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2.2 S OZIALSTRUKTUR UND POLITISCHE E INSTELLUNGEN

2.2.2 Der Ansatz von Pierre Bourdieu

2.2.2.2 Feld, sozialer Raum und Kapital

Zwei weitere zentrale Begriffe: Feld und sozialer Raum sorgen dafür, dass die vom Habitus generierte Praxis nicht in einem neutralen Raum, „einem unorganisierten Vakuum“ stattfindet, sondern in einem strukturieren Rahmen (Schwingel 1998: 77). Beide Begriffe basieren auf der Vorstellung der Soziologie als „Sozialtopologie“ (Bourdieu 1985). Dementsprechend lasse sich die soziale Welt in Form eines mehrdimensionalen Raums darstellen, dem bestimmte Unterscheidungs- bzw. Verteilungsprinzipien zugrunde liegen und innerhalb dessen Akteure oder Gruppen von Akteuren „anhand ihrer relativen Stellung innerhalb des Raumes definiert“

werden (Bourdieu 1985: 9f.).

Der soziale Raum stellt die Gesamtheit aller Felder dar und weist den höchsten Abstraktionsgrad auf; er bildet die objektiv erfassbare Sozialstruktur einer Gesellschaft im Sinne der

„Sozialtopologie“ ab. Soziale Felder sind dagegen relativ autonome Praxisfelder, die sich sozialgeschichtlich herausbilden und sich durch eigene „Spielregeln“, eigene Formen von

„Einsätzen“ und „Gewinnen“ auszeichnen: „Ein Feld ist ein Mikrokosmos innerhalb des sozialen Makrokosmos.“ (Bourdieu 2001: 41) Beispiele sind: das politische Feld, das schulische Feld und das religiöse Feld. Bourdieus Überlegungen lassen sich, wie am Ende des Abschnittes zu sehen sein wird, konkret auf den Gegenstand dieser Arbeit übertragen.

Kapitel 2: Sozialstruktur und politische Einstellungen: Der Ansatz von Pierre Bourdieu

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Bourdieu spricht auch vom sozialen Raum als einem „Ensemble objektiver Kräfteverhältnisse, die allen in das Feld Eintretenden gegenüber sich als Zwang auferlegen und weder auf die individuellen Intentionen der Einzelakteure noch auf deren direkte Interaktionen zurückzuführen sind“ (Bourdieu 1985: 10). Wie das Zitat verdeutlicht, repräsentieren das soziale Feld und der soziale Raum den objektivistischen Teil der Theorie von Bourdieu, der sich über die Ressourcen und Kapitalien der Akteure definiert. Der Akteur wird entlang seines Kapitals einer bestimmten sozialstrukturellen Position innerhalb des sozialen Raumes zugeordnet. Die Positionierung findet entlang von drei Raumdimensionen statt. Die erste Dimension misst den Gesamtumfang des Kapitals, über das der Akteur verfügt; die zweite Dimension misst die Zusammensetzung des Kapitals, das heißt das spezifische Gewicht der einzelnen Kapitalsorten, bezogen auf das Gesamtvolumen (Bourdieu 1985: 11). Die dritte, die zeitliche Dimension, berücksichtigt den Umstand, dass die „typische Laufbahn integraler Bestandteil des Systems der konstitutiven Faktoren einer Klasse ist“ (1987: 189). Die zeitliche Dimension erfasst den Sachverhalt, dass bestimmte Positionen „historisch“ geworden sind (Speth 1997: 324).

Da der Kapitalbegriff in der Theorie Bourdieus eine zentrale Rolle spielt und dieser der Operationalisierung einiger Variablen der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt ist, werden die verschiedenen Begriffe kurz vorgestellt.

Das Konzept des Kapitals (Bourdieu 1992) stützt die objektive Seite der Theorie Bourdieus. Die vier verschiedenen Kapitaliensorten, nämlich ökonomisches, soziales, kulturelles und symbolisches Kapital, bilden zusammen das Kapitalvolumen eines Akteurs und sind zugleich ein charakteristisches Merkmal, anhand dessen die Position eines Akteurs im sozialen Raum bestimmt wird.

Zum ökonomischen Kapital zählt Bourdieu schlichtweg die verschiedenen Formen des materiellen Reichtums. Das kulturelle Kapital kann dagegen in verschiedenen Zuständen vorliegen. Im objektivierten Zustand umfasst es bspw. Bücher, Gemälde, Kunstwerke, Maschinen, technische Instrumente und ähnliches. Kulturelles Kapital in einem inkorporierten Zustand drückt sich in Fähigkeiten, Fertigkeiten und im Wissen einer Person aus. Die dritte, institutionalisierte Form kulturellen Kapitals verkörpern Bildungstitel wie z.B. der Schulabschluss, das Diplom oder der Doktortitel. Eine weitere Ressource stellt das soziale Kapital dar, das auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe basiert. Innerhalb der sozialstrukturell

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geprägten Gruppe mit dem entsprechenden Habitus beschreibt das soziale Kapital „ein dauerhaftes Netz von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens und Anerkennens“ (Bourdieu 1992: 63). Bourdieu bezieht sich in seinen Beschreibungen vor allem auf die elitären Gruppen der Gesellschaft wie z.B. Alumnikreise der Hochschule, Clubs, Adelsgruppen und politische Parteien. Das Beziehungsnetzwerk muss durch eine permanente „Beziehungsarbeit“ (Bourdieu 1992: 67) aufrechterhalten werden. Es bietet dem Akteur im Gegenzug die Anerkennung der Gruppe. Zusätzlich bedeutet soziales Kapital auch, zu einer bestimmten Gruppe zugerechnet zu werden und damit verbundene Zugangsmöglichkeiten zu Ressourcen zu bekommen. Umgangssprachlich ausgedrückt ist auch das hilfreiche ‚Vitamin B’ Teil des sozialen Kapitals.

Im Kontext der alltäglichen Legitimation gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse übernimmt das symbolisches Kapital eine wichtige Funktion. Es drückt sich als mehr oder minder dauerhaft verbürgte Anerkennung von bestimmten Akteuren und Gruppen aus und schöpft seine Wirksamkeit aus seiner gesellschaftlichen Anerkennung. „Darüber hinaus sind zum symbolischen Kapital sämtliche Formen des Kredites an sozialer Anerkennung zu rechnen, die sich innerhalb der verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche etablieren können“ (Schwingel 1998: 88). Im Unterschied zur Logik der Knappheit, die für ökonomisches und kulturelles Kapital (in objektiviertem oder inkorporiertem Zustand) kennzeichnend ist, gehorcht das symbolische Kapital einer Logik der Hervorhebung und Anerkennung (ebd.). Wie das soziale Kapital, zielt das symbolische Kapital auf die soziale Anerkennung, doch häufig lassen sich die Begriffe kaum eindeutig voneinander abgrenzen. Das symbolische Kapital ist zusätzlich mit einer „Deutungsmacht“, einer Macht zur Definition, verbunden, die das soziale Kapital nicht per se umfasst.

Das vorhandene Kapital und seine jeweilige Zusammensetzung positionieren den Akteur sozialstrukturell und bilden gleichzeitig seinen „Spieleinsatz“ in den sozialen Feldern, in denen er aktiv ist und in denen um Positionen „gespielt“ wird (Bourdieu 1985: 10). Raum und Feld stellen in erster Linie einen „locus of struggle“ dar (ebd.). Die Struktur des Feldes ist geprägt und hervorgebracht durch die Kämpfe, die in ihnen stattfinden und stattgefunden haben. Das soziale Feld ist daher ein „Kräftefeld“, in dem die Akteure um ihre soziale Position ringen. Es gibt einen permanenten Kampf um die Wahrung bzw. Veränderung der jeweils herrschenden Kräfteverhältnisse.

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