• Keine Ergebnisse gefunden

Die Frau als Fläche für die Farbe – Das Kostüm als Double der Leinwand

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 56-61)

Der Zusammenhang zwischen Frau, Farbe und Kostüm gewinnt im gesell-schaftlichen Leben um 1900 eine besondere Präsenz.26 Die Entwicklung der Anilinfarben führte zuerst zu ihrem enormen Einsatz in der Textil industrie.

Die bunten Frauenkleider prägten die Alltagskultur der Moderne, sodass in dieser Epoche eine in der Kulturgeschichte bereits existierende Auffas-sung der Frau als ‹Fläche› für die Farbe noch verstärkt wurde.27 So erklärt Batchelor, wie die Farbe in der westlichen Kultur regelmäßig als das Andere, Minderwertige und Oberflächliche – und somit auch als das mit der Weiblichkeit Verbundene – angesehen wurde:

[C]olour is made out to be the property of some ‹foreign› body – usually the feminine, the oriental, the primitive, the infantile, the vulgar, the queer or the pathological. […] [C]olour is relegated to the realm of the superficial, the sup-plementary, the inessential or the cosmetic. In one, colour is regarded as alien and therefore dangerous; in the other, it is perceived merely as a secondary quality of experience, and thus unworthy of serious consideration. […] Either way, colour is routinely excluded from the higher concerns of the Mind. It is other to the higher values of Western culture. (Batchelor 2000, 22 f.) Als Jahrmarktsattraktion entstanden, hatte das Kino seinerseits keine Berührungsängste mit der neuen populären Farbigkeit – im Gegenteil. Als Träger des Oberflächlichen und des Kosmetischen wird in den frühen Fil-men das Kostüm – und somit auch die Frau, die es trägt, – als ein beliebter Vorwand für die Farbe verwendet. Die Kostümfläche erweist sich dabei als eine der häufigsten Flächen im Filmbild, auf die Farbe aufgetragen wird.

Die Frau wird also auch im Kino generisch mit der Farbe verbunden und oftmals instrumentalisiert, um die Funktion einer attraktiven Farblein-wand zu erfüllen, wie etwa in den Serpentinentanzfilmen. Oder aber sie wird zu einem farbigen Element im Dienste der Ornamentalisierung des Bildes, wie in den Féerien (wie eingehend im dritten Kapitel untersucht

26 Vgl. zu einem intermedialen Zusammenhang zwischen der Frau und der Farbe zudem meine Ausführungen in Rakin 2011.

27 Vgl. hierzu die umfangreiche Studie von Regina Lee Blaszczyk (2012).

55 Die Frau als Fläche für die Farbe

wird). In jeder Hinsicht erweist sich die Farbe laut Yumibe am engsten mit dem weiblichen Spektakel verbunden. Die Filme erhielten dadurch einen doppelten sinnlichen Schauwert:

[C]olor is most often keyed to female spectacle, from early cinema through Technicolor to the contemporary films we see today. In the cinema of the 1890s, this was evident in the association of hand coloring with the dancing and eroticized female body. These colored dance films constituted the first color-specific genre in film and provided the spectator with two attractions at once, moving bodies and moving colors.28 (Yumibe 2012, 49) Als sinnliche Oberfläche des Farbspektakels enthält die Figur der Serpen-tinen- und Butterflytänzerin ein Doppelmoment der Leinwand als Farb-träger: Zum einen funktionierte in der Bühnenpraxis das Kostüm der Tän-zerin als die Leinwand für die projizierten Farb-Bild-Effekte, zum anderen wirkte dieses Kostüm im Film – wie gleich gezeigt wird – als Double der filmischen Leinwand.29

Der Akt der Projektion ist eine bedeutende Schnittstelle zwischen der Bühnenpraxis der Serpentinentänze und dem Film: In beiden Fällen wird der Bildträger – hier die Leinwand, dort der Tanzschleier – durch die Projektion mit einem Bildinhalt versehen.30 Eine intermediale Ver-bindung und Gemeinsamkeit der Serpentinentänze im Film und auf der Bühne besteht ferner im Einsatz der Laterna-magica-Projektion. Die Pro-jektion des schwarzweißen Filmmaterials wurde bereits in den Anfän-gen mit mehrfarbiAnfän-gen Bildern der Laterna magica kombiniert.31 Hybride Apparate, die sowohl Film als auch Laterna-magica-Bilder projizierten, wurden seit 1897 produziert, wobei dieselbe Palette von ungefähr zwan-zig Farbtönen von Anilinfarben, wie sie für die Handkolorierung des

28 Yumibe führt aus, dass die Edison Company von 1896 bis zu den 1900er-Jahren gezielt Filme mit Tänzerinnen bewarb, die sich motivisch am besten für den Einsatz von Farbe eigneten (vgl. 2012, 51). Die generische – und lukrative – Verbindung von Frauen und Farbe sei außerdem eine gängige Praxis bei fast allen großen Produktionsfirmen um die Jahrhundertwende gewesen, auch bei den Brüdern Skladanowsky, Siegmund Lubin, den Brüdern Lumière und Pathé. Sie alle produzierten in den späten 1890er- und frühen 1900er-Jahren handkolorierte Filme (vgl. ebd., 52).

29 Jody Sperling beschreibt darüber hinaus Fullers Kostüm als einen multimedialen Stoff, als «unique concotion of silk, prosthetic wands, luminescence and stereopticon that, when taken together, formed a moving, multi-media garment» (2013, 84; Herv. J. R.).

30 Zu den «Medienkulturen der Projektion um 1900» vgl. Loiperdinger 2011, 55 ff.

31 Mannoni und Compagnoni erwähnen den Film La Biche au bois (Georges Demeny, F 1896) als ein Beispiel für den symbolhaften Übergang von der Laterna magica hin zum Film, von der Glasscheibe zum bemalten Zelluloid (vgl. 2009, 255). Wie sie spe-zifizieren, wurde La Biche au bois durch ein handbemaltes Bild der Laterna magica projiziert (vgl. ebd., 257). Dank dem Erfolg dieser Vorführungen wurde der kolorierte Film beim Publikum schnell sehr populär.

Films verwendet wurden, auch für die Scheiben der Laterna magica ein-gesetzt wurden (vgl. Mannoni/Compagnoni 2009, 254). Auch Loïe Fullers Tanznummern enthielten Laterna-magica-Projektionen auf ihre Kostüme (vgl. Sperling 2013, 83). Somit wurden in der Bühnenpraxis auf die Tän-zerinnen nicht nur das farbige Licht, sondern auch Bildmotive von hand-bemalten Scheiben projiziert, was für ihren prokinematografischen Cha-rakter sorgt. Fuller benutzte dazu innovative Projektoren mit gefärbten Gels und Laternen-Scheiben mit unterschiedlichen Motiven, um ihr lein-wandähnliches Kleid zu färben (vgl. Yumibe 2012, 54) und es, abgesehen von den Tanzbewegungen, mittels Farbe und bewegten Bildmotiven noch eigens zu beleben. Viele von Fullers Nachahmerinnen inkorporierten in den 1890er-Jahren die Laterna-magica-Projektionen in ihre eigenen Num-mern, sodass die Hersteller von Laternen-Scheiben anfingen, Bilder genau für den Zweck dieser Auftritte zu produzieren. Die Motive waren umfang-reich und schlossen u. a. Tier- und Pflanzenwelt, patriotische Porträts, das Übernatürliche oder das Himmlische ein (vgl. Sperling 2013, 84).32 Nicht nur Scheiben mit figürlichen Motiven wurden eingesetzt, sondern auch

‹belebte› Farbe. Losgekoppelt von den Bildmotiven erschien Farbe in solch unterschiedlichen Formen wie etwa in den Chromatropen-Scheiben, die kaleidoskopische Bilder erzeugten. Außerdem wurden Scheiben mit Flüs-sigkeit benutzt, in die Farbstoffe eingetropft wurden, während die Scheibe vor das Objektiv gehalten wurde (vgl. ebd.). Somit war die Farbe bereits an sich in bewegter Form zur Begleitung des Tanzes eingesetzt worden.

In Bezug auf die Serpentinentänze lässt sich schlussfolgern, dass ihr prokinematografischer Charakter nicht nur in der intermedialen Nähe zu der mit dem Film geteilten Praxis der Laterna magica liegt, sondern auch darin, dass die Figur der Tänzerin, respektive ihr Kostüm durch seine lein-wandähnliche Qualität mit der kinematografischen Projektionsfläche zu vergleichen ist. So konstatierte Rancière über den Schleier von Loïe Fuller, er sei zugleich die Figur und der Grund – er sei die Fläche eigener Erschei-nung (vgl. Rancière 2013, 98). Dies gilt ebenfalls für den Schleier der Tän-zerin im Film. Nun kommt hier hinzu, dass der bunte Schleier im Film ein Bildträger innerhalb eines bereits bestehenden Bildträgers wird – aber einer, der dank dem auf-sich-selbst-verweisenden Charakter der appli-zierten Farbe zum Double des Bildträgers zu werden droht, in dem er ent-halten ist.

32 Eine kurzlebige Form der Laterna-magica-Scheiben für die Serpentinentänze waren die «Kostümscheiben» («costume slides»), auch Posen genannt: «[T]he ‹inert bodies› of these female subjects provided a screen for the touristic fantasies of the spectator. Sit-ting in the audience of a music hall, you could ‹go› to Russia, Japan or Germany merely by watching a stationary woman materialise in different outfits» (Sperling 2013, 84).

57 Die Frau als Fläche für die Farbe

Ein Beispiel für das Leinwandhafte des Kostüms findet sich in Métamor-phose du papillon (Gaston Velle, F 1905). Der Film beginnt in Schwarz-weiß und zeigt eine Raupe, die auf einem Zweig ein Blatt hochkriecht. Mit-hilfe einer Doppelbelichtung verwandelt sie sich in einen Kokon, aus dem ein bunter Schmetterling bricht. Dieser Wechsel findet gegen Mitte des knapp zwei Minuten kurzen Films statt, sodass die erste in Schwarzweiß gehaltene Hälfte als visueller und dramaturgischer Kontrast zu dem dar-auf folgenden Erscheinen des Schmetterlings und somit zum Erscheinen der Farbe wirkt. Da der Wechsel von Schwarzweiß zu Farbe mit dem Aus-schlüpfen des Schmetterlings aus dem Kokon und dem Strecken seiner bunt kolorierten Flügel zusammenfällt, ist die Metamorphose des Schmet-terlings, wie diese im Titel angekündigt wird, zugleich die Metamorphose des Mediums, das nun zu einem farbigen wird. Die Bildkomposition ist statisch, zentriert. Die Flügel des Schmetterlings sind frontal zur Kamera positioniert und somit ebenflächig mit der Kinoleinwand. Die Flügel wer-den zuerst nur vertikal leicht hin und her bewegt. Sie sind perfekte Projek-tionsflächen für die changierenden Farben (Abb. 6), die das Bild dominie-ren. Im folgenden Verlauf dieses kurzen Films kommt es zu einer weiteren Metamorphose, bei der sich der Schmetterling in eine Frau verwandelt.

Dies geschieht allerdings nicht mithilfe filmischer Tricks, wie das bei der Metamorphose des Kokons hin zum Schmetterling der Fall war. Stattdes-sen erweist sich der Körper des Schmetterlings als durch einen einfachen, aber geschickten Kostümtrick getarnte Frau. Als diese ihren Oberkörper aufrichtet, werden ihr Torso und Gesicht und die Flügel des Schmetter-lings als Teil ihres Kostüms erkenntlich (Abb. 7). Diese Art des Kostüms wird von Marketa Uhlirova als eine Art lebendiger Leinwand, «living screen», beschrieben (2013, 109). Dabei ist das Kostüm als eine Leinwand-fläche innerhalb des Bildes an sich ein Attraktionsfokus:

6 Métamorphose du papillon (Gaston Velle, F 1905), die Flügel des Schmetterlings als Farbleinwand im Bild

The focus of Métamorphoses du Papillon is on a multiple transformation of a costume of butterfly wings extended with wands. With a double-layered construction, the costume is first changed mechanically by the performer dropping the front layer so that it folds back on itself to reveal the layer un-derneath. She then turns around, to expose yet another design.

(Uhlirova 2013, 109 f.) Solche Multiplikationseffekte, wie Uhlirova sie bezeichnet, stellt sie bereits in anderen Filmen, wie in Gaumonts La Danse du papillon (Alice Guy-Blaché, F 1900) und Lumières Danse de l’évantail (Gaston Velle, F 1902), fest und vergleicht sie ferner mit der Bühnennummer «manteau magique», die von den «women-screens» aufgeführt wurde: Frauen, die mit ihren Kostümen auf der Bühne (und im Film) zu Projektionsflächen werden.

Was Métamorphose du papillon jedoch von anderen Filmen unter-scheide, ist, dass das Kleid und die Flügel die Farbe wechseln und die Kolorierung somit ein integrales Element des sich ändernden Kostümde-signs werde (vgl. ebd., 110), wobei das Kostüm als Double der Leinwand wirksam werde, ein «dynamic double», wie Uhlirova betont:

In several films, the costume quite literally demarcates the boundaries of the frame as it moves towards and away from it, rapidly mutating in shape, dra-pery and, often colour. […] Fanning out and sweeping across the screen, it asserts itself as the static screen’s dynamic double. And as such a conception of a spatially extended costume-as-screen is just as prominent, if not more literal, in many of the trick and féerie films by Méliès and Pathé Frères.

(Ebd., 102) Die Nähe des Kostüms der Serpentinentänzerinnen zu der kinematogra-fischen Leinwand ist der Eigenschaft zu verdanken, dass beide als

Bild-7 Metamorphose:

Der Schmetterling wird zur Tänzerin

59 Farbe und unbeständige Körper

träger funktionieren. Es kommt in beiden Fällen zu einem vergleichbaren Mechanismus der Bildentstehung: Sowohl auf das Serpentinenkleid als auch auf die kinematografische Leinwand wird ein visueller Inhalt pro-jiziert. Jedoch können die Serpentinentanzfilme nicht die bunten Lichtef-fekte, das Farblicht-Spektakel von der profilmischen Tanzbühne wiederge-ben. Aufgenommen wurden lediglich gut ausgeleuchtete Tänzerinnen auf schwarzweißem Filmmaterial. Dass Uhlirova dennoch über den Effekt von

«costume-as-screen» schreibt, bezieht sich auf den Einsatz der applizier-ten Farbe, genauer jenen Qualitäapplizier-ten der chromatischen Bildspannungen, wie sie in den vorherigen Abschnitten beschrieben wurden. Aufgrund der ostentativen Charakteristiken der auf das Kostüm im Bild aufgetragenen Farbe scheint diese die Diegese zu brechen und durchdringt die Materiali-tät des flachen Mediums.

Farbe und unbeständige Körper in L

A

D

ANSE DU FEU

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 56-61)