• Keine Ergebnisse gefunden

Kolorierter Trickfilm, transparente Motive und die Bildschichtung durch Mehrfachbelichtung

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 86-90)

L’H

ALLUCINATION DE L

ALCHIMISTE

(1897)

Zwei der frühen Trickfilme von Méliès – L’Hallucination de l’alchimiste (F 1897) und Le Chaudron infernal (F 1903) – demonstrieren den Ein-satz der Magie in Verbindung mit Sujets, die mit transparenten, veränder-lichen und phantomhaften Überlagerungen von Bildmotiven vorgeführt werden. In L’Hallucination de l’alchimiste befindet sich in einem Kabinett des Alchemisten mitten im Raum (und mitten im Bild) eine Retorte. Nachdem der Alchemist in seinem Stuhl eingeschlafen ist, kommt eine grüne Schlange in den Raum und verwandelt sich in einen Kobold.

Als der Alchemist kurz aus seinem Schlaf erwacht, hilft er dem Kobold, die Retorte auf Menschengröße anwachsen zu lassen.11 Zuerst erscheint in dem Gefäß eine große Spinne im Spinnennetz (Abb. 17). Ihr folgt eine rosa kolorierte Frau, die bis zu den Knien in einer Flüssigkeit steht (Abb. 18).

Es wird hier also nicht nur ein beliebtes Motiv übernommen, nämlich die menschliche Gestalt in einem Glas als eine Attraktion des Spiels mit dem Maßstab: Méliès geht vielmehr einen Schritt weiter, indem er der Flasche eine Flüssigkeit hinzufügt. Glas und wasserähnliche Flüssigkeit als trans-parente Materialien veranschaulichen hier dieselbe Lust an Schichtungen von Transparenzen. Als in der im Glas enthaltenen Flüssigkeit orangerot kolorierter Rauch aufsteigt, setzt sich das Anhäufen transparenter

Materi-10 So führt Talbot in Moving Pictures. How They Are Made and Worked das Kapitel zu den Trickfilmen mit expliziter Erwähnung von Méliès ein: «The trick-film owes its incep-tion to a well-known French prestidigitateur, Monsieur Méliès. He was among the first to embark upon the manufacture of film subjects, and it naturally occurred to him to impress magic into the service of the industry. […] he introduced all the devices known to the ‹Black Art›. Furniture danced upon the screen, and moved hither and thither about a room; skeletons gamboiled capriciously; weird displays of ‹Black Magic› were shown; all sorts of inanimate objects were imbued with life; dolls and toy animals and birds were given the semblance of natural action» (1912, 197 f.).

11 Wie in Le Spectre rouge werden hier ein Glasbehälter und insbesondere die Qualität der Transparenz zum Anlass für Tricks genommen.

85 L’HALLUCINATION DE LALCHIMISTE (1897)

alien und unbeständiger Körper im Film weiter fort (Abb. 19). Der Rauch strömt aus der Retorte (Abb. 20), gefolgt von einem weißen, transparenten Phantom, einem fliegenden Gespenst, das wohl auch durch Doppelbelich-tung in das Bild eingebracht wurde (Abb. 21). Hier erkennt man in der durchscheinenden Gestalt ein zweites Motiv, das in Magic – Stage Illusions and Scientific Diversions beschrieben wurde.

Die Lust am Spiel mit der Transparenz und dem Veränderlichen ist in diesem kurzen Film auffällig. Das Setting – das Kabinett eines Alche-misten – liefert einen naheliegenden Anlass für diverse faszinierende Transformationsabläufe. Dabei verspricht das Experimentieren mit chemi-schen Stoffen unerwartete Wirkungen, während die Alchemie das Ganze

17–20 Verschiedene Bildschichtungen in L’Hallucination de l’alchimiste (Georges Méliès, F 1897)

21 L’Hallucination de l’alchimiste (1897), die Nähe des Films zur Geisterfotografie

im Bereich der Magie und des Fantastischen verankert. Die Farbe unter-streicht in bedeutender Weise die Verdichtung der fotografischen Tricks, deren magische Überzeugungskraft aufgrund der Schichtungen des Bildes durch vielfache Einbelichtungen noch verstärkt wird.

Michael Taussig hat auf eine anthropologisch tief verwurzelte Auffas-sung von Farbe hingewiesen, derzufolge Farbe in unterschiedlichen kultu-rellen Kontexten eng mit Vorstellungen des Magischen assoziiert wird. Dies verdankt sich insbesondere ihrer Eigenart, zwischen dem Eindruck der Authentizität und der Täuschung zu oszillieren (vgl. 2006, 35). Unterschied-liche Faktoren bedingen diese Ambivalenz: die Uneindeutigkeit des Farb-eindrucks als eine subjektive oder objektive Eigenschaft, als einem physi-schen Körper zugehörig oder als eine von diesem unabhängige Qualität, die sich in Bezug auf das Licht immerwährend wandeln kann. Aus diesem Grund bezeichnet Taussig die Farbe als «magical polymorphous substance»

und «the metamorphosing substance of sorcery» (ebd., 45). Darauf basie-rend sieht er eine Affinität der Farbe zu transparenten Medien wie den Bild-scheiben der Laterna magica und schließlich auch zum Filmmaterial (vgl.

ebd., 50). Über eine ähnliche Qualität schrieb 1940 auch Sergei Eisenstein, als er eine Affinität des Films zu visuellen Metamorphosen festhielt (wie insbesondere zu jenen des Feuers) – ein Tatbestand, den Eisenstein «plas-mation» nannte (16) und den bereits Méliès in seinen Trickfilmen auslotete, als er die Farbe in seinen Filmen mit magischen Metamorphosen verband.12

L

E

C

HAUDRON INFERNAL

(1903)

Ein ähnliches Repertoire phantomhafter Gestalten in Kombination mit ephemeren Körpererscheinungen und Farbe greift Méliès auch in Le Chaudron infernal auf. Das Filmgeschehen findet vor einer Dekoration statt, wobei das Bild bräunlich getont erscheint und nur einzelne Teile des Dekors sowie die Figuren koloriert sind. Eine Frau wird von zwei Dämo-nen in Gefangenschaft gehalten und von einem der beiden in eiDämo-nen Kes-sel hineingeworfen und verbrannt (Abb. 22–23). Aus dem KesKes-sel lodert eine rot-orange kolorierte Flamme. Es werden noch zwei weitere Frauen

«verbrannt», woraufhin aus dem Kessel drei Rauchexplosionen erfolgen, die ebenfalls rot-orange koloriert sind. Aus jeder Rauchwolke erscheint mittels Doppelbelichtung ein weißes Phantom (Abb. 24–25). Die Geister schweben im Raum umher, über dem Kessel und über den Dämonen.13 In

12 Zur Idee der Magie im frühen Kino als «sichtbare Metamorphose» vgl. auch Tröhler 2016, 571.

13 Laurent Le Forestier gibt präzisere Angaben zur Handlung von Le Chaudron

infer-87 LE CHAUDRON INFERNAL (1903)

weißen Stoff gehüllt und mit den Armen schwingend, erinnern ihre Bewe-gungen an Serpentinentänze. Während die Phantome zu Boden fallen, werden sie zu Feuerbällen (Abb. 26).

So wie in L’Hallucination de l’alchimiste dient auch hier das mehrfach belichtete Bild – ein Prozesskomposit – als Basis der Kolorie-rung. Das Bild, das auf diese Weise entsteht, ist zusätzlich ein Material-komposit, sodass man insgesamt eine hybride Kompositstruktur vorfin-det. Interessant zu beobachten ist in Le Chaudron infernal, dass auch

nal und identifiziert den Dämon als ‹Belphégor›, der seine Opfer verbrüht, bevor sie als Phantome zurückkehren, um ihn zu quälen (vgl. 2002, 231).

22–25 Le Chaudron infernal (Georges Méliès, F 1903), Kombination von ephe-meren Körpererscheinungen und Farbe

26 Le Chaudron infernal (1903), hybride Kompositstruktur des Bildes:

Das einbelichtete Motiv der Phantome ist koloriert mit zwei aufeinander angebrachten Farblagen

Materialkomposite unterschiedliche Grade der Komplexität aufweisen können, wenn nämlich die applizierte Farbe selbst geschichtet wird. Dies ist üblicherweise der Fall bei viragierten oder getonten Filmen, die zusätz-lich hand- oder schablonenkoloriert sind (wie etwa Excursion dans la lune, Segundo de Chomón, F 1908), oder wenn eine Schicht der per Hand aufgetragenen Farbe über eine gleichmäßig gepinselte, bereits bestehende Farbe gelegt wird. Jacques Malthête beschreibt Letzteres in Le Chaudron infernal und in Voyage à travers l’impossible (Méliès, F 1904):

Comme on le voit, les coloris pouvaient être utilisés en mélanges (mélanges réalisés avant l’application ou directement sur la pellicule par superposition).

Ceci est particulièrement net dans le cas du rouge vif des flammes du Chau-dron infernal ou du Voyage à travers l’impossible, obtenu sans nul doute – comme le pourtour jaune des flammes le montre – par application d’un jaune vif sur toute la surface de la flamme, puis d’un magenta en son

centre. (Malthête 1984, 193 f.)

Die Abbildung 26 zeigt deutlich die hybriden Kompositstrukturen des Bil-des in Le Chaudron infernal: Einbelichtet sind Rauch und Phantome (und zwar übereinander); im Anschluss ist der Rauch koloriert worden – auch mit zwei aufeinander angebrachten Farblagen, wie Malthête dies beschreibt. Es verstärken sich also in dem genannten Fall die Schichtungen des schwarzweißen Bildes mit jenen des Farbauftrags in ihrem Komposit-charakter. Das Prinzip einer derartigen Fülle der geschichteten Bildstruk-tur kann zudem durch einen bestimmten Gebrauch von Dekors verstärkt werden. Dies soll im Folgenden gezeigt werden.

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 86-90)