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Kolorit als Inkarnat

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 52-56)

In einem Streifzug – von den Schriften Aristoteles’, über Descartes und Hegel bis zu den zeitgenössischen Kunsthistorikern – zeigt Didi-Huber-man, dass das Inkarnat mit wiederkehrenden und ähnlichen Auffassun-gen verbunden ist: Sei es als Geflecht oder Netzkolorit, es wird immer eine Dynamik, ein Ineinander zwischen Transparenz und Opazität, zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen der Durchlässigkeit und der Grenze des Kolorits beschrieben. Diese Dialektik zwischen Oberfläche und Tiefe ist für Didi-Huberman bezeichnenderweise schließlich bereits in der Seman-tik des Wortes «Inkarnat» enthalten:

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Man muß sich also Gedanken machen über dieses Inkarnat, angefangen bei der unmöglichen Aufteilung des Wortes. Bedeutet in innerhalb oder dar-auf? […] Warum also berufen sich die Texte der Maler immer wieder auf die Fleischpartien, um ihr Anderes zu bezeichnen, daß heißt die Haut? Sicherlich weil gerade diese Doppeldeutigkeit, diese unmögliche Aufteilung bereits ein gewisses bedeutsames Phantasma der Malerei darstellt. (Ebd., 23; Herv. i. O.) Es fällt auf, dass die Frage nach der Verortbarkeit der Farbe beim Inkar-nat – die Frage nach ‹innerhalb› oder ‹darauf› – den bereits erwähnten Schilderungen Aumonts zum kolorierten Film ähnelt: von der Filmfarbe als Schicht auf der Schicht einerseits (darauf) oder andererseits von der Farbe, die sich in das Material des Films einschreibt (innerhalb). Die Spra-che, welche für die Beschreibung des Verhältnisses zwischen der Farbe und der Haut21 verwendet wird, ist also mit jener zu vergleichen, die den kolorierten Film und die applizierte Farbe betrifft: Denn in beiden Fällen ist eine Durchlässigkeit der Grenze des Kolorits zu beobachten.

Didi-Huberman führt in seiner Behandlung des Kolorits zudem eine eigene Kategorie der Farbe ein, die er als Symptom-Kolorit bezeichnet. Über diesen Begriff, der das Inkarnat und die Hysterie zusammenfügt, erstellt er eine Verbindung zwischen der Farbe und der Weiblichkeit. Durch die Verbindung von Inkarnat und Hysterie im Konzept des Symptom-Kolorits vollzieht Didi-Huberman eine gewisse Verunreinigung eines klassisch-ästhetischen Ideals: nämlich indem das Inkarnat an das Sinnliche, das Ver-führerische gekoppelt wird. Bereits zu Anfang seines Buches verweist er auf die Stellung, die das Inkarnat in der klassischen Ästhetik einnahm. Das Inkarnat sei bei Hegel: «‹das ideale Gleichsam›, ‹der Gipfel› des Kolorits, das heißt der Gipfel dessen, was das ‹wahrhaft Malerische› darstellt. […] Eine transparente Tiefe, die also durchsichtig tief ist […] ein ideelles Ineinander der drei Primärfarben» (ebd., 28 f.; Herv. i. O.). Didi-Hubermans Symptom-Kolorit verbindet dieses als ideell geglaubte Inkarnat mit einem pathologi-sierten physischen Körper und stellt somit in der Denkfigur des Inkarnats nicht das Harmonische, sondern das Ungebändigte heraus. Insofern ist das Symptom-Kolorit als Antithese zu einer von der klassischen Ästhetik geschätzten Farbigkeit aufzufassen.

Das Zusammenführen von Farbe und Weiblichkeit (als hysterische Oberfläche) wird durch ihre tradierten Gemeinsamkeiten begünstigt: Die Oberfläche, die Haut, die Grenze und der Körper sind maßgebliche Ele-mente sowohl für die Manifestationen vom Inkarnat in der Malerei als

21 Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass die aus dem Lateinischen stammende französische Bezeichnung pellicule für den Film petite peau (dünne Haut, Schicht) bedeutet (vgl. Aumont 1995, 42).

auch für den hysterischen weiblichen Körper (so wie diese Symptome in den historischen Diskursen rund um die Hysterie behauptet wurden).

Bestimmend sind in beiden Fällen außerdem eine schwankende Grenze zwischen Oberfläche und Tiefe, ubiquitäre Ausbrüche des zu beobach-tenden Phänomens, seine Veränderung und die Intensität des Ereignis-ses (ebd., 32 f.). Eine Verbindung zwischen Weiblichkeit und Oberfläche stellt überdies auch Jean Baudrillard in seinem Buch über die Verführung her. Dort formuliert er eine Beschreibung des Weiblichen, die auffällig den Beschreibungen des Inkarnats ähnelt: «It is not quite the feminine as sur-face that is opposed to the masculine as depth, but the feminine as indis-tinctness of surface and depth» (1990, 10; Herv. J. R.).

Wenn man die genannten gemeinsamen Qualitäten des Kolorits und der Hysterie auf die Serpentinentanzfilme bezieht, so begibt man sich über den Bezug der Farbe zum Motiv als eine rein visuelle Ausstattung hin zur Farbe als eine semantisierende Kategorie. Mithilfe der Farbe schreibt sich in den tanzenden Körper eine Qualität ein, die ihn zusätzlich als unge-stüm, kraftvoll, sogar leidenschaftlich erscheinen lässt. Durch die Quali-tät des Kolorits erfolgt somit eine Semantisierung des Bildmotivs. Zudem erweist sich nicht nur das Weibliche, sondern auch das Weibliche in Form eines Schmetterlings, präziser: des Nachtfalters, als ein besonders geeig-netes Vehikel für die Unbestimmbarkeit und Transition. Über den Nacht-falter schreibt Didi-Huberman in seiner sowohl Loïe Fuller als auch das frühe Kino mit einbeziehenden kunst- und kulturgeschichtlichen Untersu-chung dieses Motivs, der Nachtfalter (phalène) sei «créature du passage et du désir, du mouvement et de la consommation» (2013, 23).22

Das Motiv und die Materialität der Farbe in den Serpentinentanzfil-men verstärken sich gegenseitig im Effekt einer fluktuierenden und sinn-lichen Bildlichkeit. Gekoppelt an eine tanzende weibliche Figur funktio-niert die Farbe zugleich als Schleier und als Körper. Als Schleier enthält sie den weiblichen Körper dem Auge des Zuschauers vor und setzt somit den Funktionsmechanismus eines Fetischs in Gang.23 Als eigenständiger Kör-per lässt sie die Grenzen der Flächen im Film verschwimmen und unter-stützt die unbestimmbare Dynamik der Tanzbewegungen und Farbver-läufe. Das Erscheinen und Verschwinden der Farbe und des abgebildeten Körpers, der mit dem Farbanstrich interagiert, hat durchaus einen soma-tischen, sensuellen Charakter, so wie dieser dem hysterischen weiblichen Körper im historischen Kontext des Hysterie-Diskurses zugesprochen

22 Didi-Huberman schreibt, Loïe Fuller habe sich in ihren Tänzen eigentlich nicht in einen Schmetterling, sondern in einen Nachfalter verwandeln wollen (vgl. 2013, 23).

23 Das Verschleiern wird insbesondere in der feministischen Filmtheorie in Bezug auf die Funktionsmechanismen von Fetisch und Begehren untersucht (vgl. Doane 1991, 44 ff.).

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wurde. Nicht zuletzt ist das Inkarnat eine äußerst körperliche Vorstellung vom Zusammenhang der Materialität des Körpers und seiner farbigen Erscheinung, da es auf eine autonom agierende Organik der Materie hin-deutet. Auf die enge Verbindung des Denkens von Oberfläche, Haut und Affekt in der Ästhetik weist schließlich auch Bruno hin, wenn sie betont, es sei «important to note that the surface first appears manifested materially in its epidermic origin» und somit die Auffassung hervorhebt, der zufolge

«affect becomes mediated on the surface» (2014, 14).

Welche Tragweite kann das Inkarnat für den kolorierten Film haben?

Zwei Charakteristiken stellen sich einer eindeutigen Übertragung des Konzepts auf den Film entgegen, so wie dieses für die Malerei benutzt wurde. Zum einen handelt es sich bei den Serpentinentanzfilmen nicht um das Inkarnat als Bildmotiv.24 Die Hautpartien der Serpentinentän-zerinnen wurden entweder schwarzweiß belassen oder, wenn sichtbar, zusammen mit den Farben der Schleier mitgefärbt. Vom Motiv her sind diese eher der Schminkfarbe zuzuordnen – jener Farbe, die traditionell dem Inkarnat entgegengesetzt wurde (vgl. Didi-Huberman 2002, 22).25 Einer Vorstellung der Farbe als Inkarnat könnte man im Film eine auto-nome, eigenständige Farbe gegenüberstellen (Farbe, die keine Lokalfarbe

‹nachahmt›) (vgl. Wagner 2013, 17). Statt in der Darstellung anderer Mate-rialen im Bild aufzugehen, ihre unabhängige Stofflichkeit einzubüßen, bedingt also diese Gleichrangigkeit der selbst-identischen Farbe, dass sie ein dynamisches Verhältnis mit der fotografischen Basis des Bildes einge-hen kann. Es handelt sich einerseits um eine autonome Farbigkeit, ande-rerseits aber ähnelt das Funktionsprinzip, nach dem sich diese Farbigkeit zum Bild verhält, eher jenem des Inkarnats, eines Epidermis, einer Mem-brane.

Die Schwarzweiß-Grundlage und die aufgetragene Farbe in Serpen-tinentanzfilmen sind also zur selben Zeit gleichrangig und konkurrierend.

Es ist ihr dialektisches Verhältnis, das eine spannungsgeladene Nebenbuh-lerschaft zweier Regime überhaupt erst ermöglicht. Dadurch kann sich eine Dynamik des Ineinanders, des Geflechtes – eine Logik des Inkarnats

24 Vgl. zu diesem Aspekt der Farbe im Kino Marschall 2005, 174 ff.

25 Didi-Huberman weist auf «die platonische Kritik der Schminkfarbe» hin, wonach die Farbe kein Kleid sei und niemals auf den Körper als eine Bedeckung aufgetragen wer-den dürfe. Geschehe dies, so sei die Farbe nur ein Leichentuch oder lediglich eine Art Schminke. Diese ideologische Auffassung soll die Maler über die Jahrhunderte beglei-tet haben. Erstrebenswert war dabei immer das Erreichen einer organischen Farbigkeit gewesen, während die Schminkfarbe als minderwertiger empfunden wurde (2002, 22).

Es ist bezeichnend für die Entwicklungen der Farbverfahren im Film, dass mit ihnen eine Farbigkeit im Sinne einer organisch wirkenden Verbindung von Farbe und darge-stellten Körpern angestrebt wurde.

entfalten. Schließlich ist es dieses spannungsvolle Verhältnis, das sich als Denkfigur einer ‹sinnlich-libidinösen Oberfläche› (vgl. Reckwitz 2015, 36) und mithin einer modernen Ästhetik profiliert.

Die Frau als Fläche für die Farbe –

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 52-56)