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7.3 B ISHERIGE EMPIRISCHE B EFUNDE ZUM LOKALEN SOZIALEN K APITAL

7.4.3 Bürgerschaftliches Engagement

Das aktive bürgerschaftliche Engagement bildet die dritte Komponente des sozialen Kapitals.

Die folgende Abbildung 7.4 gibt einen Überblick über die Verteilung des Engagements nach Stadtteilen (zur Operationalisierung vgl. Tabelle A 1; zu den Häufigkeiten vgl. Tabelle A13 im Anhang).

Kapitel 7: Soziales Kapital: Soziales Vertrauen, bürgerschaftliches Engagement, Mitgliedschaften

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Abbildung 7.4: Bürgerschaftliches Engagement (Ehrenamt/ aktive Mitgliedschaft) nach Stadtteilen

Es zeigt sich, dass sich Bewohner privilegierter Quartiere signifikant häufiger bürgerschaftlich engagieren als Bewohner und Bewohnerinnen benachteiligter Quartiere. Für die benachteiligten Stadtteile fallen die beobachteten Häufigkeiten des Engagements zwischen 18% und 29%

ähnlich wie in der Studie von Alemann u.a. (2004) aus. Aber auch in den privilegierten Quartieren engagieren sich nicht mehr als 37% der Befragten ehrenamtlich (in Berlin Zehlendorf). Für den Mannheimer benachteiligten Stadtteil Schönau und den Leipziger privilegierten Stadtteil Gohlis setzt sich der bisher beobachtete Trend fort. Schönau liegt mit seiner aktiven Mitgliedschaft und seinem Engagement über dem Durchschnitt der benachteiligten Quartiere, Leipzig Gohlis als privilegiertes Gebiet dagegen unterhalb des Durchschnitts der privilegierten Stadtteile.

Um den Einfluss der soziodemographischen Variablen, des kulturellen und ökonomischen Kapitals, des familiären und beruflichen Status sowie der Quartiers- und Stadtbezogenen Variablen vorherzusagen, wurde eine logistische Regression mit der Dummyvariablen

„bürgerschaftliches Engagement“ gerechten. Die Ergebnisse stellt die folgende Tabelle 7.4 dar:

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Tabelle 7.4: Logistische Regressionsmodelle mit der Dummyvariable bürgerschaftliches Engagement als abhängige Variable

Modell 1 Modell 2

Kovariate Referenzkategorie Odd-Ratio Odd-Ratio soziodemographische Variablen

männlich weiblich ns ns

Alter ns ns

kulturelles Kapital

Mittlere Reife, POS 10.Klasse Hauptschulabschluss ns ns Abitur, FHR Hauptschulabschluss 2,05** 2,00**

privilegierte Quartiere benachteiligte Quartiere ns

Berlin Leipzig ns

5% Signifikanzniveau*, 1% Signifikanzniveau**, ns – statistisch nicht signifikant.

Bei der Untersuchung der Einflussfaktoren des bürgerschaftlichen Engagements stellten sich folgende Merkmale als statistisch signifikant heraus: das kulturelle Kapitel und der berufliche Status. Die Wahrscheinlichkeit sich bürgerschaftlich zu beteiligen, steigt für Personen mit Abitur gegenüber Personen mit einem Hauptschulabschluss um das 2-fache. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zum bürgerschaftlichen Engagement zeigen weiterhin Beamte und Selbständige gegenüber Angestellten. Ein Städteunterschied ist im zweiten Modell zwischen Mannheim und Leipzig statistisch belegt: Mannheim verfügt über ein höheres Engagement als

Kapitel 7: Soziales Kapital: Soziales Vertrauen, bürgerschaftliches Engagement, Mitgliedschaften

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Leipzig. Die Aufklärung der Varianz liegt in dem präsentierten Modell lediglich bei 4%, was auf die geringe Varianz im Antwortverhalten der Befragten zurückgeführt werden kann.

7.5 Zusammenfassung

Das soziale Kapital wurde in drei Dimensionen operationalisiert: soziales Vertrauen, Mitgliedschaften und bürgerschaftliches Engagement. Tabelle 7.5 fasst die Ergebnisse für die einzelnen Quartiere in einer Rangfolge zusammen. Der erste Platz in der Rangfolge steht für die höchsten Vertrauenswerte, die meisten Mitgliedschaften und das größte bürgerschaftliche Engagement, der letzte Platz für relativ geringe Vertrauenswerte, wenige oder keine Mitgliedschaften und geringes bürgerschaftliches Engagement.

Tabelle 7.5: Rangplätze für das Soziales Kapital nach Stadtteilen Soziales Vertrauen

(Faktor) Mitgliedschaften

(mindestens 2 von 8) Bürgerschaftliches Engagement

Quartiere Rangplätze Rangplätze Rangplätze benachteiligte Quartiere

Die privilegierten Quartiere Köln Marienburg/Hahnwald, Berlin Zehlendorf und Mannheim Oststadt belegen die ersten Ränge und gehören zu den Stadtteilen mit einem hohen sozialen Kapital. Sie zeichnen sich durch ein hohes soziales Vertrauen, durch überdurchschnittlich häufige Mehrfachmitgliedschaften und ein wesentlich höheres bürgerschaftliches Engagement aus. Den Bürgerinnen und Bürgern in diesen Gebieten ist damit auch die Möglichkeit an die Hand gegeben, sich bei Bedarf zu organisieren und gegen unliebsame Vorhaben der Stadt zu intervenieren. Dies gilt insbesondere für Köln Marienburg/Hahnwald und Berlin Zehlendorf, die den sozialstatistischen Kennziffern zufolge die geringsten sozialen Belastungen aufweisen.

Kapitel 7: Soziales Kapital: Soziales Vertrauen, bürgerschaftliches Engagement, Mitgliedschaften

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Diese homogenen und privilegierten Quartiere sind potentiell selbstbewusste politische Akteure, weil sie interessiert die Stadtpolitik verfolgen, über kommunale Vertreter informiert und zur politischen Partizipation bereit sind. Sie verfügen daneben über eine stabile Vertrauensbasis der Bewohner untereinander im Quartier sowie über ein breites Netzwerk aus Mehrfachmitgliedschaften und bürgerschaftlichem Engagement.

Die angenommenen Unterschiede zwischen privilegierten und benachteiligten Quartieren konnten für das soziale Vertrauen und die Mitgliedschaften statistisch gestützt werden. Die benachteiligten Quartiere Berlin Wedding, Köln Chorweiler und Leipzig Osten verfügen über weniger soziales Kapital, weniger Mitgliedschaften und sind seltener bürgerschaftlich engagiert als die privilegierten Quartiere. Die Bewohner des benachteiligten Stadtteils Mannheim Schönau liegen in einer Gesamtauswertung des sozialen Kapitals vor dem privilegierten Quartier Leipzig Gohlis. Wie lässt sich dieser Befund erklären? Im Fall Leipzig Gohlis liegt es an dem insgesamt schwächeren Sozialkapital in Leipzig. Der benachteiligte Stadtteil Leipzig Osten besitzt das geringste soziale Kapital von den acht Untersuchungsgebieten. Auch andere Studien verweisen auf einen Ost-West-Unterschied hinsichtlich des sozialen Kapital, den auch die vorliegenden Daten nahe legen (vgl. Gensicke 2006, Offe/Fuchs 2001). Das relativ hohe soziale Kapital im benachteiligten Quartier Mannheim Schönau kann teils auf die aktive Unterstützung und Aufmerksamkeit des Stadtteils seitens der Stadt seit Anfang der 90er Jahre zurückgeführt werden, mit der die zivilgesellschaftlichen Akteure gestärkt wurden. Es liegt aber sicher auch an der über Jahrzehnte gewachsenen Vereinsstruktur, die in keinem anderen Untersuchungsgebiet in diesem Maß ausgeprägt ist wie in Mannheim Schönau (vgl.

Häußermann/Läzer/Wurtzbacher 2008).

Die Frage, welche Personen häufiger und chancenreicher über soziales Kapital verfügen, beantworten die Regressionen: Wer über das Abitur verfügt, hat ein höheres soziales Vertrauen, ist häufiger Mehrfachmitglied und häufiger bürgerschaftlich engagiert. Das Alter und das Einkommen sind ebenfalls entscheidende Einflussgrößen: für ältere Personen und für Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen ist ein höheres soziales Vertrauen und eine häufigere Mehrfachmitgliedschaft statistisch nachgewiesen. Die Erwerbstätigkeit wirkt sich hinsichtlich der Mehrfachmitgliedschaft positiv aus, negativ dagegen der Familienstatus ‚geschieden’

gegenüber verheirateten Personen. Insgesamt betrachtet korrespondieren die unabhängigen Variablen mit dem privilegierten bzw. benachteiligten Wohnorten.

Kapitel 8: Solidaritätsbereitschaft

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8 Solidaritätsbereitschaft

8.1 Problemaufriss

Eingebettet in den Kontext von Einstellungen, die sich auf die politische Gemeinschaft richten, stellt die Solidaritätsbereitschaft eine aktive Unterstützungsbereitschaft fremder Risiken nach dem Solidarprinzip dar oder wie es Richard Rorty ausdrückt, handelt es sich um „die Fähigkeit, auch Menschen, die himmelweit verschieden zu uns sind, doch zu „uns“ zu zählen“ (Rorty 1992: 310). Die Solidaritätsbereitschaft zielt meist auf eine finanzielle Umverteilung kollektiver Güter zugunsten ärmerer und benachteiligter sozialer Gruppen und grenzt sich von der kollektiven Bereitschaft, eigene Risiken nach dem Individualprinzip zu versichern ab (vgl.

Ulrich 2005) ab. Die Frage nach dem Ausmaß und den Strukturen von Solidarität in einer Gesellschaft ist seit Émile Durkheim (1977[1893]) immer wieder diskutiert worden. Kaufmann (2002:19) sieht den Grund der Überlegungen zur Solidarität damals wie heute in einem umfassenden, gesellschaftlichen Wandlungsprozess, der Sozialwissenschaftlern wie Politikern die soziale Frage aufzwinge. Beschrieb Durkheim die Arbeitsteilung als das moderne Phänomen der Industrialisierung und Verstädterung im ausgehenden 19. Jahrhundert, das zu neuen sozio-moralischen Arrangements führte und die auf Tradition, Sitten und Sanktionen beruhende „mechanische Solidarität“ durch die „organische Solidarität“, eine differenziertere Form des gesellschaftlichen Zusammenhalts, ablöste, bildet heute „ein verbreitetes Unbehagen über mutmaßliche Auswirkungen von zumeist unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefassten Phänomen“ den Kontext der aktuellen Diskussion über Solidarität (Kaufmann 2002, siehe auch Münkler/Bluhm 2001, Münkler/Fischer 2002, 2002a ; Heitmeyer 1997, 1998, 2000, Berger 2005).

Eine weitestgehende Entgrenzung und technische Beschleunigung des Wirtschaftsverkehrs und das Zusammenwachsen bisher getrennter Finanzmärkte zu einem tendenziell weltweiten, ausschließlich geldvermittelten Regelungszusammenhangs (Kaufmann 2002) sowie die generelle Finanzierungsproblematik der Sozialversicherungssysteme in Europa schlägt sich auf der Ebene der Städte nieder und generiert die Frage, in wieweit deutsche Städte und lokale politische Entscheidungsträger überhaupt auf einen solidarischen Grundkonsens innerhalb der politischen Gemeinschaft und zwischen den Bürgerinnen und Bürgern bauen können oder nicht.

Lässt sich auf eine solidarische Stadtgemeinschaft vertrauen oder zeichnen sich

Kapitel 8: Solidaritätsbereitschaft

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Entsolidarisierungstendenzen unter den Stadtbürgern ab? Ist eine Politik der sozialen Umverteilung zugunsten benachteiligter Bewohner und Stadtgebiete nach wie vor gerechtfertigt oder fordern die Bürgerinnen und Bürger eine neoliberale Politik, die sich vom Solidarprinzip verabschiedet?

Um diese Fragen zu beantworten, werden im Folgenden ausgewählte Ansätze der Solidarität diskutiert, bisherige Befunde zur Solidaritätsbereitschaft vorgestellt und am Ende des Kapitels die empirischen Ergebnisse zur Solidaritätsbereitschaft vorgestellt.

8.2 Ansätze und Diagnosen zur Solidarität und