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der Bildschichten in Serpentinentanzfilmen

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 49-52)

Die Ereignisästhetik der Serpentinentanzfilme schöpft aus den unter-schiedlichen Qualitäten der Bildspannung, die durch die Kombination der schwarzweißen und farbigen Filmschicht zustande kommen. Zwei jüngere Beschreibungen der Ästhetik dieser Filme verweisen auf unterschiedliche Wirkungen der kombinierten chromatischen und achromatischen Bildele-mente. Gleichwohl ob diese nun als konkurrierend oder eher als zusam-menwirkend beschrieben werden, erweist sich ihre äußerst dynamische Interaktion als konstitutiv für den Attraktionscharakter der Bilder. Das Spannungsverhältnis zwischen der Farbe und der schwarzweißen Bildba-sis fasst Jacques Aumont in seiner Beschreibung der Serpentinentanzfilme als einen Konflikt, als eine Rivalität zwischen den chromatischen und den nicht-chromatischen Bildregimes auf:

15 Vgl. Laurent Mannoni und Donata Pesenti Compagnoni, die in ihrem Buch über die Laterna magica und den bemalten Film solch ein Beispiel eines chromolithografischen Films mit dem Motiv von Loïe Fuller geben (2009, 256).

16 Vgl. hierzu den vorher genannten Unterschied zwischen den Verben ‹kolorieren› und

‹färben›.

[E]lle [die Kolorierung] consiste au fond à annuler la non-couleur par une couleur qui provient du plus pur arbitraire, et la coexistence entre le gris17 et

«sa» couleur sera toujours éprouvée comme un conflit, violent. D’où l’étran-geté des «vues» primitives dans lesquelles certaines zones seulement de l’image sont coloriées: soit on y a l’impression que des feux follets ont pris possession de certaines zones de l’image […]; soit au contraire, et cela est en-core plus troublant, on a le sentiment de zones qui résistent à la couleur, qui ne veulent rien en savoir, où continue d’exister un autre monde, plus réel ou moins réel, selon les cas. (Aumont 1995, 42; Herv. i. O.) Die beiden Bildregimes, das Schwarzweiß und die Farbe, welche durch den hybriden Charakter des kolorierten Filmes als zwei separate und kon-kurrierende Entitäten überhaupt erst manifest werden können, werden in dieser Beschreibung entsprechend als eigenständige Instanzen verstan-den. Das beschriebene Zusammenwirken von unterschiedlichen Schichten beim gleichzeitigen Wahrnehmen ihrer Einzeldimensionen erweist sich somit als einer der zentralen ästhetischen und analytischen Verdichtungs-punkte des kolorierten Filmbilds. Interessanterweise bleibt der Eindruck des Zugefügten von applizierter Farbe (ob partielle Handkolorierung oder monochrome Einfärbung) nach Aumont selbst dann wirksam, wenn an die Stelle einer Auffassung der Farbe, die das schwarzweiße Bild überla-gert, die Vorstellung einer Farbe tritt, die nicht nur auf der Oberfläche der schwarzweißen Schicht bleibt, sondern diese auch durchdringt und sich in sie einschreibt. Es bestehen nämlich laut Aumont zwei Auffassungen, nach denen die Farbe den grauen Film betreffen kann: Sie kann auf ihm liegen als zweiter Film auf dem Film, zweite Schicht auf der Schicht, oder sie kann sich in seine Masse imprägnieren, sein Volumen durchdringen18 (ebd., 42). In beiden Fällen bewirke jedoch die Wahrnehmung von appli-zierten Farben, so Aumont, den Eindruck eines Anstrichs:

17 Mit dem grauen Film meint Aumont das, was in dieser Arbeit und gemeinhin als der schwarzweiße Film bezeichnet wird. Indem er den Träger als grau auffasst, geht Aumont bei dem materiellen Filmträger bereits von der Auffassung des Zelluloids und der Emulsion als Entität aus.

18 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Aumont hier von den ‹Phantasmen›, von den Vor-stellungen spricht. So kann man die Virage einerseits als in die Emulsion imprägniert oder andererseits auf die Emulsion aufgetragen verstehen. Er schreibt: «[L]a coexis-tence agitée entre la couleur et son absence a revêtu deux grandes formes, rattachables à deux imaginaires concurrents: un imaginaire de la pellicule ou de la surface, un ima-ginaire de l’épaisseur. La couleur peut affecter le film gris de deux grandes façons: soit en se déposant sur lui, second film sur le film (‹film›, ne l’oublions jamais, veut dire

‹pellicule› – donc ‹petite peau›), soit en l’imprégnant dans sa masse et son volume, si mince soit-il» (Aumont 1995, 42).

Bei den monochromen Verfahren der Tonung und der Beizung ist die Vorstellung einer Imprägnierung in die Emulsion naheliegender. Bei diesen Verfahren werden die Silber-salze der Emulsion durch die Kolorierungssubstanz ersetzt.

49 Farbspannung in Serpentinentanzfilmen

[L]e monochrome dans l’image de film induit toujours un fantasme de couche, de feuilletage, de pellicule, soit que l’on imagine une épaisseur colo-rée (traversable) qui serait celle de toute la pellicule, soit qu’au contraire on ressente comme une couche déposé à l’avant d’une image grise, comme une sorte de film sur le film. […] Le monochrome, et davantage encore le film qui mêle le gris et la couleur, engage la problématisation de l’épaisseur visuelle de l’image transparante, de sa pénétrabilité par le regard. (Ebd., 43; Herv. i. O.)19 Die Vorstellung einer Durchdringung, einer Imprägnierung der Farbe in die grafischen Schichten des Films – die Aumont hier kurz vorstellt – indi-ziert bereits eine Nähe zur Interpretation von Philippe Dubois, der die Kombination von Farbe und Schwarzweiß in den Serpentinentanzfilmen als ein symbiotisches Verhältnis ansieht. Dubois’ Auslegung der Farbigkeit in den Serpentinentanzfilmen konstatiert eine Steigerung der Interaktion der unterschiedlichen Schichten des Filmes. Er versteht sie nicht nur als das Verhältnis der Materialität der Farbe zu jener des physischen Trägers, sondern weitet sie auch auf die Interaktion der Farbe mit dem Bildmotiv aus.20 Da in Serpentinentanzfilmen die Farben nach nicht vorhersehbaren Prinzipien einander folgen, schlägt Dubois vor, von einer immerwähren-den und sich verwandelnimmerwähren-den Farbigkeit («fondu chromatique perpétuel») zu sprechen (1995, 78; Herv. i. O.). Dabei komme es zu einer Spaltung zwi-schen den Schwingungen und Drehungen des Tanzes und den intrinsi-schen Bewegungen der Farbe:

Indépendants les uns des autres, ces deux mouvements finissent pourtant par fusionner, mais étrangement, créant une sorte de «corps-couleur» origi-nal, fait à la fois de la matière colorée en devenir et la matière corporelle pro-prement dite de la chorégraphie. (Ebd.; Herv. i. O.) Dubois erkennt einen Unterschied zwischen der Kolorierung der Kostüme in anderen Filmen, etwa in Un Drame à Venise (Lucien Nonguet, F 1906), in dem die Farbe als auf der Kleidung der Personen aufgetragen erscheine, und der Kolorierung der Serpentinentänzerinnen andererseits:

19 Eine zugespitzte Idee von den visuellen Stofflagen des transparenten Bildes und seiner Durchdringbarkeit durch den Blick («de l’épaisseur visuelle de l’image transparante, de sa pénétrabilité par le regard») wird im folgenden Kapitel u. a. insbesondere am Bei-spiel von Le Royaume des fées untersucht. In dem Film, so mein Argument, verquickt sich die Gestaltung der Mise en Scène mit den diversen Variationen von Bildschichtun-gen – formalen und profilmischen – zu einem visuellen Komplex, der sich als die Insze-nierung von unterschiedlichen Stofflagen des Bildes verstehen lässt.

20 Vgl. in Hinsicht auf die Verbindung der Materialität und des Motivs Finke/Halawa 2012. Für sie markiert die Materialität als critical term «gerade einen jener Punkte, an denen Phänomenologie und Semiotik jeweils an ihre eigenen Grenzen kommen und auf wechselseitigen Austausch angewiesen sind» (ebd.,18).

[L]a figure de la Danse serpentine donne ainsi l’impression d’une variation colorée intérieure, beaucoup plus organique, venant du dedans du corps voilé en mouvement, créant une symbiose entre mouvements choréographiques et chromatiques: la couleur est visée au corps-mouvement, faisant événement au même titre que lui, dans la même chair. (Ebd.; Herv. i. O.) Was Dubois hier evoziert, ist ein Modell der organischen Farbigkeit – des Inkarnats, der Hautfarbe. Sein Modell des Inkarnats entnimmt er folgen-der Beschreibung Georges Didi-Hubermans:

Das Inkarnat wäre also, als anderes Phantasma, das aktive und übergehende Kolorit. Ein Geflecht aus der körperlichen Oberfläche und Tiefe, ein Geflecht aus Weiß und Blut […]. Aber es ist sozusagen ein verzeitlichtes Geflecht: wobei der farbmäßige Übergang nur eine ununterschiedene, immer unvorherseh-bare Dialektik zwischen Erscheinung (epiphasis) und Schwinden (aphanisis)

ist. (Didi-Huberman 2002, 27; Herv. i. O.)

Mit diesem Verständnis der Farbigkeit als Inkarnat ist für Dubois mithin in den Serpentinentanzfilmen etwas wie eine Überschreitung, eine Überwin-dung des Konflikts Schwarzweiß und Farbe gegeben, indem nämlich ein Drittes entsteht. Wesentlich für das Inkarnat ist dabei, dass die chromati-schen und achromatichromati-schen Bildelemente trotz der entstandenen Symbiose dennoch gleichzeitig in ihrer Fusion und Unabhängigkeit wahrgenommen werden.

Weil das Inkarnat als Kolorit auf ein Fluktuieren der Wahrnehmung zwischen den Teilen und dem Ganzen verweist, ist es einer eingehenderen Untersuchung wert, und zwar nicht nur als ein konkretes Farbphänomen bzw. eines der Wahrnehmung, sondern auch als Denkfigur – als das Funk-tionsprinzip – einer aktiven und dynamischen Farbigkeit.

Im Dokument Film Farbe Fläche (Seite 49-52)