Handeln im Symbolischen Interaktionismus

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3 Theoretische Fundierung

3.3 Handeln im Symbolischen Interaktionismus

heraus-schält und damit das Ergebnis eines gemeinsamen Prozesses ist und nicht vorher schon im Einzelnen fest angelegt bzw. auffindbar ist. Blumer bezieht sich hierbei auf Mead und unterscheidet zwischen der „nicht-symbolischen Interaktion“ und der „symboli-schen Interaktion.“ Er schreibt dazu:

„Nicht-symbolische Interaktion findet statt, wenn man direkt auf die Handlung eines anderen antwortet, ohne diese zu interpretieren; symbolische Interaktion beinhaltet dagegen die Interpretation der Handlung. Nicht-symbolische Interakti-on ist am leichtesten in reflexartigen ReaktiInterakti-onen erkennbar, wie im Fall eines Boxer, der automatisch seinen Arm hochreißt, um einen Schlag zu parieren.

Wenn der Boxer jedoch durch Nachdenken den bevorstehenden Schlag seines Gegners als eine Finte identifizieren würde, die ihn täuschen soll, so würde er ei-ne symbolische Interaktion eingehen [...] In ihrem Zusammenleben gehen die Menschen häufig nicht-symbolische Interaktionen ein, wenn sie sofort und unre-flektiert auf körperliche Bewegungen des anderen, seinen (Gesichts-)ausdruck und seine Stimmlage reagieren, aber ihr charakteristischer Interaktionsmodus liegt auf der symbolischen Ebene, wenn sie die Bedeutung der Handlung des jeweils ande-ren zu verstehen suchen.“ (Blumer, 1973, S. 88).

Diese Ausführungen mögen den Eindruck erwecken, dass die Theorie Meads wesentlich kognitivistischer geprägt sind, als dies in den bisherigen Ausführungen im Abschnitt 3.2 dargestellt wurde. Tatsächlich jedoch ist Meads Konzeption der symbolvermittelten und bedeutungsvollen Interaktion nicht von einem vorgängig vorhandenen Bewusstsein abhängig, sondern geht einem solchen bei der Entwicklung von Bedeutungsstrukturen immer eine Selbstreflexion voraus8. Mead legte besonderen Wert auf die Entwicklung von Bedeutung über gemeinsames Handeln. Sowohl Mead als auch Blumer sehen drei grundlegende Elemente, die eine bedeutungsvolle und symbolvermittelte Geste ausma-chen: 1. eine Handlungsaufforderung an den Interaktionspartner, wie dieser reagieren soll, 2. die Anzeige, was die interagierende Person selbst zu tun beabsichtigt und 3.

der Vorschlag für die weitere Gestaltung der Handlung (Blumer, 1973, S. 88). Damit wird gezeigt, was für eine gemeinsame Interaktion notwendig ist und dass die Akteure die Zeichen ihres Gegenübers interpretieren und durch eine Rollenübernahme

8 Bspw. schreibt Mead: „Es besteht darin, dass die Identität bereits als existent vorausgesetzt werden muß, bevor das besondere Stadium des Bewusstseins entstehen kann, welches die Psychologie untersucht.“

(Mead, 1910b, S. 223).

pieren müssen. Dabei gibt es im Handeln selbst einen Rückkopplungseffekt, in wel-chem geprüft wird, inwieweit diese Zeichen der vorgestellten weiteren Handlungsfolge des Partners entsprechen. In dem zuletzt genannten Zitat wird der Eindruck erweckt, Bedeutung und symbolische Interaktion erschlössen sich durch einen Bewusstwer-dungsprozess des Verstehens. Zumindest ist das eine mögliche Lesart. Mit Mead jedoch ließe sich das Parieren des Boxers durchaus auch ohne Bewusstwerdung als eine symbolische Interaktion verstehen, in der sich die Prämissen einer Geste wiederfinden lassen. Anders nämlich als beim reflexartigen Parieren eines Hundes ist das Reagieren des Boxers nicht durch ein vorher festgelegtes Verhalten objektiv determiniert, sondern er reagiert durch Erfahrung und Training während der Handlung auf die sich verän-derten körperlichen Anzeichen seines Gegners (siehe hier auch das oben genannte Beispiel des Fechters).

Bei der Darstellung über das Handeln verdeutlicht Blumer, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der immer wieder neu interpretiert werden muss. Handeln findet dabei in einer Welt aus Objekten statt, diese entstehen aus einem interaktiven Umgang. Blumer verweist darauf, dass der Mensch sich selbst zum Objekt mache, da er auch mit sich selbst in einer Interaktion stehe. Er sei somit nicht nur in der Lage, auf bestimmte erlernte Anforderungen in einer bestimmten Weise zu reagieren sondern derjenige, der Bedeutungen erst konstituiert und damit sein Handeln organisiert.

Folglich gibt es kein Abbild festgeschriebener Bedeutungen, die unabhängig vom Einzelnen schon in einem Bewusstsein verortet sind. Bedeutungsinhalte sind in den Handlungen immer wieder neu zu verorten und können sich dadurch auch im Handeln verändern. Selbst in Situationen, in denen Menschen ihr Handeln im Verlauf ihrer Sozialisation sehr gut internalisiert haben, ist es notwendig, dem Handlungspartner während der Interaktion die Bedeutung des Handelns anzuzeigen, damit eine gemein-same Bedeutung des Handelns herausgearbeitet werden kann. Auch sich wiederholen-de Handlungen in bestimmten Sozialisationssituationen bewiederholen-deuten nicht, dass wiederholen-der Mensch lediglich ein Verhalten zeigt, das ihm durch bestimmte Rollenerwartungen, Normen usw. auferlegt ist. Vielmehr müsse auch in solchen Handlungssituationen die Bedeutungshaltigkeit in der Wiederholung neu gebildet werden (Blumer, 1973, S.

96ff). Der Mensch wird als ein aktiver Gestalter gedacht, der seine Handlungsziele in der konkreten Situation verändern kann, etwa aufgrund veränderter Bedingungen, die sich in der Interaktion (auch in der Interaktion mit sich selbst) ergeben haben. Damit

kann Handeln nicht per se im Voraus festgelegt werden, sondern entwickelt sich im Prozess der Interaktion.

„Daraus lässt sich schließen, dass soziale Beziehungen immer in irgendeiner Form an die gemeinsame [Hervorhebung im Original] Anerkennung durch die Interak-tionspartner gebunden sind und dass weil das Ergebnis dieser gemeinsamen De-finition der Situation nicht vorhergesagt werden bzw. die gemeinsame Situati-onsdefinition scheitern kann soziale Beziehungen in ihrer Entwicklung und Gestalt offen sind.“ (Joas, 2004, S. 202).

Handeln wird somit konsequent von interaktiven Prozessen ausgehend gedacht.

Gemeinsames Handeln zielt darauf, zu einer gemeinsamen Interpretation und Bedeu-tungsstruktur zu gelangen. Gelingt dies, entsteht eine symbolische Interaktion. Joas macht deutlich, dass es auch zum Scheitern kommen kann, wenn keine gemeinsamen Bedeutungsstrukturen aufgebaut werden können oder die Partner zu unterschiedlichen Interpretationen gelangen. So kann zwar ein Missverstehen in der Interaktion wieder korrigiert werden, da der Interaktionspartner sein Verständnis durch seine Reaktion anzeigt. Es sind aber auch Situationen denkbar, in denen es nicht gelingt, zu einer gemeinsamen Bedeutungsstruktur zu gelangen, und damit auch kein gemeinsames Handeln aufgebaut werden kann. Hier wären Situationen zu nennen, in denen zwei Personen sprichwörtlich „aneinander vorbei reden“, ohne ein gemeinsames Ergebnis zu erzielen. Ein gewisses Ausmaß an Nicht-Verstehen ist in der Interaktion angelegt, Missverständnisse sind folglich die Regel, nicht die Ausnahme.

Übertragung auf die Untersuchung:

Mead versteht Kommunikation über körperlichen Ausdruck nicht als „... evolutionäre Vorstufe[n], sondern als immer gegebene Kommunikationsformen...“ (Joas, 1985, S.

17). Er stellt fest, dass bedeutungsvolle Interaktion nicht davon abhängig ist, ob man sich ihrer reflexiv bewusst ist oder nicht. Diese Feststellung ist für die vorliegende Untersuchung wesentlich, da ja gerade bewusste Bedeutungsstrukturen aufgrund der Erkrankung der zu Pflegenden nicht mehr oder nur ansatzweise vorausgesetzt werden können bzw. sich diese in ihrem Verhalten nicht mehr so darstellen.

Blumers Definitionen von Handeln verortet es immer in einen Interaktionszusammen-hang. Auch das Handeln in Bezug auf Objekte entsteht durch Bedeutungsverleihun-gen, die sich aus Interaktionen gebildet haben und die sich im Handeln verändern und

umformen lassen kann. Damit wird jegliches Handeln auf das Fundament einer interaktiven Auseinandersetzung mit der Welt gestellt. Bezieht man sich noch einmal auf das Extrembeispiel aus dem Abschnitt 3.1, in dem der zu Pflegende in der konkre-ten Bewegungssituation als bloßes Objekt behandelt wird, wäre auch hier die Ausbil-dung der Interpretation „Objekt“ anstelle „Subjekt“ nur durch Interaktionen ermög-licht worden. Während der konkreten Handlung wäre es möglich, dass sich die Bedeu-tung verändert. Zentral dafür wird sein, inwieweit die Pflegekraft ihr Handeln darauf orientiert, dass ein gemeinsames Handeln (im Sinne eines Sich-auf-den-anderen-Beziehens) entstehen kann. Gemeinsames Handeln zeichnet sich, wie bei Blumer beschrieben, durch Handlungsverkettungen aus, die zur Etablierung gemeinsamer Bedeutungsinhalte führen. Inwieweit die Pflegekraft ein gemeinsames Handeln an-strebt oder eher monologisierendes Handeln umsetzt, wird die Untersuchung zeigen.

Wieder zeigt sich, dass für ein gemeinsames Handeln ein „Sich-Beziehen“ nötig ist, damit zwischen den zwei Personen bedeutungsvolle Interaktionen entstehen können.

Die Zeichen der zu Pflegenden sind aber eben noch nicht als fest etablierte Symbole eingeführt, was die Interaktion und das relativ schnelle Verstehen von angezeigten Bedeutungen wesentlich erschwert. Damit wird es zu einer zentralen Aufgabe für das Bewegungshandeln die Bedeutung zunächst zu erschließen, damit ein gemeinsames Handeln entstehen kann. Die Bedeutungskonstitution bei Mead verweist darauf, dass zu Beginn eines solchen Prozesses zwischen Pflegekraft und zu Pflegendem zunächst gemeinsame Bedeutungsinhalte neu aufgebaut werden müssen. Dazu ist es notwendig, dass die Pflegekraft ihr Verständnis der angezeigten Bedeutung möglichst nachvoll-ziehbar für den zu Pflegenden spiegelt. Das gestaltet sich unter Umständen auch schwierig, da die Pflegekraft versuchen muss, in der Welt des zu Pflegenden Wege zu finden, mit denen eine Interaktion möglich werden kann. Die Suche nach Bedeutungs-inhalten wird damit zu einer zentralen Aufgabe des interaktiven Handelns in der Bewegungssituation. Dabei können bei den Pflegekräften durchaus bewusste, reflexive Prozesse ablaufen, da sie es ja sind, die den Zeichen zunächst Bedeutungshaltigkeit zuschreiben und sie im Handeln erneut spiegeln müssen. Im Handeln selbst, und das soll mit dem Verweis auf Mead nochmals unterstrichen werden, kann es zu einer bedeutungsvollen und symbolhaften Interaktion aber auch kommen, ohne dass diese an einen Bewusstwerdungsprozess gekoppelt ist – sowohl bei den Pflegekräften als auch bei den zu Pflegenden. Die Bedeutungsinhalte können im Handeln gemeinsam aufgebaut und dann auch in einem nachfolgenden Reflexionsprozess zum Teil kogni-tiv erfasst werden. Das aber ist bereits eine gänzlich andere Analyseebene.

Mit der Theorie Meads ist bisher auf die Generierung von Bedeutungsinhalten Bezug genommen und mit den Überlegungen Blumers ist verstärkt auf die interaktive Fun-dierung von Handeln eingegangen worden. All dies findet natürlich in einem gesell-schaftlichen Rahmen statt. Mit dem nachfolgenden Konzept der „Lebenswelt“ wird auf diesen Aspekt nun näher eingegangen.

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