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Kompetenzstreben und Kompetenzerwerb

1.3.5 „Neuer“ Lehrplan

Stufe 3 Fächerübergreifend und handlungsorientiert

1.5 Das Konzept der Handlungskompetenz

1.5.3 Kompetenzentwicklung

1.5.3.1 Kompetenzstreben und Kompetenzerwerb

Kompetenzstreben und Kompetenzentwicklung lassen sich neuropsychologisch ordnen durch

„a) eine evolutionstheoretisch begründete Anpassungsstrategie (genetische De-termination) an spezifische Lebensbedingungen ...;

b) frühe Lebenserfahrungen, die das neuronale Netzwerk formen (Was ge-braucht wird, entwickelt sich und will weiterhin gege-braucht werden ...);

c) Lernen im Erwachsenenalter: Emotionale und kognitive Herausforderungen motivieren, welche Netzwerkverbindungen gefestigt und ausgebaut oder geschwächt (‚vergessen’) werden“ (HERBER/VÀSÀRHELYI, 2004, 5).

Mit anderen Worten: Die Ausgangslage für das Kompetenzstreben und die Kompetenzent-wicklung ist in hohem Maße genetisch determiniert.

Ihre Entwicklung ist angewiesen auf ge-wonnene Erfahrungen, die gekoppelt an ein stimulierendes Anforderungsniveau den Ausbau von neuronalen Netzwerk-verbindungen vorantreiben. Damit wird auch deutlich, dass die pädagogische For-schung verstärkt psychologische und neu-ronale Zusammenhänge heranzieht.

Kompetenzstreben als globale intrinsi-sche Motivation geht auf White (1959) zurück mit der Absicht, die Effizienz im Umgang mit sich selbst und mit der Um-welt auf eine solide Basis zu stellen.

Abb. 40: Kompetenzstreben95

Darunter ist ein triebresistentes „... ‚Quasibedürfnis’ des gesamten Organismus ...“ (LEWIN, 1926) zu verstehen, das nicht durch herkömmliche Befriedigung (Triebe, Bedürfnisse, Moti-ve, Interessen usw.) erfüllt werden kann, aber ein lebenslanges Lernen voraussetzt.96

Kompetenzstreben als intrinsische Motivation

HERBER/VÀSÀRHELI (2004, 5ff.) gehen von den in Abb. 40 (96) aufgeführten Merkmalen aus, die ihrer Ansicht nach für das Kompetenzstreben erforderlich sind.

95 Graphik erstellt nach dem Text von HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 5ff.).

96 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 5)

Selbstwirksamkeit: Ein Gefühl der Selbstwirksamkeit (self-efficacy) entwickelt sich bei Men-schen, die sich im Sinne internaler Kontrollüberzeugung97 an Zielen orientieren und die zum Erreichen notwendigen Voraussetzungen konstruieren. Die Selbstwirksamkeit lenkt die Denkweise, das Leistungsvermögen und die Emotionen der Menschen. Wird sie als hoch wahrgenommen, zeigt sich eine bessere Leistung und die emotionale Erregbarkeit nimmt ab.

Die Umkehrung ins Gegenteil (self-inefficacy) kann zu Einschränkungen (z.B. Apathie, Mut-losigkeit usw.) führen.98

Einflüsse von wahrgenommenen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrern wurden bei zahlreichen Untersuchungen nachgewiesen. Demnach versagen unsichere Schüler deutlich öfter als Mitschüler, die sich kompetent fühlen. Ebenso wirkt sich die Lehrer-Selbstwirksamkeitsüberzeugung positiv auf das Kompetenzstreben der Schüler aus, sofern diese hoch ist.99

Optimale Herausforderung: Aufgaben, die zu erfüllen sind, üben dann einen gewissen Reiz auf den Auszuführenden aus, wenn ein entsprechendes Niveau in der Aufgabe steckt. Man spricht von einer „mittleren“ Anforderung, die deutlich über die Routinetätigkeit hinausgeht, aber für den Schüler lösbar sein muss.

Eine Kompetenzmotivation wird sich nicht einstellen, wenn der Schüler z.B. in der Schule ein Werkstück fertigen soll, obwohl er im Betrieb schon weitaus schwierigere hergestellt hat. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang beachtenswert: Der Lehrer hat sorg-sam darauf zu achten, dass dem Lernenden nachfolgende Aufgaben mit gestiegenem Niveau dargeboten werden. Auf keinen Fall darf der Schwierigkeitsgrad auf dem bisherigen Niveau verharren oder sogar absinken.

Intrinsische Motivation: „Die Motivation, sich einer Tätigkeit um ihrer selbst willen zu wid-men, wird intrinsische Motivation genannt“ (ZIMBARDO, 1992, 378).

Erfolgreich gemeisterte Aufgaben mit entsprechendem Niveau fördern nicht nur das Kompe-tenzstreben und die Selbstwirksamkeit, sondern auch die intrinsische Motivation. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass Menschen jeden Alters ihre Interessen dorthin verlagern, wo ange-messene Herausforderungen von Aufgaben und Erfolgsaussichten zur Lösung bestehen.

97 Bei der internalen Kontrollüberzeugung wird angenommen, die Ergebnisse einer Handlung seien das Resultat dessen, was getan wird (vgl. ZIMBARDO, 1992, 376).

98 vgl. ZIMBARDO (1992, 377)

99 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 6)

gative Einflüsse bilden sich dort, wo die extrinsische (z.B. Prämienzahlung, Machtgründe usw.) die intrinsische Motivation überlagert.100

Explorationsstreben: Untersuchungen von BERLYNE (1960, 1978) zeigen, „... dass durch überraschende, von den eigenen Erwartungen abweichende Ereignisse sowie inkongruente, komplexe Wahrnehmungsobjekte starke Motivationen hervorgerufen werden können, die als (moderate) Herausforderungen an das Kompetenzstreben fungieren“ (HERBER/VÀSÀR-HELYI, 2004, 7).

Aufgaben, die für den Lerner nichts Neues enthalten oder kaum Unterschiede aufzeigen, üben keinen Reiz aus. Ähnlich verhält es sich bei Unbekanntem oder bei zu großen Diskrepanzen im Vergleich zu den Lösungsstrategien des Schülers. Die einfachste Reaktion des Schülers ist in der ignorativen Ablehnung zu sehen, bedenklicher wird es dann, wenn die Aufgabenstel-lung Angst oder sogar Panik verursacht.101

Exploration entstammt dem lateinischen „exploratio“, lässt sich mit „Auskundschaften“, mit

„Erkundung“ übersetzen. Im Fall des Explorationsstrebens rückt die Neugier beim Lerner in den Mittelpunkt. Allerdings steht sie in Wechselwirkung zu möglichen Versagensanteilen, wie z.B. Angst, Panik, und stellt damit eine zu berücksichtigende Größe beim Lösen von Problemaufgaben dar.

Eine an den Lernenden herangetragene Aufgabe beinhaltet einen neuen Reiz. Entspricht die-ser seinem Anforderungsniveau, wird er ihn als Herausforderung ansehen und sich auf die Lösung der Problemsituation einlassen. Dabei besteht die Hauptaufgabe darin, die „... Diskre-panz zwischen neuer und bisheriger Erfahrung, zwischen gegenwärtigem Können und der zu erreichenden Lösungskompetenz zu verringern“ (HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 8).

Internale Attribution: Mit Attributionen werden die Ursachen von Verhaltensweisen beurteilt.

Menschen neigen dazu, ihre Erfolge und Misserfolge ursächlich zu begründen. Dabei machen sie entweder sich selber (internale) oder äußere (externale) Faktoren dafür verantwortlich.

Zudem attribuieren sie variable und stabile Ursachen. Die Attribution wirkt sich entscheidend auf die emotionalen Reaktionen und die Motivation aus. Menschen, die sich selbst als „wirk-sam“ wahrnehmen, zeigen effektivere Leistungen und Bewältigungsmuster im Gegensatz zu denen, die sich als „unwirksam“ einstufen.102

100 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 7)

101 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 7)

102 vgl. ZIMBARDO/GERRIG (1999, 351)

Ausgehend von Tierversuchen (SELIGMAN&MAIER, 1967) und späteren Humanuntersu-chungen (MILLER&NORMAN, 1979) wurde die gelernte Hilflosigkeit nachgewiesen und zeigt sich mehr als kognitiv-motivationales Defizit.103

Dieses Phänomen tritt dann auf, „... wenn die Erwartung der Hilflosigkeit sich auf mehrere Lebensbereiche erstreckt und wenn die Misserfolge der Bemühungen überdauernd der man-gelnden Fähigkeit der eigenen Person zugeschrieben werden“ (EDELMANN, 1996, 141).

Die gelernte Hilflosigkeit wird kaum auftreten, wenn Menschen Erfolg mit eigenen Fähigkei-ten begründen, den Misserfolg aber auf ungenügende Anstrengung zurückführen, d.h. beide Ursachen internal attribuieren.104

Selbstbestimmungsmotivation: Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Persönlichkeitsentwick-lung liegt in der Möglichkeit, dem Berufstätigen eine berufliche Selbstbestimmung einzuräu-men. Die damit einhergehenden Wandlungen (Verbesserung des Arbeitsklimas, der Arbeits-zufriedenheit, der Produktivität sowie sinkende Fehlzeiten und Fluktuationszahlen usw.) ha-ben die Unternehmen erkannt und mit Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Arbeits-strukturen bzw. durch Veränderungen im Produktionsprozess reagiert.

Unbestritten favorisieren Menschen Aktivitäten, bei denen ihnen Gestaltungsfreiräume zuge-standen werden. Diese erweisen sich als höchst motivierend, wenn sie mit den eigenen Be-dürfnissen übereinstimmen. Aber die Selbstbestimmungsmotivation nimmt deutlich ab, wenn die Tätigkeiten der Beschäftigten einer Fremdkontrolle unterzogen werden – selbst dann, wenn sie auch nur als Hilfeleistung gedacht war.105

Selbstwertstreben und Selbstkonzept: Ein gesundes Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkei-ten stärkt das Selbstwertgefühl. Deshalb ist den Menschen die Suche nach positiven Einfluss-faktoren sehr wichtig. Ein gesteigertes Selbstwertgefühl ist die Voraussetzung für die Ent-wicklung der Kompetenzmotivation. Bedenkliche Folgen hinsichtlich der Gesundheit können durch übersteigerte Maximierungsversuche des Selbstwertgefühls verursacht werden.

Obwohl es sowohl im Bereich des Selbstwertstrebens als auch beim Selbstkonzept viele For-schungsansätze gibt, lassen sich beide aus wissenschaftlicher Sicht konzeptuell verbinden und schaffen damit einen großen Rahmen von integrativen Phänomenen.

Wie oben angedeutet, streben die Menschen nach einem hohem Maß an Selbstachtung und Selbstwertgefühl. „Beides ist bedroht, wenn ‚kognitive Dissonanz’ (Festinger 1957) auftritt.

Diese erzeugt Unbehagen, wenn im Erleben, Denken und Handeln ‚die Dinge nicht

103 vgl. EDELMANN (1996, 141)

104 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 8)

105 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 8)

men passen’, wenn z.B. eigene Wünsche, Verhaltensweisen, etc. nicht mit dem Selbstkonzept übereinstimmen. Entweder ändert man sein Verhalten, unterdrückt (peinliche) Wünsche bzw.

überformt sie in Richtung des eigenen Selbstkonzeptes (Freuds Sublimierung) oder man rechtfertigt im Nachhinein das betreffende Verhalten (Wünschen), indem man sein Selbstkon-zept so ‚verdreht’, dass man sich wieder in sich stimmig fühlt, über ein konsistentes Selbst-konzept zu verfügen meint. ... So entsteht ein labiles SelbstSelbst-konzept und damit eine ständige Bedrohung des Selbstwertgefühls“ (HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 9).

Neben einer Vielzahl von Studien sei auf HELMKE (1992) hingewiesen, der den förderlichen Einfluss eines positiven Selbstkonzeptes herausstellt: Demnach werden komplizierte Aufga-ben rasch erledigt und die „Frustrationstoleranz“ bei Bearbeitungsproblemen ist deutlich nied-riger.106

Erfolgsmotivation (und Misserfolgsmotivation): Leistungsmotivation steht im Zusammen-hang mit Erfolg und Misserfolg. Die Theorie der Leistungsmotivation von ATKINSON (1975) unterscheidet einen intrinsischen und einen extrinsischen Anteil, wobei erstgenannter den Zusammenhang der Faktoren „Hoffnung auf Erfolg“ und „Furcht vor Misserfolg“ heraus-stellt. Die Attributionstheorie von WEINER (1972) sucht nach Gründen für Erfolg und Miss-erfolg.107

Abb. 41: Faktoren, die Erfolg bzw. Misserfolg verursachen108

ATKINSON sieht in der Leistungsmotivation ein Konfliktergebnis zwischen Annäherung und Vermeidung. „Ob eine Person eine Leistung in Angriff nimmt oder ihr aus dem Wege geht, ist abhängig von der Stärke von ‚Hoffnung auf Erfolg’ mit dem nachfolgenden Gefühl des Stol-zes bzw. ‚Furcht vor Mißerfolg’ mit dem damit verbundenen Gefühl der Scham“ (EDEL-MANN, 1996, 376).

Werden nun beide Tendenzen zusammengefasst, so lässt sich daraus die resultierende Leis-tungsmotivation bilden (vgl. Abb. 42, 101). Daraus ist zu entnehmen, dass sich immer dann, wenn die Hoffnung auf Erfolg höher ist als die Furcht vor Misserfolg, auch eine höhere

106 vgl. SCHÜTZ, HERTEL, HEINDL (2004, 20)

107 vgl. EDELMANN (1996, 374ff.)

108 Grafik erstellt nach dem Text von EDELMANN (1996, 376).

tungsmotivation einstellt. Umgekehrt lässt es folgende Schlussfolgerung zu: Der Grund für eine geringe Leistungsmotivation kann in einer übersteigerten Furcht vor Misserfolg liegen.

Abb. 42: Resultierende Tendenz der aktuellen Leistungsmotivation109

Die Attributionstheorie nach WEINER rückt die Ursachen für Erfolg und Misserfolg in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Er macht für den Erfolg die inneren, die Person betreffenden, und für Misserfolg die äußeren, von einer Situation ausgehenden, Gründe verantwortlich. Ab-gesehen davon kann es sich um stabile (zeitlich überdauernde) oder variable (sich verändern-de) Gründe handeln (vgl. Abb. 43, 101). Demnach lassen sich Erfolg und Misserfolg durch die handelnde Person oder durch die Situation begründen. Die Menschen neigen eher dazu, den Erfolg der eigenen Person zuzuschreiben und den Misserfolg auf die Situation zu übertra-gen. Damit ergreifen sie eine Art „Schutzfunktion“, um ihr Selbstwertgefühl nicht zu beschä-digen, riskieren aber dabei einen Motivationsverlust.110

Abb. 43: Vier-Felder-Schema von WEINER111

„Bei Attribution von Erfolg und Mißerfolg auf internale Faktoren werden Freude/Stolz bzw.

Ärger/Scham maximal erlebt, da man sich persönlich verantwortlich fühlt. Weil aber eine stabile Attribution von Mißerfolg auf mangelnde Fähigkeit demotivierend wirkt, empfiehlt sich, Lerner bei Erfolg und Mißerfolg zu einer internal-variablen Attribution anzuregen. In diesem Fall würde Erfolg mit ausreichender und Mißerfolg mit mangelnder Anstrengungsbe-reitschaft begründet“ (EDELMANN, 1996, 379).

109 Grafik mit eigener Darstellungsform übernommen aus EDELMANN (1996, 377).

110 vgl. EDELMANN (1996, 377f.)

111 Grafik mit eigener Darstellungsform übernommen aus EDELMANN (1996, 378).

Kompetenzerwerb im kognitiven Bereich

Aus der Vielzahl der sich damit beschäftigenden Literatur sei auf HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 12) verwiesen, die wichtige Ergebnisse der kognitionspsychologischen Forschung zu-sammenfassen. Sie setzen bei dem in mehreren Phasen stattfindenden kompetenten Denken an:

„(1) Am Beginn stehen Suchprozesse, in denen Ziele und entsprechende Krite-rien elaboriert werden, welche die Lösung eines Prozesses anzeigen.

(2) Ist die Zieldomäne formuliert, geht es darum, verschiedene (alternative) Möglichkeiten der Zielerreichung zu konzipieren und auf Basis des vorhan-denen und noch zu erwerbenden Wissens/Könnens gegeneinander abzuwä-gen.“

Die Ausgangslage für ein kompetentes Denken ist

- zum einen ein idiosynkratisches Wissenssystem,

- zum anderen eine auf die einzelne Person „zugeschnittene“ kognitive wie emotional-motivationale Problemlösekapazität.112

Während es beim Wissen um Begriffe, Fakten usw. geht, bedarf es beim Problemlösen sol-cher Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität, Motivation usw.

Auf dem Weg zur Zielerreichung – sofern es eine didaktisch durchdachte Struktur gibt – müs-sen Koppelungen stattfinden mit den

- verschiedenen kognitiven Stilen des Kompetenzerwerbs, - individuellen Motivationsstrukturen des Kompetenzstrebens.

Ferner bedarf es der umsichtigen Weiterentwicklung des individuellen Interaktionssystems in kognitiver, emotionaler und motivationaler Hinsicht. Instrumente dafür könnten die Innere Differenzierung und Individualisierung nach HERBER sein.113

Wechselwirkungen von kognitiven und emotional-motivationalen Prozessen

Trotz zahlreicher empirischer Forschungen ist nicht erwiesen, ob eine erhöhte Motivationsla-ge die kognitiven Fähigkeiten steiMotivationsla-gert.

Übereinstimmung herrscht weitgehend darin, „... dass eine mittlere Aktivierung durch hohe Erfolgsmotivation und wenig Furcht vor Misserfolg (bezogen auf kürzere oder längere Pla-nungshorizonte), hohe intrinsische Motivation und sachbezogene Interessen (wenig gestört

112 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 12)

113 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 12f.)

durch extrinsische Motivation), hohes Kompetenzstreben u.a. leistungsbezogene Motivatio-nen (mittlere Risikobereitschaft, Toleranz für Abweichungen vom Erwarteten, Aushalten von Unsicherheit und Mehrdeutigkeit, etc.) insgesamt zu besseren kognitiven Leistungen führt als zu wenig oder zu hohe Erregung und Aktivierung, hervorgerufen durch geringen oder über-mäßigen Anreiz bzw. durch zu hohe, langanhaltende Ängste im Falle (verkrampfter, regres-siv-rigider) Übermotivierung oder durch selbstentfremdende Aktivierung ‚von außen’“ (HER-BER/VÀSÀRHELYI, 2004, 13).

Welche Möglichkeiten bieten sich für die Praxis an? Es wäre ein analytisch kontrollierter, emotional-kognitiver Ansatz denkbar, der systemisch funktional Klarheit schaffen kann in der Fülle von miteinander verflochtenen Befunden verschiedener Ausgangslagen. Die Abschwä-chung des negativen, verbunden mit einer Aufwertung des positiven Affekts auf ein positiv ausgerichtetes Informationsverarbeitungsniveau, z.B. in Anlehnung an KUHL (2001), un-terstreichen die Wechselwirkungen von kognitiven und emotional-motivationalen Prozes-sen.114

Förderung von Kompetenzstreben und Kompetenzerwerb durch Maßnahmen der Inne-ren DiffeInne-renzierung und Individualisierung im Unterricht

Als wesentliche Grundvoraussetzung des Modells „Innere Differenzierung“ gilt für HER-BER/VÀSÀRHELYI (2004, 15), „... dass der Lernende dort abgeholt wird, wo er hinsichtlich seiner kognitiven und motivationalen Kompetenzen ‚steht’ und dort hingeführt werden soll, wo er – seinen Möglichkeiten nach – sein könnte.“

Aufbauend auf dem 1983 entwickelten Grundmodell geht es HERBER darum, den Unter-richtsverlauf so zu gestalten, dass der Schüler den Weg zum Ziel klar vor Augen hat, ihn aber jederzeit verlassen kann, um sich mit einem seinem Niveau angepassten Aufgaben-Pool zu beschäftigen, damit Defizite abgebaut werden können. Es ist dem Schüler auch gestattet, sel-ber Aufgaben für sich und die Mitschüler zu erarbeiten. Jederzeit möglich ist die Rückkehr in den offiziellen Unterrichtsverlauf, erleichtert durch die frei wählbare Sozialform. Die Lehrer geben Hilfestellung, drängen sich aber nicht auf. Abgesehen von der traditionellen Hilfe wer-den verstärkt immer öfter computerunterstützte Lernhilfen eingesetzt. Weil jeder einzelne Schüler eine unverwechselbare individuelle Persönlichkeit ist, wird beim Lösen von Aufga-ben im Rahmen der differenzierten/individualisierten Lehr-, Lernprozesse jeder einzelne auf seinem Niveau den Kompetenzerwerb erleben.115

114 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 13)

115 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 15)

Nachfolgend wird in Kürze auf die Auswirkungen der Inneren Differenzierung bei den bisher theoretisch beschriebenen Maßnahmen eingegangen.

Zu Selbstwirksamkeit: Die beste Möglichkeit, Selbstwirksamkeit zu fördern, besteht darin, dem Schüler Gelegenheiten zu geben, eigene Erfahrungen zu machen. Auf diesen kann er dann aufbauend sich weiterentwickeln. Dafür ist ein Umfeld notwendig, in dem der Schüler ausreichenden Freiraum bei seiner Aufgabenauswahl erhält und die Gewissheit hat, je nach Bedarf individuelle Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Bekannt ist das Problem bei relativ schwachen Schülern, die bei noch so großen Bemühungen kaum eine durchschnittliche Klas-senleistung erbringen. Sie erleben dabei eine ständige Frustration und diese wird sich in ge-lernte Hilflosigkeit umformen.116

Maßnahmen der Inneren Differenzierung können diesen Entwicklungen angemessen entge-genwirken.

Zu Optimale Herausforderung: Zunächst muss der Begriff „optimale“ Herausforderung zu-rechtgerückt werden, denn damit ist eher eine „mittlere“ Herausforderung gemeint. Bezogen auf den Einzelnen entscheidet aber jeder selber, welches Maß an Herausforderung für ihn angemessen ist. Die Ausgangslage bilden die Fundamentumsaufgaben. Da sie für alle Schüler

„Pflichtaufgaben“ sind, muss das Niveau so gering wie möglich angesetzt werden. Sie sind als

„Ankerplätze“ zu verstehen, an die alles Neue angekoppelt wird. An das Fundamentum schließen Additumsaufgaben an, die höhere Schwierigkeits- und Komplexitätsgrade aufwei-sen.117

„Stellen Fundamentumsaufgaben optimale Herausforderungslagen für eine prototypische All-gemeinbildung dar, führen Additumsaufgaben gezielt zur wissenschaftsbezogenen Forschung hin ...“ (HERBER/VÀSÀRHELYI, 2004, 16).

Zu Intrinsische Motivation: Intrinsisch motivierte Tätigkeiten wirken sich vorteilhaft auf die Kompetenzentwicklung aus. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, möglichst lange das Inte-resse der Schüler an der Sache wach zu halten. Das aber geht wiederum nur – wie schon dar-gestellt – mit einem möglichst großen Freiraum der Schüler, die aus einem Aufgabenpool frei wählen, eigene Aufgaben für sich selbst oder für Mitschüler mit Lösungsweg erfinden kön-nen.

Die intrinsische Motivation lässt sich auch über sachbezogene Rückmeldungen stärken. Der Lehrer sollte aber sehr sparsam damit umgehen. Es ist vollkommen ausreichend, wenn z.B.

116 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 13)

117 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 15f.)

der Schüler weiß, dass er auf dem richtigen Weg ist oder wenn er auf fehlerhafte Überlegun-gen hingewiesen wird. Mit extrinsischen BewertunÜberlegun-gen muss vorsichtig umgeganÜberlegun-gen werden, sie wirken eher den intrinsischen entgegen.118

Zu Explorationsstreben: Wenn der Lehrer seinen Stoff ausschließlich vorträgt und ihn den Schülern als gegebenes Wissen präsen-tiert, werden Neugier und Explorationsstre-ben gehemmt. Das kann vermieden wer-den, indem die im Unterrichtsstoff verbor-genen Inhalte als integrierte Problem-lösungsstrategien „verpackt“ werden.119 Abb. 44 (105) soll verdeutlichen, worum es hier geht. Ein Problem ist vorhanden, aber

nicht eindeutig lokalisierbar. Abb. 44: Explorationsstreben120

Die Schüler „schlüpfen“ nun in die Rolle des Forschers und erarbeiten Schritt für Schritt eine Problemlösungsstrategie. Wenn sie in der Lage sind, die auf dem Weg zum Ziel auftretenden

„Hindernisse“ zu „meistern“, entfallen weitere didaktische Unterstützungen. Alle anderen sind auf Hilfestellungen angewiesen, die allerdings nur als Minimalreize angeboten werden.

Bildhaft dargestellt ist das so zu verstehen, dass ein Schüler, der beim Erstellen seiner Lö-sungsstrategie, z.B. an der „Oberflächenschale“, mit den damit verbundenen Problemen nicht zurecht kommt, die Schale entfernen darf und dadurch Hinweise erhält. Sofern diese zum Lö-sen der Aufgabe noch nicht ausreichend sind, können weitere didaktische Schalen entfernt werden, bis der ganze Lösungsweg nachvollziehbar wird.

Zu Internale Attribution: Es ist erwiesen, dass erfolgreiche Tätigkeiten mit den eigenen posi-tiven Fähigkeiten verantwortet werden, sofern man sich angemessen anstrengt. Die Begrün-dung für einen Misserfolg sucht man in ungenügendem persönlichen Einsatz. Externale Gründe werden herangezogen, wenn die Anstrengung optimal, aber dennoch kein Erfolg be-schieden war.121

Zu Selbstbestimmungsmotivation: Die Modelle der Inneren Differenzierung von HER-BER&VÀSÀRHELYI (2002) und VÀSÀRHELYI (2004) sind auf eine selbstgesteuerte

118 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 16)

119 vgl. HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 16)

120 Graphik erstellt nach dem Text von HERBER/VÀSÀRHELYI (2004, 16).

121 vgl. HERBER/VÀSÀRHELI (2004, 16)

gehensweise ausgelegt. Zwar schlägt der Lehrer Aktivitätssequenzen vor, die Schüler haben aber jederzeit die Möglichkeit, ihr eigenes „Lernmenü“ aus einem Fundamentums- und Addi-tumspool selbst zu gestalten. Bei einem höheren Anspruchsniveau lässt sich die Individuali-sierung des Kompetenzerwerbs dadurch steigern, dass die Schüler die Verarbeitungstiefe sel-ber einrichten dürfen. Vom Ablauf her bestimmen die Lerner die Aufgabenarten und deren Reihenfolge. Sie haben die Möglichkeit, traditionelle Anschauungsmittel und bzw. oder com-puterunterstützte Systeme zu nutzen, wobei die einzusetzenden Arbeitsblätter für die Schüler neben der protokollierenden auch eine moderierende Funktion besitzen.122

Zu Selbstwertstreben und Selbstkonzept: Es wäre unnatürlich, nicht nach einem positiven Selbstwertgefühl bzw. einem positiven Selbstkonzept zu streben und deshalb werden Tätig-keiten bevorzugt, die dies unterstützen.

Werden allerdings die Schüler in der Schule „… – wie dies im schulischen Unterricht nicht selten der Fall ist – permanent zu Tätigkeiten angehalten, die ihr positives Selbstwertgefühl in Frage stellen oder bedrohen, dann treten Abwehrmechanismen auf den Plan, um Bedrohungen von Selbstwertgefühl und Selbstkonzept hintan zu halten“ (HERBER&VÀSÀRHELYI, 2004, 17).

Ein Beispiel dazu, warum es problematisch ist, Misserfolg mit zu geringer Anstrengung

„wegzuloben“: Ein Schüler verbessert mit großem Aufwand seine Schulleistungen. Allerdings schafft er es damit nicht, seinen im unteren Drittel der Klasse liegenden Rangplatz zu stei-gern. Um sein Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten, bemüht er sich nicht mehr um eine Ver-besserung. Er „lebt“ von der Illusion, bessere Leistungen erbringen zu können, wenn er nur wollte.

„Das Tückische an dieser Abwehrstrategie besteht darin, dass bei fehlender Anstrengung die Leistungen objektiv schlechter werden und dass der Schüler vom Lehrer immer negativer sanktioniert wird – einerseits der schlechter werdenden Leistungen wegen, andererseits aus

‚moralischen’ Gründen wegen der fehlenden Leistungsbereitschaft (‚dumm und faul’)“ (HER-BER&VÀSÀRHELYI, 2004, 17). Damit wird die Stabilität des Selbstwertkonzepts und Selbstwertgefühls nicht nur erheblich beeinträchtigt, sondern auf Dauer geschädigt.

Zu Erfolgsmotivation: Die Forschungsergebnisse bezeugen übereinstimmend, dass erfolgsori-entierte Schüler ein mittleres und teilweise auch darüber hinaus gehendes Anforderungsni-veau brauchen, um ihre Motivationslage zu stabilisieren.

122 vgl. HERBER/VÀSÀRHELI (2004, 17)

Bei misserfolgsorientierten Lernern muss das Gefühl für den machbaren Erfolg geweckt wer-den, um Selbstvertrauen aufzubauen. Die für diese Schüler in Frage kommenden Aufgaben müssen zum Erfolg führen. Erst danach entscheiden sie sich selber für anspruchsvollere Auf-gaben. Dabei müssen sich die Schüler sicher fühlen, jederzeit Hilfe durch die Mitschüler, die Lehrer oder durch didaktische Lernhilfen zu bekommen.123

„Je sachlicher und sparsamer verstärkende Leistungsrückmeldung kommt, desto mehr wird extrinsische (von außen kommende) Verstärkung zu quasi selbstgewollter, sachbezogener (intrinsischer) Motivation transformiert ...“ (HERBER&VÀSÀRHELYI, 2004, 18).

Wichtig ist es für die Lehrkraft zu wissen, dass erfolgsorientierte Personen mit einer stark ausgeprägten Leistungsmotivation mehr an den Eigenleistungen als an den Leistungen ande-rer interessiert sind. „Man kann hoch erfolgsmotivierte Personen geradezu demotivieren, wenn man ihnen von außen vorschreibt, welche Aufgaben sie wie zu erledigen haben. Men-schen mit einem starken erfolgsorientierten Leistungsmotiv haben hohe selbstregulatorische Kompetenzen und reagieren mit ‚Reaktanz’ (Brehm 1966) bzw. ‚Aus-dem-Feld-Gehen’ (Le-win 1982), wenn das Ausleben dieser Kompetenzen durch fremdgesteuerte normative Regula-tive be- oder verhindert wird“ (HERBER&VÀSÀRHELYI, 2004, 18).

Zu Kompetenzerwerb im kognitiven Bereich: Bei der Hinwendung zu allem Neuen bedarf es zunächst einer „Bestandsaufnahme“, einer Bestimmung dessen, was bereits vorhanden ist, welche „Ankerplätze“ zum „Andocken“ neuer Inhalte zur Verfügung stehen.

Das bedeutet „… die notwendigen Wissensvoraussetzungen (Fakten, Begriffe, Algorithmen, etc.) und für analogiebildendes Problemlösen relevante kognitive Strukturen und operative Strategien in gezielter Wiederholung zu erheben …“ (HERBER&VÀSÀRHELYI, 2004, 18).

Ein formativer Test bietet sich dafür an. Vorhandene Defizite müssen grundsätzlich mit ge-eigneten Maßnahmen abgebaut werden, erst dann darf die Hinwendung zu neuen Problemfel-dern erfolgen.

Schülern, die sich ihrer Leistungsfähigkeit unsicher sind (d.h. „Misserfolgsängstliche“), sollen am besten sichere Erarbeitungspfade bereitgestellt werden. Welcher Arbeitsform (individuell bzw. in Partner- oder Gruppenarbeit) die Schüler den Vorzug geben, bestimmen sie selber.124 Zu Wechselwirkungen von kognitiven und emotional-motivationalen Prozessen: KUHL (2001) geht es mit seiner PSI-Theorie125 weniger um die Verknüpfung von positiven Affekten beim Lernen. Er fordert auf, „… problemsensitiv zu werden, doch nicht gleich zu versagen,

123 vgl. HERBER&VÀSÀRHELYI (2004, 18)

124 vgl. HERBER&VÀSÀRHELYI (2004, 18f.)

125 Theorie der Persönlichkeits-Systeme-Interaktionen (PSI-Theorie).