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4.1.1 Einleitung

Aktuelle epidemiologische Daten besagen, dass in Deutschland jährlich annähernd 270.000 Menschen einen Schlaganfall erleiden. Knapp 200.000 dieser Patienten sind erstmals von einem Schlaganfall betroffen (Heuschmann et al., 2010). Betrachtet man die gesamte west-liche Welt, bilden Schlaganfälle die zweithäufigste Todesursache des Menschen (Feigin et al., 2014). Dazu sind sie weltweit der häufigste Grund für erworbene Behinderungen (Johns-ton et al., 2009). Laut Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe bleiben etwa 64 % aller Betroffenen auch noch ein Jahr nach dem Ereignis pflegebedürftig – 15 % davon sind gar auf die Versorgung in einer Pflegeeinrichtung angewiesen (Pressemitteilung, Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe). Ganz unabhängig von der mit diesem Krankheitsbild erlebten Erfahrung von massiver körperlicher Einschränkung und Abhängigkeit von Pflege, sind die Folgekosten von Schlaganfällen entsprechend hoch: Schätzungen zufolge belaufen sich die durch Schlaganfälle verursachten Ausgaben in westlichen Industrienationen auf 2-5 % der gesamten Gesundheitskosten (Saka et al., 2009).

Bedenkt man, dass Inzidenz und Prävalenz von Schlaganfällen im höheren Alter ansteigen, zeichnen sich hinsichtlich des demographischen Wandels in Deutschland deutlich steigende Fallzahlen und Kosten ab, welche in Zukunft auf die Gesellschaft zukommen. In der Zukunft wird die weiter alternde Gesellschaft in Europa, bei gleichbleibender Inzidenz von Schlag-anfällen, ein bedeutend größeres Patientenkollektiv dafür darbieten. In Zahlen drücken sich Schätzungen dazu wie folgend aus: In der Europäischen Union wird die Anzahl der jährlich neu aufgetretenen Schlaganfälle möglicherweise von 1,1 Mio. im Jahr 2000 auf ca. 1,5 Mio.

im Jahr 2025 ansteigen (Truelsen et al., 2006). Allein in Deutschland könnten sich die durch Schlaganfälle verursachten und anfallenden Gesamtkosten im Zeitraum von 2010 bis 2030 auf ca. 108 Milliarden Euro erhöhen (Kolominsky-Rabas et al., 2006).

All diese Zahlen sollen verdeutlichen, dass Schlaganfälle und ihre Folgen eben keine selte-nen und individuellen Schicksale älterer Menschen sind, sondern eine allgegenwärtige The-matik darstellen, mit immer größer werdenden gesellschaftlichen ProbleThe-matiken. Das Thema Schlaganfall, mit all seinen Facetten und Folgen, erfordert folglich eine immer größer werdende Aufmerksamkeit im persönlichen Leben, in der Gesellschaft und selbstverständ-lich in der Medizin. In der medizinischen Forschung wird daher seit vielen Jahren mit Nach-druck daran gearbeitet, herauszufinden, was die Ursachen und Folgen von Schlaganfällen sind. Größtes Interesse gilt dabei der Prävention von Schlaganfällen, doch kommt auch der Forschung an neuroprotektiven Substanzen, also Stoffen welche neuronale Zellen nach statt-gefundener Schädigung vor dem Zelltod schützen sollen (Ginsberg, 2008), immer größere Bedeutung zu.

Schlaganfälle werden anhand ihrer Ursache in ischämische Prozesse und Blutungen einge-teilt. Es sollte in diesem Kontext darauf geachtet werden, die Begrifflichkeiten des ischämi-schen Insults und des Schlaganfalls nicht synonym zu verwenden, was in der Praxis leider häufig der Fall ist. Akute ischämische Schlaganfälle (AIS, acute ischemic stroke) nach Ge-fäßverschlüssen machen mit 85 % den Großteil aller Schlaganfälle aus (Beal, 2010). Intra-zerebrale Blutungen (ICB, intracerebral bleeding) sind für die restlichen 15 % aller Schlag-anfälle verantwortlich und sollten in ihrem pathomechanischen Verständnis und ihrer No-menklatur auch klar von ischämischen Schlaganfällen abgegrenzt werden (Beal, 2010). Das klinische Bild eines AIS oder einer ICB kann sich sehr ähnlich darstellen – sodass sich diese nur durch bildgebende Verfahren (cCT, cranial computer tomography oder cMRT, cranial magnetic resonance tomography) voneinander differenzieren lassen. Da wir in unserem Ver-suchsmodell ausschließlich den Einfluss von Ischämie und Reperfusion (I/R) untersuchten, wird im Folgenden auch nur auf die Pathogenese und das Krankheitsbild ischämischer ze-rebraler Vorgänge Bezug genommen.

Laut der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Stand 2012) gilt der früher häufig verwendete Begriff Apoplex als veraltet und obsolet. Dennoch werden für den ischä-mischen Schlaganfall in der Praxis häufig auch die Begriffe ischämischer Insult oder Hirni-nfarkt synonym verwendet, was unter Berücksichtigung der oben genannten Differenzierung kritisch gesehen werden kann. Der häufig in der Schweiz benutzte Begriff des Hirninfarkts beschreibt dabei eher die in der Bildgebung sichtbare Morphologie der Gehirnparenchym-nekrose, als den Vorgang der Ischämie selbst (Leitlinien der DGN, Stand 2012).

Klinisch präsentieren sich Schlaganfallpatienten typischerweise meist mit schmerzlos und hyperakut (wortwörtlich „schlagartig“) einsetzenden neurologischen Symptomen wie u.a.

Lähmungen, Gefühls-, Seh-, Sprach-, Gleichgewichts- oder Koordinationsstörungen, wobei das klinische Bild und seine Ausprägung stark von der Lokalisation des Gefäßverschlusses (A. cerebri anterior/media/posterior, A. basilaris, A. vertebralis, A. cerebelli inferior poste-rior) und der Größe des Infarktgebietes abhängig ist.

4.1.2 Schlaganfallproblematik in der Anästhesiologie

Akute ischämische Schlaganfälle sind keineswegs nur Phänomene der Notfallmedizin und der Neurologie. Sie sind auch eine bekannte perioperative Komplikation und folglich ein Problem der Anästhesiologie und der Intensivmedizin. In diesem Zusammenhang ist als be-sonders problematisch anzusehen, dass die klinische Diagnose des perioperativen ischämi-schen Schlaganfalls (PAIS, perioperative acute ischemic stroke) häufig erst verzögert ge-stellt werden kann. Gründe dafür sind vor allem der perioperative Einsatz von Sedativa und Analgetika, welche die klinischen Erstsymptome eines PAIS beim Patienten nur zeitlich ver-zögert in Erscheinung treten lassen. Zudem können motorische und sensorische Funktionen durch Operationen ebenfalls beeinträchtigt sein, was die Diagnose eines PAIS zusätzlich verzögern kann (Bartels et al., 2013). Vor allem kardiale und vaskuläre Operationen sind mit einem höheren Risiko für PAIS verbunden (Selim, 2007): Herzklappen- (2,2 %) (Filsoufi et al., 2008) und koronare Bypass-Operationen (1,7 %) (Tarakji et al., 2011) gehen dabei mit dem höchsten Risiko für PAIS einher. Bateman und Kollegen konnten jedoch nachweisen, dass auch nicht-kardiale und nicht-vaskuläre Operationen mit einem nicht zu unterschätzen-den Risiko für PAIS behaftet sind. Je nach Operation schwankt das von ihnen berechnete Risiko für PAIS zwischen 0,2 - 0,7 % pro Eingriff. Der größte Risikofaktor eines PAIS ist laut den Autoren eindeutig höheres Alter, was dadurch verdeutlicht wird, dass für Patienten über 65 Jahren das Risiko eines PAIS auf 0,3 – 1,0 % pro Eingriff steigt (Bateman et al., 2009). Die mit einem PAIS einhergehende Mortalität ist ebenfalls deutlich erhöht, wobei die Angaben verschiedener Autoren dazu zwischen 12 % bis zu 32,6 % stark schwanken (Bateman et al., 2009; Mashour et al., 2011; Bijker et al., 2012).

Perioperative zerebrale Hämorrhagien durch Gefäßrupturen sind im Vergleich zu PAIS ab-solute Raritären, sodass fast alle perioperativen Schlaganfälle auf ischämische Ereignisse zurückgeführt werden (Selim, 2007). Als häufigster Grund für PAIS werden von den

Herz-klappen oder den großen Gefäßen (v.a. Aorta und Karotiden) ausgehende arterielle Emboli-sationen angesehen (Bijker et al., 2012), doch auch paradoxe Embolien venösen Ursprungs bei offenem Foramen ovale werden als Ursachen diskutiert (Ng et al., 2011).

Neben erhöhtem Alter gibt es weitere gesicherte Risikofaktoren für die Entwicklung eines PAIS: Hyperkoagulabilität, postoperatives Kammerflimmern, perioperativer Myokardin-farkt und intraoperative Hypotension gehen nachweislich vermehrt mit PAIS einher (Bartels et al., 2013; Bateman et al., 2009). Hinsichtlich des operativen Monitorings, des mit Hypo-tension einhergehenden limitierten autoregulativen zerebralen Blutflusses, wurde deswegen in den letzten Jahren der Effekt der Nahinfrarotspektroskopie (NIRS, near-infrared spectroscopy) untersucht (Ono et al., 2013), jedoch noch ohne bewiesenen Gewinn für den Outcome der Patienten (Bartels et al., 2013).