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Intermedialität der visuellen Ideen im kolorierten Film vom Art nouveau zum Art déco

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 175-180)

Während die ornamentale Rahmung der Bilder von La Fée aux fleurs an die Pochoir-Motive des Art nouveau erinnert, setzt sich in den 1920er-Jahren die Nähe der kolorierten Filme zu den Praktiken der Grafik und

113–114 Mode sélection (F 1925)

115–116 Mode sélection (F 1925) und Modèles de printemps, ensembles d’après-midi création Philippe et Gaston (F 1926), Zentrierung der Bildkomposition durch Vignetten

somit– der Dekade entsprechend – dem visuellen Stil des Art déco33 fort.

Im Unterschied zum Romantizismus des Art nouveau, der häufig eine arkadisch-idyllische Welt entwarf, insbesondere durch die Dominanz einer floralen Ornamentierung, begrüßte und integrierte der Art déco als ein zukunftsweisender Stil die Errungenschaften des Maschinenzeit-alters (Fischer 2003, 12 ff.). Das nostalgisch-archaisch anmutende Orna-ment des Art nouveau wurde vertrieben und durch klare geometrische Formen ersetzt. Motivisch bedient sich der Art déco anstelle der Natur der Maschinen wie Flugzeuge, Züge oder Schiffe als Symbole des Fortschritts.

Schließlich reiht sich auch der Kinematograf in die sinnbildlichen Träger der Modernität ein.

Trotz der genannten Unterschiede bestehen bedeutende Gemein-samkeiten zwischen Art nouveau und Art déco. In der Grafik manifestie-ren sich beide als Flächenstile und sind von einem dekorativen Charakter geprägt. Zudem vereinen sie in sich die Massenproduktion, das Dekora-tive und das Populäre – und nicht zuletzt eine Assoziation mit der Frau als sinnbildlicher Trägerin der Massenkultur.34 In dieser Hinsicht überschnei-det sich die Verknüpfung von Art déco und seiner Adressierung weibli-cher Konsumentinnen in der Moderne mit einer ähnlichen Verknüpfung vom Kino und der Frau als seinem Zielpublikum; und nicht selten sind dabei Massenkultur wie auch Weiblichkeit negativ konnotiert, als Sinnträ-ger einer als minderwertiSinnträ-ger angesehenen Kultur:

[…] the notion which gained ground during the 19th century that mass cul-ture is somehow associated with women while real, authentic culcul-ture re-mains prerogative of men. The tradition of women’s exclusion from the realm of «high art» does not of course originate in the 19th century, but it does take on new connotations in the age of the industrial revolution and cultural mod-ernization. […] the hidden subject of mass culture is precisely «the masses»

[…]. In the age of nascent socialism and the first major women’s movement in Europe, the masses knocking at the gate were also women, knocking at the gate of a male-dominated culture. It is indeed striking to observe how the political, psychological, and aesthetic discourse around the turn of the century consistently and obsessively genders mass culture and the masses as 33 Über die Bezeichnung ‹Art déco› schreibt Lucy Fischer: «The name Art Deco has come to signify a popular international trend that surfaced between 1910 and 1935 and affected all aspects of world design: fashion, crafts, housewares, jewelry, furniture, architecture, and interior decoration. What is both significant and problematic about the term is that, although its use is now ubiquitous, it was not coined until 1960s – as an abbreviation of the hallmark Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Indus-triels Modernes, staged in Paris April through October 1925 […]» (2003, 11) .

34 Vgl. Fischer: «Most certainly, Deco’s fascination with Woman harks back to a similar gender fixation in Art Nouveau» (2003, 29).

175 Weiblichkeit, Massenkultur und das Dekorative

feminine, while high culture, whether traditional or modern, clearly remains the privileged realm of male activities. (Huyssen 1986, 47; Herv. i. O.) Des Weiteren sind sowohl die Massenkultur als auch Weiblichkeit in die-sem Sinne immer wieder mit dem Dekorativen, dem Kosmetischen, der Farbe und dem Ornament assoziiert. So beobachtet Elissa Auther, die die Jahrhundertwende und die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts als einen Zeitraum bezeichnet, in dem der Streit um die Differenzierung zwischen einer modernen Ästhetik und bloßer Dekoration akut gewesen sei:

Between 1897 and 1908 the decorative was transformed from that of a posi-tive feature of the Modernist aesthetics to its antithesis through the demoni-sation of mass culture, ornament, and femininity in the writing of critics such as Karl Scheffler and Adolf Loos. […] the ‹decorative›, like kitsch, referenced art forms that posed a threat to high culture. (Auther 2004, 341 ff.) Insbesondere als Konsumentin von Mode wurde die Frau in der Domäne des Kosmetischen und des Dekorativen situiert. Ihre Garderobe fungierte dabei sowohl als Schauplatz für Farbe als auch für Ornamente.35 Die Ver-bindung von Weiblichkeit, Massenkultur und dem Dekorativen ist wei-terhin eng mit dem Farbfilm verknüpft. Denn wie in den Modemagazi-nen wurde die SchabloModemagazi-nenkolorierung ebenso für die im Kino gezeigten Moderevuen benutzt. In der Tat waren die Revuen der Firmen Pathé und Gaumont neben den Reiseberichten eines der beiden Genres, die von den 1920er- bis zu 1930er-Jahren noch mithilfe der Pochoir-Technik koloriert wurden (Hanssen 2009, 107). Über die engen Wechselwirkungen zwischen der Verbraucherschaft, Mode, Frauen und Kino der 1910er- und 1920er-Jahre schreibt Eirik Frisvold Hanssen:

By 1910 every standard item of women’s clothing had become ‹ready-to wear›, and by the end of the 1920s mass-produced fashion was widely avail-able, making the marketing apparel more important to stores.

Fashion advertising became an important means of transmitting this new commercial aesthetic of colour, glamour, and the exotic to the average con-sumer. […]

Women were seen as the primary consumers of cinema, so there was an overlap in the target markets of the film, fashion, and cosmetic industries, resulting in the emergence of a culture of cross-promotion and ‹synergy› […].

Promotional strategies to advertise clothing often involved the careful amal-gamation of all three: the printed press, the department store, and cinema.

(Ebd., 112 f.) 35 Zu Frau und Ornament vgl. auch Echle 2016 und 2018.

Die Bedeutung von Werbestrategien der Kaufhäuser für die weibliche Kundschaft ergibt sich auch aus dem Tatbestand, dass diese mit einem Anteil von ungefähr achtzig Prozent deren hauptsächliche Kundschaft in der Art-déco-Epoche waren (vgl. Fischer 2003, 50). Die Kaufhäuser setzten auf «aggressive Verkaufstechniken» in ihrer Werbung (ebd., 51), und auch wenn sie in allen Medien Reklame platzierten, seien die Werbebotschaften der Kaufhäuser hauptsächlich in denjenigen Frauenzeitschriften zu finden gewesen, die sich auf Art-déco-Design stützten (vgl. ebd., 52).

Die Illustrationen der französischen Modezeitschriften wie etwa die mit Pochoir-Druckbildern illustrierten Gazette du bon ton, Journal des dames et des modes, Falbalas et fanfreluches, La guirlande des mois, Modes et manières d’aujourd’hui gehören zu den bekanntesten der Epoche. Mit dem flachen und dekorativen Einsatz von leuchtenden Farben nehmen sie eine Pionier-rolle in der Art-déco-Gestaltung ein. So gilt etwa die Gazette du bon ton als die innovativste illustrierte Zeitschrift der Epoche.36 Bedeutende Namen im Bereich der Grafik sind Georges Lepape, George Barbier, Romain de Tirtoff (Künstlername Erté) und Paul Poiret, deren Illustrationen den visu-ellen Stil der Epoche prägten.

Der grafische Stil des Art déco erwies sich zudem als besonders geeig-net für die Werbung: In der Beschreibung jener Merkmale des Art-déco-Stils, die in der Werbung Einsatz fanden, lassen sich die Eigenschaften der Collage feststellen, die bereits bei kolorierten Filmen beobachtet wurden:

Not only was the Deco style useful to marketers in linking products with the notions of the chic and elite, its design aesthetic (including zigzag lines, di-agonal motifs, abstract borders, asymmetrical layouts, fragmentation, mon-tage-like juxtapositions) was helpful in selling products. (Ebd., 49) Weiterhin weist die charakteristische Art-déco-Farbigkeit auch eine Ähn-lichkeit mit dem kolorierten Film auf, vor allem in der Koexistenz von monochromatischen und polychromen Stilistiken:

In keeping with Deco’s stark high-tech façades, color was often reduced to the basics: black, white, and silver. […] Interestingly, while in certain contexts colors were delimited to the white, black, and grey scale, in others […] Deco championed bold and saturated tones like vermilion, fuchsia, or apple green

[…]. (Ebd., 14)

Im Bereich der Illustration, insbesondere in Frankreich während der 1910er- und 1920er-Jahre, findet sich die Kombination von chromatischen

36 Siehe www.vam.ac.uk/content/articles/a/study-guide-art-deco/ (eingesehen am 29.07.2015): «Gazette du bon ton is considered the most innovative illustrated fashion magazine of the period.»

177 Weiblichkeit, Massenkultur und das Dekorative

und achromatischen Bildelementen vereint, um dadurch einen Bildeffekt zu erzeugen. Beispielhaft sind Paul Iribes schablonenkolorierte Mode-illustrationen in Les Robes de Paul Poiret von 1908, bei denen auf prominente Weise der Kontrast zwischen den Farben der Kleider und dem schwarz-weißen Umfeld genutzt wird (vgl. Abb. 73).

Damenmode ist auch eine Domäne vergleichbarer visueller Ideen im Film, vor allem in den schablonenkolorierten Filmen von Pathé und

117–118 La Mode (1925), die intermediale Nähe des Films zur Modeillustration wird durch das Aufschlagen einer Modezeitschrift betont

119–120 Die ovale Rahmung in der Modeillustration der Zeitschrift Art Goût Beauté (1922 und 1924)

Gaumont. Die Referenz zum Repertoire aus dem Bereich der Mode-illustration lässt sich insbesondere in jenen Filmbeispielen feststellen, bei denen das Vorführen der Mode durch Mannequins mit dem Aufschlagen einer Modezeitschrift eingeführt wird (Abb. 117–118). Diese intermedi-ale Nähe des Films zur Modeillustration schlägt sich im visuellen Stil der Filme selbst nieder, wenn die Perspektive von geringerer Bedeutung erscheint, da die Bilder durch Mehrfachbelichtung eine Collage ergeben, die eher für die Effekte der Fläche als eines einheitlichen Raums kon-zipiert erscheint. Solche Beispiele finden sich in Gaumonts und Pathés Moderevuen, die weibliche Modelle entweder fragmentiert oder ganz in eine ovale Form eingebettet zeigen, die wiederum in einen szenischen Hintergrund integriert ist (vgl. Abb. 110–114). Die ovale Rahmung als gestalterisches Mittel ist gleichermaßen in der Modegrafik der Maga-zine vorzufinden (Abb. 119–120). Die Kombination von Oval und Col-lage, von chromatischen und achromatischen Teilen des Bildes findet sich zudem in Bezug auf einzelne beworbene Produkte wie etwa Schuhe (Abb. 121–122), so wie die Beispiele aus einer Pathé-Moderevue und der Werbung aus der Zeitschrift Art Goût Beauté eine bemerkenswerte Ähn-lichkeit aufweisen. Die Nähe von Film und Grafik ergibt sich daher in einer vergleichbaren Verbindung von formalen und thematischen Merk-malen.

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 175-180)