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Von der ökonomischen zur politischen Krise und Hegemoniekrise (Autoritärer Etatismus)

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 179-182)

5 Gesellschaftlicher Kapitalstock und politische Regulierung

3.3 Von der ökonomischen zur politischen Krise und Hegemoniekrise (Autoritärer Etatismus)

Die Krise in Griechenland lässt sich nicht in rein ökonomischen Begriffen verstehen, sie umfasst auch Elemente des Politischen und Ideologischen. Im Folgenden wollen wir untersuchen, inwiefern die Situation in Griechenland heute mit dem Begriff der

«Hegemoniekrise» gefasst werden kann.

Mechanismen der Krise in Griechenland

Die Elemente der politischen Krise sind in Griechenland schon wesentlich länger präsent als die ökonomische Krise.

2003 wurde die PASOK nach über einem Jahrzehnt an der Regierung von der Konservativen Nea Dimokratia abgelöst. Die neoliberale Politik der sozialen Ver-armung stieß einerseits auf zunehmenden Widerspruch, andererseits diskreditier-ten sich wichtige staatliche Apparate in einem Filz aus Korruption. Von Letzterem waren nicht nur die politischen Parteien, insbesondere die Nea Dimokratia, be-troffen, sondern beispielsweise auch die Orthodoxe Kirche. Die Legitimationskrise wichtiger ideologischer Staatsapparate wurde durch eine Umfrage der Tageszeitung Kathimerini von 2009 verdeutlicht. Die Liste der 48 vertrauenswürdigsten Instituti-onen des Staates wurde vom staatlichen Wetterdienst und der Feuerwehr angeführt, während die letzten beiden Plätze von der Regierung und den politischen Parteien belegt wurden (Kadritzke 2009). Von einer Verdichtung der Widersprüche im Sinne einer politischen Krise kann seit Ende 2008 gesprochen werden. Nachdem eine Po-lizeistreife einen 15-Jährigen in Athen erschoss, tobten wochenlang Straßenschlach-ten. Im Gegensatz zu früheren Auseinandersetzungen war es nicht ausschließlich das autonome Spektrum, das sich nicht mehr an die gesellschaftlichen Normen gebunden fühlte, sondern SchülerInnen, StudentInnen und MigrantInnen, deren Wut über das politische System und die schon damals prekären Aussichten sich auf der Straße entlud.

Bereits zu diesem Zeitpunkt bestanden die grundsätzlichen ökonomischen Wi-dersprüche, die sich schließlich 2010 in der Staatsschuldenkrise ihren Weg bahnten.

Im Zusammenhang mit den geschilderten Elementen der politischen Krise lässt sich auch die Massivität des Widerstands gegen die Sparpolitik erklären. So stellte die Le Monde Diplomatique im Hinblick auf die Perspektiven einer PASOK-Regierung weitsichtig fest: «Doch die Alternative einer strengeren Sanierungspolitik würde den Widerstand fast der gesamten Gesellschaft provozieren. Dann wäre der Staat auf Dau-er so unregiDau-erbar wie das AthenDau-er Zentrum im letzten DezembDau-er» (ebd.).

Während Elemente der politischen Krise also bereits früher vorhanden waren, kann von einer manifesten politischen Krise erst im Zuge der ökonomischen Krise ge-sprochen werden. Indem die Zahlungsfähigkeit des griechischen Staates auf den Fi-nanzmärkten bzw. von den Finanzmarktakteuren zunehmend infrage gestellt wurde, begann die ökonomische Krise selbst innerhalb des Staates, was ihre Übersetzung in eine politische Krise stark begünstigte. Hinzu kommt, dass gerade die politische Bearbeitung der Krise die ökonomische und soziale Krise in ihrer spezifischen Form hervorbrachte.

Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Elemente der politischen Krise be-stimmt werden, die sich im Zusammenhang mit der tiefen ökonomischen Krise als Hegemoniekrise verstehen lässt.

Das Aufbrechen des Konsenses

Ein wesentlicher Aspekt der politischen Krise besteht darin, dass der Konsens der Beherrschten zur Herrschaft aufbricht, während die Fähigkeit des Blocks an Macht schwindet, diesen zu organisieren. Eine solche Entwicklung lässt sich in Griechenland in vielfältigen Formen beobachten. Neben den unzähligen Generalstreiks von teilwei-se 48 Stunden ist eine ganze Reihe weiterer Widerstandsbewegungen- und -praxen entstanden, die das Aufbrechen des Konsenses illustrieren. Bemerkenswert sind die wochenlangen Platzbesetzungen im Sommer 2011 (vgl. Mitralis 2011) ebenso wie wachsende Bewegung derer, die nicht mehr bereit sind, für öffentliche Dienstleistun-gen, wie Autobahnen oder öffentlichen Verkehr, zu bezahlen. Eine weiteres Ereignis in diesem Zusammenhang waren die Paraden anlässlich des Nationalfeiertags im Ok-tober 2011. Damals stürmten nicht nur DemonstrantInnen die Paraden und erzwan-gen teilweise deren Abbruch, auch die SchülerInnen und StudentInnen, die diese traditionell abhalten, verwandelten diese Praxen der staatlichen Ideologie spontan in Protestkundgebungen gegen die Sparpolitik (Hope 2011b). Es sind nicht nur Arbei-terInnen, SchülerInnen und StudentInnen die den Protest führen, auch große Teile des Kleinbürgertums befinden sich im offenen Konflikt mit der Politik von Regie-rung und Troika. So streikten in den letzten Jahren Lkw-FahrerInnen, TaxifahrerIn-nen und KiosbetreiberInTaxifahrerIn-nen (vgl. no border network 2010). Neben diesen vielfachen Formen des Widerstands, deren Liste sich noch erweitern ließe, zeigt eine weitere Entwicklung den Bruch zwischen Herrschenden und Beherrschten an: Zunehmend entwickeln sich Formen der Selbstorganisation, die staatliche Aufgaben ersetzen (vgl.

Wainwright 2012). Insgesamt ergibt sich das Bild einer Bevölkerung die zunehmend unregierbar geworden ist. Dabei ist zu bemerken, dass es zwar eine starke Tendenz zur Linkspolitisierung der Bevölkerung gibt, mit der «Goldenen Morgenröte» aber auch eine Kraft entstanden ist, die eine ernstzunehmende faschistische Gefahr darstellt.

Die beschriebenen Entwicklungen werden dadurch verschärft, dass der Block an der Macht nicht mehr fähig ist, Konsens durch materielle Zugeständnisse zu organisieren.

Da die staatliche Politik nicht mehr in den traditionellen Zentren der Macht, sondern

in Absprache und unter dem Diktat der Troika ausgearbeitet wird, gibt es keinerlei Spielraum für solche Zugeständnisse.

Ideologische Krise und Staatskrise

Poulantzas setzte Legitimationskrise und die Krise des Konsenses in der Phase der Etablierung des autoritären Etatismus folgendermaßen in Beziehung: «Die Krise des Konsenses bei den Volksmassen im Hinblick auf den Staatsapparat wirkt sich im In-nern der Verwaltung als induzierte Legitimationskrise aus» (Poulantzas 2002: 275).

Dies lässt sich auch in der heutigen Situation beobachten. Die ideologischen Staats-apparate verlieren zunehmend ihre Fähigkeit, die herrschende Ideologie auszuarbeiten und glaubhaft zu verbreiten. Das gilt insbesondere für die politischen Parteien. Zu-gleich gibt es auch permanente Spaltungstendenzen. Immer wieder werden Abgeord-nete ausgeschlossen, weil sie die Sparpolitik der Regierung nicht länger mittragen, gehen selbst, laufen zu anderen Fraktionen über oder gründen neue Parteien (vgl. Der Standard, 11.5.2011 u. 8.11.2012. Die beiden ehemaligen Großparteien PASOK und Nea Dimokratia verkörpern kaum noch unterschiedliche Tendenzen in der Ge-sellschaft. Sie sind gemeinsam zu einem fast nicht mehr unterscheidbaren Block de-rer geworden, die das Memorandum unterstützen. Die Haltung zum Memorandum wird dabei zunehmend zur zentralen ideologischen und politischen Trennlinie der Parteien. Zugleich sind die Spielräume, um die Legitimation wiederherzustellen, eng bemessen. Als Papandreou 2011 das Referendum über das Memorandum ankün-digte, musste er dieses wenig später auf internationalen Druck absagen und einer

«Expertregierung» Platz machen. Nach dem zweiten Wahlgang im Juni 2012 konnten die beiden Parteien, die offen für die Fortführung der Politik des Memorandums warben und dies als einzige Möglichkeit zum Verbleib im Euro darstellten, gerade noch 42 Prozent der Stimmen – bei einer Wahlbeteiligung von 62 Prozent – auf sich vereinen (Ministry of the Interior 2012).

Zugleich wirkt sich die ideologische Krise im Inneren der Staatsapparate aus, indem die Ideologie ihre Rolle als Kitt der Staatsapparate und des Staatspersonals zuneh-mend nicht mehr ausüben kann. Es kommt zur Staatskrise. Diese hängt eng mit den materiellen Auswirkungen des Klassenkampfs von oben zusammen. Da gerade auch die staatlichen Apparate zu Zielen der Sparpolitik wurden, tendieren große Teile des Staatspersonals zur Seite der Subalternen. Ähnlich wie Poulantzas dies für die späten 1970er Jahre analysiert hat, kommt es zu einer Linkspolitisierung der unteren Rän-ge des Staatspersonals, sowohl durch die Verschlechterung ihrer LebensbedingunRän-gen als auch durch die Auswirkungen der Kämpfe innerhalb der Apparate (vgl. Poulant-zas 2002: 273 f.). Diese Linkspolitisierung lässt sich nicht nur daran ablesen, dass SYRIZA bei den Wahlen 2012 zur stärksten Kraft unter den öffentlichen Bediens-teten wurde (Greek Left Review 2012), sondern vor allem an den sozialen Kämpfen der öffentlichen Beschäftigen und deren zunehmender Radikalität. So besetzten im Herbst 2011 Staatsbedienstete mehrere Ministerien, um die Verhandlungen mit der

Troika zu verhindern (Hope 2011a), und als die Abstimmung zum jüngsten Sparpa-ket auf der Tagesordnung stand, traten selbst die MitarbeiterInnen des Parlaments in den Streik, um diese zu verhindern (vgl. keeptalkinggreece 2012).

Zugleich lässt sich aber auch keine eindeutige Linkstendenz des Staatspersonals feststellen. Während große Teile nach links tendieren, gibt es insbesondere in der griechischen Polizei starke faschistische Tendenzen, die so weit gehen, dass Polizei und Faschisten der «Goldenen Morgenröte» gemeinsam gegen linke DemonstrantInnen oder MigrantInnen vorgehen.

Aber auch innerhalb des Blocks an der Macht verschärfen sich die Widersprüche.

Diese Entwicklungen sind allerdings am schwierigsten zu durchschauen, da die gro-ßen Parteien, durch die sich diese Widersprüche in einer normalen Situation aus-drücken könnten, innerhalb des europäischen Krisenregimes auf die gleiche Politik verpflichtet sind. Auch wenn diese Berichte nicht bestätigt sind, meldeten griechische Medien, dass die überraschende Abberufung der Führung der Streitkräfte im Novem-ber 2011 durch die Regierung Papandreou eine Maßnahme war, um einem nationa-listischen Militärputsch zuvorzukommen (Handelsblatt 2012).

Insgesamt ergibt sich in Griechenland das Bild einer Gesellschaft in einer tiefen He-gemoniekrise. Der Block an der Macht ist nicht mehr in der Lage, eine allgemeine Po-litik in seinem Interesse zu formulieren, sondern darauf beschränkt, im Rahmen der Vorgaben der Troika eine Politik im Interesse der internationalen Finanzmarktakteure repressiv durchzusetzen, während die Bevölkerungsmehrheit offen Widerstand leistet.

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 179-182)