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Kapitalismusanalyse aus intersektionaler Perspektive

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 80-83)

Zur Analyse der Reproduktionsarbeit und deren Bedeutung für Geschlechterverhält-nisse im kapitalistischen System der Bundesrepublik Deutschland beziehe ich mich auf den intersektionalen Mehrebenenansatz von Nina Degele und mir (Winker/

Degele 2009: 25–62). Unter Intersektionalität wird die Verwobenheit von ungleich-heitsgenerierenden Dimensionen wie Geschlecht, Klasse und Ethnizität verstanden,

die sich wechselseitig beeinflussen. Dadurch kommen die Vielschichtigkeit und die Widersprüchlichkeit von Ungleichheitsverhältnissen in den Blick. Wegen dieser analytischen Stärken hat der aus der feministischen Theorie und Praxis kommende Ansatz heute bereits auf vielfältige Art in den Sozial- und Kulturwissenschaften an Bedeutung gewonnen und ist auf dem besten Weg, sich zu einem neuen Paradigma zu entwickeln. Nina Degele und mir geht es mit unserem Intersektionalitätsansatz unter anderem darum deutlich zu machen, dass neben dem Blick auf verschiedene Differen-zierungskategorien auch die unterschiedlichen Analyseebenen zu beachten sind. Wir unterscheiden dementsprechend die Analyseebenen der sozialen Strukturen, der sym-bolischen Repräsentationen und der Identitätskonstruktionen. Inzwischen argumen-tieren auch andere AutorInnen (vgl. u. a. Riegel/Scherr/Stauber 2010) mit ähnlichen Mehrebenenkonzepten. Was unseren Ansatz von diesen abhebt, ist die Einordnung dieser Analyseebenen, dieser unterschiedlichen Perspektiven in ein gesellschaftliches System, das heute beinahe flächendeckend ein kapitalistisches ist. Erst mit diesem Bezug auf den Kapitalismus lassen sich die Wechselwirkungen zwischen der Struk-tur-, Symbol- und Identitätsebene sinnvoll herausarbeiten. Gleichzeitig lassen sich auf der Strukturebene, die für die hier gestellte Frage von besonderer Bedeutung ist und auf die ich meine Argumentation in diesem Vortrag begrenze, die Wechselwirkungen zwischen den vier von uns genannten Herrschaftsverhältnissen – Klassismen, Hete-ronormativismen, Rassismen, Bodyismen – und deren Wandel in einem kapitalisti-schen System analysieren. Der Ansatz ermöglicht so eine feministisch-intersektionale Gesellschaftsanalyse.

Dieses Herangehen, den Kapitalismus als Bezugspunkt für die drei Analyseebenen und in diesem Vortrag insbesondere für die vier genannten strukturellen Herrschafts-verhältnisse zu setzen, ist allerdings nicht voraussetzungslos und hat Konsequenzen.

Es widerspricht nämlich der gerade in der feministischen Theorie und Praxis häufig anzutreffenden Vorstellung, dass wir es mit zumindest zwei Großsystemen zu tun haben, nämlich Kapitalismus und Patriarchat. Entsprechend hat sich die zweite Frauenbewegung bereits in den 1980er Jahren mit der Frage nach der Verknüpfung dieser zwei Großsysteme – Kapitalismus und Patriarchat – beschäftigt. Damals sa-hen die als Dual-System-Theorie bekannt gewordenen Ansätze (Delphy 1985) im Patriarchat – als für die soziale Reproduktion zuständig – analog zum Kapitalismus eine eigenständige Grundstruktur. Diese Ansätze haben wesentlich zur feministischen Theorieentwicklung beigetragen. Allerdings ist es nicht gelungen, ein eigenständiges patriarchales Herrschaftssystem herauszuarbeiten.

Nina Degele und ich plädieren deswegen dafür, die Gegenüberstellung von Kapi-talismus und Patriarchat ad acta zu legen und stattdessen innerhalb des inzwischen weltweit herrschenden kapitalistischen Systems konkrete Herrschaftsverhältnisse und deren Verwobenheit im Bereich der Lohn- und Reproduktionsarbeit zu analysieren.

So begreift der von uns erarbeitete intersektionale Mehrebenenansatz Klassismen und Heteronormativismen, aber auch Rassismen und Bodyismen als strukturelle

Herrschaftsverhältnisse innerhalb der kapitalistischen Gegenwartsgesellschaft, statt Kapitalismus und Patriarchat als zwei Herrschaftssysteme gegenüberzustellen. Da-mit gehen wir von einer kapitalistisch strukturierten Gesellschaft Da-mit der grundle-genden Dynamik ökonomischer Profitmaximierung aus. Dieses System beruht auf dem Verkauf der Ware Arbeitskraft, die als einzige Ware Mehrwert erwirtschaften kann, durch Lohnabhängige sowie der Aneignung dieses Mehrwerts durch Produk-tionsmittelbesitzende. Voraussetzung für die strukturelle Aufrechterhaltung kapita-listischer Gesellschaften ist neben der Sicherung der sozioökonomischen Produkti-onsverhältnisse und der Wiederherstellung der Produktionsmittel auch die möglichst kostengünstige Reproduktion der Arbeitskräfte. Erforderlich ist dazu der kurzfristige Zugriff auf geeignete, passend qualifizierte und flexible Arbeitskräfte zu möglichst ge-ringen Löhnen, ohne dass für deren Reproduktion und Bereitstellung zu hohe Kosten entstehen. Letzteres erfolgt vor allem über die Auslagerung von Reproduktionsarbeit an Frauen in Familien – möglichst zusätzlich zur ihrer Erwerbsarbeit – und damit über die Differenzierungskategorie Geschlecht. Gleichzeitig wird über asymmetrische Geschlechterverhältnisse mit der sogenannten stillen Reserve der Zugang zum Ar-beitsmarkt reguliert und eine Lohndifferenz aufrechterhalten. Doch nicht nur Hete-ronormativismen, sondern auch Klassismen, Rassismen und Bodyismen differenzie-ren und regeln den Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt, die ungleiche Verteilung von Löhnen und Gehältern sowie die Wiederherstellung der Arbeitskraft. Entlang der vier Herrschaftsverhältnisse lässt sich also gesellschaftlich notwendige Arbeit sowohl in der Produktions- als auch in der Reproduktionssphäre ungleich zuordnen. Mit einem sol-chen Herangehen kann herausgearbeitet werden, dass die Produktions- und Repro-duktionssphäre auf der Ebene sozialer Strukturen nicht unverbunden nebeneinander, sondern über ihre Bedeutung in dem kapitalistischen Prozess der Profitrealisierung in Beziehung zueinander stehen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Wir gehen von einer kapitalistisch struktu-rierten Gesellschaft mit der grundlegenden Dynamik ökonomischer Profitmaximie-rung aus, welche die konkrete Form der Lohn- und Reproduktionsarbeit beeinflusst.

Mit einer feministisch-intersektionalen Gesellschaftsanalyse lässt sich jeweils konkret-historisch analysieren, wie gesellschaftlich notwendige Arbeit entlang klassistischer, vergeschlechtlichter, rassistischer und körperbezogener sozialer Ungleichheiten so-wohl in der Produktions- als auch der Reproduktionssphäre ungleich zugeordnet wird und wie sich die Bedeutung und Verwobenheit dieser sozialen Ungleichheiten je nach den konkreten Bedingungen der Kapitalverwertung und unter anderem nach den feministischen Kämpfen verschieben. Diese konzeptionelle Entscheidung für den Kapitalismus als Bezugssystem ist ein entscheidender Vorteil des hier vorgestellten intersektionalen Ansatzes, auch wenn gerade dieser Zusammenhang nur selten

rezi-piert wird.1 Denn mit dem Bezug auf kapitalistische Gesellschaften und ihre grundle-genden polit-ökonomischen Prinzipien der Ausbeutung und der Profitmaximierung erhalten all die großen mit Intersektionalität verbundenen Erwartungen an einen kritischen Umgang mit Differenz und Ungleichheit eine Perspektive. Die konkret-historische Form von sozialen Ungleichheiten ist allerdings aus dieser theoretischen Positionierung nicht ableitbar, sondern muss analysiert werden.

Zunächst werde ich im Folgenden auf der Folie des aufgezeigten theoretischen Rah-mens die sich veränderte Form der Lohn- und Reproduktionsarbeit für die BRD in der Phase des Fordismus sowie des Übergangs zum Post-Fordismus bis hin zu der derzeitigen Krise sozialer Reproduktion darstellen. Dabei werde ich mich auf die strukturellen Veränderungen insbesondere der Geschlechter- und Klassenverhältnisse konzentrieren und damit sowohl Identitätskonstruktionen als auch Veränderungen symbolischer Repräsentationen weitgehend ausklammern (vgl. Winker/Degele 2011:

25–53).

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 80-83)