• Keine Ergebnisse gefunden

Hegemoniekrise, Faschisierung und autoritärer Etatismus

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 160-164)

5 Gesellschaftlicher Kapitalstock und politische Regulierung

1.1 Hegemoniekrise, Faschisierung und autoritärer Etatismus

Nicos Poulantzas charakterisiert, anknüpfend an Antonio Gramsci, eine «Hegemo-niekrise» bzw. eine «strukturelle Krise» als eine Situation, die das ganze Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse umfasst, die sowohl eine ökonomische als auch eine politische Krise beinhaltet (vgl. Poulantzas 2008: 294–322, bes. 299).

Grundsätzlich lässt sich mit Poulantzas die Krise als eine Verdichtung von Wider-sprüchen und «generischen Elementen» der Krise verstehen, die im Kapitalismus im-mer innerhalb der Reproduktion wirken. In einem solchen Verständnis sind Krisen keine Dysfunktionalitäten der kapitalistischen Produktionsweise, sondern notwendig, um die Reproduktion des Kapitalismus zu gewährleisten, indem überschüssiges Ka-pital vernichtet und das Politische reorganisiert wird (vgl. ebd.: 295 f.). Entsprechend muss auch ein Verständnis der Krise abgelehnt werden, dass in teleologischer Weise von einem finalen Zusammenbruch des Kapitalismus ausgeht: «the end of capitalism does not depend on any crisis whatsoever but on the issue of the class struggles that manifest themselves there in» (vgl. ebd.: 296).

Während eine ökonomische Krise sich mit Poulantzas recht allgemein als eine Situ-ation verstehen lässt, in der die KapitalakkumulSitu-ation ins Stocken gerät (vgl. Sablow-ski 2006: 296), kann eine politische Krise als eine Situation verstanden werden, in der sich bestimmte Widersprüche in der politischen Sphäre verdichten und der be-stehende Modus politischer Herrschaft infrage gestellt wird. Das impliziert, dass in der politischen Krise das Verhältnis von Führenden und Geführten in doppelter Hin-sicht in die Krise gerät. Zum einen kann die hegemoniale Klasse oder Klassenfrak-tion des Blocks an der Macht diese Hegemonie nicht mehr gegenüber den anderen Klassen(-fraktionen) des Blocks ausüben, zum anderen wird auch die Hegemonie des gesamten Blocks an der Macht gegenüber den Beherrschten brüchig. Dadurch entsteht insgesamt eine offene Situation, die verschiedene Lösungen ermöglicht. Die politische Krise ist dabei nicht in erster Linie eine Krise des Gleichgewichts der insti-tutionellen Kräfte, noch ist sie primär eine Krise der «Werte» oder der «Legitimation».

Obwohl das alles Elemente der Krise sind, muss sie im Zusammenhang mit dem Klas-senkampf und der Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verstanden werden (vgl. Poulantzas 2008: 297).

Die Staatskrise bezeichnet dabei die Auswirkung der politischen Krise innerhalb der Staatsapparate und ihrer Beziehungen zueinander, die in dieser Situation brüchig werden. Insofern Ideologie mit Poulantzas unmittelbarer Bestandteil der gesellschaft-lichen Kräfteverhältnisse ist und eine wichtige Rolle in der (Neu-)Formierung sozia-ler Kräfte und Klassenfraktionen einnimmt, kommt es zu einer ideologischen Krise, wenn die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in der politischen Krise massiv mo-difiziert werden. Das hat wiederum Auswirkungen innerhalb der Staatsapparate, da der herrschenden Ideologie die Rolle eines Bindemittels der unterschiedlichen Staats-apparate und ihres Personals zukommt (vgl. ebd.: 302 ff.). Diese Wirkung besteht oftmals gerade darin, dass die einzelnen Staatsapparate und ihr Personal politisiert

werden und in Widerspruch zueinander geraten. Zugleich brechen auch Konflikte innerhalb der Apparate auf und können zu einem offenen Klassenkonflikt zwischen den dem Kleinbürgertum zugeordneten Teilen des Staatspersonals und dem Block an der Macht führen. Der Block an der Macht verliert somit einen wichtigen Teil seiner

«organischen Intellektuellen» (vgl. ebd.: 313f.). Schließlich kommen wir nochmals auf die Verbindung von ökonomischer und politischer Krise zurück. Mit Poulantzas ist davon auszugehen, dass eine Übersetzung von einer ökonomischen Krise in eine politische (und vice versa) keine Gleichzeitigkeit impliziert, da das Politische und das Ökonomische relativ getrennt sind und daher auch ihre eigene Zeitlichkeit besitzen (vgl. ebd.: 298). Poulantzas liefert aber keine genaue Erklärung dafür, welche Me-chanismen bei der Übersetzung einer ökonomischen Krise in eine politische Krise (oder auch umgekehrt) wirksam sind. Unserem Verständnis nach kann er eine solche Erklärung auch gar nicht liefern, da das Ökonomische und das Politische keine na-türlich abgeschlossenen Räume sind, sondern «zuallererst durch ihre Beziehung und Verknüpfung konstituiert» (Poulantzas 2002: 46) werden. Entsprechend können die Mechanismen immer nur konkret bestimmt werden, und zwar insofern die Rolle des Staates in der Ökonomie und in der Bearbeitung der ökonomischen Krise einer sorgfältigen Analyse unterzogen wird. Im Falle Griechenlands gehen wir der Frage der Verknüpfung von ökonomischer und politischer Krise sowie den Antworten darauf mit dem Konzept des autoritären Krisenetatismus nach.

Zu Poulantzas’ Konzeption des autoritären Etatismus

Das Konzept des autoritären Etatismus entwickelt Poulantzas im Zuge der Krise des Fordismus und des Übergangs zu einer postfordistischen Regulationsweise. Diese neue Staatsform – die auf die strukturellen Veränderungen in den Produktionsverhältnissen, auf die Transformation gesellschaftlicher Klassen und politischer Kämpfe verweist – verstärkt den Ausschluss der Massen aus den Zentren der politischen Entscheidung.

Der autoritäre Etatismus kann durch verschiedene Aspekte charakterisiert werden:

Verschiebung von der Legislative hinzu der Exekutive, verstärkte Kontrolle durch den repressiven Staatsapparat und die Zunahme der Bedeutung von staatlich kontrollier-ten Bereichen wie Bildung, Sicherheit oder Gesundheit (Nowak 2009: 106). Bob Jessop hebt hervor, dass «authoritarian statism must be seen as normal form of the capitalist state (and thus as still essentially democratic in character) rather than as an exceptional form» (Jessop 1982: 170). Jessop identifiziert vier zentrale Charakter-merkmale des autoritären Etatismus:

1. Eine Machtverschiebung zu exekutiven Staatsapparaten und eine Konzentration der Macht bei der Exekutive.

2. Die Grenzen der Legislative, Exekutive und Judikative verschmelzen zuneh-mend, wobei Gesetze grundsätzlich weniger bedeutsam werden.

3. Die Relevanz von Parteien in der Herstellung von Hegemonie und Konsens rückt in den Hintergrund, die einstigen «Volksparteien», die aus gesellschaftlichen

Bewegungen entstanden, werden zu Wahlvereinen und deren FunktionärInnen zu VermittlerInnen zwischen Staatsapparaten und WählerInnen.

4. Das vierte Charakteristikum beschreibt John Kannankulam besonders treffend:

«eine zunehmende Verlagerung dieser Vermittlung hin zu parallel operierenden Machtnetzen, welche die offiziellen und formalen Wege und Kanäle umgehen und sich zusehends ausweiten» (Kannankulam 2008: 20). Diesen Entwicklungen liegt eine spezifische Beziehung des Staates zur Ökonomie zugrunde, die Poulantzas wie folgt charakterisiert: «Der Staat kann heute weder vor noch zurück, er kann sich vom zentralen Kern der Ökonomie nicht fernhalten, er kann ihn aber auch nicht kon-trollieren» (Poulantzas 2002: 176). Der Staat reagiert und stabilisiert somit nur mehr die Voraussetzungen der Kapitalverwertung, es gelingt dem Block an der Macht aber nicht mehr, ein umfassendes Projekt zu formulieren und durchzusetzen. Poulantzas’

Konzept des autoritären Etatismus bleibt dabei aber stets mit einer gewissen Ambiva-lenz behaftet. Grundsätzlich betont er, dass es sich beim autoritären Etatismus nicht um eine konjunkturelle Erscheinung handelt, sondern vielmehr um eine allgemeine Tendenz, die sich langsam durchsetzt und einer ganzen Phase des Kapitalismus ent-spricht (vgl. Poulantzas 2002: 231). Zugleich erklärt er aber auch: «Der autoritäre Etatismus ist mit der politischen Krise und der Krise des Staates artikuliert. Er ist zugleich eine Antwort auf Elemente dieser Krise, einschließlich seiner eigenen Kri-se. Deshalb ist der Etatismus keine eindeutige Verstärkung des Staates. Er resultiert vielmehr aus einer Tendenz, deren Pole sich ungleichmäßig auf eine Stärkung und Schwächung des Staates hin entwickeln. So bleibt der gegenwärtige Staat, obwohl sein autoritärer Etatismus erschreckend real ist, ein Koloss auf tönernen Füßen»

(ebd.: 233 f.).

Es bleibt letztlich unklar, welche Elemente des autoritären Etatismus spezifische Phänomene der Krise sind und bei welchen es sich um langfristige Tendenzen han-delt. Dies führt auch dazu, dass das Konzept des autoritären Etatismus in den kri-tischen Sozialwissenschaften zur Erklärung höchst unterschiedlicher Entwicklungen herangezogen wird. Während John Kannankulam sich beispielsweise mit dem autori-tären Etatismus als langfristigem Phänomen in verschiedenen Ländern Westeuropas beschäftigt (vgl. Kannankulam 2008), zieht Lukas Oberndorfer das Konzept heran, um die aktuelle Transformation von Staatlichkeit in Europa mittels der Economic Governance zu analysieren (vgl. Oberndorfer 2012a: 50–72).

Die Ambivalenz dieses Konzepts liegt unserem Verständnis nach auch gerade darin begründet, dass Poulantzas es eben in jener Krise des Übergangs entwickelt, die die 1970er Jahre bestimmt. Es muss daher letztlich unklar bleiben, bei welchen Elemen-ten es sich um konjunkturelle Phänomene handelt und bei welchen es sich um Wir-kungen einer langfristigen Tendenz handelt. Im Folgenden wollen wir jene Elemente des autoritären Etatismus betonen, die mit der Krise artikuliert sind, gerade indem die Transformation der Staatlichkeit der Versuch ist, der Krise zu begegnen. Wir wer-den daher diese spezifische Form als «autoritären Krisenetatismus» bezeichnen.

Auto-ritärer Krisenetatismus in der konkreten Konstellation bedeutet, dass im Rahmen der Legalität der europäischen Institutionalität ein Modus gefunden wird, durch den eine nicht-konsensuale Bearbeitung der Krise möglich wird, ohne den legalen Rahmen der europäischen Institutionen und der nationalen parlamentarischen Demokratie zu sprengen.

Faschisierung

Eine nicht-konsensuale Bearbeitung der Krise – jedoch durchaus im Rahmen der Gesetze bzw. der parlamentarischen Demokratie – stand auch am Anfang der Ent-wicklung zur Faschisierung in Österreich. Allerdings radikalisierte sich die Situation kontinuierlich, bis sich die Kräfteverhältnisse so weit verschoben hatten, dass eine Ausschaltung des Parlaments möglich wurde. In Österreich 1929 f. führte die poli-tische Krise zu einer Phase der Faschisierung, die schließlich im Nationalsozialismus gipfelte. Als ein wesentliches Element des Faschisierungsprozesses versteht Poulantzas eine «Situation, in der die inneren Widersprüche innerhalb der herrschenden Klassen bzw. der einzelnen Klassenfraktionen der herrschen Klasse eine Vertiefung und Zu-spitzung entscheidenden Grades erfahren» (Poulantzas 1973: 70). Die Konjunktur der Faschismen und die Faschisierung kommen einer Krise der Parteienvertretung gleich (ein Bruch zwischen den Klassenfraktionen und ihren politischen Parteien), der Block an der Macht ist orientierungslos, und es gelingt der faschistischen Partei so durch die Unterstützung von monopolistischen Kapitalfraktionen «nach und nach den leeren Platz einzunehmen» (ebd.: 74). Eine zentrale Stelle für unsere Forschungs-frage findet sich in der Formulierung Poulantzas’: «In der Tat entsprechen die Anfänge des Faschisierungsprozesses einer Radikalisierung der bürgerlichen Parteien in Rich-tung auf bestimmte Formen des Ausnahmestaats. Dennoch war die Lösung, die diese Parteien in verschiedener Art und Weise anstrebten, lediglich die einer ‹Versteifung›

des Staates in seiner bestehenden Form» (ebd.). Tatsächlich sind die größten Paralle-len nicht im Faschismus erkennbar, sondern im Prozess der Faschisierung. Zugleich spielt die defensive Situation der Arbeiterbewegung eine wesentliche Rolle. Poulant-zas unterteilt die Faschisierung in vier Phasen. Besonders relevant für das Verständnis der Entwicklung der politischen Krise und ihrer Bearbeitung in Österreich ist die erste Phase, die der Anfänge der Faschisierung, die in drei Etappen skizziert wird (ebd.: 79–83):

1. In der ersten Etappe, wird die Arbeiterklasse nach langwierigen Kämpfen schwer geschlagen.

2. Die zweite Etappe stellt jene der relativen Stabilisierung der Kräfte dar, in der sich die Herrschenden nach der Phase der Kämpfe konsolidieren.

3. Die Anfänge der Faschisierung im eigentlichen Sinne.

Auf Basis dieser theoretischen Annahmen und Erörterungen wenden wir uns nun der Analyse der Länderbeispiele zu.

2 Österreich

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 160-164)