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B ISHERIGE EMPIRISCHE B EFUNDE ZUR LOKALEN R ESPONSIVITÄTSWAHRNEHMUNG

Im lokalpolitischen Kontext geht es um die Frage, inwieweit kommunalpolitische Entscheidungen auf die Akzeptanz der Bürger treffen bzw. in welchem Ausmaß die Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen in der aktuellen Kommunalpolitik vertreten sehen. Da der Fokus der Arbeit auf unterschiedlichen Stadtteilen liegt, wird nach dem Grad der wahrgenommenen Responsivität für stadtteilbezogene Interessen gefragt.

5.3 Bisherige empirische Befunde zur lokalen Responsivitätswahrnehmung

Für die lokale Ebene liegen kaum Ergebnisse zur Responsivitätswahrnehmung vor. Für die Bundesrepublik zeigen sich Schwankungen mit der Tendenz zu einem eher schwach entwickelten Gefühl der Responsivität seit der Wiedervereinigung. So nahm Gabriel (1996:

266f.) in den alten Bundesländern in den Jahren 1991, 1995, 1996 ein geringes

Kapitel 5: Responsivitätswahrnehmung

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Responsivitätsgefühl wahr. Maximal 30 Prozent der Befragten in den alten Bundesländern und maximal 27 Prozent in den neuen Ländern billigten den Politikern zu, sich um die Wünsche der Bevölkerung zu kümmern. Die Schwankungen werden in neueren Studien mit Wahlterminen in Verbindung gebracht. So ist eine größere Übereinstimmung zwischen Politikern, Parteien und Bürgern mit dem Näherrücken des Wahltermins festzustellen (Vetter 2000, Brettschneider 1996).

Arbeiten zur Kommunalpolitik beziehen sich im Wesentlichen auf die Responsivität der Kommunalpolitiker im Umgang mit politischen Themen und Bedürfnissen der Bevölkerung.

Nach Brettschneider (1997: 273) stimmen die Präferenzen der Stuttgarter Ratsmitglieder mit Bevölkerungspräferenzen „außergewöhnlich stark überein“. Walter (2000) stellte bezüglich der Sportpolitik ebenfalls eine relativ hohe Übereinstimmung zwischen den Einstellungen der Bürger und den Kommunalpolitikern in Stuttgart fest. Geißel (2004a) hinterfragt in ihrer Studie die bisher implizite Annahme, dass eine positive Responsivitätswahrnehmung allein aus einer positiven Responsivität der Politik resultiere und überprüfte in ostdeutschen und westdeutschen Städten mit unterschiedlichen sozioökonomischen Lagen verschiedene Determinanten der Responsivitätswahrnehmung. Untersuchungsfelder waren in Sachsen- Anhalt Halle, Dessau, Saalekreis; in Nordrhein-Westfalen Köln, Jülich und Oberbergischer Kreis. Geißel kommt zu dem Ergebnis, dass die Responsivitätswahrnehmung kaum mit der Responsivität erklärt werden kann (Geißel 2004a: 1248). Stattdessen stehe die lokale Responsivitätswahrnehmung in signifikanter Beziehung zu soziodemographischen und Einstellungsmerkmalen. Wird die eigene wirtschaftliche Lage negativ eingeschätzt, fällt das Responsivitätsgefühl in ost- wie in westdeutschen Gebieten negativ aus. In den befragten ostdeutschen Gebieten hatte sogar nicht nur die Einschätzung der eigenen ökonomischen Situation, sondern auch die Wahrnehmung der ökonomischen Situation der Kommunen einen Einfluss auf die Responsivitätswahrnehmung.

„Eine negative Einschätzung der Lage der Stadt bzw. des Kreises korrelierte mit niedrigem Responsivitätsgefühl und umgekehrt“ (Geißel 2004a: 1249). Diese Aussage konnte jedoch nicht für die westdeutschen Gebiete bestätigt werden. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Krimmel (1999).

Kapitel 5: Responsivitätswahrnehmung

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5.4 Empirische Ergebnisse

Abbildung 5.1 zeigt die Häufigkeitsverteilungen der lokalen politischen Responsivitäts-wahrnehmung im Überblick (zur Operationalisierung vgl. Tabelle A 1; zu den Häufigkeiten vgl.

Tabelle A17 im Anhang):

Abbildung 5.1: Positive Responsivitätswahrnehmung nach Stadtteilen

Es wird deutlich, dass die Sicht auf die Responsivität unterschiedlich ist, je nach dem ob es sich um ein privilegiertes oder ein marginalisiertes Quartier handelt. Erwartungsgemäß liegen die privilegierten Stadtteile im oberen Prozentbereich des Responsivitätsgefühls, die benachteiligten Stadtteile im unteren Prozentsegment. Die Unterschiede zwischen den privilegierten und benachteiligten Quartieren liegen zwischen 16,5 und 43,7 Prozentpunkten. Es fällt auf, dass selbst in den marginalisierten Gebieten noch über die Hälfte der Befragten der Meinung ist, dass man sich um die wichtigsten Probleme im Stadtteil kümmere. Dennoch herrscht in den marginalisierten Gebieten für einen Großteil der befragten Bewohner die Auffassung vor, dass von den gewählten Politikern nicht genügend getan wird, um die Interessen des Stadtteils zu vertreten. Die Abbildung 5.1 gibt die Kluft zwischen den Stadtteilen deutlich wieder. Die Hypothese, dass marginalisierte und privilegierte Gebiete auseinanderdriften, scheint sich für die Wahrnehmung der Responsivität und Repräsentation zu bestätigen.

Kapitel 5: Responsivitätswahrnehmung

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Betrachtet man die Häufigkeiten nach Städten, setzt sich ein Trend, der sich bereits im politischen Institutionenvertrauen zeigte, auch für die Responsivitätswahrnehmung durch. Die beiden Leipziger Stadtteile Gohlis und Osten nehmen die Kommunalpolitik responsiver wahr als die jeweils anderen privilegierten und benachteiligten Quartiere. Das ausgesprochen hohe politische Institutionenvertrauen in Leipzig korrespondiert mit einem vergleichsweise hohen Responsivitätsgefühl.

Im Hinblick auf das Merkmal Geschlecht ist die Frage nach der Berücksichtigung der Interessen von Frauen im Stadtteil aufschlussreich. Frauen sind deutlich weniger von der Interessensvertretung der Frauen im Stadtteil überzeugt als Männer. Die Abbildung 5.2 zeigt die unterschiedliche Wahrnehmung nach Geschlechtszugehörigkeit der Befragten.

Abbildung 5.2: Responsivitätswahrnehmung: Fraueninteressen im Stadtteil werden berücksichtigt

Männer sehen die Repräsentation der Frauen im Stadtraum offensichtlich häufiger als bereits realisiert an als Frauen. Es fällt auf, dass Frauen in benachteiligten Stadtquartieren im geringeren Ausmaß ihre Interessen berücksichtigt sehen als Frauen in privilegierten Stadtquartieren, was eine doppelte Benachteiligung der Frauen in benachteiligten Gebieten andeutet. Die These von Elisabeth Wilson (1991), dass die Stadtplanung und -politik Frauen aus dem städtischen Raum ausschließt, scheint in den Augen der Bewohnerinnen ihre Brisanz noch nicht verloren zu haben. Diese Ergebnisse könnten darüber hinaus auch als ein Hinweis auf eine spezifische Wahrnehmung und Praxis von Frauen in Großstadtquartieren gelesen werden.

Kapitel 5: Responsivitätswahrnehmung

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Für weiterführende, mulitvariate Analysen konnte aus den vier Variablen mittels einer explorativen Faktorenanalyse ein Faktor gebildet werden (vgl. dazu Tabelle A4 im Anhang), der für folgende lineare Regressionen herangezogen wurde. Zunächst wurde der Einfluss der einzelnen Quartiere auf die Responsivitätswahrnehmung überprüft (siehe Tabelle 5.1). Die unabhängigen Variablen sind in der ersten Spalte dargestellt. Das Quartier Wedding wurde als Referenzkategorie ausgewählt, wobei die Regressionskoeffizienten als Rangplätze interpretiert werden. Der erste Rangplatz steht für eine positive Wahrnehmung der Responsivität sowie für das Gefühl der Repräsentation des Stadtteils, der letzte Rang für eine negative Wahrnehmung der Responsivität und für das Gefühl, der Stadtteil werde nicht genügend repräsentiert.

Tabelle 5.1: lineare Regression mit dem Faktor Responsivitätswahrnehmung als abhängige Variable Kovariate Regressionskoeffizient Rangplätze im Vergleich zur

Referenzkategorie benachteiligte Quartiere

(Wedding) (8.)

Osten 5.

Schönau 0,32** 6.

Chorweiler 0,30** 7.

privilegierte Quartiere

Zehlendorf 1,00** 3.

Gohlis 1,20** 1.

Oststadt 1,10** 2.

Hahnwald/Marienburg 1,00** 3.

Konstante = Wedding -0,62**

N 1455

Adj. R2 0,21

5% Signifikanzniveau*, 1% Signifikanzniveau**, ns – statistisch nicht signifikant, Referenzkategorie:

Wedding.

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Die Ergebnisse in Tabelle 5.1 bestätigt die Hypothese einer unterschiedlichen Wahrnehmung nach privilegierten und benachteiligten Quartieren. Für die privilegierten Quartiere ergibt sich folgende Rangfolge: Im Vergleich zum Quartier Wedding belegt Leipzig Gohlis den 1. Platz, Mannheim Oststadt den 2. Platz. Der dritte Platz wird zweimal belegt: von Köln Marienburg/Hahnwald und Berlin Zehlendorf. Die benachteiligten Quartiere belegen die letzten vier Rangplätze: Leipzig Osten den 4. Platz, Mannheim Schönau den 5. Platz, Köln Chorweiler den 7. Platz und Berlin Wedding den 8. Platz.

Mit diesem Regressionsmodell (Tabelle 5.1) kann eine Varianz von 21% aufgeklärt werden. Das deutet darauf hin, dass die Responsivitätswahrnehmung zu 21% auf die Quartierszugehörigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner zurückgeführt werden kann oder anderes gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass Bewohnerinnen und Bewohner benachteiligter Quartiere ihr Quartier nicht genügend politisch repräsentiert sehen, ist relativ hoch. Dies unterstützt die Ergebnisse von Geißel (2004a), die ebenfalls einen signifikanten Einfluss von sozioökonomischen Merkmalen von Regionen auf das Gefühl der Responsivität feststellte.

Um den Einfluss weiterer Variablen für die Responsivitätswahrnehmung zu prüfen, wurde eine zweite lineare Regression gerechnet. Dabei ergaben sich folgende Resultate:

Kapitel 5: Responsivitätswahrnehmung

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Tabelle 5.2: Lineare Regressionsmodelle mit dem Faktor Responsivitätswahrnehmung als abhängige Variable

Mittlere Reife, POS 10.Klasse Hauptschulabschluss 0,19* ns Abitur, FHR Hauptschulabschluss 0,42** 0,15*

privilegierte Quartiere benachteiligte Quartiere 0,62**

Berlin Leipzig -0,32**

5% Signifikanzniveau*, 1% Signifikanzniveau**, ns – statistisch nicht signifikant.

Das erste Modell integriert soziodemographische Merkmale, das kulturelle Kapital, das ökonomische Kapital, den beruflichen sowie den Familienstatus der befragten Personen.

Danach sind Männer responsiver gegenüber der Kommunalpolitik eingestellt als Frauen, ältere Personen responsiver als jüngere Personen. Weiter ergeben sich Unterschiede hinsichtlich des kulturellen Kapitals. Sowohl Personen mit mittlerer Reife als auch Personen mit Abitur sehen

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die Interessen des Stadtteils eher gewahrt als Personen mit Hauptschulabschluss. Beamte nehmen die politische Repräsentation des Stadtteils positiver wahr als Angestellte. Eine lange Wohndauer führt zu einer kritischen Einstellung gegenüber der lokalen Politik und der Vertretung des Stadtteils.

Im zweiten Modell wurden Variablen aufgenommen, die Unterschiede zwischen den Städten und den privilegierten und benachteiligten Quartieren offen legen. Es zeigt sich ein gravierender Unterschied zwischen den Bewohnern privilegierter und benachteiligter Stadtteile. Personen aus privilegierten Stadtteilen sowie Personen die gern in ihrem Stadtteil wohnen, bewerten die Vertretung der Stadtteilinteressen positiver als Personen aus benachteiligten Stadtteilen und Personen, die ungern in ihrem Quartier wohnen. Die Städte unterscheiden sich ebenfalls, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie hinsichtlich des politischen Vertrauens. Die größten Differenzen zeigen sich im Vergleich zu Leipzig zwischen Berlin mit der geringsten Responsivitätseinschätzung und Leipzig mit der positivsten Responsivitätswahrnehmung.

Dazwischen liegen die Städte Köln und Mannheim. Zusätzlich spielt auch die Wahrnehmung des Stadtteils und Positionierung der Bewohner im eigenen Umfeld eine Rolle. Wer gern im Stadtteil lebt, nimmt die Repräsentation des Stadtteils durch die Kommunalpolitik sichtbar positiver wahr. Wer weniger oder ungern im Stadtteil lebt, fühlt sich weniger repräsentiert.