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Autoritäre Bearbeitung der «Schuldenkrise»

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 166-169)

5 Gesellschaftlicher Kapitalstock und politische Regulierung

2.2. Autoritäre Bearbeitung der «Schuldenkrise»

(Völkerbundanleihe)

Als «autoritären Liberalismus» bezeichnet Lukas Oberndorfer, angelehnt an Hermann Heller, die spätestens unter Heinrich Brüning einsetzende Herrschaftsstrategie zur Be-arbeitung der Krise in der Weimarer Republik (Oberndorfer 2012b: 420 ff.). Obern-dorfer untersucht die gegenwärtige Hegemoniekrise der EU vor dem Hintergrund der Verhältnisse in der Weimarer Republik, wobei er die aktuellen transnationalen Herrschaftsstrategien als autoritären Wettbewerbsetatismus fasst. Auch in Österreich sind autoritäre Momente in der herrschaftlichen Bearbeitung der Krise der Zwischen-kriegszeit zu erkennen, die jenen der Weimarer Republik, aber eben auch gegenwär-tigen Strategien zur Krisenlösung gleichen. Die parlamentarische Demokratie wurde nach und nach untergraben, Elemente des Zwangs ausgeweitet usw. Allerdings nahm die stete Radikalisierung der Verhältnisse in Österreich vorerst einen anderen Lauf als in Deutschland.

Zuerst Reformen, dann das Geld

Im Sommer 1931 wandte sich die christlichsoziale Regierung zum zweiten Mal an den Völkerbund. Bei der Völkerbundanleihe handelte es sich nicht um Kredite, die der Völkerbund aus eigenen Mitteln zur Verfügung stellte. Vielmehr bestand die Rolle der Organisation darin, die wirtschaftliche und staatsfinanzielle Lage des kreditsu-chenden Landes zu prüfen, einen Sanierungsplan zu entwerfen und die Umstruktu-rierungen im jeweiligen Land zur Erlangung der Kredite zu kontrollieren (vgl. Stiefel 1988: 132). Vertreter des Finanzkomitees reisten nach Wien und entwarfen mit der Regierung ein Programm, das (erneut) Sparen und Abbau der Staatsausgaben zu Prä-missen erklärten (vgl. Klingenstein 1965: 70). Das Interesse des Finanzkomitees des Völkerbundes an Österreich ist mit dessen zentraler wirtschaftlichen Position in Mit-teleuropa sowie mit der Einschätzung verbunden, dass eine Finanz- und Wirtschafts-krise eine Instabilität in weiten Teilen Europas erzeugen würde. So formulierte etwa Rost van Tonningen, der Vertreter des Finanzkomitees in Wien, dass an Österreich ein Exempel statuiert werde, dass auch für andere schwankende Mächte in Europa Wirkung haben könne (vgl. Stiefel 1988: 163).

Sanieren heißt Sparen

Um zu einem späteren Zeitpunkt die Kredite zu erhalten, wurde noch 1931 ein

«Sanierungsgesetz» vom Parlament angenommen (vgl. Klingenstein 1965: 50; Ausch 1968: 397). Der Inhalt umfasste: die Kürzung von sozialen Ausgaben, die Einfüh-rung neuer Steuern (Pendant zur Mehrwertsteuer), die Beschneidung der Ausgaben für öffentliche Investitionen, Lohnkürzungen, die Senkung der Arbeitslosenbeihilfe, Einsparungen und Personalabbau bei den Bundesbahnen. So konnte ein Programm, das der Regierung ebenso recht war wie zum Beispiel der Industriellenvereinigung (Mattl 2005: 204) im Namen «internationaler Verpflichtungen» durchgesetzt wer-den. Diese Strategie der Krisenbearbeitung führte zur Verschärfung der Krise. Maß-nahmen zur Senkung der Produktionskosten wurden als Voraussetzung für einen Wirtschaftsaufschwung angesehen. De facto senkten jedoch die gekürzten Einkom-men die Nachfrage, durch die fehlenden Investitionen stieg die Zahl der Arbeitslosen an, es kam zu Produktionseinschränkungen, Entlassungen und zur Stilllegung von Fabriken (vgl. Klingenstein 1965: 53). Gleichzeitig wurden die Freien Gewerkschaf-ten geschwächt.

Unterzeichnung der Lausanner Protokolle

Trotz der Spar- und Umstrukturierungsmaßnahmen fand die Unterzeichnung der Lausanner Anleihe (zur Erlangung der Kredite) erst ein Jahr später statt. Als Ver-tragspartner fungierten England, Italien, Frankreich und Belgien. Mit der Lausanner Anleihe nahm Österreich neue Schulden auf, um alte internationale Schulden beglei-chen zu können und verpflichtete sich zu einem weiteren Spar- und Sanierungspro-gramm (vgl. Ausch 1968: 304 u. 406 ff.). «Wirtschaftlicher Aufbau» in diesem Sinne

bedeutete, die Kosten der Sanierung auf die Bevölkerung abzuwälzen und sich in erster Linie darauf zu konzentrieren, dass die internationalen Gläubiger ihre Zinsen pünktlich erhielten (vgl. Ausch 1968: 412).

Schlaglichter autoritärer Entwicklungen und das Ende der parlamentarischen Demokratie

Mit Blick auf die Entwicklungen in der Weimarer Republik gab es vonseiten der Christlichsozialen (CS) Versuche, die Maßnahmen zur Krisenbearbeitung, zum Bei-spiel das Budgetsanierungsgesetz, mit Notverordnungen durchzusetzen. Vorerst lie-ßen die Kräfteverhältnisse die Durchführung dieses Bruchs noch nicht zu.

Doch schon bald folgten weitere Budgetsanierungsgesetze, und Bundeskanzler Schuschnigg (CS) verkündete, dass sich die Parlamente in all jenen von der Krise betroffenen Ländern nicht geeignet hätten, der Krise entgegenzuwirken. Die Regie-rung sollte erwägen, ob «eine Zusammenarbeit mit dem Parlament» noch Sinn mache (Stiefel 1988: 113 f.). Der Streik der Eisenbahner im März 1933, der auf die Ankün-digung folgte, dass die Löhne in Raten ausgezahlt werden sollten, hatte eine massive Auseinandersetzungen im Parlament sowie die Amtsniederlegung aller drei National-ratspräsidenten zur Folge: der letzte Vorwand für die sogenannte Selbstauflösung des Parlaments, die Lebenslüge des «Austrofaschismus» (Botz 1973: 37).

Mittels der Notverordnungen nach der Auflösung des Parlaments konnten in kür-zester Zeit Kollektivverträge abgeschafft, Löhne gesenkt und sonstige Einsparungen zulasten der Bevölkerung vorgenommen werden (vgl. Ausch 1968: 411 f.; Stiefel 1988: 116). Durch die Doppelverdiener-Ordnung waren Frauen noch einmal speziell vom Stellenabbau betroffen. Zudem wurden die Parteien verboten, die Pressefreiheit eingeschränkt (Botz 1973: 32), das Justizsystem umgebaut und ein Erlass zur Streik-verbotsordnung herausgegeben (Talos/Manoschek 2005b: 6–25). In der Reichspost war zu lesen, dass die Regierung nun endlich mit Notverordnungen nachholen kön-ne, was ein fast aktionsunfähiges Parlament nicht zu leisten imstande gewesen wäre (vgl. Stiefel 1988: 116). Rost van Tonningen notierte dazu in seinem Tagebuch: «Zu-sammen mit dem Kanzler und Kienböck [dem Präsident der Nationalbank] haben wir die Ausschaltung des österreichischen Parlaments für notwendig gehalten, da dieses Parlament die Rekonstruktionsarbeit sabotierte.» Die Regierung wurde in die-sem Vorgehen nicht nur vom italienischen und ungarischen Faschismus unterstützt, sondern auch durch das «verschwiegene Wirken» der Männer rund um das Genfer Finanzkomitee (vgl. Ausch 1968: 412). Auch der Hauptverband der Industrie stellte sich «entschieden hinter den ‹Notverordnungskurs› der Regierung» (Mattl 2005: 204;

vgl. auch Hass 1979: 97–126).

2.3 Von der ökonomischen zur politischen Krise und Hegemoniekrise

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