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1.3.5 „Neuer“ Lehrplan

Stufe 3 Fächerübergreifend und handlungsorientiert

1.4.5 Über die Handlungsorientierung zum ganzheitlichen Lernen

1.4.5.2 Handlungsorientierung

Wissen darf also nicht nur auf deklaratives, prozedurales Wissen angelegt werden.

Abb. 18: Vom Wissen zum Handeln50

HÜLSHOFF (1999, 3) empfiehlt die Hin-wendung zum Begriff „Kompetenz“, weil selbst so alltägliche Abläufe des Lebens (z.B. Rad fahren, Auto fahren) nicht über

„ein noch so umfassendes, gedächtnismäßig abrufbares und wissenschaftlich legimitier-tes ‚Wissen’ über alle denkbaren und tat-sächlichen Vorgänge und Abläufe in diesen Handlungsfeldern“ abzudecken sind.

Wenn man weiß, wie ein Auto funktioniert, ist damit noch lange nicht gewährleistet, dass man fahren kann, geschweige denn das Fahrzeug beherrscht. Oder anders: „Wissen allein befähigt uns noch nicht zum Handeln“ (HÜLSHOFF, 1996, 39). Daraus erschließt sich eine von HOF (2002, 80) klar formulierte Konsequenz: „An Stelle der Vermittlung ‚trägen Wissens’ gehe es heute darum, den Erwerb von intelligentem und anwendungsfähigem Wissen, Lernkompe-tenz, methodisch-instrumentelle Schlüsselkompetenzen, soziale Kompetenzen und Wertorien-tierungen zu fördern.“

ten zu betonen, nämlich dessen Intentionalität oder Zielgerichtetheit“ (VANBERG, 1988, 302).

„Zweckgerichtetes Verhalten eines Individuums, das durch Einsicht, Erfahrung und Motiva-tion gesteuert ist“, bezeichnen GRÜNER, GEORG, KAHL (1985, 104) als Handeln.

Die berufliche Zukunft gehört dem „selbstbestimmten Facharbeiter“, dessen umfassendes Bil-dungsverständnis sich einer „Balance zwischen Aktion und Kontemplation“ annähert.54 RÖSCH (2000, 3) nennt Gründe, die die Notwendigkeit der Handlungsorientierung betonen und bietet dazu Methoden an:

1) Er nimmt dabei Bezug auf RENKL (1994), um auf die bestehende „... Kluft zwischen Wissen und Handeln ...“ hinzuweisen. Noch häufig läuft im Unter-richt das Wissen und Handeln parallel nebeneinander – so als wären das immer noch eigene, für sich selbstständig abzuhandelnde Didaktikbereiche.

Wenn aber das Ziel die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz sein soll, dann muss man auch den Schülern Gelegenheiten geben, sich in Hand-lungssituationen zurechtzufinden.

2) Wenn weiterhin die in der Schule behandelten Lerninhalte nicht auf Ernst-fallsituationen vorbereiten, verfehlen sie eine entscheidende Komponente der zukünftigen Facharbeiter-Basisqualifikation.

3) Facharbeiter der Zukunft brauchen eine solide fachliche Grundausbildung.

Allerdings wird damit nur ein Teilbereich der notwendigen Fähigkeiten ab-gedeckt. Unbestritten ergänzen methodische, soziale oder emotionale und personale Kompetenzanteile das Gesamtanspruchsniveau eines handlungs-kompetenten Fachmanns. Eine erfolgversprechende Möglichkeit, dafür Er-fahrungen zu sammeln, bietet eine ganzheitliche Organisation von Lernpro-zessen.

4) Ganzheitliche Lernprozesse zur Förderung der Handlungskompetenz lassen den Lehrer in seinem Wirkungsfeld zurücktreten. Er wird zum Moderator, zum Lernbegleiter im Hintergrund. Alle seine Bemühungen richten sich danach dem Schüler in selbsttätigen Lernprozessen Hilfestellung zu geben (vgl. Abb. 19, 58).

54 vgl. RÖSCH (2000, 2)

Abb. 19: Förderung der Handlungsorientierung55

Die Vermittlung schulischen Wissens beansprucht nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit. Es muss mit den individuellen Erfahrungen der Schüler und mit dem Praxiswissen gekoppelt werden. Vor allem, wenn die praktischen Erlebnisse fehlen, kann keine umfassende berufliche Bildung entstehen.56

Um die Handlungsfähigkeit der Schüler zu entwickeln, bedarf es eines entsprechenden Kon-zeptes. Dieses umfasst handlungs- und wissensorientiertes Lernen.

„Deshalb gilt: Handlungsorientiertes Lernen schließt den Erwerb von Wissen ein, denn deln setzt Wissen voraus. Und, auch im wissensorientierten Unterricht kann Wissen zum Han-deln, zur Handlungsfähigkeit führen.“57

Erfolgversprechend wird das Konzept aber nur dann sein, wenn sich die Schüler aktiv daran beteiligen können. Da sich hinter einem handlungsorientierten Unterricht eine Problemstel-lung verbirgt, erschließt sich daraus, dass ein handProblemstel-lungsorientierter zugleich auch ein prob-lemorientierter Unterricht ist. Aber: „Nicht jeder problemorientierte Unterricht ist also hand-lungsorientiert, aber jeder handlungsorientierte Unterricht ist problemorientiert, da er in aller Regel von einer Problemstellung ausgeht“ (RÖSCH, 2000, 9).

Abb. 20 (59) zeigt in ihrer didaktischen Struktur eine Dualität von Fach- und Handlungssyste-matik. Im Ernstfall einer Problemstellung wird die Fachsystematik eine wesentliche Rolle spielen, weil die Konfrontation mit einem Problem meistens theoretisch durchdrungen wird.

55 Grafik erstellt nach dem Text von RÖSCH (2000, 3f.).

56 vgl. RÖSCH (2000, 6)

57 vgl. RÖSCH (2000, 8)

Dagegen bestimmt die Handlungssystematik den Ablauf des handlungsorientierten beruf-lichen Unterrichts.

Abb. 20: Traditionelle und moderne Unterrichtskonzepte nach RÖSCH (2000, 5)58

Demnach kann man nur dann von einer beruflichen Handlungsorientierung sprechen, wenn theoretisches Wissen und praktisches Können als Einheit den Weg ebnen für die „berufliche Handlungskompetenz.“

Die Merkmale eines handlungsorientierten Unterrichts unterliegen einer Handlungssystema-tik. Alles, was sich als handlungsorientiertes Lernen abzeichnet, ist zugleich handlungssyste-matisches Lernen. Es beinhaltet alle Strategien zur Erprobung möglicher Handlungssituatio-nen im Unterrichtsverlauf.59

„Eine Beschränkung auf berufstheoretische Sachverhalte (Wissen) und ihre fachsystematische Gliederung im handlungsorientierten beruflichen Unterricht ist deshalb unzureichend!“

(RÖSCH, 2000, 11).

Die Merkmale, die RÖSCH (2000, 11f.) zur Beschreibung des handlungsorientierten Unter-richts heranzieht, sind als handlungssystematisches Lernen zu verstehen (vgl. Abb. 21, 60).

58 Grafik nachgezeichnet nach RÖSCH (2000, 5). Im Original waren zwei Beispiele beim Unterrichtskonzept eingetragen, die in dieser Darstellung unberücksichtigt bleiben.

59 vgl. RÖSCH (2000, 13)

Dabei versteht er unter handlungsbedeutsamem Lernen ein „Lernen zum Handeln“, das sich auf „... relevante gegenwärtige und zukünftige berufliche, gesellschaftlich-politische sowie private Handlungssituationen ...“ bezieht.

Abb. 21: Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts60

Prozessorientiertes Lernen hat die Lernziele im Focus, die im Unterricht erreicht werden sol-len, und beim Lernen durch Handeln mit der Befähigung, allen Handlungssituationen begeg-nen zu könbegeg-nen, ist handlungsbetontes Lerbegeg-nen angebracht.

Sowohl beim kooperativen/individuellen als auch beim schülergesteuerten Lernen liegt es im Aufgabenbereich der Schüler, den Unterricht zu planen, auszuführen, zu überprüfen und zu bewerten. Der Unterschied besteht darin, dass im ersten Fall der Ablauf allein oder gemein-sam, beim schülergesteuerten Lernen von den Schülern selbstständig ausgeführt wird (vgl.

Abb. 21, 60).

RIEDL/SCHELTEN (2004, 15ff.) ziehen Bestimmungsgrößen heran, um die Abgrenzung des handlungsorientierten gegenüber dem herkömmlichen Unterricht kenntlich zu machen, wobei sie eingestehen, dass durchaus auch Verzahnungen möglich sind (vgl. Abb. 22, 61). Im Ge-gensatz zu RÖSCH (vgl. Abb. 21, 60) wird handlungssystematisches Vorgehen als Kennzei-chen des handlungsorientierten Unterrichts gesehen und bildet nicht das Hauptmerkmal.

Nachstehend wird in Kürze auf die Bestimmungsmerkmale nach RIEDL/SCHELTEN (2004, 15ff.) eingegangen.

60 Quelle: RÖSCH, Februar 1992. Grafik nachgezeichnet nach RÖSCH (2000, 11).

Abb. 22: Bestimmungsgrößen eines voll entwickelten handlungsorientierten Unterrichts61

Handlungssystematisches Vorgehen: Systematisch zu arbeiten, bedeutet beim handlungsori-entierten Unterricht ein Handlungsregulationsschema einzusetzen. Je umfangreicher die durchzuführende Handlung, desto hilfreicher ist eine Aufteilung der Handlung in Einzelschrit-te. Dabei werden alle Schritte in zyklische Einheiten zerlegt gemäß Abbildung 23 (62).

Integrierter Fachraum: Beim handlungsorientierten Unterricht ist ein integrierter Fachraum unerlässlich. Schon allein durch die örtliche Nähe von Theorie und Praxis wird ihre Zusam-mengehörigkeit verdeutlicht. Der Raum, der berufsspezifisch ausgestattet sein soll, bedarf einiger Vorkehrungen, damit der durch praktische Tätigkeiten hervorgerufene Lärm eine stö-rungsfreie Theoriearbeit ermöglicht.

Kooperatives und kommunikatives Lernen: Diese Art des gemeinsamen Lernens soll nach Auflösung des Klassenverbandes die Zusammenarbeit und den gegenseitigen Austausch in der Gruppe fördern. Es ist sinnvoll, die Gruppenbildung auf freiwilliger Basis zu gestatten.

Die dadurch zustande kommenden Leistungsverhältnisse in den Gruppen können zu homoge-nen, aber auch heterogenen Gruppierungen führen. Positive Aspekte ergeben sich dabei in beiden Fällen. Leistungshomogene Teams erledigen ihre Aufgaben erfahrungsgemäß mehr

61 Abbildung entnommen aus SCHELTEN (2004, 182).

gleichmäßig, während bei den heterogenen die leistungsstärkeren Schüler den schwächeren als „Lehrerersatz“ zur Seite stehen können.

Abb. 23: Handlungsregulation einer komplexen Aufgabenstellung62

Integrative offene Leistungsfeststellung: Abgesehen von den verschiedensten Standpunkten hinsichtlich der Leistungserhebung in offenen Lernformen drücken es RIEDL/SCHELTEN (2004, 18) unmissverständlich aus: „Wenn ein solcher Unterricht auf Handlungsfähigkeit ab-zielt ist es inkonsequent, nach durchlaufener Qualifizierung nur Wissen abzufragen. Gefordert ist ein ganzheitliches Prüfen mit einer problemhaltigen Situation, die durch alternative Lö-sungswege und davor zu treffende, begründete Entscheidungen bearbeitet werden kann.“

Unterstützende Lehrerrolle: Handlungsorientiert zu unterrichten, bedeutet für die Lehrkraft, sich zurückzuziehen von der dominanten darbietenden Lehrform hin zum „organisierenden Lernberater“. Der Lehrer ist verantwortlich für das Lernumfeld und muss in der Lage sein, fachkompetent auf alle Unterrichtssituationen zu reagieren. Da die Schüler großen Einfluss auf den Unterrichtsverlauf haben, ist dieser Unterricht nicht mehr bis ins Detail planbar.

Der Lehrer kann sich in Fachgesprächen über den Lernfortschritt der Schüler informieren.

Entscheidend für den Erfolg dieser Unterrichtsform ist die Betreuungsintensität, die so ge-wählt werden muss, dass ausreichend Zeit für die Belange der Schüler zur Verfügung steht.

62 Steuerungstechnik-Unterricht Staatliche Berufsschule Weilheim: Abbildung entnommen aus RIEDL/SCHEL-TEN (2004, 16).

Vorteilhaft beim handlungsorientierten Unterricht ist die Möglichkeit, sich intensiver mit schwächeren Schülern zu beschäftigen, da die leistungsstärkeren die Hilfe einer Lehrkraft weitaus weniger benötigen.

Selbststeuerung und Freiheitsgrade: Freiheitsgrade und Handlungsspielräume müssen derart gestaltet sein, dass „... sie vom Lernenden wahrgenommen werden können und offensichtlich erkennbar sind“ (RIEDL/SCHELTEN, 2004, 17). Dabei hat der Lehrer auf direkte Vorgaben auf welche Art auch immer zu verzichten. Das entbindet ihn aber nicht, den Unterrichtsver-lauf entsprechend zu strukturieren. Den Lernenden muss aber weitgehend die Möglichkeit erhalten bleiben, ihren eigenen individuellen Lernverlauf zu planen und umzusetzen. Eine kritische Situation bleibt nach wie vor der Grad der Entscheidungsfreiheit für den Schüler, denn zu viel davon kann den Lernenden leicht überfordern bzw. in ein Stadium der Orientie-rungslosigkeit führen.

Innere Differenzierung: „Die innere Differenzierung oder Binnendifferenzierung bezieht sich auf Unterscheidungsmaßnahmen, die innerhalb einer Lerngruppe getroffen werden können, um den Schülern jene Lernmöglichkeiten zu bieten, die ihren besonderen Lernvoraussetzun-gen entsprechen“ (BECKER, 2001, 181). Deshalb sollte jedem Schüler die Möglichkeit gebo-ten werden, individuell zu lernen. Das heißt, die Aufgabenstellungen sind entsprechend dem Lernniveau der Schüler anzupassen.

Komplexe Aufgabenstellung und Lerngebiet: „Der Erwerb von Wissen erfolgt über aktiv handelnde Problemlöseversuche in vollständigen Handlungen, bei denen auch übergreifende methodische Qualifikationen erlernt werden“ (RIEDL/SCHELTEN, 2004, 15f.).

Handlungsorientierter Unterricht erfordert ein möglichst breit angelegtes, auf das Tun ausge-richtetes Aufgabenspektrum. Förderlich ist dabei, wenn die Schüler an eigene Erfahrungen anknüpfen können und die Aufgabe ihr Interesse weckt. Das Lösen eines Problems soll meh-rere Fächer – auch allgemeinbildende – miteinbeziehen und auf längere Dauer ausgerichtet sein. Der Maßstab hinsichtlich der Aufgabe lautet: Fordern – anstatt Überforderung.

„Handlungssystematisch im Unterricht verfahren heißt, dass von einer Arbeitsaufgabe ausge-gangen wird und die für ihre Durchführung erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fer-tigkeiten aufgeschlüsselt und integrativ lernbar gemacht werden. Eine Handlungssystematik beschreibt eine für die Bewältigung einer beruflichen Aufgabe mögliche Abfolge von Teil-handlungen. Es hat sich für einen handlungsorientierten Unterricht bewährt, die

Handlungs-systematik über eine hierarchisch-sequentielle Handlungsregulation aufzubauen und entlang daran geplante theoretische Lerninhalte zu verorten“ (SCHELTEN, 2008/2009, 48).63

Abb. 24: Beispiel für ein handlungssystematisches Vorgehen64

Die Theorie, die an der Berufsschule unterrichtet wird, ordnet die Lernschritte fachsystema-tisch. Geht es aber um handlungsorientierten Unterricht, dann wird dieser handlungssystema-tisch gegliedert.65

Worauf baut der Unterricht auf? Beim (fach-)wissenschaftstrukturierten Unterricht ist die Ausgangslage ein Thema, um ein Problem geht es beim handlungsstrukturierten Unterricht.

„Genau genommen ist der handlungsorientierte Unterricht eine Mischung aus Problem und Aufgabenstellung, denn heuristisches und algorithmisches Vorgehen spielen gleichermaßen eine Rolle“ (RÖSCH, 2000, 14).

Bedeutsam bei dieser Form des Lernens ist der Behaltenswert. Besonders das berufliche Ler-nen soll Langzeitwirkung aufweisen, es geht schließlich um die berufliche Kompetenz. Des-halb ist es unerlässlich zu vermeiden, „… daß die im Unterricht dargebotenen oder erarbeite-ten Lerninhalte keine Verankerung in der kognitiven Struktur finden und entweder schnell

63 vgl. dazu Abb. 24, 64

64 Quelle: LAUR-ERNST, GUTSCHMIDT (1986, 40), zit. nach SCHELTEN (2008/2009, 35)

65 vgl. RÖSCH (2000, 14)

vergessen oder, wegen der Prüfungsrelevanz, auswendig gelernt, aber nicht verstanden wer-den. Ein nicht verstandenes und in seinen Anwendungsmöglichkeiten nicht erkanntes Wissen kann aber keinen Beitrag bei der Bewältigung von Handlungssituationen leisten; es bleibt totes Wissen“ (HURTZ, 1995, 37).

Aus diesem Grund muss den Schülern so oft wie möglich Gelegenheit gegeben werden, sich handelnd zu betätigen. Es ist uneingeschränkt der Aussage von RÖSCH (1979, 470) zuzu-stimmen: „Aller Erfahrung nach lernen die meisten Berufsschüler leichter, schneller und nachhaltiger, wenn sie mit den Dingen selbst unmittelbar umgehen können“, denn „Tun ist nicht nur Methode, sondern zugleich Ziel“ (RÖSCH, 1979, 472).

Unbestritten wird Lernen mit einer Handlungsstruktur von den Schülern leichter angenommen als wissenschaftsorientierte Inhalte. Das schließt aber nicht aus, dass ein handlungsorientierter Unterricht „... neben handlungssystematischen auch fachsystematische Elemente enthalten“

muss (RÖSCH, 2000, 24).

Ein auf Handlungsorientierung ausgelegter Unterricht geht auf Kosten der Fachsystematik, dennoch bleibt diese von erheblicher Bedeutung, zumal die Aneignung von Wissen auf der Fachsystematik aufbaut. Handlungsorientierter Unterricht hat mit Praxis und Theorie zu tun und kann nur erfolgreich sein, wenn sich die Handlungs- und Fachsystematik gegenseitig er-gänzen.66

In der Handlungsorientierung ist die Lehrer- zugunsten der Schülerorientierung zurückzu-nehmen. „Denn, wenn die lehrerzentrierte Unterrichtsform dominiert, ist die angestrebte

‚Vierheit’ – personale, fachliche, methodische und soziale Kompetenz – nur teilweise oder nicht zu verwirklichen“ (Rösch, 2000, 28).

Lehrer haben in diesem Sinne den Schülern kein fertig ausgearbeitetes „Lernpaket“ zu über-geben, sondern ihnen Entdeckungsräume zu öffnen.

Deshalb gilt jetzt wie auch längst vor der letzten Lehrplanänderung: „Das methodische Ge-bot der Stunde ist der schüleraktive Unterricht. Er verspricht sehr viel mehr als monologisie-rende Methoden des Berufsschullehrers das Erreichen aller Ziele. Er gewährleistet ein Höchstmaß an Selbsttätigkeit der Schüler und erhöht die Wahrscheinlichkeit, daß Interesse und – vielleicht auch – Freude am Beruf geweckt und gefördert werden. Dies ist die schwie-rigste und zugleich die vornehmste Aufgabe unseres berufsschulischen Unterrichts“ (Rösch, 2000, 29)67.

66 vgl. RÖSCH (2000, 24)

67 RÖSCH verweist auf die Quelle „RÖSCH, 1979, 283“. Allerdings wurde das obengenannte Zitat im letzten Satz verändert. Ursprünglich endete der Satz mit „... der Praktischen Fachkunde“, nun heißt es dort „... unseres berufsschulischen Unterrichts“.

Der Einsatz der Leittextmethode68 und die Einflüsse der Handlungsregulationstheorie artete in der Weise aus, dass die Handlungen für den Unterricht in kleinste Teilchen zerlegt wurden.

Die Konsequenzen waren eindeutig: „Schnell zeigte sich jedoch, dass solche Komplexität der Darstellung und damit Atomisierung beruflicher Handlungen nicht praktikabel, weil zu ab-strakt und zu aufwendig waren, um zur Planung des handlungsorientierten Unterrichts im Schulalltag zu taugen!“ (RÖSCH, 2000, 32).

Es gilt zu unterscheiden, ob die inhaltliche oder die berufspraktische Handlungsstruktur zur Anwendung kommen soll. Bei ersterer steht die Beschreibung der Arbeitsfolge, d.h. aller sichtbaren Handlungen im Mittelpunkt, die berufspraktischen Handlungen werden zusätzlich mit theoretischen und allgemeinbildenden Lernhandlungen erweitert.69

Eine Fragestellung nach dem berufspädagogischen Nutzen ist insofern von elementarer Be-deutung bei der Unterrichtsplanung, wenn es gelingt, berufliche Probleme in einen direkten Zusammenhang mit einem vertrauten Arbeitsprozess zu bringen.

„Die Vorkenntnisse und Erfahrungen werden bei der Lösungsfindung aktiviert, und neue, für die Bewältigung der Aufgabe erforderliche Wissenselemente werden erschlossen und in das bestehende Wiss enss ys tem int egri ert. Au f di es e Wei se entst eht b eim handlungsori-entierten Lernen ein Wissenssystem, das organisch aufgebaut ist, dessen Elemente unterein-ander sinnvoll verknüpft sind und ihre Bedeutung in der Anwendung auf konkrete Hand-lungssituationen erwiesen wurde“ (HURTZ, 1995, 38).

Die Offenheit in der Vorgehensweise der Schüler beim Lernen ist ein markantes Merkmal im handlungsorientierten Unterricht. Es obliegt den Schülern, ob sie sich „... durch Verwendung von Arbeitsblättern/Lerntexten, beispielsweise handlungsbedeutsame Informationen beschaf-fen“ (RÖSCH, 2000, 44).

Darin liegt der enorme Vorteil, weil die Einsichtigkeit des Tuns unmittelbar der Schüler selbst erlebt und er allein seine Vorgehensweise bestimmt. Die dabei erworbenen Erfahrungen sind als Grundelemente des Lernens anzusehen.

68 vgl. PAMPUS (1987)

69 vgl. RÖSCH (2000, 43)

Abb. 25: Idealtypisch geordnete formale Aspekte einer Handlung70

„Solcher Unterricht gewährleistet nicht nur Ganzheitlichkeit des beruflichen Lernens, son-dern kann darüber hinaus von immenser motivationaler Wirkung für den Schüler und die Schülerin sein“ (RÖSCH, 2000, 44).

Das Handeln lässt sich inhaltlich und formal strukturieren. Abb. 25 (67) stellt die Phasen der formalen Handlung grafisch dar.

In der Orientierungsphase soll unter Rücksichtnahme auf die Interessenschwerpunkte der Schüler die Problemstellung gesichert werden. Da Probleme kaum isoliert auftreten, ist ein die tangierenden Problemfelder miteinbeziehendes Problemverständnis bei der Problemstel-lung notwendig. Sehr häufig wird diese Phase nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit betrieben und produziert erwartungsgemäß entscheidende Ablauffehler. Die Orientierungsphase ist ein fester Bestandteil der Handlung.

Die Phase „Informieren“ umfasst das Aufspüren aller der Problemaufklärung hilfreichen In-halte. RÖSCH (2000, 53) bezieht hierbei auch die Schüler und Lehrer als Informationsquellen mit ein. Die dabei anzuwendende Arbeitsweise – möglichst selbstständig – erfordert eine gut ausgeprägte Methodenkompetenz.

Beim „Planen“ wird die Lösung vorweggenommen, d.h. in Gedanken durchgespielt, überprüft korrigiert. Münden die Überlegungen in eine vertretbare Strategie, werden Skizzen entworfen und daraus technische Zeichnungen erstellt. Die Planung erstreckt sich auch auf alle dafür

70 Grafik erstellt nach dem Text von RÖSCH (2000, 53ff.).

einzusetzenden Werkzeuge, Werkstoffe, Kosten usw. Allerdings ist eine Planung nicht end-gültig, häufig fallen Nachbesserungen während des Arbeitsprozesses an.

Der den Gedanken entsprungene Handlungsplan wird in der Durchführungsphase unter Ein-haltung der Arbeitssicherheitsbestimmungen umgesetzt. Bei diesen Tätigkeiten ist eine stän-dige Überprüfung der Maßnahmen (aktionsbegleitende Lernkontrolle) zwingend erforderlich, um Fehlproduktionen zu vermeiden.

Das Endergebnis mit der Zielvorstellung zu vergleichen, ist Aufgabe der „Kontrolle“, die immer stärker in Richtung Schüler delegiert werden soll. Mit einer Selbstkontrolle übernimmt der Schüler Verantwortung und schult zugleich seine Methodenkompetenz.

Auf keinen Fall darf die Auswertungs- mit der Kontrollphase vertauscht werden. Das Auswer-ten umfasst zwei Bereiche:

- Rückschau - Vorschau.

Einerseits werden rückschauend die abgelaufenen Lernprozesse begutachtet und andererseits daraus nützliche Elemente vorausschauend für die kommenden Lernsequenzen aufbereitet.

Ziel sollte eine von Schülern und Lehrern gemeinsam getragene Auswertung sein.

RÖSCH (2000, 56) bringt in Erinnerung, dass die Problemlösungsschritte einer Handlungs-struktur nicht der Leittextmethode entstammen, sondern bereits viel früher in der Projektme-thode eingesetzt wurden (vgl. Abb. 27, 70). Um einen idealtypischen Handlungsverlauf zu erwirken, bedarf es der Kenntnisse der inhaltlichen und formalen Handlungsstruktur. Wäh-rend sich die inhaltliche eindeutig auf die beruflichen Bereiche bezieht und auch den Lernpro-zess integriert, ist die formale Handlungsstruktur Garant für vollständige Handlungen und lässt Teilhandlungen nicht zu. Die Arbeitsweise der Schüler beim idealtypischen Handlungs-verlauf ist zyklisch. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, bei Unsicherheit einen Lernschritt zurückzugehen.

Schüler lernen unterschiedlich, d.h. sie „konstruieren“ den Erwerb des Wissens und Handelns und lehnen sich damit der konstruktivistischen Lerntheorie an. Die Erfahrung in beruflichen Lernprozessen zeigt, dass eine Formalisierung durchaus problematisch sein kann, sofern man sich ausschließlich am Handlungsregulationsmodell orientiert. „Bei einem solchen techni-zistisch verengten, defizitären Bildungsverständnis wird dann unter Umständen spontanes Handeln zugunsten eines strategischen Handelns vernachlässigt“.

Abb. 26: Idealtypisch geordnete formale Aspekte einer Handlung mit ihren Merkmalen71

71 Grafik erstellt nach dem Text von RÖSCH (2000, 53ff.).

Das soll auf keinen Fall bei der Planung eines handlungsorientierten beruflichen Unterrichts davon abhalten „... neben der Analyse der Wissensstruktur – fester Bestandteil des traditionel-len wissensorientierten Unterrichts – eine (einfache!) Analyse auch der beruflichen Hand-lungsstruktur ..“ vorzunehmen (RÖSCH, 2000, 57).

Abb. 27: Analyse der beruflichen Handlungsstruktur72

Die didaktische Analyse muss über die Sachlogik hinausgehen und die Struktur der Handlung miteinbeziehen. Deshalb ist bei den für die Planung eines handlungsorientierten Unterrichts verantwortlichen Lehrern nicht nur die theoretische, sondern auch die praktische Kompetenz gefordert. Umgekehrt betrachtet, erfordert es auch vom Schüler „... die Kenntnis und Beherr-schung der beruflichen (Arbeits-) Handlungsstrukturen ...“, da sie „.. zentraler Bestand der Kompetenz des Facharbeiters sind“ (RÖSCH, 2000, 59).

Klare Worte richtet RÖSCH (2000, 59) an die konstruktivistische Lerntheorie, der er Folgen-des unterstellt: „Handlungsrelevantes, authentisches, situationsbezogenes, komplexes, hand-lungssystematisches und handlungsbetontes Lernen ist keine genuin konstruktivistische Er-kenntnis, es wurde von dieser Lerntheorie ‚adaptiert’.“ Es geht ihm aber vorrangig nicht um

72 Grafik erstellt nach dem Text von RÖSCH (2000, 58).

die wissenschaftliche Klärung dieses Sachverhaltes, sondern einzig und allein in Ausrichtung auf eine brauchbare Handlung darum, „... dass ‚träges’ Wissen überwunden und zum an-wendbaren Wissen, also zum Handeln wird. Das Rad muß nicht neu erfunden, es muß end-lich (richtig) zum Laufen gebracht werden!“

Für BADER (2004, 61) ist die berufliche Handlungskompetenz als „Leitziel der Berufsbil-dung ... unumstritten.“ Die Förderung dieser verlangt allerdings Lernprozesse, die Handeln beinhalten, und unter Handlung versteht er „... eine Abfolge von Vollzügen, die sich an Zielen orientieren, in ihrem Zusammenhang durchschaut und verstanden werden und zu einem be-schreibbaren Ergebnis führen. Handeln kann sich sowohl auf materiell fassbare Gegenstände beziehen als auch gedankliche Gebilde.“

Handlungsorientierung zeigt sich nach BADER (2004, 62ff.) in unterschiedlichen Ausprä-gungen:

„1. Handlungsorientierung der betrieblichen Ausbildung an „vollständigen Handlungen“, die selbstständiges Planen, Durchführen und Kontrollie-ren bzw. Bewerten beruflicher Arbeit einschließen“

Diese Position wird von den Dualpartnern angenommen, jedoch gelingt die Umsetzung nicht immer aufgrund fehlender Umfeldbedingungen.

„2. Handlungsorientierung des Schulunterrichts im Sinne des Lernens an Sachverhalten und Problemen, die eine Entsprechung im Erfahrungs-raum der Lernenden haben oder absehbar erhalten werden“

Solides Lernen baut auf Erfahrungen auf und deshalb kann sich Handlungsorientierung nicht nur auf die berufliche Bildung beschränken, sondern bedarf auch einer Ausdehnung auf all-gemeinbildende Schulen.

„3. Handlungsorientierung als psychologisch begründete Strukturierung aller Lernprozesse – meist auf der Basis von kognitionspsychologischen Theorien, von Handlungsregulationstheorien oder von pragmatischen Verbindungen beider Theoriestränge“

Unter Handeln versteht man meistens eine praktische Auseinandersetzung mit einer Problem-situation. Dieses Verständnis bezieht aber auch eine gedankliche Bearbeitung mit ein.

„4. Handlungsorientierung als Gestaltung von Lernprozessen, in denen die Lernenden möglichst durch selbstständiges Handeln lernen, mindestens

jedoch durch aktives Tun, jedenfalls nicht durch gedankliches Nach-vollziehen von Handlungen anderer“

Ein möglichst hoher Anteil an Handlungsaktivität nicht nur im Ausbildungsbetrieb, sondern auch in der Schule, vergrößert den eigenen Erfahrungsraum und je größer dieser wird, umso leichter lassen sich neue Erfahrungen an den alten ankoppeln. Aus didaktischer Sicht sind dafür geeignete Unterrichtsformen bereitzustellen, im Idealfall der Projektunterricht.

„5. Handlungsorientierung als Lernen an konkreten Handlungen, deren Ergebnis nicht aufgrund gesicherter Erkenntnisse (zum Beispiel der Naturwissenschaften) feststeht, sondern offen ist“

Die Effizienz einer Handlung lässt sich nicht durch einen Plan, eine gedankliche Konstruktion erfassen, sondern muss durch eine ausführende Aktion bewertet werden. Demnach sind für BADER (2004, 65) „... ohne eigenes konkretes Handeln, .. allenfalls Teileinsichten zu erwar-ten.“

„6. Handlungsorientierung als Orientierung der Kommunikation an den Handlungsbedürfnissen der Kommunikationspartner“

Nach BADER (2004, 65) sind die für die Kommunikationspartner bestimmten Informationen so aufzubereiten, dass sie unmittelbar der Problemlösung dienen.

„7. Handlungsorientierung als Planung und Gestaltung von Lernprozessen mit dem Ziel der Fähigkeit, aus gewonnenen Erkenntnissen (im weites-ten Sinne) gesellschaftliche Konsequenzen zu ziehen, d.h. der Einsicht die Tat folgen zu lassen, um vorgefundene Situationen in Richtung auf Ziele, die als erstrebenswert erkannt wurden, mit den geplanten Me-thoden zu verändern“

Ziel der Handlungsorientierung soll es sein, einen nicht nur im beruflichen Umfeld hand-lungsfähigen Mitarbeiter, sondern auch einen gesellschaftlich-politisch kritischen Menschen zu bilden, der sich getragen von einer „gesunden“ Wertehaltung gegen Unrecht wendet. Das setzt eine intensive Beschäftigung mit Sachverhalten voraus, um Zusammenhänge zu verste-hen.

„8. Handlungsorientierung als Merkmal unternehmerischer Selbstständig-keit“