• Keine Ergebnisse gefunden

4.4 Ergebnisse der formalen Analyse

4.4.1 Kollexeme im Y-Slot

Zunächst wurden Kollexeme – also mit einer konkreten Position in der syntaktischen Struktur assoziierte Elemente, hier operationalisiert als Typen der verwendeten Lemma-Annotation – im Y-Slot untersucht. Interessant ist dabei die Frage, inwieweit sich die Y-Kollexeme in den Strukturen [Xmacht Y] und [Xmacht Y AP] unterscheiden. Tabel-le 4.4 zeigt die 20 am stärksten mit dem Y-Slot der Struktur [X macht Y] assoziierten Kollexeme, geordnet nach der Kollostruktionsstärke (dem negativen dekadischen Loga-rithmus des p-Wertes des Fisher-Yates-Tests, vgl. Stefanowitsch/Gries, 2005: 7). Inter-pretiert werden, wie bereits im Abschnitt 2.3.1 ausgeführt, nicht die absoluten Werte der Kollostruktionsstärke, sondern die sich daraus ergebende Rangfolge der Kollexeme.

Dabei fällt auf, dass die absoluten Frequenzen bereits sehr niedrig liegen (die To-kenfrequenzen der jeweiligen Lemmata im Y-Slot der Struktur ist in der Spalte „beob.

Y“ angegeben, außerdem grafisch dargestellt im linken Panel von Abbildung 4.3 auf Seite 74). Insgesamt gibt es 174 verschiedene Typen von Y-Kollexemen, bei insgesamt 422 Tokens3. Viele der Äußerungen können als Funktionsverbgefüge klassifiziert werden, wenn man die Existenz eines parallelen und bedeutungsähnlichen Vollverbs als Kriterium nimmt – für die Kollexeme in der Tabelle 4.4 etwa gebrauchen, sich sorgen, ermutigen, angeben und zugestehen. Erfahren und beeindrucken könnten aufgrund der morpholo-gischen Verwandtschaft berücksichtigt werden, tatsächlich ist es jedoch mit Ausnahme eines Belegs für [X macht Eindruck auf NPAKK] nur schlecht möglich, die jeweiligen Äußerungen mit diesen Verben zu paraphrasieren.

Schaut man sich die Belege für die jeweiligen Kollexeme in der Tabelle einzeln an, werden schnell weitere Tendenzen deutlich:

3Diese Zahl weicht von den in der Tabelle 4.2 angegebenen 420 Tokens für die Struktur [XmachtY] ab, da in einigen Fällen mehrere Nomina im Y-Slot koordiniert sind wiePolitik und Geschichteim Satz Für ihn machen nach wie vor die großen Männer Politik und Geschichte(tiger_release_dec05_1236, tokens 2370 - 2381). Daher ist die Gesamtzahl der Y-Kollexem-Tokens höher als die Tokenfrequenz der Struktur [Xmacht Y]. Gleiches gilt für die Struktur [Xmacht Y AP].

Y-Lemma Freq. Y beob. Y erw. Y Koll.stärke

Hehl 8 8 0,05 17,72

Gebrauch 18 8 0,11 13,10

Sorge 77 11 0,47 11,71

Erfahrung 102 11 0,63 10,35

Mut 29 7 0,18 9,36

Eindruck 70 9 0,43 9,27

Angabe 390 16 2,40 8,41

Prozeß 171 11 1,05 7,94

Sinn 107 9 0,66 7,61

Zugeständnis 31 6 0,19 7,47

Luft 68 7 0,42 6,65

Runde 49 6 0,30 6,23

Tugend 5 3 0,03 5,64

Strich 17 4 0,10 5,50

Aufwartung 2 2 0,01 4,42

Furore 2 2 0,01 4,42

Garaus 2 2 0,01 4,42

Urlaub 34 4 0,21 4,25

Abstrich 13 3 0,08 4,20

Spaß 14 3 0,09 4,10

Tabelle 4.4:Die 20 am stärksten mit dem Y-Slot der Struktur [XmachtY] assoziierten Kollexeme, geordnet nach der Kollostruktionsstärke.

Legende: „Y-Lemma“ = im Y-Slot der Struktur vorkommendes Lemma, „Freq. Y“

= Tokenfrequenz des Lemmas im gesamten Korpus, „beob. Y“ = beobachtete To-kenfrequenz des Lemmas im Y-Slot der Struktur, „erw. Y“ = erwartete Tokenfre-quenz des Lemmas im Y-Slot der Struktur, „Koll.stärke“ = Kollostruktionsstärke:

–log10(pFisherYates)

So sind die acht Vorkommen von Hehl allesamt Fälle der sehr spezifischen Struktur [X macht kein(en) Hehl aus NPDAT]; die Tabelle zeigt außerdem, dass Hehl im Korpus ausschließlich in dieser Struktur vorkommt. Dies wiederum ist der Grund für den relativ hohen Wert der Kollostruktionsstärke, der das KollexemHehl auf die erste Rangposition bringt.

Auch das mit 16 Vorkommen häufigste Kollexem, Angabe, ist offenbar Teil einer spe-zifischeren Struktur. Angabe kommt ausschließlich im Plural vor und ist in 15 von 16 Fällen mit einer Negation verbunden, und zwar entweder mit einer Negation von Anga-bendurch keine (11 Vorkommen) oder mit einer Negation des Verbsmachen durchnicht (4 Vorkommen). Außerdem sind 6 von 16 Vorkommen Passiv-Strukturen wie in (56) – das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass Passiv-Vorkommen insgesamt nur 22 der 420 Belege für die Struktur [X macht Y] ausmachen.

(56) Keine Angaben wurden über die Art des Schadens gemacht (tiger_release_dec05_296, tokens 38 - 46)

Noch häufiger, nämlich in 8 von 11 Fällen, kommtProzeß in Passiv-Stukturen vor, die in 7 Fällen dem Muster des Belegs (57) folgen. Der achte Beleg sowie ein Infinitivsatz sind Vorkommen der Wendung [Xmacht kurzen Prozeß].

(57) Am 20 . November 1896 wurde ihm der Prozeß gemacht (tiger_release_dec05_0_283, tokens 801 - 810)

Eine andere, nämlich lexikalische Auffälligkeit, liegt bei dem Kollexem Gebrauch vor.

Gebrauchin der Struktur [Xmacht Y] ist in vier von acht Fällen mit einem Kompositum von Recht verbunden: [X macht (keinen) Gebrauch von (seinem|ihrem)

(Vorverkaufs-|Frage-|Wahl-)Recht]. Als weitere Nomina in der von-Präpositionalphrase sind Möglich-keit undRichtlinienkompetenz zu beobachten, die ebenfalls als Recht im Sinne einer ‚von einer Instanz gewährten Berechtigung‘ interpretiert werden können. Die restlichen Fälle, Ermessen und davon, sind diesbezüglich nicht eindeutig, aber insgesamt deuten diese Beobachtungen auf eine sehr spezifische Verwendung der Struktur [X macht (keinen) Gebrauch von NPDAT] hin.

Ähnliches ist im Fall von Luft zu beobachten: Häufig ist eine negative Emotionen denotierende (Unmut, Wut) oder konnotierende NP (Herzen, Klagen) Teil der Struktur wie in den Belegen (58) bis (62).

(58) So macht Fraktionsgeschäftsführer Peter Struck seinem Herzen Luft (tiger_release_dec05_1148, tokens 649 - 656)

(59) daß Delegierte nicht nur ihren Klagen über die „ schlampige “ Vorbereitung wichtiger Anträge Luft machen (tiger_release_dec05_517, tokens 460 - 475) (60) per Telefon ihrem Unmut über den Mathematikunterricht Luft machen

(tiger_release_dec05_347, tokens 226 - 234)

(61) daß auf dem Parteitag reihenweise Sozialdemokraten ihrer Wut Luft machen würden (tiger_release_dec05_747, tokens 147 - 157)

(62) die ihrem Unmut draußen vor der Tür des Stadthauses mit Spruchbändern und Flugblättern Luft machten (tiger_release_dec05_351, tokens 999 - 1013) Die Information über eine negative Emotion muss dabei offenbar nicht zwingend in der Dativ-NP kodiert sein, wie das Beispiel (63) zeigt:

(63) In Mannheim hat sich eine gedemütigte , der Querelen überdrüssige SPD Luft gemacht (tiger_release_dec05_947, tokens 6 - 18)

Aufgrund der geringen Korpusgröße gibt es nur wenige Fallzahlen für die Struktur [X macht NPDAT Luft]; dennoch können diese Beobachtungen als Indiz für das von Stubbs (1995: 24) als „negative semantic prosody“ bezeichnete Phänomen gewertet werden.

Das Kollexem Sorge kommt – wie auch Zugeständnis und Abstrich – ausschließlich im Plural vor, in vier von elf Fällen negiert als keine Sorgen, entgegen einer möglichen Erwartung im Sinne des o. g. genannten Funktionsverbs allerdings nur in sieben von elf Fällen reflexiv als [Xmacht sich Sorgen].

Mut kommt in der Struktur [Xmacht Y] erstens ohne Artikel und zweitens in Verbin-dung mit einer Nominalphrase im Dativ vor: [Xmacht NPDAT Mut]. Allerdings gibt es hier nur zwei Belege, die mitermutigen einigermaßen gut paraphrasierbar wären, da eine konkrete Handlung (etwa auszusagen) angeschlossen wird, zu der eine Person ermutigt werden kann.

Die restlichen Kollexeme in der Tabelle 4.4 sind jeweils Teil von mehr oder weniger festen Wendungen, die entweder aus einer Kombination von (artikellosem) Lemma und dem Verb machen bestehen wie Urlaub machen und Furore machen oder komplexer sind wie die Strukturen [X macht NPDAT einen Strich durch die Rechnung] (alle vier Vorkommen vonStrich) oder [Xmacht aus der Not eine Tugend] (alle drei Vorkommen von Tugend).

Insgesamt scheint es nicht wirklich gute typische Kollexeme vonmachen in der Struk-tur [X macht Y] zu geben, eher ist machen hier Teil anderer, eigenständiger Struktu-ren. Dieser Befund wird auch durch die grafische Darstellung der Frequenzen im linken Panel in Abbildung 4.3 unterstützt: Während man für die Kollexeme innerhalb einer einheitlichen Struktur (oder einer hypothetischen Konstruktion) eine deutliche Zipf’sche Verteilung erwarten würde (vgl. Abschnitt 2.3.3), nehmen die Frequenzen der Kollexeme im Y-Slot von [Xmacht Y] fast schon linear ab.

Abbildung 4.3: Die jeweils 30 häufigsten Kollexeme im Y-Slot der Struktur [X macht Y] (linkes Panel) und in der Struktur [X macht Y AP] (rechtes Panel), geordnet nach der Frequenz

Ein völlig anderes Bild bietet das rechte Panel von Abbildung 4.3, in dem die 30 häufigsten Kollexeme im Y-Slot der Struktur [Xmacht Y AP] dargestellt sind: Die häu-figsten drei Kategorien sind um ein vielfaches frequenter als die folgenden, außerdem sind die Elemente ab Rangplatz 26 bereits nur einmal belegt.4 Es handelt sich hier also

4Deswegen ist hier eine Auswertung der Kollostruktionsstärke nicht sinnvoll, denn diese hängt bei nur einmal in der Zielstruktur vorkommenden Elementen direkt von der Gesamtfrequenz des jeweiligen Lemmas im Korpus ab.

eine extrem schiefe Verteilung. Schaut man sich die Elemente aber genauer an, so werden die vorderen Rangplätze einerseits durch sich und andererseits durch die in Abschnitt 4.3.2 vorgestellten nicht-lexikalischen Kategorien LEER, SATZ und es+SATZ belegt.

Eine sinnvolle Aussage über typische Kollexeme im Y-Slot der Struktur [X macht Y AP] ist anhand dieser Daten nicht möglich. Sieht man sich die komplette Liste aller Y-Kollexeme an, lässt sich allerdings feststellen, dass diese überwiegend auf Abstrakta, oder aber auf Personen oder personalisierbare Institutionen verweisen. Zweifelsfreie Re-ferenzen auf echte Konkreta sind mit den einzigen Elementen Lachmuskeln, das starre Material, Ohren, Ruine, Wein, Alkohol und Zigaretten sehr selten.

Auch die Frage 2 nach der Variation in den einzelnen Slots kann durchaus beantwortet werden: Die lexikalische Variation im Y-Slot der Struktur [X macht Y AP] ist extrem hoch, davon zeugen die vielen nur einmal vorkommenden Kollexeme. 387 Y-Kollexem-Tokens5 verteilen sich auf 209 verschiedene Lemmata, die Type-Token-Ratio ist also höher als im Fall der Struktur [X macht Y] (dort liegt sie bei 174 Types zu 422 Tokens, s. o. auf S. 71).

Außerdem lässt sich feststellen, dass sich die im Y-Slot der Struktur [Xmacht Y AP]

vorkommenden Kollexeme deutlich von denen in der Struktur [XmachtY] unterscheiden:

Unter den 30 häufigsten Kollexemen ist kein einziges, das in beiden Strukturen häufig vorkommt, wenn man von den unspezifischen alles und alle absieht. Alles gehört zwar zu den häufigsten Kollexemen in der Struktur [Xmacht Y], zählt jedoch aufgrund seiner generell hohen Frequenz nicht zu dem am stärksten mit dem Y-Slot der Struktur [X macht Y] assoziierten Kollexemen, wie die Tabelle 4.4 zeigt. Ähnlich verhält es sich mit alle, das ohnehin nur zweimal in der Struktur [X macht Y AP] vorkommt, und nur aufgrund der insgesamt extrem geringen Tokenfrequenzen der einzelnen Kollexeme den Häufigkeitsrang 20 belegt, im Gegensatz zualles mit einem Vorkommen auf dem letzten Rangplatz.

Die Kategorie SATZ dagegen kommt in der Struktur [X macht Y] nur zweimal und damit signifikant seltener als erwartet vor (die aufgrund der Gesamtzahl der Komple-mentsätze im Korpus erwartete Tokenfrequenz liegt bei 31,63). Demzufolge wird SATZ durch die Kollexemanalyse als „repelled collexeme“ (vgl. Stefanowitsch/Gries, 2003: 214) für die Struktur [X macht Y] eingestuft, während sie im Y-Slot von [X macht Y AP]

signifikant häufiger vorkommt als erwartet (die erwartete Tokenfrequenz liegt hier bei 27,20 – gegenüber einem beobachteten Wert von 49). Die Kategorie SATZ kann damit als distinktiv gelten (vgl. Stefanowitsch/Gries, 2009: 946). Die beiden Strukturen [Xmacht Y AP] und [X macht Y] können also auch anhand der in den jeweiligen Y-Slots vor-kommenden Kollexeme auf einer rein formalen Ebene deutlich voneinander abgegrenzt werden.

Für die Struktur [X macht Y AP] ist es aufgrund der in Abbildung 4.3 sichtbaren Verteilung der Y-Elemente sinnvoller, die Variation im AP-Slot sowie die ko-varrierenden

5Diese Zahl weicht von den in der Tabelle 4.2 angegebenen 377 Tokens für die Struktur [X macht Y AP] ab, da in einigen Fällen mehrere Nomina im Y-Slot koordiniert sind wie in Alkohol und Zigaretten apothekenpflichtig zu machen (tiger_release_dec05_0_223, tokens 52 - 57). Daher ist die Gesamtzahl der Y-Kollexem-Tokens höher als die Tokenfrequenz der Struktur [Xmacht Y AP].

Gleiches gilt für die Tokenzahl der Kollexeme im AP-Slot (s. u.).

Kollexeme im Y- und AP-Slot zu untersuchen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob sich sowie die nicht-lexikalischen Kategorien LEER, SATZ und es+SATZ auch in Bezug auf die mit ihnen assoziierten Adjektiv-Kollexeme auffällig sind.