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Ethische Aspekte der Forschungsarbeit

5 Methoden und Forschungsprozess

5.9 Ethische Aspekte der Forschungsarbeit

In diesem Abschnitt sollen keine grundsätzlichen Aussagen zu Forschungsethik ge-macht werden. Vielmehr sollen grundlegende ethische Aspekte der Forschungsarbeit wie die Beachtung der Menschenwürde, die Einhaltung der Menschenrechte, die Befolgung der Grundsätze des Datenschutzes, der sensible Umgang mit vulnerablen Gruppen und die Vorbeugung von evtl. auftretenden Risiken (Schnell, Heinritz, 2006) dargestellt werden. Dabei werden die ethischen Anforderungen beschrieben: vor der Feldforschung, während der Feldforschung und die Phase nach der Feldforschung.

Zu Beginn der eigenen Auseinandersetzung stellten sich hierzu viele Fragen, die intensiv erörtert wurden. Inzwischen sind viele dieser Aspekte durch die Ethikkommis-sion der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft gebündelt und der Öffentlich-keit zugänglich gemacht. Sie hat inzwischen einen Ethikkodex35 verfasst (Ethikkom-mission DGP, 2008 a) und einen Fragekatalog zur ethischen Reflexion (Ethikkommis-sion DGP, 2008 b) als Download bereitgestellt. Darüber hinaus sind auf der Home-page der DGP viele grundlegende Aussagen zusammengefasst und können dort einge-sehen und heruntergeladen werden.

5.9.1 Forschungsethische Überlegungen vor der Feldphase

Zu Beginn der Konzeption der Forschungsarbeit waren zwei ethische Probleme zentral.

Zum einen sollten zu Pflegende aufgenommen werden, die selbst nicht mehr in der Lage waren, Einwilligung und Zustimmung zum Forschungsvorhaben zu geben. Diese Menschen waren kognitiv stark beeinträchtigt und häufig in kritischen Lebenssituati-onen. Durch die Verwendung von Videoaufnahmen und die Schwerpunktsetzung der Forschung konnten die zu Pflegenden nicht anonymisiert werden (etwa durch ein Unkenntlich-Machen des Gesichts mit Pixel-Manipulation oder mit einem schwarzen Balken). Die zu Pflegenden standen hier als besonders vulnerable Gruppe im Mittel-punkt der Auseinandersetzung, auch wenn viele ethische Probleme auch auf die Zusammenarbeit mit den Pflegekräften zu übertragen waren. Denn natürlich sollte die Veröffentlichung der Forschungsarbeit die Ergebnisse nachvollziehbar und für die

35 Natürlich können die dortigen Papiere und Ausführungen kritisch hinterfragt werden. Der große Ver-dienst dieser Sektion der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft ist es jedoch, für die relativ junge Disziplin Pflegewissenschaft in Deutschland erstmals in gebündelter Form Informationen leicht zugänglich zur Verfügung zu stellen, mit denen Forscher eigene Arbeiten konzipieren und reflektieren können.

Fachöffentlichkeit präsentierbar machen. Gerade hierin liegt ja der Vorteil der Ver-wendung von Videos. Das Problem der Anonymisierung wurde auf unterschiedlichen Ebenen und schließlich mit einem Rechtsanwalt diskutiert, der sich mit Datenschutz und ethischen Belangen auseinandersetzt. Er gab wichtige Hinweise zur Konzipierung der Einverständniserklärung36. So wurde neben der Einverständniserklärung ein Infor-mationsschreiben ausgearbeitet und davon getrennt eine zusätzliche Vereinbarung konzipiert, die den Teilnehmenden die Möglichkeit gab, der Verwendung der Video-filme in der Fachöffentlichkeit zuzustimmen oder zu widersprechen. Das Informations-schreiben wurde sowohl vom Durchführenden der Untersuchung als auch von der wissenschaftlichen Betreuerin Ingrid Darmann-Finck unterschrieben. Alle diese Schrift-stücke wurden im Promotionskolleg daraufhin diskutiert, ob die darin enthaltenen Informationen verständlich sind und das Projekt ausführlich genug beschrieben wurde.

Nach diesen Gesprächen fand eine weitere Überarbeitung der Materialien statt.

Zu Beginn der Auseinandersetzung suchte der Autor den Kontakt zur Ethikkommission der Universität Bremen. Es wurde jedoch schnell klar, dass sich diese Kommission für das angedachte Forschungsprojekt nicht zuständig fühlte. Daraufhin wurde Kontakt zur Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft aufgenommen und das Projekt mit einem Kurzexposé für eine ethische Beratung eingereicht. Nach einer Beratung führte die Sprecherin der Sektion, Prof. Dr. Großklaus-Seidel, ein beratendes Gespräch mit dem Autor. Da das Projekt bei der DGP nicht mit dem Ziel des Clearingverfahrens, sondern zur Beratung eingereicht wurde, wurden dem Autoren allein Empfehlungen für die Forschungsarbeit übergeben.

5.9.2 Forschungsethische Überlegungen in der Feldphase

In der Feldphase mussten unzählige kleine ethische Entscheidungen getroffen werden.

Dabei war es bspw. von besonderer Bedeutung, bei der Auswahl der zu Pflegenden noch vor Ansprache ihrer gesetzlichen Betreuer eine Rücksprache mit den Pflegekräf-ten vor Ort zu halPflegekräf-ten. So erschien während der Forschungsarbeit in mehreren Situati-onen ein zu Pflegender als sehr geeignet für die Untersuchung. Die Rücksprache mit dem Pflegeteam ergab dann aber möglicherweise, den in Frage kommenden zu Pflegenden dennoch nicht in die Untersuchung aufzunehmen. Gründe waren bspw.,

36 Siehe im Anhang die Einverständniserklärung sowie das Informationsschreiben für die Teilnehmenden der Untersuchung.

dass der Kontakt zu den gesetzlichen Betreuern (in den allermeisten Fällen waren dies auch die direkten Angehörigen) mit Schwierigkeiten belastet war und vermutet wurde, dass sich die Zusammenarbeit mit den Betreuern durch die Anfrage noch schwieriger gestalten könnte. In einer Einrichtung der Frührehabilitation wurde außerdem ein zu Pflegender aus der Untersuchung ausgeschlossen, weil sich in den Diskussionen mit dem Pflegeteam die Meinung herausbildete, dass der Betroffene aufgrund seiner Unfallverletzungen im Gesicht zu sehr entstellt sei und deswegen von einer Aufnahme Abstand genommen werden sollte. Diese Beispiele zeigen, wie vielfältig die Absprachen mit den Pflegeteams waren, bevor zu den gesetzlichen Betreuern überhaupt Kontakt aufgenommen wurde. Damit erweist sich auch, dass die Forderung nach einem „idea-len“ Theoretical Sampling immer wieder an die Gegebenheiten vor Ort angepasst werden musste.

Die Informationsgespräche mit den gesetzlichen Betreuern wurden immer durch den Autor persönlich geführt. In zwei Fällen wollte der jeweilige gesetzliche Betreuer nur aufgrund der Zusendung eines Faxes und ohne ausführliches Telefonat sein Einver-ständnis geben. Das waren auch diejenigen Fälle, in denen der gesetzliche Betreuer in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu dem zu Pflegenden stand. Der Forscher ent-schloss sich, diese zu Pflegenden nicht zu filmen und damit aus der Untersuchung auszuschließen. In den anderen Fällen wurden mit den gesetzlichen Betreuern zahlrei-che persönlizahlrei-che Gespräzahlrei-che geführt, wobei in den meisten Fällen die Kontaktaufnahme über die Pflegekräfte initiiert und das Informationsschreiben ausgehändigt wurde.

Nach diesem Erstkontakt wurde dann ein Gespräch vereinbart, das in einem Bespre-chungsraum der Station stattfand. Anwesend hierbei waren der Durchführende der Untersuchung und der gesetzliche Betreuer und in einigen Fällen zusätzlich andere nahe Angehörige des zu Pflegenden.

Die Gesprächsdauer und -intensität wurde vom Autor zu Beginn unterschätzt. Viele Gespräche brachten zunächst einmal die individuelle Krankheitsgeschichte des zu Pflegenden und die Sorge der gesetzlichen Betreuer zum Ausdruck. Erst danach war es möglich, das Forschungsvorhaben ausführlicher zu skizzieren und etwaige Ängste auszuräumen. In den meisten Fällen gaben die Betreuer ihre Antwort nicht im direk-ten Anschluss an das Gespräch, sondern erbadirek-ten sich vor einer Einwilligung Zeit zur Reflexion und Rücksprache mit anderen Familienangehörigen. Insgesamt wurden 20 Gespräche geführt, von denen acht eine Einwilligung erbrachten. Diese acht Betreuer

stimmten auch der Weiterverwendung und Veröffentlichung in Fachkreisen zu, wobei ihnen im persönlichen Gespräch natürlich auch gesagt wurde, dass sie die Zustimmung und Teilnahme jederzeit zurückziehen können und dass die evtl. schon aufgenomme-nen Daten dann umgehend gelöscht werden würden. Den gesetzlichen Betreuern wurden ein Exemplar des Informationsschreibens, eine unterschriebene Einverständnis-erklärung sowie eine Visitenkarte des Autors ausgehändigt.

Da die Pflegekräfte im Fokus der Auswertung standen, war der Autor darauf bedacht, nicht unnötig viele zu Pflegende in das Projekt mit aufzunehmen. Auch aus diesem Grund wurden zum Teil verschiedene Pflegekräfte an ein und demselben zu Pflegenden gefilmt, was sich auch mit dem Forschungsinteresse innerhalb des Theoretical Samplings deckte.

Die Pflegekräfte wurden in der Feldphase zumeist während des gemeinsamen Arbei-tens in einer ruhigen Minute gefragt, ob sie sich eine Teilnahme an der Untersuchung vorstellen könnten. Auch ihnen wurden alle Informationen zu dem Forschungsprojekt ausgehändigt. Mit ihnen wurden meist mehrere kleine Gespräche in Pausen geführt, bis schließlich ein Gespräch unter vier Augen möglich wurde. Durch die Anwesenheit des Autors im Forschungsfeld und das Arbeiten mit den Pflegekräften über einige Tage bekundeten manche Pflegekräfte bereits von sich aus ihr Interesse an dem Projekt. Andere teilten von vornherein unmissverständlich mit, dass sie sich nicht aufnehmen lassen würden. Mit den Pflegekräften, die sich bereit erklärten, wurde versucht, zumindest ein oder zweimal gemeinsame Pflegesequenzen zu gestalten, damit die Pflegekräfte auch den Autor in berufsalltäglichen Handlungssituationen erlebt haben konnten. Den Pflegekräften wurden die Aufnahmen nach der Aufzeich-nung stets gezeigt und am Schluss die explizite Frage gestellt, ob die Aufnahmen verwendet werden dürften und ob sie auch zur Veröffentlichung freigegeben werden.

Alle Pflegekräfte, die sich für die Aufnahmen zur Verfügung gestellt haben, gaben ihre Einwilligung zur Verwendung und zur Veröffentlichung des Datenmaterials.

5.9.3 Forschungsethische Überlegungen nach der Feldphase

Die Originalbänder und die Einverständniserklärungen wurden in einem abschließba-ren Schrank der Universität Bremen untergebracht. Die Namen der zu Pflegenden und der Pflegekräfte sind nur dem Durchführenden der Untersuchung bekannt und zu-gänglich. Für die digitale Speicherung und Weiterverarbeitung der Daten wurde eine

nur für das Forschungsprojekt verwendete externe Festplatte genutzt. Diese wurde ebenfalls verschlossen aufbewahrt und nur zu Datenbearbeitung verwendet. Nur die zur Veröffentlichung bestimmten Sequenzen wurden separat auf einem Computer in die Videobearbeitungssoftware eingelesen und von dort aus weiterverarbeitet. Alle diese eingelesenen Dateien befanden sich zuvor auf der externen Festplatte. Die Namen der kooperierenden Institutionen sind der Erstbetreuerin der Forschungsarbeit bekannt.

Die Namensschilder der Pflegekräfte wie auch die Namen der zu Pflegenden wurden in den Videos technisch nachbearbeitet und unkenntlich gemacht. Darüber hinaus wurden alle Bildausschnitte mit einem Unschärfefilter belegt, wenn während der Handlungssituation der Intimbereich der zu Pflegenden sichtbar wurde. Die Gesichter der zu Pflegenden und der Pflegekräfte konnten nicht anonymisiert werden, da sie ein zentraler Bestandteil der Untersuchung sind. Bei der Auswahl von Beispielsequenzen für die Veröffentlichung wurden einzelne Aufnahmen ausgeschlossen, obwohl es hierfür eine Einwilligung gab (bspw. eine Aufnahme, in der eine sehr starke Sekretbil-dung des zu Pflegenden zu sehen ist). Auch wenn solche Szenen zur Normalität der Versorgung dieser Menschen gehören, wurden diese oder ähnliche Sequenzen nicht veröffentlicht, zumal es Alternativbeispiele gibt. In allen zur Veröffentlichung ge-schnittenen Filmsequenzen wird der Film beim Abspielen mit dem Copyright „©

Zündel, Uni Bremen“ versehen. Natürlich verhindert dies keinen Missbrauch des Materials, aber es macht eine eindeutige Zuordnung der Herkunft jederzeit möglich.

In der Onlineversion der Veröffentlichung ist es möglich, die Filmbeispiele über einen direkten Videostream anzusehen. Beim Download der Forschungsarbeit im pdf-Format auf einen Computer sind die Filme darin nicht enthalten, sondern verbleiben auf dem Server der Staatsbibliothek Bremen37.

37 Selbstverständlich ist dem Autor bewusst, dass er die Daten damit nicht gänzlich vor Missbrauch schützen kann. Dies wäre aber bei keiner Veröffentlichungsart möglich gewesen, bei der die Filmse-quenzen als Belegquellen genutzt werden sollen.