicht vorgesehen sind und nicht theoriekonform wären“ (Herzig 2001, S. 166).

Bezüglich des Lernens wurde bereits erwähnt, dass eine Verknüpfung und Kooperation mit bereits existierendem Wissen stattfinden sollte, damit neues Wissen erlernt werden könnte (vgl. Siebert 2005, S. 64, zit. n. Gardner, Thielen 2015, S. 58). In diesem Kontext sollten Lehrende soziale Interaktionen zwischen Lernenden anpassen, eine Anschluss-fähigkeit von Wissen beachten sowie ein Impuls zum Lernen verursachen (vgl. Terhart 2009, S. 36; vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 59).

Das Lernen folge zudem aus dem Handeln und sei folglich situativen und kontextuellen Verknüpfungen unterbunden (vgl. Brandhofer 2012, S. 135). Bezüglich des Lernens seien demnach die Erkenntnisse des Konstruktivismus, wie die Anschlussfähigkeit an vorhan-denem Wissen, die Selbstorganisation sowie die soziale Integration zu nennen, die das Lernen fördern können. Zudem sollten Lernpotenziale durch ein Zulassen von Fragen und Erwartungen der Lernenden dargelegt werden (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 67). Lernen sei am effektivsten, wenn ein sozialer Aushandlungsprozess sowie eine aktive Beschäfti-gung mit dem Lernobjekt und eine Kommunikation diesbezüglich erfolgt (vgl. ebd., S. 85).

„Im Sinne eines aktiven Befassens mit dem Lerngegenstand sollte hierbei nicht nur über einen Inhalt gesprochen werden, sondern im besten Falle etwas Gemeinsames erarbeitet werden“ (Gardner, Thielen 2015, S. 85).

Beim konstruktivistischen Ansatz stehe folglich das Individuum mit seinen Erfahrungen und mit dem subjektbezogen Vorgang beim Lernen im Vordergrund (vgl. Göhlich, Zirfas 2007, S. 26; vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 33).

„Jean Piaget war einer der Ersten, die Lernen und Erkenntnis konsequent als individuelle Konstruktionsleistung eines Menschen innerhalb seines subjektiven Erfahrungsraumes auffassten“ (Petko 2014, S. 32).

Lehr- und Lerninhalte seien vorgefertigt, beziehungsweise können vorstrukturiert sein, es sei vom Lernenden inklusive deren Erfahrungen abhängig, mit welcher Relevanz die Lehr-

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und Lerninhalte in das subjektive Wirklichkeitsempfinden einhergehen (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 65). Beeinträchtigungen sowie Erkenntnisse, die nicht mit der vorherigen erschaffenen Wirklichkeit konvenieren, könnten die subjektive Wirklichkeit akkommodie-ren und changieakkommodie-ren (vgl. Gardner, Thielen 2015, S. 55.; vgl. Siebert 1997, S. 19).

Bei konstruktivistischen Vorstellungen führe eine Auseinandersetzung mit der Umwelt zu individuellen Konstruktionen von Wirklichkeit, "(...) die solange viabel, d.h. 'passend' sind, wie nicht weitere Erfahrungen zu Inkonsistenzen oder Widersprüchen führen (...)" (Herzig;

Martin 2012, S. 27).

In diesem Kontext sei Assimilation und Akkommodation zu nennen, da bei Assimilation Erfahrungen, die für den Menschen unbekannt seien, in bereits bestehende kognitive Konstruktion eingegliedert werden und bei Akkommodation dagegen neue Erfahrung und die individuellen Interaktionsstrukturen nicht in existierende kognitive Strukturen eingefügt, sondern an die Umwelt angepasst werden. Lernen sei diesbezüglich eine Erweiterung und Umgestaltung von bereits vorhandenem Wissen (vgl. Petko 2014, S. 32; vgl. Herzig 2001, S. 157). „Sie erlauben die Integration neuer (Umwelt-)Erfahrungen an bereits vorhandene Strukturen (Assimilation), andererseits können neue Erfahrungen aber auch dazu führen, dass bereits bestehende kognitive Strukturen verändert werden (Akkomoda-tion)“ (Herzig 2001, S. 157). Es sollten hinsichtlich der Gestaltung und Benutzung medialer Lernangebote beachtet werden, dass assimilative und akkomodative Prozesse begünstigt werden (vgl. Herzig 2001, S. 178).

Für Lernen seien Voraussetzungen, wie spezifische Denkfähigkeiten, wie zum Beispiel produktives und kritisches Denken sowie deduktives und induktives Ableiten, meta-kognitive Strategien sowie die Fähigkeit das Gelernte zu verbinden und anzuwenden, die durch Trainings- und Übungseinheiten weiterentwickelt und verbessert werden können, relevant (vgl. Seel, Ifenthaler 2009, S. 22f.). Lernen sei folglich im konstruktivistischen Sinne ein konstruktiver und kontinuierlich ablaufender Vorgang, bei dem eine strategische Organisation von vorhandenen Ressourcen erfolgt, damit durch das Exzerpieren von Informationen aus der vorhandenen Umwelt und der Verknüpfung dieser mit im Gehirn vorhandenen Informationen, innovatives Wissen hergestellt werde (vgl. Seel, Ifenthaler 2009, S. 191). „Durch Lernprozesse werden sukzessive gegenstandsadäquate kognitive Strukturen aufgebaut, deren konkrete Ausgestaltung individuell sehr verschieden sein kann“ (Petko 2014, S. 32).

Laut Tulodziecki und Herzig seien die Possibilitäten der Förderung, Leitung, des Stimulus hinsichtlich Lernprozesse anhand von Medien im Kontext des Konstruktivismus kritisch und werden „(…) weseltlich skeptischer eingeschätzt“ (Tulodziecki, Herzig 2004, S. 142).

Die Lernprozesse im Sinne des Konstruktivismus würden sich durch mediale Lern-angebote nicht tangieren lassen, könnten aber Anreize zur Gestaltung und Strukturierung der Wirklichkeit bieten (vgl. Tulodziecki, Herzig 2004, S. 144).

Herzig hebt hervor, dass sich Lernprozesse anhand von Medienangeboten, nach dem Konstruktivismus, nicht leiten lassen, stattdessen ermöglichen sie es, die Wirklichkeit zu konstruieren (vgl. Herzig 2001, S. 164). „Insgesamt betont der konstruktivistische Ansatz in besonderem Maße die Eigentätigkeit des Lernenden und ist mit der Metapher der Übertragbarkeit von Inhalten nicht mehr vereinbar“ (Herzig 2001, S. 165).

Nach Brandhofer seien konstruktivistischen Lerntheorien für den Unterricht mit digitalen Medien vorteilhaft (vgl. Brandhofer 2012, S. 141). „Die Anregung zu eigenständigen Konstruktionen und die Möglichkeit, solche Konstruktionen in einer Lernumgebung auch auf ihre Viabilität hin zu prüfen, sind bestimmende Merkmale konstruktivistischer An-gebote“ (Tulodziecki, Herzig 2004, S. 144). Bezüglich des Lernens mit neuen Medien seien insbesondere Ansätze fall- und problemzentrierte Lernens, Ansätze des schöpfer-ischen Erstellens und Kreiren mit Medien sowie ein Lernen mit Computerspielen und Simulationen, die den Konstruktivismus beachten, zu empfehlen (vgl. Petko 2014, S. 33).

Umstritten sei es darüber hinaus, ob die konstruktivistische Lerntheorie de facto eine innovative Didaktik sei oder ob sie „(…) nicht nur ein Sammelbezeichnung für Altbekann-tes (…) sei“ (Kerres 2013, S. 146).

„Konstruktivismus ist oft nur eine Floskel, um etwas Neues zu positionieren, das positiv be-setzt werden soll, und das sich von etwas Altem, scheinbar Überkommenem (dem 'Behavio-rismus') abzusetzen versucht. Das Label wird so vage verwendet, dass sich nahezu alle di-daktische Methoden und Vorgehensweise hierunter subsummieren lassen“ (Kerres 2013, S.

146).

Nach Petko werden die konstruktivistischen Lehrmethoden unterschiedlich betrachtet und dennoch sei der Konstruktivismus ein lehr- und lern- sowie erkenntnistheoretischer Ansatz (vgl. Petko 2014, S. 33).

Die Lerntheorie des Konstruktivismus sei „(…) umstritten (…)“ (Drummer 2011, S. 18) und in Bildungsinstitutionen diffizil umzusetzen (vgl. ebd.). Nach Drummer sei dies darauf zurückzuführen, dass die intrinsische Motivation (siehe Kapitel Motivation) der Lehrkräfte fehle (vgl. ebd.). Da Wissen sowie Kenntnisse in einem Konstruktionsprozess angeeignet werden, sei es erschwert, Lern- und Lehrziele vorab zu determinieren (vgl. Drummer 2011, S. 19).

145 4.4.3.1. Erfahrungen

Zudem seien Erfahrungen beim Lernen relevant, da Unbekanntes und Neues entdeckt werde (vgl. Grünberger 2012, S. 187). Erfahrungen würden beim ausprobierenden und problemlösenden Agieren innerhalb der Umwelt angehäuft werden und dazu führen, dass subjektive Sinnstrukturen entstehen (vgl. Petko 2014, S. 32). „Von klein auf befinden sich Menschen gewissermaßen auf einer individuellen Entdeckungsreise“ (Petko 2014, S. 32).

Herzig und Martin weisen drauf hin, dass Lernen stattfinde, wenn das Verhalten aufgrund von Erfahrungen verändert werde (vgl. Herzig, Martin 2015, S. 21) und Lernprozesse zu Faktenwissen, Verfahrensschritten, alltagsrelevanten Informationen, Einstellungen und moralische Meinungen, die auf divergente Weisen erworben sowie verändert werden, führen (vgl. ebd., S. 23). Erfahrungen, die mit oder ohne Medien entstehen, seien bezüglich des Lernens fundamental, da dies zu einer möglichen Veränderung im Denken, Glauben und Können führe und demzufolge etwas erlernt, verlernt und umgelernt werden könne (vgl. Petko 2014, S. 23). „Dadurch formen Menschen ihre Möglichkeiten, etwas wahrzunehmen, zu denken oder etwas zu tun“ (ebd.). Nach Grünberger seien die Erfahrungen, die vom Individuum als relevant, affektiv befriedigend und moralisch vertretbar kategorisiert wurden, signifikant und würden Beweggründe zur (Re-) Strukturie-rung von Ordnungen ermöglichen (vgl. Grünberger 2012, S. 189). Nach den Erkenntnis-sen sei des Weiteren zu beachten, dass der Lernende „(…) selbst Erfahrungen mit dem Wissen (…)“ (Gardner, Thielen 2015, S. 67), beispielsweise durch explizite Problemstel-lungen, die es zu lösen gilt, sammeln sollte (vgl. ebd.). Darüber hinaus sollte eine soziale Interaktion einhergehen, damit eine Beschäftigung von der „(…) veränderten Wirklichkeit (…)“ (ebd.) stattfindet (vgl. ebd.). Lernen sei folglich von der Selbstständigkeit „(…) sowie der Möglichkeit zu Pluralität und Differenz im Kontrast zur traditionell hierarchischen Vermittlung von Wissen“ (Grünberger 2012, S. 189) abhängig (vgl. ebd.).

4.4.3.2. Krise

Durch irritierende Erfahrungen und einer herbeigeführten Krise könne ein intensiver Lernprozess stattfinden (vgl. Grünberger 2012, S. 189f.). Eine Krise sei maßgebend, um routiniertes Handeln zu verlassen und innovative Strategien und Handlungen zu ermögli-chen (vgl. ebd., S. 191). Nach Grünberger sollte das Subjekt mittels Durchbreermögli-chen von Mustern und dem Entwickeln von innovativen Strategien und Interventionspossibilitäten einen Ausweg aus einer orientierungslosen und ungeordneten Krise finden (vgl. Grünber-ger 2012, S. 188). Krisen sowie Irritationen, bei denen ein routiniertes Handeln und Denken durchbrochen wird und eine (Re-) Strukturierung der vorhandenen Ordnungen

erfolgt, seien für explizite Lernprozesse notwendig (vgl. Grünberger 2012, S. 196 und S. 204). „In einer Krise genügt es also nicht gewohnte Bewältigungsstrategien einzuset-zen. Vielmehr bedarf es einer Krisenbewältigungsstrategie, welche das Durchbrechen der Routine ermöglicht“ (Grünberger 2012, S. 188). Bei transformatorischen Bildungspro-zessen nehmen soziale Medien und damit einhergehend Varianten von Open Education eine maßgebende Funktion ein und „(…) können zudem als eine Reaktion auf die Krisen-erfahrungen in gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Bildungsfragen verstanden werden“ (Deimann 2012, S. 86). Hinsichtlich des Unterrichts sollte beachtet werden, dass für den Lernenden signifikante Aufgaben vorhanden sind, die ein Problem, eine Entschei-dung, eine Beurteilung oder Gestaltung erfordern (vgl. Herzig 2001, S. 177 und S. 180).

„Ein aufgabenorientierter Zugang kann durch die mulitmediale Präsentation von bedeutsa-men Aufgabenstellungen realisiert werden. Diese Aufgabenstellungen können als Probleme, als Entscheidungsfälle, als Gestaltungs- oder als Beurteilungsaufgaben formuliert und in un-terschiedlichen Präsentationsformen implementiert werden (…)“ (Herzig 2001, S. 180).

Das Lernen im Unterricht sollte durch Aufgaben angeregt werden, dabei das Bedürfnis des Lernenden beachtet und geweckt werden, sodass ein Konflikt entsteht, der zu einem Lernen führt (vgl. Tulodziecki 2001, S. 190f.).

„Solche Aufgaben sind für Lernende insbesondere dann lern- und entwicklungsfördernd, wenn sie erstens auf ein Bedürfnis bezogen werden können und damit Bedeutsamkeit für die Lernenden erlangen und zweitens einen Neuigkeitswert für die Lernenden besitzen – al-so nicht mit vorhandenen Kenntnissen gelöst werden können – zugleich aber die Chance auf ihre Bewältigung bieten, d.h. einen angemessenen Schwierigkeitsgrad aufweisen“ (Tu-lodziecki 2001, S. 191).

Somit lässt sich zusammenfassen, dass für einen Lernprozess Irritationen, die eine Krise auslösen, signifikant sind und die Krise mittels Negation und (Re-) Strukturierung beste-hender Ordnungen bewältigt werden sollte (vgl. Grünberger 2012, S. 204). Offen bleibe dennoch, ob anhand von Krisen und Irritation de facto ein Lernprozess gefördert werde (vgl. Grünberger 2012, S. 188).

4.4.3.3. Lernen als Veränderung

Lernen sei zudem ein Prozess des Individuums und führe zu einer Veränderung (vgl.

Hermanns 2007, S. 617; vgl. Leutner 2002, S. 116). Laut Grünberger sei Lernen eine Veränderung des Zustandes, „(…) zwischen einem 'Vor', einem 'Nach' und dem 'Dazwi-schen' als Veränderung“ (Grünberger 2012, S. 187). Lernen könne zudem als funktionales Lernen, welches Lernbestätigung im Kontext von kulturell-gesellschaftlichen

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tungsmechanismen abzielt, betrachtet werden (vgl. ebd.). Die Thematik Lernen hänge mit Veränderung zusammen, da bei jeder Veränderung ein Lernprozess vorausgesetzt werde und Veränderungen eine neue Ausrichtung des Lernens, sozusagen ein „(…) Um- oder Dazulernen (…)“(Hoffmeister, Roloff 2011, S. 214) veranlassen würden (vgl. ebd.). Nach Gardner und Thielen (2015, S. 54) sei Lernen kein abgeschossenes Resultat, da der Prozess Lernen nicht konstatierbar sei und „(…) abgeschlossene Veränderungen (…)“

(ebd.) kontinuierlich erneuert werden würden. Menschen würden kontinuierlich und dauerhaft lernen (vgl. Pekto 2014, S. 23). „Lernen bedeute viel mehr, dass Individuen Informationen ständig eigenständig erzeugen, indem sie Neues mit vorhandenen kogniti-ven Strukturen verknüpfen und diese Strukturen dadurch dauernd verändern“ (Plieninger 2011, S. 196).

Roth differenziert zwischen einem Lernen, bei dem das Können, das Problemlösen, das Behalten und Abrufen von Wissen, bei dem Techniken zum Lernen sowie die Anwendung auf interdiziplinärer Bereiche, bei dem Einstellungen, Meinungen und Werte aufgebaut werden, bei dem ein intensives Interesse gefördert und bei dem Verhalten changiert werden sollte, das Ziel sein kann (vgl. Roth 1963, zit. n. Seel, Ifenthaler 2009, S. 23).

Nach Seel sei Lernen zu konstatieren, wenn sich persönlicher Willen, Fähigkeiten und Fertigkeiten langfristig verändert haben (vgl. Seel 2003, zit. n. Seel, Ifenthaler 2009, S. 23). „Grundlegende Einstellungen zu verändern, gelingt allerdings nur, wenn der Betreffende das selbst will und sich darum bemüht“ (Martens 2011, S. 237). Es sei dennoch festzustellen, dass Gelerntes nicht in jedem Fall dauerhaft anhalte (vgl. Seel 2003, zit. n. Seel, Ifenthaler 2009, S. 23). „Lernen ist nicht die kurze, vorübergehende Nutzung von Informationen wie das Behalten einer Telefonnummer, gerade lange genug, um zu wählen, sie dann aber gleich wieder zu vergessen. Andererseits dauert das Ergebnis von Lernen auch nicht für immer“ (ebd.).

Lernen werde, nach Stiller, als eine länger andauernde Verhaltensänderung oder der Verhaltensmöglichkeiten des Individuums in spezifischen Situationen, die durch Wieder-holungen in der jeweiligen Situation auftreten können, bezeichnet (vgl. Stiller 2001, S. 119). Das Gehirn sei nicht statisch, sondern verändere sich im Lebenslauf, da sich die Hirnstrukturen, insbesondere neuronalen Netze an Hürden anpassen würden (vgl.

Brandhofer 2012, S. 129). „Lernen ist Veränderung – Veränderung auch in den Strukturen unseres Denkapparates – und eine derartige Anpassungsfähigkeit des Gehirns hat ihre Gründe“ (Brandhofer 2012, S. 129).

Laut Erkenntnissen der Neurologie könne die Leistungsfähigkeit des Gehirns ausschließ-lich gesteigert werden, wenn eine angemessene Repetition und ein Nacharbeiten erfolgt, das zukünftig routiniert ablaufen sollte. Lernen sei zu erlernen (vgl. Hesselmann 2011, S. 403).

„In der Hirnforschung, also der Neurowissenschaft, gibt es zum Thema Lernen eine interes-sante Erkenntnis, die besagt, dass sich die Produktivität im Gehirn nur steigern lässt, wenn eine entsprechende Nacharbeit und Wiederholung eingeplant wird und zur Routine wird.

Das heißt, wir müssen das Lernen lernen. Nur wenn das Gehirn die Chance erhält selbst

Das heißt, wir müssen das Lernen lernen. Nur wenn das Gehirn die Chance erhält selbst