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Kodierarbeit und die Verwendung von Memos

5 Methoden und Forschungsprozess

5.7 Datenauswertung: Video-Interaktions-Analyse

5.7.2 Kodierarbeit und die Verwendung von Memos

Eine der zentralen Tätigkeiten bei der Arbeit mit der Grounded Theory ist die Kodier-arbeit, d.h. die konkrete Arbeit und Auseinandersetzung während des Forschungspro-zesses mit dem zu untersuchenden Material. Anselm Strauss und Juliet Corbin unter-scheidet dabei drei Formen: offenes, axiales und selektives Kodieren (Strauss, Corbin, 1996).

Das offene Kodieren hat zum Ziel, das Material aufzubrechen und darin erste Einhei-ten (hier konkret kleine HandlungseinheiEinhei-ten) abzubilden. Dabei werden Sequenzen aus dem Material herausgenommen und mit einem ersten Code in der Software Atlas.ti benannt34. Dabei wird expansiv vorgegangen, d.h. aus den relativ kurzen Datenseg-menten der Bewegungshandlungen werden viele kleine Sequenzen. Aus dem durch die Forschungsfragen entstehenden Interpretationsfeld ergeben sich neue Ideen für weitere Datenaufnahmen usw.. Aus den so gesammelten Codes ergeben sich nach und nach erste Gruppierungen, die ähnliche Phänomene beschreiben.

Beim axialen Kodieren werden die vorhandenen und die aus den Daten gewonnenen Konzepte weiter verfeinert und differenziert. Dazu wird eine der bis dahin gewonne-nen Kategorien in den Mittelpunkt gestellt und mit Hilfe der Daten ein Beziehungs-netz aufgebaut. Die formulierten Beziehungen sind immer wieder anhand des Daten-materials zu überprüfen bzw. können im Sinne des Theoretical Samplings dazu führen, neues Datenmaterial zu generieren.

Beim selektiven Kodieren bezieht der Forscher alle bis dahin gesammelten Kategorien und seine Memoaufzeichnungen mit ein und sucht nach den zentralen Punkten im Gesamtmaterial, die sich zur Kernkategorie entwickeln. Diese Kernkategorie wird aus dem Material entwickelt und durch dieses auch präzisiert. Auch hier können neue Hypothesen formuliert werden. Außerdem können sich Phasen anschließen, in denen wieder offen bzw. axial kodiert wird oder in denen neues Material zur weiteren Klärung der Kernkategorie hinzukommt.

34 Diese ersten Codes nennen Corbin und Strauss auch Konzepte (Strauss, Corbin, 1996, S.48).

Sequenzen der Handlungsschritte werden als Zitate aus dem Rohmaterial herausgeschnitten

Beschreibung der Bildsequenz in einem Zitatmemo, zur Verdeutlichung des eigenen Blickwinkels

Strauss verweist darauf, dass die einzelnen Kodiertätigkeiten immer wieder zu einem Wechsel aus Kodierung, Datenerhebung, neuer Kodierung und Überprüfung von einzelnen Kategorien führen. Mit der Zeit entsteht dadurch ein Gerüst, welches das untersuchte Phänomen durch eine sich entwickelnde gegenstandsbezogene Theorie abbildet. (Strauss, Corbin, 1996, S.48ff). Ein weiterer zentraler Arbeitsschritt der Grounded Theory besteht in dem konsequenten Verfassen von Memos. Strauss unter-scheidet unterschiedliche Arten von Memos. Memos sind Gedankenstützen oder Ausführungen zu einzelnen Kategorien. Strauss betont die Wichtigkeit dieser Memos und rät dazu, diese Memos in gewissen Zeitabständen auch dazu zu nutzen, ein Memo über bestimmte Memos zu schreiben, um damit den Forschungsfortgang und zentrale wiederkehrende Themen klarer herauszuarbeiten.

Es wurde beschrieben und in der oberen Grafik angedeutet, wie aus dem Film einzelne Handlungssequenzen ausgeschnitten wurden. Die nächste Grafik zeigt, wie die vom Programm als Zitatstellen gespeicherten Filmausschnitte angezeigt wurden:

Abbildung 2: Zitatmanager Atlas.ti

Abgebildet ist der Zitatmanager (Quotation Manager) des Programms, indem in einer Liste alle ausgewählten Zitate aufgeführt werden. Diese werden vom Programm mit

einer Zitat ID versehen, wobei die erste Zahl immer den Hinweis auf den Film gibt und die zweite anzeigt, um die wievielte markierte Sequenz es sich handelt. Bis zu diesem Schritt ist aber noch kein Code vergeben. Relativ früh in der Bearbeitung und Auswertung der Daten wurde deutlich, dass eine Versprachlichung der Videosequenzen nötig ist. Die Analyse fand zwar weiterhin im Filmmaterial statt, jedoch wurde zusätzlich jede ausgeschnittene Sequenz in einem Zitatmemo beschrieben. Dies diente dazu, den eigenen Blickwinkel auf das Video zu explizieren und auch zu beschreiben, wieso diese Sequenzschnitte für die Analyse gewählt wurden. Den Zitatmemos kam in der Analyse also eine wichtige Strukturierungs- und Explikationsfunktion zu. Während der Analyse mussten bestimmte Zitate und ihre Beschreibung in den Memos immer wieder überarbeitet werden, weil bei nochmaliger Überprüfung deutlich wurde, dass bspw. eine zu direkte Interpretation der Daten vorgenommen wurde und damit zu schnell in eine bestimmte Auslegungspraxis hinein interpretiert wurde. In der nächsten Grafik ist der Codemanager von Atlas.ti abgebildet, in dem die weitere Auswertung, Sortierung, Dimensionalisierung und Kategorisierung der Daten stattfand:

Abbildung 3: Codemanager Atlas.ti

Benennung der Zitate durch Codes und später Sortierung und Kategorisierung dieser Codes im Codemanager

Beschreibung der Kategorien über Codeme-mos

Ein Zitat wurde zunächst im Verfahren des offenen Kodierens mit einem Schlagwort versehen. Dieses tauchte dann als Code im Codemanager auf. Mit der Zeit wurden bestimmten Schlagworten mehrere Sequenzen zugeordnet. Wie viele Sequenzen dem jeweiligen Code zugeordnet waren, wird durch die Zahl hinter dem Code wiedergege-ben. Diese Codes mussten mit Codememos beschrieben werden, die jeweils explizieren, welche Handlungssituationen unter diesen Code gefasst worden sind.

Im Verlauf der Analyse wurde der Codebaum häufig überarbeitet. Zu Beginn gruppier-ten sich unzählige Einzelschlagwörter zu einem bestimmgruppier-ten Feld. Damit daraus nicht vorschnell feste Kategorien entstanden und die Gedankengänge in der Analyse doch transparent blieben, wurden die Gruppierungen mit Nummerierungen vor dem eigent-lichen Schlagwort versehen. So sind bspw. alle ähneigent-lichen Schlagwörter, die solch ein Feld ausmachten, mit der Nummerierung A1 vor dem eigentlichen Schlagwort verse-hen. Der Codemanager sortiert die Codes in alphabetischer Reihenfolge, und es ergaben sich im Laufe der Analyse erste Gruppierungen, die jedoch noch nicht fest über eine Kategorie miteinander verbunden worden sind. Durch die Verwendung einer Zahl hinter dem Buchstaben war es möglich, ähnliche, aber doch nicht gleich einzu-ordnende Filmsequenzen und Schlagwörter in die Nähe eines Feldes zu bringen, und dennoch Unterschiede deutlich zu machen. Im weiteren Verlauf und bei dem ständigen Überarbeiten der Zuordnungen und der Codememos veränderte sich der ursprüngliche Codebaum immer wieder. Bestimmte Codes wurden wieder aufgelöst oder es wurde offensichtlich, dass zwei Schlagworte für ein und dasselbe Konzept vergeben worden waren usw..

Im axialen Kodieren wurden die ausgearbeiteten Konzepte weiter verfeinert und unter abstraktere Schlagwörter subsumiert. Dadurch konnten Beziehungen der entwickelten Konzepte zueinander herausgearbeitet, miteinander verglichen und Dimensionen festgelegt werden. Für diesen Arbeitsschritt wurde ein Code direkt im Codemanager angelegt, ohne dass er bereits mit einer Filmsequenz verbunden war. Vielmehr be-zeichnete er auf einer abstrakteren Ebene ein thematisches Feld. Dieser Code wurde auch mit einem festen Buchstaben versehen, jedoch ohne Zahl. Damit sollte eine größere Kategorie deutlich werden, unter der dann die Einzelelemente (also alle Sequenzen mit bspw. A1, A1.1, A1.2, A.2 A.3, A3.1) subsumiert wurden. Durch die Verwendung von Zahlen konnten bestimmte Ausprägungen voneinander getrennt werden. Für all diese Untereinheiten gab es ja bereits auf der jeweiligen Codeebene

ein Memo, so dass ein übergeordnetes Memo erstellt werden konnte, mit dem versucht wurde, alle Zusammenhänge zu beschreiben. Auch in diesen Analyseschritten waren die Codes zwar durch die Buchstabierung und Nummerierung alphabetisch miteinan-der verbunden und ergaben dadurch visuelle Einheiten, wurden aber auf Programm-ebene noch nicht fest miteinander verbunden. Diese Offenheit war auch notwendig, da sich während der Analyse immer wieder anfangs gebildete Bereiche veränderten, andere Akzente bekamen oder auch wieder aufgelöst wurden. Es sollte die Möglich-keit bestehen, vom axialen wieder in das offene Kodieren zu wechseln.

Im Fortgang der Analyse schälten sich dann bestimmte Kategorien und Unterkatego-rien heraus, die während des Prozesses des selektiven Kodierens auf der Programmebe-ne miteinander verbunden und zu Codefamilien zusammengesetzt wurden. Diese Codefamilien sind mit Atlas.ti in einfacher Weise grafisch darstellbar. Diese Grafiken waren Grundlage der Kategoriendarstellung in Kapitel 6.

Unerwähnt blieb bisher die dritte verwendete Memoart: das Schreiben von Memos über jede Datensitzung. In diesen Memos wurden die Arbeitsschritte der konkreten Datensitzung zusammengefasst und Begründungen dafür notiert, wie die jeweiligen Zuordnungen hergeleitet wurden. Die Datensitzungsmemos dienten ebenfalls der Bündelung von Ideen und Verbindungslinien, die in den Daten aufschienen, deren Stichhaltigkeit aber noch zu überprüfen war. Außerdem wurden Schwierigkeiten bei der Bearbeitung bzw. der Analyse und weiterführende Fragen festgehalten. Diese Memos, wie alle anderen auch, waren Arbeitsgrundlage und Reflexionsmöglichkeit im Analyseprozess. Veränderungen an den Codememos oder im Zitatbereich wurden in den Aufzeichnungen nicht überschrieben, sondern mit einem neuen Datum ergänzt und verbessert. Damit blieb nachvollziehbar, in welche Richtung sich die Analyse entwickelte. So fungierten die Datensitzungsmemos als wichtige Gedankenstützen für Ideen für das Forschungsfeld. Sie wurden in regelmäßigen Abständen gelesen und überarbeitet, worüber meist ein neues Memo verfasst wurde.

In der Verbindung der unterschiedlichen Memoarten, der Kodierschritte und der Strukturierungshilfe durch das Programm Atlas.ti konnte der Überblick über die Komplexität und Vielfalt der Daten erhalten bleiben. Darüber hinaus war es immer wieder möglich, die eigenen Zuordnungen zu überprüfen, indem Filmsequenzen erneut angeschaut wurden und ihre Sortierung in Frage gestellt wurde. Daraus ergab sich eine verfeinerte und dichtere Struktur. Die meisten Auswertungseinheiten wurden

durch den Forscher allein behandelt, doch waren Gespräche mit Kollegen über die Ergebnisse und Deutungsmuster eine Ergänzung im Arbeitsprozess. Dies wird im folgenden Abschnitt dargestellt. Insgesamt zog sich Analyse mit Unterbrechungen von Ende 2006 bis Anfang 2008 hin.