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6. Theoretische Ausgangsposition

6.5 Kompetenzmessung

ERPENBECK und ROSENSTIEL unterscheiden 2007 nur für den deutschsprachigen Raum 60 unterschiedliche Kompetenzmessverfahren, die abhängig von der Anwendung, Messung und Bewertung verschiedener Kompetenztypen und -klassen eingesetzt werden können (vgl. ERPENBECK & ROSENSTIEL 2007, S. XIII). Weiterführend für den gegenwärtigen Kontext sind allerdings nur Messverfahren, deren Verständnis von Kompetenz aus der Berufsbildung stammt und dem ROTH’schen Konzept der Sach-, Selbst-, Sozialkompetenz folgt. Einige solcher Studien zur Messung beruflicher Kompetenz in ausgewählten Ausbil-dungsberufen werden deshalb im Folgenden skizziert.

6.5.1 Anwendungskontexte der Kompetenzmessung

In der beruflichen Bildung haben als Grundlage für die Kompetenzmessung verschiedentlich Verfahren Anwendung gefunden, die in pädagogisch-psychologischem Forschungskontext entwickelt worden sind. HARTIG und JUDE unterscheiden vier Ebenen der Kompetenz-messung: die individuelle Ebene, die institutionelle Ebene, die Systemebene und die Ebene der Forschung (vgl. HARTIG & JUDE 2007, S. 17). Hierbei variieren Kompetenzdefini-tionen, Untersuchungsprogramme, Erhebungsverfahren sowie Auswertungsstrategien in Abhängigkeit von den jeweiligen Interessen und Intentionen.

Die Kompetenzmessung auf individueller Ebene geschieht in alltäglichen Lehr-Lern-Prozessen bzw. formalen Lehr-Lern-Arrangements, in denen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten der Lernenden über verschiedene diagnostische Verfahren eingeschätzt werden.

Die Kompetenzfeststellung auf dieser Ebene beabsichtigt, aktuelle Fähigkeiten von Lernen-den zu bestimmen, Lernprobleme zu erkennen und individuell angepasste Förderangebote zu unterbreiten. Ziel ist die Unterstützung und Anregung von Selbststeuerungsprozessen der Lernenden. Die dabei entstandenen Beurteilungen der Lehrenden führen häufig, aber nicht notwendigerweise zur Zertifizierung und Benotung der Lernenden.

Auf der institutionellen Ebene werden aus einer Kompetenzfeststellung Aussagen zur Leis-tungsfähigkeit von Institutionen, wie z. B. einer Schule, einer Berufsschule oder einer Ausbil-dungsstätte abgeleitet, um institutionelle Lehr-Lern-Angebote zu optimieren und didaktische Modelle bzw. Theorien weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse der Kompetenzmessung werden

auf dieser Ebene vor dem Hintergrund bestehender Curricula und Organisationsstrukturen des Unterrichts sowie pädagogischer und didaktischer Schwerpunkte beurteilt.

Die Resultate von Kompetenzmessungen auf der Ebene des Bildungs- bzw. Berufsbildungs-systems stellen empirische Daten über den Bildungs- bzw. Ausbildungsstand von Lernenden in bestimmten Domänen oder übergreifenden Kompetenzdimensionen für eine definierte Zielpopulation bereit. Die erreichten Kompetenzen ermöglichen beispielsweise Auskünfte über den Grad sozialer Unterschiede, das Ausmaß gleicher Startchancen und Wettbewerbs-bedingungen für die Jugendlichen.

Im Hinblick auf die Ebene der Forschung verweisen HARTIG und JUDEauf Lücken in der theoretisch-konzeptionellen Ausdifferenzierung von Kompetenzen in verschiedenen Domä-nen oder domäDomä-nenübergreifenden Bereichen. „Die Entwicklung sowohl theoretisch als auch empirisch fundierter Kompetenzmodelle als Ausgangspunkt für die Entwicklung adäquater Messfahren, stellt immer noch eine Herausforderung dar“ (HARTIG & JUDE 2007, S. 17;

vgl. auch HARTIG & KLIEME 2006, S. 127 ff.).

KLIEME, MAAG-MERKI und HARTIG unterscheiden bei der empirischen Erfassung von Kompetenzen zwei Kategorien: Kompetenzniveaumodelle und Kompetenzstrukturmodelle.

Kompetenzstrukturmodelle ermöglichen eine differenzierte Diagnostik von Teilkompetenzen,

„die zur Bewältigung der für ein Kompetenzkonstrukt interessierenden situativen Anforde-rungen notwendig oder förderlich sind“ (KLIEME et al. 2007, S. 12 f.). Sie eignen sich für Untersuchungen zum Entstehen spezifischer Kompetenzen und zur Effektivität von Förde-rungsmaßnahmen.

Kompetenzniveaumodelle geben im Gegensatz dazu Auskunft über spezifische, hierarchisch verstandene Merkmalsausprägungen bei den Lernenden innerhalb eines bestimmten Lern-bereichs. Die dabei unterschiedenen Niveaustufen beschreiben, über welche spezifischen Kompetenzen Lernende verfügen bzw. welche fachbezogenen Leistungsanforderungen sie bewältigen können. Hierzu legt das Hamburger Projekt ULME 22 erste Studien vor, in wel-chen die beabsichtigten Leistungsniveaus von quantitativ bestimmten Anteilen der Auszubil-denden erreicht werden (vgl. LEHMANN & SEEBER 2007, S. 138). „Es besteht also der

22 Das Hamburger Projekt ULME (Untersuchung von Leistungen, Motivation und Einstellungen in der beruf-lichen Bildung) macht Lernleistungen und Lernvoraussetzungen von Lernenden in ausgewählten Bereichen der beruflichen Ausbildung transparenter (vgl. BRAND et al. 2005, S. 2).

Bedarf an einer kriteriumsorientierten Interpretation der quantitativen Leistungswerte“

(KLIEME et al.2007, S. 12).

6.5.2 Kompetenzmessung in der beruflichen Bildung

In der beruflichen Bildung schlagen BAETHGE, ACHTENHAGEN, ARENDS, BABIC, BAETHGE-KINSKY und WEBER im Rahmen ihrer Diskussion von Optionen für die Kom-petenzmessung eine Systematisierung beruflicher Kompetenzen in Anlehnung an das anthro-pologische Konzept ROTHs vor (vgl. BAETHGE et al. 2006, S. 38 ff.). Eine Ausdifferen-zierung in verschiedene Kompetenzdimensionen ermöglicht sowohl die Erfassung und Betrachtung separater Kompetenzaspekte als auch eine Analyse ihrer Wechselwirkungen.

Darüber hinaus ermöglicht dieser Ansatz die Aufnahme zusätzlicher Strukturaspekte inner-halb der jeweiligen Kompetenzdimension wie beispielsweise die Unterscheidung von Wis-sensarten bei der beruflichen Fach- bzw. Sachkompetenz.

Weiterhin lassen sich die für die berufliche Bildung relevanten Kompetenzkonzepte unter-scheiden nach …

- allgemeinen kognitiven Schlüsselkompetenzen (z. B. Sprachbeherrschung, Rechen-fähigkeit und ProblemlöseRechen-fähigkeit),

- berufsübergreifenden arbeitsbezogenen Kompetenzen (z. B. Nutzung von Hilfsmit-teln, Interagieren in sozial heterogenen Gruppen etc.) und

- fachspezifischen Kompetenzen (z. B. Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten zur Entwicklung funktionsgerechter Lösungen und zur Bewältigung von gehobenen Dienstleistungsansprüchen).

Diese sollen im Rahmen beruflicher Kompetenzmessungen untersucht werden (vgl. ACH-TENHAGEN 2007, S. 489).

Im berufsbildenden Bereich wurde in einer der ersten umfassenderen Studie zur Kompetenz-entwicklung und Kompetenzerfassung, dem Hamburger Projekt ULME, die Messung beruf-licher Fachkompetenz für Ausbildungsberufe aus dem gewerblich-technischen, kaufmän-nischen und medizikaufmän-nischen Bereich vorgenommen (vgl. LEHMANN & SEEBER 2007, S. 13). Deren Modellierung erfolgte in Anlehnung an das kognitionspsychologische Modell von ANDERSON und KRATHWOHL (2001), bei dem zwischen Wissens- und Verhaltens-dimensionen unterschieden wird. Bei der zugrunde gelegten modifizierten Matrix zu

kogniti-ven Strukturen wurde zwischen drei Wissenskategorien (deklaratives, konzeptuelles und pro-zedurales Wissen) und drei Verhaltensdimensionen („reproduzieren“, „verstehen/anwenden“

und „kritisieren/reflektieren“) unterschieden (vgl. BRAND et al. 2005, S. 12). Dabei wurde im Hinblick auf die Verhaltenskategorien eine zunehmende Komplexität unterstellt, die sich angesichts der vorliegenden empirischen Daten als nicht ohne Einschränkung belegen ließ (vgl. SEEBER 2008, S. 74 ff.). Da das Modell auf verschiedene Berufe anwendbar sein sollte, wurden keine Vermutungen zur Dimensionalität der Kompetenzen formuliert.

WINTHER und ACHTENHAGEN (2008) entwickelten speziell für die Tätigkeit der Indus-triekaufleute ein Kompetenzstrukturmodell. In diesem Modell wird Kompetenz als Fähigkeit verstanden, auf Grundlage eines systemischen Verstehens betrieblicher Teilprozesse und deren Rekonstruktion aus realen Unternehmensdaten in berufstypischen Situationen unter-nehmerische Entscheidungen zu treffen und gleichzeitig im Sinne von Selbstorganisations-dispositionen das eigene Wissens- und Handlungspotenzial auszubauen. Im Rahmen dieses Kompetenzstrukturmodells wurde davon ausgegangen, dass es sich hierbei um ein inhalts-spezifisches, mehrdimensionales Konstrukt handelt. Dabei wurden drei verschiedene Kogni-tionsebenen betrachtet: die Bearbeitung definierter konkreter Lern- und Arbeitsanforderung durch Aktivierung von Wissensbeständen, die kognitive Erfassung der Anforderungssituation und die angemessene Interpretation und Validierung der gefundenen Lösung. Außerdem wur-de zwischen drei inhaltlichen Kompetenzbereichen sowie zwischen konzeptuellen, prozedura-len und interpretativen Kompetenzaspekten unterschieden (vgl. WINTHER & ACHTEN-HAGEN 2008, S. 511 ff).

Im gewerblich-technischen Bereich haben NICKOLAUS, GSCHWENDTNER und GEISSEL (2008) am Beispiel der Diagnosekompetenz von Kfz-Mechatronikern zunächst berufsüber-greifend die Kompetenzdimensionen „deklaratives Wissen“ und „prozedurales Wissen“ sowie die fachspezifische Problemlösefähigkeit untersucht. Letztere umfasst sowohl konstruktive Anforderungen (z. B. Entwicklung einer Schaltung) als auch analytische Fähigkeiten (z. B. Fehleranalyse). Ferner sind als fachspezifische Kompetenzen eine mechanische und eine elektrotechnische Kompetenz bei Kfz-Mechatronikern angenommen worden (vgl.

NICKOLAUS et al. 2008, S. 48 ff.; GSCHWENDTNER 2008, S. 103 ff.). Als eigene Kom-petenzdimensionen ließen sich durchgängig Fachwissen und die Fähigkeit, dieses Fachwissen in komplexen Anforderungssituationen anzuwenden, unterscheiden. Hingegen konnte fach-spezifisches methodisches Wissen empirisch nicht als eigene Kompetenzdimension abgesi-chert werden (vgl. NICKOLAUS et al. 2008, S. 48 ff.; GSCHWENDTNER 2008, S. 103 ff.).

Für die Messung beruflicher Handlungskompetenzen können nach BAETHGE und Koautoren (2006) zwei alternative Operationalisierungsansätze und Messwege gewählt werden: zum einen die Operationalisierung und Erfassung beruflicher Kompetenzen auf Basis „externer Tätigkeiten“, wodurch die Performanz, insbesondere das Handlungsergebnis, das „Lern-produkt“, im Fokus einer Untersuchung steht, zum anderen auf Grundlage „interner Bedin-gungen“ als Potenzial für das Verhalten in verschiedenen Situationen, die auf die Messung von Wissen, Können, Motivationen und Wertorientierungen abzielen (vgl. BAETHGE et al.

2006, S. 28 ff.). Die Entscheidung, welches der genannten Verfahren zum Einsatz kommt, ist eine Frage des jeweiligen Forschungsziels, aber auch der Rahmenbedingungen, in die das Forschungsvorhaben eingebunden ist. Unabhängig davon steht außer Frage, dass Validitäts-studien zu verschiedenen Messverfahren und Auswertungsmethoden dringend geboten sind (LEHMANN 2008, pers. Mitteilung).

In der beruflichen Bildung sind vielfältige Verfahren im Einsatz, z. T. auch solche, die den Testgütekriterien der Objektivität, Reliabilität und Validität nicht oder nur eingeschränkt genügen, wie Selbsteinschätzungen, Fremdeinschätzungen ohne Standardisierung der Anfor-derungssituation, nicht standardisierte Arbeitsproben oder Portfolios. Ausgehend von einer (subjektiven) Fremdeinschätzung, die mit einer Vielzahl von anderen (subjektiven) Fremd-einschätzungen ver- und abgeglichen wird, kann indessen eine gewisse Objektivität und Aus-sagekraft, auch formal im Sinne geprüfter Zuverlässigkeit/Reliabilität definierbar, erreicht werden (vgl. BRETSCHNEIDER 2006, S. 11). Kognitive Wissenstests, die als Paper-and-Pencil-Tests, ggf. in Form adaptiven Testens zum Einsatz kommen können, sind in der Regel gut geeignet, Ausprägungen des Wissens deklarativ und prozedural zu erfassen. Darüber hin-aus sind computerbasierte Tests, in denen Arbeitsprozesse simuliert werden, sowie standardi-sierte Arbeitsproben geeignet, die Anwendungsfähigkeit des Wissens zu erfassen (vgl. GSCHWENDTNER et al. 2010, S. 258 ff.).

Im Rahmen der vorliegenden Studie wurden Testaufgaben (Lernaufgaben) für den berufs-bezogenen Unterricht der Berufsschule bei Gärtnern der Fachrichtung Garten- und Land-schaftsbau entwickelt, …

- die den Lernenden berufliche Handlungskompetenz während ihrer Lernhandlungen er-werben und zeigen sowie unterschiedlichste Lernergebnisse erbringen lassen können.

- die den Lehrenden die während der Lernhandlungen gezeigten Kompetenzen beob-achten und messen sowie die Lernergebnisse bewerten lassen können.