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Autoritäre Bearbeitung der «Schuldenkrise» (Troika)

Im Dokument 8 «Wenn das alte stirbt …» (Seite 176-179)

5 Gesellschaftlicher Kapitalstock und politische Regulierung

3.2 Autoritäre Bearbeitung der «Schuldenkrise» (Troika)

Im Folgenden werden wir die Austeritätspolitik in Griechenland hinsichtlich ihrer Mechanismen, Inhalte und Ziele analysieren. Theoretisch lässt sich diese Politik in Bezug auf Nicos Poulantzas als «autoritärer Krisenetatismus» begreifen (vgl. Poulant-zas 2002: 192 ff.).

Die Austeritätspolitik in Griechenland als autoritärer Krisenetatismus

Die derzeitige Konstellation der Krisenbearbeitung steht im direkten Zusammenhang mit dem steigenden Druck der Finanzmärkte und der Position Griechenlands inner-halb der EU.

Nachdem die Zinsen für griechische Staatsschulden Ende 2009, Anfang 2010 rapide stiegen und sich die Finanzmarktakteure auch von der ersten Ankündigung eines massiven Sparpakets durch die PASOK-Regierung nicht beeindrucken ließen (European Commission. Directorate for Economic and Financial Affairs 2010: 10), wurde zunehmend klar, dass der griechische Staat seine Schulden nicht mehr aus eigener Kraft bedienen konnte. Insbesondere die deutsche Bundesregierung zögerte, dem griechischen Staat finanzielle Hilfen zu gewähren, und stärkte damit die eige-ne Position. Am 11. April 2012 wurde schließlich ein Kredit der Mitgliedsstaaten der Eurozone in der Höhe von 30 Milliarden Euro gewährt, dessen Volumen nur wenig später auf 110 Milliarden Euro aufgestockt wurde (Müller/Schmidt 2010).

Die sogenannten Hilfskredite waren von Anfang an an strikte Auflagen gebunden.

Institutionell wurden sie so ausgestaltet, dass die Überwachung ihrer Einhaltung – die auch die Bedingung für die weitere Auszahlung der einzelnen Kredittranchen ist – von der als Troika bezeichneten Gruppe, aus Europäischer Kommission, IWF und EZB übernommen wurde. Es sind also drei Staatsapparate, die eng mit der Durch-setzung neoliberaler Politik in Europa und der Welt verbunden sind und die kaum über demokratische Legitimierung verfügen, die zu Kontrolleuren der griechischen Budgetpolitik wurden. Durch die Beteiligung des IWF wurde auch sichergestellt, dass nicht nur europäische Interessen in die Bearbeitung der Schuldenkrise involviert sind, sondern auch amerikanische. Der IWF kann von den drei beteiligten Institutionen innerhalb der EU nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Das kurzfristige Ziel der im Memorandum of Understanding festgelegten Maßnah-men ist die nachhaltige Sanierung des Staatshaushalts. Es zeigt sich aber nicht nur in den konkret vereinbarten Maßnahmen, dass das Programm eine mehr oder weniger offene Klassenpolitik verfolgt: «The medium-term programme objective is to improve competitiveness and alter the economy’s structure towards a more investment- and export-led growth model. […] Reforms are, in particular, needed to modernize the public sector, to render product and labour markets more efficient and flexible, and create a more open and accessible business environment for domestic and foreign investors, including a reduction of the state’s direct participation in domestic industries» (Euro-pean Commission. Directorate for Economic and Financial Affairs 2010: 10).

Diese Politik zielt also explizit darauf ab, durch die Absenkung des Lebensstandards der breiten Bevölkerungsmehrheit, der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und Unternehmen sowie der Liberalisierung und Deregulierung von Arbeitsmarkt und einzelnen Branchen die griechische Ökonomie innerhalb der internationalen po-litischen Ökonomie der Eurozone wieder «wettbewerbsfähig» zu machen.

Das Memorandum enthielt 70 Punkte, die die griechische Regierung bis 2011 um-zusetzen hatte und ebenso die Termine, bis zu denen diese Maßnahmen beschlos-sen werden mussten. Die politischen Vorgaben werden in penibler Weise von den internationalen bzw. europäischen Apparaten der Troika gemacht. Der griechischen Regierung kommt dabei lediglich die Aufgabe zu, diese innerhalb der griechischen Staatsapparate durchzusetzen. Die Maßgaben des Memorandums enthielten im Kern folgende Punkte:

– Erhöhung von Massensteuern,

– Sondersteuer auf Unternehmensgewinne, – Auflösung der bisherigen Tarifvertragsregelungen, – Kürzungen der Gehälter im öffentlichen Dienst, – Kürzungen der Pensionen,

– Erhöhung des Pensionsantrittsalters, – Einfrieren des Mindestlohns, – Auflösung lokaler Verwaltungen, – Aufnahmestopp im öffentlichen Dienst,

– Privatisierung diverser öffentlicher Unternehmen, – Öffnung diverser Branchen (z. B. Spediteure).

Das zweite Memorandum aus dem März 2012 setzte diese Politik in vielen Punkten verschärft fort. Zu den neuen Bedingungen gehörten unter anderem die Aufkün-digung der Tarifverträge, die Verlängerung der Wochenarbeitszeit, die Senkung des Mindestlohns, die Kündigung von 15.000 öffentlich Bediensteten, die Senkung des Budgets zum Ankauf von Medikamenten in öffentlichen Krankenhäusern, die Be-schleunigung des Privatisierungsprogramms und weitere Lohnkürzungen im öffent-lichen Dienst (vgl. European Commission. Directorate for Economic and Financial Affairs 2012). Insgesamt haben die Sparprogramme über die letzten drei Jahre zu einer massiven Rezession geführt, die Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent steigen lassen und die Verarmung breiter Teile der Gesellschaft bewirkt.

Neben diesen sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen bedeuten die Sparpro-gramme und die Art und Weise, wie sie durchgesetzt werden, eine massive Autorati-sierung des griechischen Staats, in einem spezifischen Zusammenspiel mit den betei-ligten europäischen Institutionen. Die Politik der griechischen Regierung ist in dieser Situation zunehmend nicht mehr in der Lage, die Hegemonie wiederherzustellen.

Für die 1970er Jahre konstatierte Nicos Poulantzas, dass dem Staat die Politik durch die Rhythmen der Akkumulation aufgezwungen werde: «Damit wird es für den Staat zunehmend schwieriger, sich in seiner ökonomischen Strategie nach seiner

allgemei-nen Politik zur Organisierung der Hegemonie zu richten. Er muss weiterhin die für die Kapitalreproduktion notwendigen Dispositionen treffen, auch wenn dies für die Hegemonie große Probleme schafft» (Poulantzas 2002: 196).

Heute können wir davon sprechen, dass dem griechischen Staat innerhalb der po-litischen Ökonomie der Eurozone eine bestimmte Politik aufgezwungen wird. Dabei ist ein Teil dieses Zwangs zwar unmittelbar über die politischen Akteure vermittelt.

Aber auch die Rhythmen der Finanzmärkte und die Struktur der Eurozone zwin-gen Griechenland diese Politik auf. Zugleich wird die Politik einseitig auf bestimm-te ökonomisch-korporative Inbestimm-teressen ausgerichbestimm-tet – aktuell auf die Inbestimm-teressen der GläubigerInnen – wodurch ebenso eine Politik im Sinne der Aufrechterhaltung bzw.

Wiederherstellung der Hegemonie unmöglich wird. Das vergrößert zugleich Risse im Block an der Macht (vgl. ebd.: 240). Die zunehmende Tendenz zum autoritären Krisenetatismus lässt sich nicht nur in den Memoranden, sondern auch an einigen anderen Entwicklungen erkennen. Mit der Einrichtung der «Task Force for Greece»

im Oktober 2011 wurde der Einfluss der Troika innerhalb der griechischen Staats-apparate entschieden erhöht. Beschränkte sich die Troika zuvor auf vierteljährliche Kontrollmissionen, gibt es jetzt einen permanenten Austausch zwischen den Vertrete-rInnen der Task Force und den Spitzen der griechischen Staatsbürokratie (European Commission. Directorate for Economic and Financial Affairs 2012). Darin kommt einerseits die von Poulantzas beschriebene Tendenz des autoritären Etatismus zum Ausdruck, dass die Bürokratie zum zentralen Ort der Ausarbeitung der Politik wird (vgl. Poulantzas 2002: 254), und zugleich wird dadurch die Internationalisierung des griechischen Staatsapparats im autoritären Krisenetatismus verstärkt.

Die traditionellen griechischen Parteien – PASOK und Nea Dimokratia – verloren in der Krise ihre politische Eigenständigkeit und die Fähigkeit, die Politik auszuarbei-ten. Das zeigte sich zum einen darin, dass die Regierung Papandreou quasi auf euro-päischer Ebene abgesetzt und durch eine Expertenregierung mit Unterstützung von PASOK und Nea Dimokratia ersetzt wurde. Das Ende der Regierung Papandreou wurde just in dem Moment eingeleitet, als sie mit dem Vorschlag eines Referendums über die Fortführung der Memorandumspolitik wieder an politischer Autonomie ge-winnen wollte. Der rapide Bedeutungsverlust der griechischen Parteien kommt auch darin zum Ausdruck, dass Papandreou und Samaras im Namen ihrer traditionell ge-geneinander gerichteten Parteien einen Brief an die Troika unterzeichnen mussten, in dem sie sich verpflichteten, die Politik des Memorandums auch nach den Wahlen 2012 fortzuführen. Darin manifestiert sich die Entstehung einer «Staatspartei par excellance», die nur noch die in der Exekutive ausgearbeitete Politik vollzieht. Mit der Verschärfung der politischen Krise nahm der Widerstand in den niederen Rängen des Staatspersonals zu, gerade auch weil diese von den Kürzungen besonders betroffen sind. Zugleich wurde die Kontrolle über die unteren Ränge zu verschärft. In diesem Zusammenhang ist auch die jüngste Forderung der Troika zu verstehen, die Entlas-sung der Staatsbediensteten gemäß dem Memorandum mit Namenslisten zu belegen

(Christidis 2012). Insgesamt ergibt sich so das Bild eines autoritären Krisenetatismus, der sich mit jeder weiteren Verschärfung der ökonomischen Krise auch politisch ver-schärft. Gleichzeitig bringt aber ebendiese Politik erst die ökonomische Krise in ihrer spezifischen Form hervor.

3.3 Von der ökonomischen zur politischen Krise und Hegemoniekrise

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