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6.2 T HEORETISCHE A NSÄTZE ZUR POLITISCHEN I NVOLVIERUNG

6.4.2 Kenntnis der Lokalpolitiker

Die Abbildung 6.2 zeigt die Häufigkeitsverteilung der Kenntnis der Lokalpolitiker, d.h. ob den Befragten mindestens ein, zwei oder drei Repräsentanten der Stadt (z.B. ein Vertreter des Bezirksbeirats, des Stadtparlaments oder ein Kommunalpolitiker, an den sie sich persönlich wenden würden) bekannt sind (Operationalisierung dazu vgl. Tabelle A 1; zu den Häufigkeiten vgl. Tabelle A9 im Anhang).

Abbildung 6.2: Kenntnis der politischen Vertretern der Kommunalpolitik nach Stadtteilen

In sieben Stadtteilen kennt die Mehrheit der befragten Bewohner und Bewohnerinnen mindestens einen Repräsentanten der Kommunalpolitik. Theoretisch wurde ein großer Unterschied der Informiertheit zwischen den privilegierten und den benachteiligten Quartieren angenommen, der sich empirisch bei der Kenntnis von mindestens einem politischen Akteur nicht in diesem Ausmaß bestätigen lässt. Die Befragten der privilegierten Stadtteile Zehlendorf, Marienburg/Hahnwald und Gohlis können häufiger einen politischen Vertreter nennen als die anderen benachteiligten Quartiere, doch der privilegierte Mannheimer Stadtteil Oststadt schneidet in der Informiertheit (wie auch im politischen Interesse) schlechter als zwei benachteiligte Stadtteile ab. Allein für den benachteiligten Kölner Stadtteil Chorweiler trifft das

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erwartete Informationsdefizit zu. Nur 35,5% der Befragten in Chorweiler (gegenüber 84,1% in Marienburg/Hahnwald) kennen einen Vertreter der Kommunalpolitik.

Der Trend, der sich im politischen Interesse zeigte, setzt sich auch in der Informiertheit über Kommunalpolitiker fort. Bringt man die Kenntnis eines lokalen Vertreters in eine Rangfolge nach Quartieren, kennen die privilegierten Stadtteile Berlin Zehlendorf (82,5%, Rang 1), Marienburg/Hahnwald (79,3%, Rang 2), Leipzig Gohlis (73,5% Rang 3) am häufigsten einen politischen Vertreter der Stadt, gefolgt von den benachteiligten Quartieren Berlin Wedding (66,3%, Rang 4) und Mannheim Schönau (64,2% Rang 5). Die befragten Bewohner und Bewohnerinnen des privilegierten Stadtteils Mannheim Oststadt belegen den 6. Rang mit 61,5%

und liegen in der Kenntnis eines politischen Akteurs hinter dem benachteiligten Stadtteil der gleichen Stadt. In dem benachteiligten Quartier Leipzig Osten kennt die Mehrheit (55,8%, Rang 7) einen Vertreter, in Köln Chorweiler nur noch 36,3% (Rang 8). Die Unterschiede sind statistisch signifikant.

Betrachtet man die Kenntnisse (Abbildung 6.2) für den Fall, dass die Befragten mindestens zwei politische Vertreter der Stadtpolitik kennen, verschärfen sich die Unterschiede. Die Kenntnis halbiert sich in den meisten Stadtteilen. Den größten Einschnitt zeigen die Bewohner und Bewohnerinnen von Leipzig im privilegierten Quartier Gohlis von 73,5% auf 17,3% und im benachteiligten Quartier Leipzig Osten von knapp 56% auf 11,5%.

Die kleinste Differenz von der Kenntnis eines Repräsentanten zu zwei Repräsentanten zeigt erstaunlicherweise der benachteiligte Stadtteil Schönau. Dort kennen 39% der Befragten mindestens zwei politische Vertreter. Insgesamt verfügen die privilegierten Stadtteile Köln Marienburg/Hahnwald und Berlin Zehlendorf sowie der benachteiligte Stadtteile Mannheim Schönau über solide Kenntnisse von mindestens zwei politischen Vertretern.

Die Kenntnis von drei politischen Akteuren (ebenfalls Abbildung 6.2) besitzt nur eine kleine Minderheit der Befragten. Positiv setzen sich erneut der benachteiligte Stadtteil Mannheim Schönau (17,1%) und der privilegierte Stadtteil Hahnwald/Marienburg (19,6%) ab.

Die folgende Abbildung 6.3 gibt Aufschluss über die Struktur der Informiertheit (die Häufigkeiten dazu vgl. Tabelle A9 im Anhang). Die Stadtteilebene spielt für die Befragten offensichtlich nicht nur hinsichtlich des politischen Vertrauens und des politischen Interesses

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eine geringere Rolle als die Gesamtstadt, sondern auch hinsichtlich der Kenntnis von lokalen Akteuren.

Abbildung 6.3: Struktur der Kenntnis der politischen Vertreter nach Stadtteilen

Bezirksverordnete, Bezirksbeiräte oder Bezirksvertreter sind in vier Stadtteilen nur im geringen Maße bekannt. Eine Ausnahme bildet erneut der benachteiligte Stadtteil Mannheim Schönau:

dort kennt fast jeder zweite Befragte einen Bezirksvertreter bzw. Bezirksbeirat, was insgesamt für ein responsives Verhältnis zwischen Stadtteilbürgern und Stadtteilpolitikern spricht. Diese Aussage kann allenfalls noch für den privilegierten Stadtteil Köln Marienburg/Hahnwald getroffen werden, in dem 42,6% der Befragten angeben, einen Bezirksvertreter dem Namen nach zu kennen sowie für den Stadtteil Berlin Zehlendorf mit 33% Kenntnis eines Bezirksvertreters unter den Befragten.

Am häufigsten sind die Vertreter der Gesamtstadt unter den Befragten bekannt. Eine starke Orientierung zur Gesamtstadt im Gegensatz zum Quartier zeigen die Bewohner und Bewohnerinnen von Leipzig. Sie kennen mehrheitlich einen Vertreter. Wahrscheinlich ist damit der Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee gemeint, der zwischen 1998 und 2005, also auch zum Zeitpunkt der Umfrage das Amt inne hatte und zur politischen Identifikationsfigur für die Bewohner von Leipzig geworden war. Die Sympathie für den Oberbürgermeister schlug sich auch in hohen Vertrauenswerten nieder (vgl. dazu Kapitel 4.4.) Auch in Berlin ist ein Vertreter der Gesamtstadt mehrheitlich bekannt. Erstaunlich ist erneut das Ergebnis des benachteiligten

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Stadtteils Mannheim Schönau. Die Befragten kennen eher einen Vertreter ihres Stadtteils als einen der Gesamtstadt Mannheims, was auf eine starke Stadtteilorientierung hindeutet.

Ebenfalls für eine starke Stadtteilorientierung spricht das Ergebnis, dass in Schönau 35,8% der Befragten angeben, einen Kommunalpolitiker oder eine einflussreiche Person zu kennen, die sie bei einem Problem ansprechen könnten. Dieser persönliche Zugang zu politischen Akteuren ist nur noch in den privilegierten Quartieren Marienburg/Hahnwald (34,3%) und in Mannheim Oststadt (24,2%), wo man ein informelles Netzwerk aus Personen in Entscheidungspositionen am ehesten erwarten würde, relativ stark ausgeprägt.

Die Hypothese, dass die Bewohner privilegierter Quartiere einen deutlich leichteren persönlichen Zugang zu politischen Vertretern haben als Bewohner benachteiligter Quartiere, kann mit diesen Daten nicht gestützt werden. In Berlin liegt die Differenz zwischen privilegierten und benachteiligten Quartieren bei 5 Prozentpunkten, in Leipzig nur bei 4 Prozentpunkten. Einen deutlichen Unterschied gibt es in Köln mit 23 Prozentpunkten Differenz.

In Mannheim dreht sich das Verhältnis sogar um: dort liegt der benachteiligte Stadtteil mit 12 Prozentpunkten in seiner Kenntnis von Politikern, die man bei Problemen ansprechen kann, vor dem privilegierten Quartier.

Um zu untersuchen, in wieweit soziodemographische Variablen, das kulturelle und ökonomische Kapital, der berufliche und familiäre Status sowie Stadt- und Stadtteil-Variablen einen Einfluss auf die Kenntnis von Lokalpolitikern haben, wurde eine logistische Regression mit der abhängigen Variable „Kenntnis von mindestens einem lokalpolitischen Vertreter“

gerechnet, deren Ergebnisse in der Tabelle 6.2 dargestellt sind. Es wurde bewusst die niedrigschwellige Kenntnis von nur einem Kommunalpolitiker oder –vertreter ausgewählt, um aufzuzeigen, welche Gruppen diese niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeit und Involvierung nutzen bzw. nicht nutzen.

In der ersten Spalte der Tabelle 6.2 sind die unabhängigen Variablen, in der zweiten Spalte die Referenzkategorien eingetragen. Bei der logistischen Regression, werden im Unterschied zur linearen Regression nicht Wahrscheinlichkeiten, sondern Wahrscheinlichkeitsverhältnisse, also Chancen geschätzt. Folglich werden die Ergebnisse in den Spalten drei und vier als Odd-Ratio, sprich als Chancenverhältnis dargestellt (vgl. Kohler/Kreuter 2006: 265-317). Das Pseudo R2 ist in Analogie zum Adjusted R2 der linearen Regression eine Abschätzung der erklärten Varianz.

Die Untersuchung brachte folgendes Ergebnis:

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Tabelle 6.2: Logistische Regressionsmodelle mit der Dummyvariablen Kenntnis der

Kommunalpolitiker (wenn mindestens ein politischer Vertreter gekannt wird) als abhängige Variable

Modell 1 Modell 2

Kovariate Referenzkategorie Odd-Ratio Odd-Ratio soziodemographische Variablen

männlich weiblich 1,46** 1,48**

Alter 1,02** 1,02**

kulturelles Kapital

Mittlere Reife, POS 10.Klasse Hauptschulabschluss 1,74** 1,46*

Abitur, FHR Hauptschulabschluss 2,44** 2,02**

privilegierte Quartiere benachteiligte Quartiere 1,46**

Köln Leipzig 0,45**

5% Signifikanzniveau*, 1% Signifikanzniveau**, ns – statistisch nicht signifikant.

Die Chance, einen politischen Vertreter zu kennen steigt für folgende Gruppen an: für Männer (gegenüber Frauen), um das 1,5-fache, für Personen mit einem Realschulabschluss (gegenüber Personen mit Hauptschulabschluss, für Personen mit Abitur (gegenüber Personen mit Hauptschulabschluss) um das 2,5-fache sowie für Beamte und Selbstständige (gegenüber Angestellten). Steigt das Einkommen einer befragten Person um 100 Euro über den Mittelwert an, steigt die auch die Chance für die Kenntnis eines Kommunalpolitikers. Für das Alter und die

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Wohndauer lässt sich sagen, dass mit jedem Lebens- bzw. Wohnjahr über dem Mittelwert die Chance, einen Politiker zu kennen ebenfalls ansteigt. Geringere Kenntnisse eines kommunalpolitischen Vertreters zeigen sich eher bei Arbeitern (als bei Angestellten) sowie eher bei geschiedenen und verwitweten Personen (als bei verheirateten Personen).

Im zweiten Modell zeigen sich sowohl Stadt- als auch Stadtteilunterschiede. Bewohner privilegierter Quartiere haben eine höhere Chance, informiert zu sein als Bewohner benachteiligter Quartiere. Wählt man, wie im Modell 2, Leipzig als Referenzstadt, zeigt sich, dass die Stadt Köln eine niedrigere Kenntnis der Vertreter der Stadt aufweist als Leipzig. Berlin hingegen ist mit einer höheren Kenntnis ausgestattet als die Stadt Leipzig und Köln. Zwischen Leipzig und Mannheim gibt es keine signifikanten Unterschiede. Eine klärende Interpretation für diese Stadtunterschiede kann leider nicht gegeben werden. Möglicherweise schlagen hier die Unterschiede zwischen den Stadtteilen durch, d.h. die sehr niedrigen Werte in Köln Chorweiler und die relativ hohen Werte in Köln Hahnwald/Marienburg unterliegen in der Summe den relativ hohen Werten in Leipzig Osten und Gohlis, die wiederum nur von der Summe der Werte in beiden Berliner Stadtteilen übertroffen wird.