• Keine Ergebnisse gefunden

1.3.5 „Neuer“ Lehrplan

Stufe 3 Fächerübergreifend und handlungsorientiert

1.5 Das Konzept der Handlungskompetenz

1.5.3 Kompetenzentwicklung

1.5.3.2 Die Expertise-Forschung

Das Erreichen der Berufsfähigkeit im erlernten Beruf gilt als zentrales Merkmal beruflicher Bildung. Berufsfähigkeit wird aber nicht durch ein Studium erreicht. „Das Konzept der Be-rufsfähigkeit korrespondiert mit den Erkenntnissen der Expertise- und Qualifikationsfor-schung. Danach resultiert berufliches Können aus einem Prozess der Kompetenzentwicklung und dieser setzt domänenspezifische, reflektierte Arbeitserfahrungen voraus …“ (ITB-Diskus-sionspaier, 2005, 8).

Unter Qualifikation sind die „… Fähigkeiten zusammengefasst, die zur Bewältigung der ob-jektiven, den Arbeitsprozessen innewohnenden Aufgaben notwendig sind“ und mit Kompe-tenzen werden die „… subjektiven Leistungsvoraussetzungen bezeichnet, über die Beschäftig-te verfügen, um den objektiven Qualifikationsanforderungen gerecht zu werden“ (ITB-Dis-kussionspapier, 2005, 5).

Eine besondere Bedeutung hat dabei die Expertise-Forschung. Die Allgemeinpsychologischen Theorien (ACT-Theorie des Fertigkeitserwerbs), Expertise-Entwicklungs-Theorien (Stufen-modelle der Expertise-Forschung, Trainingsstudien zur Expertise-Entwicklung) und Instrukti-onspsychologische Theorien (Cognitive Flexibility-Theorie) bieten der Wissenschaft ein brei-tes Forschungsspektrum.128

Aus der Vielzahl von den Möglichkeiten der Expertise-Entwicklung sei auf die Stufenmodelle verwiesen. Die domänenspezifische Kompetenzentwicklung vollzieht sich in Stufen vom An-fänger zum Experten und die Kompetenzforschung unterscheidet zwischen 4 und 5 Kompe-tenzstufen. Dabei zählen die von DREYFUS/DREYFUS (1988) vorgelegten Ausarbeitungen in der Expertiseforschung zu den in der Literatur häufig zitierten

128 vgl. GRUBER/MANDL (1993)

dellen. Sofern die zur Herausbildung von Expertise erforderlichen Arbeitsbedingungen vorlie-gen, kann man in jedem Beruf Experte werden. Aus den Forschungsergebnissen zeichnet sich die Notwendigkeit ab, „… berufliche Bildungsgänge nach dem Novizen-Experten-Paradigma zu gestalten“ (ITB-Diskussionspaier, 2005, 6).

Experte zu werden bedeutet, die Praxis in einer bestimmten Domäne (z.B. Beruf) zu reflektie-ren. Deshalb kann nicht oft genug darauf hingewiesen werden, dass berufliches Lernen vor allem in beruflichen Arbeitszusammenhängen stattfinden muss. „In den Theorien des ‚Situa-ted Learning’, ‚Cognitive Apprenticeship’ und ‚Community of Practice’ werden entwick-lungs- und lerntheoretische Erkenntnisse zusammengefasst, die es nahe legen, berufliche Bil-dung in der Tradition der Meisterlehre zu organisieren und nicht an einem hochschulischen Bildungskonzept der Aufeinanderfolge von Grund- und Fachbildung” (ITB-Diskussions-papier, 2005, 6).

Die in einem Beruf erworbenen Kompetenzen sind nicht auf eine andere Domäne übertragbar.

Wechselt man die Domäne, so sind die Kompetenzentwicklungsstufen wieder von vorne zu durchlaufen.129

Berufliche Kompetenz kann also nur über das domänenspezifische Wissen und Können er-worben werden, bis zu welchem Grad hängt vom Erreichen der jeweiligen Kompetenzstufe ab.

1.5.3.3 Vom Novizen zum Experten: Das Stufenmodell nach DREYFUS/DREYFUS Die Brüder DREYFUS (1988) stellen dar, wie ein Anfänger schrittweise zu einem Experten wird (vgl. Abb. 45, 111). Dabei gehen sie von „unstrukturierten“ Problembereichen aus, „…

die potentiell unendlich viele mögliche relevante Fakten und Muster …“ beinhalten. Brisanz erhält die Frage „… wie diese Elemente voneinander abhängen und wie sie andere Ereignisse mitbestimmen…“ (DREYFUS/DREYFUS, 1988, 42).

Ungeachtet dessen, wo das Betätigungsfeld des untersuchten Personenkreises lag, alle wiesen gleiche Muster beim Beschreiten der Stufen auf, die den Neuling (Novize) über den fortge-schrittenen Anfänger (Advanced Beginner), die beiden Stadien des kompetenten (Competen-ce) und des gewandten Praktikers (Proficiency) bis hin zum Expertentum, zur Expertise, füh-ren.130

129 vgl. ITB-Diskussionspapier (2005, 6)

130 vgl. DREYFUS/DREYFUS (1988, 43ff.)

Abb. 45: Berufliche Kompetenzentwicklung: Vom Anfänger zum Experten131

Stufe 1: Der Neuling (Novize)

Die erste Stufe vermittelt dem Novizen neue Fähigkeiten durch Instruktion. Er eignet sich an, wie man objektive Fakten und relevante Muster erkennt und Regeln, mit denen er aufgrund der Fakten und Muster seine Handlungen zu bestimmen vermag. Obwohl er die Elemente einer Situation klar und objektiv erkennt, fehlt ihm der Gesamtzusammenhang, was zur Folge hat, dass er die erlernten Regeln „kontext-frei“ einsetzt.132

Stufe 2: Der fortgeschrittene Anfänger

Die Summe aus ersten Erfahrungen bewirkt eine berufliche Leistungssteigerung und „hebt“

den Anfänger auf die zweite Stufe der Kompetenzentwicklung. Erfahrungen sind unbedingt notwendig, weil sie dazu beitragen, ein fachliches Problem, einen Störfall oder eine unerwar-tete Situation zu lösen.

131 Grafik nachgezeichnet nach RAUNER (2004, 6)

132 vgl. DREYFUS/DREYFUS (1988, 43)

„Während dies den Lernenden einerseits ermutigt, mehr kontext-freie Fakten in seine Überle-gungen einzubeziehen und kompliziertere Regeln zu benutzen, lehrt es ihn andererseits eine noch wichtigere Lektion – eine Lektion, die ein erweitertes Konzept seines Aufgabengebiets umfasst: Er macht in konkreten Situationen praktische Erfahrungen beim Umgang mit bedeu-tungsvollen Elementen, die weder er noch sein Lehrer in objektiv fassbaren, kontext-freien Begriffen definieren können“ (DREYFUS/DREYFUS, 1988, 45).

Damit sind „situationale“ Elemente gemeint. Jetzt kann sich der fortgeschrittene Anfänger nicht nur auf die bekannten kontext-freien, sondern auch auf selbst erfahrene situationale Komponenten beziehen.

Stufe 3: Der kompetente Praktiker (Competence)

Mit der Berufsausübung steigen die für einen Anfänger ersichtlichen kontext-freien und situa-tionalen Elemente deutlich an. Das Problem dabei: Er kann das Wesentliche einer Situation noch nicht erfassen. DREYFUS/DREYFUS (1988, 47) sehen deshalb die Anwendung hierar-chisch geordneter Entscheidungsprozeduren vor. Das bedeutet konkret, dass der Praktiker plant, ein Ziel verfolgt, eine Situation organisiert und reflexiv handelt. Daraus zieht er seine Schlussfolgerungen und entscheidet danach.

Stufe 4: Der gewandte Praktiker (Proficiency)

Es ist davon auszugehen, dass jemand, der Ziele auswählt, Alternativen abwägt und bewusst Entscheidungen trifft, auch überlegt handelt.

(DREYFUS/DREYFUS, 1988, 51) zeigen „… bei einer unvoreingenommenen Untersuchung unseres alltäglichen Verhaltens, dass dies dennoch eher die Ausnahme als die Regel ist.“

Der gewandte Praktiker trifft seine Entscheidungen nicht nach ausführlichen Überlegungen, sondern reagiert einfach. Höchstwahrscheinlich stellt er Verbindungen zu den in der Vergan-genheit erlebten ähnlichen Situationen her. Seine Reaktion lässt sich vermutlich auf die schon damals funktionierenden Lösungsansätze zurückführen.133

Stufe 5: Das Expertenstadium (Expertise)

DREYFUS/DREYFUS (1988, 54) haben eine klare Vorstellung vom Idealtyp eines Experten:

„In seinem Fachgebiet handelt er engagiert, erkennt und löst er Probleme nicht distanziert, denkt nicht über die Zukunft nach und entwirft keine Pläne.“

Ein Experte macht sich über sein Können keine Gedanken, er hat es so verinnerlicht, dass er es sich nicht ständig bewusst machen muss. Angemessene Beschreibungen für diesen Zustand

133 vgl. DREYFUS/DREYFUS (1988, 52)

wären z.B. „mit dem Fachgebiet verschmelzen“, „in Situationen einfach handeln“ oder „in ein Schachspiel versinken“. Eine Schlussfolgerung derart, dass Experten nie nachdenken und immer Recht haben, trifft in der Wirklichkeit nicht zu. Wenn auch die Experten häufig unre-flektiert und distanzlos arbeiten, sie werden wohl vor einer ihnen wichtigen Handlung exakt abwägen und überlegen. Dennoch ist ihr Überlegen nicht im üblichen Sinn als Problemlösen zu verstehen, sondern mehr ein kritisches Reflektieren ihrer eigenen Intuition. Hier gibt das erfahrungsbasierte, holistische Erkennen von Ähnlichkeiten den Ausschlag und führt zu ei-nem zutiefst situationalen Verständnis des Problembereiches.134

DREYFUS/DREYFUS (1988, 61f.) drücken die Moral des Fünf-Stufen-Modells so aus: „Aus der Forderung, man solle im allgemeinen nicht irrational – also nicht im Widerspruch zu Lo-gik und Verstand – handeln, folgt nicht zugleich, daß man rationales Verhalten als höchstes Ziel ansehen sollte. Zwischen dem Rationalen und dem Irrationalen existiert eine ausgedehnte Zone des, wie man sagen könnte, Arationalen.“135

DREYFUS/DREYFUS (1988, 227) verneinen nicht strikt die Frage, ob man bei der Entwick-lung zum Experten alle Stufen durchlaufen müsse, erachten es aber doch als notwendig, alle Ausprägungen der einzelnen Stufen zu „erfahren“. Das Beobachten eines Experten ist unzu-reichend, um die „Konstituenten bedeutungsvoller Merkmale“ in Ernstsituationen anwenden zu können. Der Anfänger muss erst diese Elemente erlernen, indem er sich durch die Stufen des Fertigkeiten-Erwerbs hindurcharbeitet.

Folgerungen:

Allein durch die Praxis eröffnen sich „situative“ Lernsituationen. Zukünftige Lehrer müssen deshalb so früh wie möglich mit dem Unterrichtsalltag konfrontiert und angeregt werden, ho-listisch zu denken.

„Falldiskussionen sollen sich auf die Wahl einer Perspektive ebenso konzentrieren wie auf die aus ihr abgeleiteten Entscheidungen“ (DREYFUS/DREYFUS, 1988, 228).

Übertragen auf die Situation in der Schule, ist in Bezug auf das Stufenmodell die Sichtweise einer Lehrkraft über ihren Unterricht nicht grundsätzlich zurückzuweisen. Sinnvoller ist es, mit der Lehrkraft in einer narrativen Form der Reflexion abzuklären, ob die Interpretation des erteilten Unterrichts mit der beschriebenen Situation übereinstimmt.

134 vgl. DREYFUS/DREYFUS (1988, 56)

135 Arational nennen die Autoren Handlungen, „die ohne bewusstes, analytisches Zerlegen und Rekombinieren auskommen. Handeln ist rational, Gewandtheit kennzeichnet den Übergang, Experten handeln arational.“

Es geht hier nicht – und das betrifft vor allem Studierende und Berufsanfänger – um eine Rechtfertigung des durchgeführten Unterrichts und schon gar nicht um die hinter den Schluss-folgerungen stehende Logik.

DREYFUS/DREYFUS (1988, 228f.) sind der Auffassung, dass situationale Fallstudien Denk-gewohnheiten fördern, die bei ausreichend konkreter Erfahrung einem Lernenden den Über-gang vom kompetenten, analysierenden Manager zum intuitiven Experten erleichtern.