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Konstruktionen in Interaktionen

3 Theoretische Fundierung

3.5 Konstruktionen in Interaktionen

Kon-struktionen eher durchsetzen und andere nicht. Letztlich bilden sich relative Wahrhei-ten dadurch innerhalb einer bestimmWahrhei-ten Verständigungsgemeinschaft aus, wenn darin eine Mehrheit dem Konstrukt zustimmt. Zum anderen wird durch und in der Praxis ausgehandelt, welche Wahrheitsansprüche sich dann etablieren und durchsetzen (Reich, 2001).

Innerhalb des Sozialkonstruktivismus gibt es weitere Differenzierungen und Ausprä-gungen. In der bisherigen theoretischen Fundierung bilden Interaktion und Intersub-jektivität den wesentlichen Anker der theoretischen Überlegungen. Reich hat diesen Aspekt in seiner Konzeption und Arbeit zum „Interaktionistischen Konstruktivismus“

hervorgehoben. Er sagt dazu:

„Insbesondere reflektiert dieser Ansatz die Interaktion als Bedingung menschlicher Verständigung und erweitert das Spektrum neben dem symbolischen Bereich auf das Imaginäre und Reale.“ (Reich, 2001, S. 366f).

Ausgehend von einer Sichtweise, welche die Beziehung ins Zentrum der Überlegungen rückt, verdeutlicht er mit Hilfe des Ansatzes von Mead die Konstruktionsleistungen, die ein Mensch im Handeln mit anderen erbringt, um gemeinsame Bedeutungsinhalte aufzubauen. Wie bei den Ausführungen zu Mead schon beschrieben wurde, verweist Reich darauf, dass der Andere wesentliche Bedingung dafür ist, gemeinsam Bedeutun-gen zu Bedeutun-generieren. Reich kritisiert jedoch an Mead, dass dieser die Rolle des Anderen, der dem in der Entwicklung befindlichen Akteur immer schon bestimmte Wirklich-keitskonstruktionen vorlebt und vorgibt, zu stark betont. In Meads Konzeption wird dieser Andere ja durch das Me konzipiert. Reich versteht Mead vor allem dahinge-hend, dass er die einwirkenden Aspekte der Umwelt auf den Einzelnen herausarbeitet, die dazu führen, dass dieser in die Gesellschaft hinein sozialisiert wird und die dort vorherrschenden Wirklichkeitsvorstellungen übernimmt. Somit handelt es sich bei der gesellschaftlichen Sozialisation häufig um Rekonstruktionsleistungen, wobei man sich vor Augen führen muss (und das wurde auch bei Blumer deutlich), dass Rekonstrukti-onen, wenn sie gelernt werden sollen, zunächst immer Konstruktionsleistungen des Individuums bedeuten. Reich sieht aber hier vor allem, dass es bei Mead um die Übernahme von Rollenerwartungen geht und weniger um ein aktives und kreatives Individuum, das Konstruktionsleistungen durchführt:

„Aber die Betonung liegt bei Mead durchaus auf der Seite des Anderen. Aus-schließlich durch die Generalisierung des Verhaltens eines Anderen, durch den so-zialisierten Anpassungsdruck, der für Rollenfindung und Identitätsbildung wesent-lich erscheint, entsteht der sozialisierte Druck auf das Selbst.“ (Reich, 2005, S.

79).

Das I, was für Mead das Spontane und unsozialisierte Moment darstellt, wird somit an bestimmte Rollen gebunden, und Reich sieht vor allem diese Anpassungsleistung, die sich in einem sozialisierten Self (der Identität) niederschlägt. Um dem entgegen zu wirken, verstärkt er in seiner Konzeption das Moment des Inneren, Unsozialisierten und Vorsprachlichen und nennt dies in Anlehnung an Jaques Lacan „das Imaginäre“.

Das Imaginäre begreift er als etwas, das sich im Einzelnen als Begehren ausdrückt und sich in Interaktion und Kommunikation niederschlägt. Es bezeichnet damit den Stellenwert des Spontanen, des Gefühls, das immer schon vor jeglichem Eingehen einer Interaktion vorhanden ist und als Imagination des Anderen verstanden wird. Dieses Imaginäre bleibt vorsprachlich und kann nur über symbolische Interaktion (wie sie bei Mead verstanden wird) vermittelt werden, was aber zwangsläufig zur Interpretation des Imaginären führt. Reich verweist damit darauf, dass es keine Gleichschaltung und kein wirkliches Verstehen geben kann, denn das Gegenüber kann in der Interaktion nie gänzlich erfasst werden, sondern bleibt fremd, und die symbolische Interaktion und die damit verbundenen Interpretationen können nur Hinweise sein, um den Anderen annäherungsweise zu verstehen. Somit bleibt das innere Begehren immer nur als Symptom greifbar und kann nie direkt erfahrbar werden. Es wird damit auch zur Grenze der Kommunikation. Im Imaginären drückt sich ein nicht wirklich fassbares Element aus, das aber in Interaktion mit hineinspielt. Reich sieht hierin den entschei-denden Grund, warum Interaktionen letztlich nicht voll symbolisiert werden können und damit immer vage bleiben müssen. Er verstärkt und baut das von Mead kon-struierte I weiter aus und verdeutlicht, dass dieses spontane, gefühlsgeladene Imaginä-re wesentlichen Einfluss auf die Interaktion nimmt und fragt, ob ein Mensch über-haupt mit einem anderen in Kontakt treten will, ob er Zuneigung zu einem anderen empfindet oder nicht usw. (Reich, 1998; 2005). Dazu fügt Reich noch das Reale mit in seine Konzeption ein. Im Realen spiegelt sich das wider, was Reich als Lücke zwischen Imagination und Symbolischem beschreibt. Das Symbolische legt Dinge fest, weiß um Dinge, hat Erklärungen. Das Imaginäre drückt Wünsche und Begehren aus.

Wir begegnen Anderen mit diesen inneren Gefühlen, ohne dass diese für die Anderen

direkt erfahrbar wären. Das Reale ist für Reich das, was dazwischen liegt. Die Be-grenzung bilden die Pole Imagination und Symbolik. Das Reale wird für Reich immer dann erfahrbar, wenn die Festlegung der Symbolik nicht mehr funktioniert oder die Grenzen des Begehrens deutlich werden. Das Reale wird dann wiederum mit Hilfe von Imagination und Symbolik bearbeitet und taucht dann wieder unter (Reich, 2005, S.

71ff.). Das Reale könnte man evtl. anlehnen an die „Konstruktion“ von Schütz, wobei das Reale immer dann auftaucht, wenn der unbefragte Boden des Selbstverständlichen in der alltäglichen Lebenswelt in Frage gestellt wird — das, was Schütz als „Problem“

bezeichnen würde.

Übertragung auf die Untersuchung:

In den vorangegangenen Aussagen von George Herbert Mead, Herbert Blumer und Alfred Schütz wurde deutlich, dass beide Interaktionspartner als aktiv, sich in der Welt artikulierend und konstruierend angesehen werden. Im Konstruktivismus wird dies verallgemeinert zu einer Haltung, die grundlegend die Welt als eine sich zu erschließende denkt, wobei es immer schon vorgängig verfasste Wirklichkeitskonstruk-tionen gibt.

Bezogen auf die Interaktion zwischen der Pflegekraft und dem zu Pflegenden wurde in den bisherigen Ausführungen schon darauf hingewiesen, dass es sich um Neukon-struktionen handeln muss, da die Wirklichkeitsbereiche der beiden Interaktionspartner nicht aufeinander bezogen sind. Wesentlich scheint die Suche nach und die Konstruk-tion von Symbolen, die sich eben nicht auf schon vorgefertigte Deutungsmuster festgeschriebener Gesten berufen. Dies verlangt von den Pflegekräften, sich in ihrer Deutung von vorgefertigten Symboliken zu lösen und sich auf Neukonstruktionen von Bedeutung innerhalb der Interaktion einzulassen. Dadurch kann es zum Aufbau einer Wirklichkeit kommen, die dann auch symbolisch zu einer relativen Wahrheit, inner-halb des konkreten Falles, führen kann.

Wie aber mit dem Konstruktivismus und den Ausführungen zu Schütz herausgearbeitet wurde, beginnen Interaktionen nie auf einem gänzlich unkonstruierten Boden. Die Pflegekraft hat bestimmte Deutungsmuster der Wirklichkeit und durch ihre berufliche Erfahrung konstruierte Ideen, wie bestimmte Zeichen innerhalb des Kontextes deutbar sind. Somit wird sie durch ihre Reaktion für den zu Pflegenden zwangsläufig zum Anderen, misst in ihrer Antwort den Zeichen des zu Pflegenden bestimmte

Bedeutun-gen bei und spiegelt dieses „So-Verstehen“ natürlich auch zurück. Als wesentlich wird dabei erachtet, dass die Pflegekraft sensibel dafür bleibt, an welcher Stelle sie ihre eigene Symbolik und ihren gedachten „Typus“ von Bedeutung zu sehr in den Vorder-grund stellt und damit unter Umständen die Möglichkeiten einer Neukonstruktion von Bedeutung verstellt bzw. die Reaktionen des zu Pflegenden unter immer schon be-stimmte eigene Logiken ordnet. Reichs Ausführungen zum Imaginären zeigen, dass Interaktion immer vage bleibt, da eben Verstehen letztlich immer nur als ein symboli-siertes Abbild geschehen kann. Umso schwerer ist es für die Pflegenden, sich auf die Suche nach den für den Fall geeigneten Symbolen zu machen bzw. diese im Handeln entstehen zu lassen.

Die Ideen des Konstruktivismus können dabei helfen, sich den eigenen Wirklichkeits-konstruktionen zu stellen. Sie geben die Möglichkeit, sich der eigenen Vorkonstruktio-nen teilweise bewusst zu werden und verweisen auch darauf, dass es in der Interaktion mit den zu Pflegenden um die Suche von Bedeutung und um die Neukonstruktion von Symbolen gehen muss, auch wenn immer eine Leerstelle des Nichtverstehens oder Falschinterpretierens bleibt. Diese kann sich unter Umständen dann wieder im Realen (wie bei Reich konzipiert) niederschlagen und für eine Überraschung in der Interaktion sorgen. All den genannten Theorien ist gemeinsam, dass es immer Momente gibt, in denen man sich im aktuellen Handeln der Bedeutung nicht bewusst ist. Mead definiert dies sogar explizit als Voraussetzung eines gelingenden, schnellen Agierens.

Bis hierher wurde besonders auf die Möglichkeiten der Interaktion im Handeln einge-gangen. Dabei wurde heraus gearbeitet, wie sich eine Interaktion zwischen der Pflege-kraft und dem zu Pflegenden überhaupt theoretisch vorstellen lässt. Deutlich gemacht wurde auch, wie die Pflegekraft von ihrer Seite aus die Interaktion gestalten kann und welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten damit für ihr Handeln verbunden sind.

Im Weiteren soll die Theorie des impliziten Wissens behandelt werden. Wurden bisher schon einige Dinge zum Handeln im Allgemeinen dargestellt, so soll mit dieser Theorie verstärkt auf die konkrete Ausführung des Bewegungshandelns der Pflegekräfte geblickt werden. Damit ist ja eine konkrete Tätigkeit verbunden, und mit dem Bezug zur Theorie des impliziten Wissens soll deutlich gemacht werden, dass dieses Handeln nicht komplett objektiv planbar und damit formalisierbar ist. Daraus abgeleitet wird ein Verständnis von professionellem Handeln.