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Farbe und Materialität in der Moderne

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 65-71)

diesem und anderen Trickfilmen hat auch die Handkolorierung oft etwas Schwebendes, Spukhaftes. Das Vibrieren der Farbe verweist dabei auf ihre Formbarkeit, Kontingenz und temporäre Materialität, die, wie der Rauch, das Feuer oder die Bewegungen von Serpentinentänzerinnen, schließlich Erscheinungen des Augenblicks bleiben. Das Phantomhafte des projizier-ten Filmbildes resultiert somit aus der nicht anhafprojizier-tenden und schweben-den Materialität der applizierten Farbe.

Farbe und Materialität in der Moderne

In der Kunst- und Kulturgeschichte des Okzidents teilten die Farbe und das Material in ihrer Bedeutung und Bewertung lange ein ähnliches Schicksal.

Galten sie doch als zweitrangig, als das Sekundäre im Vergleich zur Form und zur Idee. So wie Batchelor in seinem Buch Chromophobia eine Geschichte der ideologischen und praktischen Marginalisierung der Farbe in der west-lichen Gesellschaft erfasst hat, so haben mehrere zeitgenössische Kunst-historikerinnen und Kunsthistoriker auf eine vergleichbare Geschichte des Materials in der Kunst hingewiesen. Diese analoge Marginalisierung der Farbe und des Materials hat denselben ideologischen Ursprung und wird regelmäßig bis Platon zurückgeführt und somit bei der «Metaphysik des Schönen und der Theorie der Ideen» angesetzt (Didi-Huberman 2015, 42).

Dies bemerkt Didi-Huberman, wenn er über den Stellenwert des Materials in der Kunstgeschichte folgende Beobachtung macht:

In relation to material, it seems to me that the art historian is divided. On the one hand, material belongs to an order of concrete and direct evidence, in so far as it is the physical quality of every work of art: it tells us, quite simply, what the art object is made of. On the other hand, this concrete evidence is already contradicted by a spontaneous philosophy that underlies the art histo-rian’s training without his or her even recognizing it. Erwin Panofsky made such a philosophy quite explicit when he subjugated the entire history of art to the authority of the Idea. He imagined that history as a pure and sim-ple extension of Platonic questions […]. […] But today we can ask ourselves what sort of presupposition informs the problem, obviously crucial to all art objects, of material itself. We can deduce from the philosophical polarity Mat-ter/Form (ubiquitous in Plato, revived by Kant, and no doubt necessary to the art historian for the formulation of stylistics), or we can infer from the

de retrouver, parmi d’autres, le tremblé qui est l’essence du cinéma comme médium et dispositif, le tremblé comme mouvement pur, sans déplacement, sur-place infiniment instable, la vie même» (ebd., 237).

polarity Matter/Spirit (ubiquitous in Plato, revived by Kant, and no doubt necessary to the art historian for the formulation of an iconology) – that in each case material would be, in the best philosophical tradition, ‹secondary›,

‹potential›, or even ‹indeterminate›. (Ebd., 42 f.) An diese Feststellung Didi-Hubermans schließt auch Monika Wagner an, wenn sie schreibt, dass das Material erst in den jüngsten Diskursen zur ästhetischen Kategorie wird.37 In postmodernen Diskursen werde das Material nicht mehr als von der Idee und der Form separater Träger aufge-fasst, sondern als mit jenen unauflöslich verschränkt. Dieser Standpunkt-wechsel wurde keineswegs alleine innerhalb der akademischen Schriften initiiert, sondern vor allem von der Kunstpraxis des 20. Jahrhunderts ani-miert, welche die Wahrnehmung des Mediums unmittelbar auf die Wahr-nehmung des Materials lenkte (vgl. Wagner 2015, 26).

Neue synthetische Materialen der industriellen Konsumgesellschaft, das Interesse an den unbeständigen, beweglichen und flüchtigen Wahr-nehmungsphänomenen sowie die Abwendung von der figürlichen Dar-stellung sind einige Faktoren, die eine stärkere Fokussierung auf die mate-rielle Dimension eines Kunstwerkes prägen. An der Schnittstelle dieser Phänomene lässt sich auch der frühe kolorierte Film situieren. Die Ein-reihung des Films in den Kontext einer Ästhetik des Veränderlichen und des Material- und Prozessbetonten hängt nicht nur mit den abgebildeten Motiven der wandelbaren Körper zusammen, sondern auch mit dem Tat-bestand, dass man es mit dem Film zum ersten Mal mit einer bewegten Fläche zu tun hat, die an sich als ein Wandlungskörper verstanden werden kann. So verdichtet sich in den Serpentinentanzfilmen die Verbindung der Farbe mit den ephemeren Formen der Tanzschleier sowie mit einem neu-artigen Bildträger aus einerseits Zelluloid und andererseits Licht zu dem, was Dietmar Rübel als «prozessuale Materialität» (2012, 14) der Kunstpro-duktion des 20. Jahrhunderts bezeichnet bzw. als «eine Ästhetik, die am Beispiel veränderlicher Stoffe ein Spannungsverhältnis zwischen Materi-alität und Prozess thematisiert» (ebd., 23). Dabei zeichnen sich für Rübel prozessuale Materialien durch Instabilität aus und «formieren mit ihrem metamorphischen Fließen etwas anderes, als es die von einer abstrakten Philosophie inspirierten Begriffe zulassen» (ebd., 22).

Die Synergien veränderlicher und kontingenter Formen und Mate-rialitäten, so wie sie in Serpentinentanzfilmen vorkommen, sind paradig-matisch für die Moderne und stets im Zusammenhang mit den neuen

Pro-37 Entsprechend veranschaulichen die diversen Schriften Wagners den Versuch, eine Kunstgeschichte zu schreiben, die vom Material ausgeht und somit eine Neupositio-nierung der Materialität in der Kunstwissenschaft leistet.

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duktionsbedingungen der modernen Industriegesellschaften zu sehen. In diesem Kontext verortet Rübel eine steigende Tendenz zur «Plastizität, die zu Metamorphose fähig ist» (ebd., 8) sowie eine «‹formlose› Wendung der modernen Kunst, bei der das Liquide, das Amorphe, das Ephemere tra-dierte ästhetische Kategorien abschließt und zugleich überschreitet» (ebd., 7). Er präzisiert:

[S]eit 1900 kamen immer mehr Stoffe zum Einsatz, die sich gezielt einer Se-mantik des Ewigen, der Auffassung vom Kunstwerk als einem aller Zeitlich-keit Enthobenen und dinglich Unabänderlichen, widersetzten. […] Durch die Produktion und Einführung von neuen Waren aller Art seit dem frühen 19. Jahrhundert ist es […] mit einer Normalwahrnehmung der stofflichen Welt vorbei. Jede Substanz wird zum Rohstoff, ja die Menschen beginnen damit, vorhandene Stoffe zu optimieren und synthetische Materialien zu er-finden, nur um neue Dinge zu produzieren. Dies ist der Moment, in dem Materialität zum Ereignis wird und eine eigene Begrifflichkeit erhält.

(Ebd., 9 ff.) Sowohl das Zelluloid als auch die im kolorierten Film verwendeten Ani-linfarben gehören zu den neuen Stoffen, die im 19. Jahrhundert erfun-den wurerfun-den und nun erfun-den Geist und das Angesicht der Moderne prägen.

Matthew Solomon merkt an, dass das Zelluloid, eines der ersten künstli-chen Plastikmaterialien, «zu Beginn des Jahrhunderts teilweise synonym für ‹Kino› stand» (Solomon 2011b, 85). Das Material konnte beliebig ein-gefärbt werden, es war assoziiert mit leichter Formbarkeit, aber auch mit hoher Entflammbarkeit (vgl. ebd., 88). Solomon verweist daher in seiner Untersuchung der frühen Trickfilme auf einen Zusammenhang zwischen der instabilen, formbaren und bunten Materialität des Zelluloid-Filmträ-gers und dem häufigen Vorkommen von Explosionen und Feuermotiven in diesen Filmen, was er als eine Form der Selbstreflexivität des Mediums ansieht (vgl. ebd., 89).

Die rasante Verbreitung von synthetischen Färbemitteln im ausge-henden 19. und frühen 20. Jahrhundert führte ihrerseits dazu, dass man um die Jahrhundertwende von der «Farbrevolution» und «Farbzivilisa-tion» sprach (vgl. Blaszczyk 2012, 1; Gunning 1995, 251). Die Anilinfarben fanden Einsatz in solch diversen Bereichen wie Textilindustrie, Druckme-dien sowie in der Laterna magica und schließlich auch im Film, in dem sie ungefähr drei Jahrzehnte lang verwendet wurden. Häufig als bunt, grell und vulgär beschrieben, machen sie jedoch die Lust der damaligen Gesell-schaft an der Farbe deutlich. Nicht zuletzt exemplifizieren sie einen Ein-satz der Farbe um der Farbe willen, sodass man in vielen Fällen von einer zum Ereignis gewordenen Materialität sprechen kann.

Eine derart flüchtige und ostentative Materialität hat den Geist der neuen populären und industriellen Ästhetik verinnerlicht, einer Ästhe-tik, die die Kategorien der Autonomie des Kunstwerks, der Kontem-plation sowie der Dauer und Beständigkeit überschreitet und infolge-dessen mit den klassischen Kunstidealen bricht. Das Ereignishafte der modernen Materialität steigert sich in den Serpentinentanzfilmen dank der Liaison von bewegter Lichtfläche, unaufhaltsamen Metamorphosen des abgebildeten Körpers und einer ebenso immerwährend sich ändern-den ostentativen Farbigkeit. Das Ergebnis ist eine multiple Attraktion, welche die Unauflösbarkeit von Bildlichkeit und Materialität feiert. Die Ebenen von Darstellung und Darstellendem überlagern sich in flüch-tigen Bewegungseffekten, und genau in diesem Gefüge bietet sich die Farbe besonders augenfällig sowohl als Material als auch Inhalt dieser Filme dar.

Die Materialität und die Farbe, die hier ständig auf sich selbst ver-weisen, erscheinen als eine Art Vorankündigung der modernen Farbäs-thetik, wie sie nicht nur für die populäre visuelle Kultur, sondern ebenso für die bildnerische Moderne des 20. Jahrhunderts charakteristisch wird.

Auch im Film setzt sich vor allem die Avantgarde mit der Farbe als einer mit sich selbst identischen Materie auseinander, und die Beschäftigung mit dem Verhältnis Farbe-Fläche erweist sich als ein wesentliches Gebiet des künstlerischen Handelns. Dabei wird die Farbe von der figürlichen Darstellung abgekoppelt, ihrer rein sinnlichen Qualität wird eine zent-rale Bedeutung zugemessen, und sie steht nicht mehr unter dem strengen Zwang, ihre Materialität zugunsten einer Illusionsästhetik aufzugeben.

Als Beispiele seien die Brüder Corradini genannt, die in ihren futuris-tischen Filmen aus den 1910er-Jahren die Filmstreifen direkt mit Farbe bemalten, um die autonomen Dimensionen der bewegten Farbe zu erkun-den. Der absolute Film Walter Ruttmanns in den 1920ern und die Filme Len Lyes in den 1930ern (A Colour Box, GB 1935) setzten diese Bestre-bungen fort.

Wichtiger jedoch, als in den Serpentinentanzfilmen Vorläufer von Elementen der avantgardistischen Bildlichkeit zu erkennen – zumal man hier keine Genealogie des direkten Einflusses nachzeichnen kann –, ist es, den gemeinsamen Kontext zu erfassen, in dem sowohl die populäre visu-elle Kultur als auch die Avantgarde entstehen. Jene beiden unterschiedli-chen Richtungen formieren sich nämlich zeitgleich, wie Clement Green-berg dies beobachtet:

Wo es eine Avantgarde, das heißt eine Vorhut gibt, finden wir im allgemei-nen auch eine Nachhut. Und in der Tat, gleichzeitig mit dem Auftreten der

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Avantgarde entstand im industrialisierten Westen ein zweites neuartiges Kulturphänomen – jene Sache, der die Deutschen den wunderbaren Namen

‹Kitsch› gegeben haben. (Greenberg 2007, 205)

Sei es nun die teils als Kitsch betrachtete Populärkultur oder die Avant-garde – beide wirkten gegen das Repertoire der klassischen Ästhetik, indem sie mit deren Kategorien abrechneten. Dank neuen Produktions-prozessen, Stoffen und schließlich auch Medien rückten das Sinnliche, die ostentative Oberfläche, die Materialität und das Ephemere in den Vorder-grund als neue bedeutende Kategorien der ästhetischen Erfahrung. Das Spannungsverhältnis von Farbe, Fläche und Materialität im frühen Film liefert in dieser Hinsicht eine paradigmatische Sinnfigur der modernen Bildlichkeit.

II. Trickfilme und Féerien –

Schichtungen und Transparenzen des

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