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Ideengeschichte der nachhaltigen Entwicklung

Im Dokument Nachhaltige Landwirtschaft (Seite 7-11)

2. GESCHICHTE

2.1. Ideengeschichte der nachhaltigen Entwicklung

Die kritische Auseinandersetzung mit Fragen der langfristigen Entwicklung der Erde bzw.

einer verantwortungsvollen Nutzung von Ressourcen hat eine lange Tradition. Besonders in der forstwirtschaftlichen Forschung bis hin zur ordnungsrechtlichen Umsetzung geht die Diskussion schon weit ins 19. Jahrhundert zurück (PETERS 1984, JANSSEN 1990, JOHANN

1993, SCHULER 1993, HUMMEL und SISZYK 1997). Zu recht bezeichnen LINCKH et al. (1997) die Forstwirtschaft daher als Wiege des Nachhaltigkeitsgedankens. So wurden bereits 1294 per Waldordnung die Reichswälder vor der Stadt Nürnberg gegen Raubbau geschützt. Im Jahre 1713 wies der sächsische Forstwirt von Carlowitz darauf hin, daß eine "continuierliche, beständige und nachhaltige Nutzung" der Wälder erforderlich sein (von CARLOWITZ zitiert nach BERNASCONI 1996). Ausgehend von einer rein ökonomischen Betrachtungsweise, nach der jeweils nur soviel Holz entnommen werden darf, wie in gleichem Zeitraum nachwächst, wurde der Begriff der Nachhaltigkeit im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts kontinuierlich um weitere Aspekte der Waldnutzung erweitert. Gesichtspunkte wie "Waldfunktion",

"Sozialfunktion" sowie die "Funktion des Waldes für das allgemeingesellschaftliche Wohlergehen" (Erholungsmöglichkeiten, Bereitstellung von Arbeitsplätzen) bekamen im Verlauf dieses Prozesses eine wachsende Bedeutung (ZUERCHER 1965). Auch in den Definitionen der Nachhaltigkeit von PETERS (1984) und SPEIDEL (1984) wird eine verantwortliche Bewirtschaftung im Bereich der Forstwirtschaft gefordert, die die unterschiedlichen Funktionen des Waldes für gegenwärtige und zukünftige Generationen sicherstellt. Das ethische Prinzip und die Verantwortung für die Zukunft, als Kernpunkt der meisten Überlegungen zu einer nachhaltigen Nutzung von Ressourcen, steht damit lange vor der Wiederentdeckung durch internationale Gremien und Kommissionen im Mittelpunkt der forstwirtschaftlichen Definitionen (OESTEN 1993). Leider wurden die vielen Veröffentlichungen und der ausgiebige wissenschaftliche Diskurs zur Nachhaltigkeit in der forstwirtschaftlichen und forstwissenschaftlichen Literatur bei der aktuellen Diskussion um eine globale nachhaltige Entwicklung praktisch nicht berücksichtigt. Dies ist um so bedauerlicher, da in diesen Veröffentlichungen bereits vor Jahrzehnten viele Aspekte, die sich mit einer nachhaltigen Nutzung von Ressourcen befassen, abgehandelt wurden.

Am Anfang der Debatte um eine nachhaltige Entwicklung sowie eine nachhaltige Landwirtschaft und weit vor der eigentlichen Verwendung der beiden Begriffe stehen

Zivilisation. Diese Überlegungen lassen sich kaum auf einen einzelnen wissenschaftlichen Ursprung zurückführen. Bereits im 19. Jahrhundert haben eine Reihe von Autoren auf die Gefahren eines unbegrenzten Wachstums und auf die möglichen globalen Folgen verwiesen.

Die wichtigsten Beiträge, insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer komplexen Betrachtung der Entwicklungsprozesse von Bevölkerung, Landwirtschaft und Umwelt, sind in Anlehnung an BROWN et al. (1987), KIDD (1992), HUBER (1995), Reid (1995) und CHRISTEN

(1996) in der Übersicht 1 dargestellt.

Übersicht 1: Einige ausgewählte wichtige Beiträge zu den Fragen der dauerhaften Entwicklung im historischen Ablauf

Erscheinungs-jahr

Titel

1905 Publikation von "Man and the Earth" von Nathanial Shaler 1948 Publikation von "The road to survival" von W. Vogt 1956 Tagungsband der Wenner-Gren Foundation mit dem Titel

"Man's Role in Changing the face of the Earth"

1972 Bericht des Club of Rome

"Grenzen des Wachstums"

Erste Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Stockholm. Gründung des Umweltprogrammes der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP)

1973 Erstes Umweltprogramm der EG

1974 Erklärung von Cocoyok (Mexiko) im Anschluß and UNEP-Symposium über Rohstoffnutzung, Umweltschutz und Entwicklung

1977 Publikation von "The salient features of development" von Ignacy Sachs 1982 "Global 2000" Bericht an den Präsidenten

Alle genannten wissenschaftlichen Veröffentlichungen befassen sich, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung, bereits mit einigen oder gar mehreren Teilaspekten der Nachhaltigkeit. Der eigentliche Begriff "Sustainability" wird jedoch in diesen Publikationen nicht explizit erwähnt. Dagegen findet sich in der angelsächsischen Literatur über viele Jahrzehnte der Begriff "Sustainability" in gleicher Verwendung mit den unterschiedlichen Formen des organischen Landbaus (FRANCIS und YOUNGBERG 1990; HARWOOD 1990;

RUTTAN 1991, 1994; NEHER 1992; HOLMES 1993; LOCKERETZ 1990; GOLD 1994). Eine

genannten Veröffentlichungen allerdings nicht statt. Zusätzlich zu nennen wären darüber hinaus Publikationen, die nicht als wissenschaftliche Veröffentlichungen gewertet werden können, aber in der Öffentlichkeit das Bewußtsein für Fragen des Umwelt- und Naturschutzes geweckt haben. Beispiele hierfür sind "Silent Spring" von Rachel Carson in den USA und

"Ein Planet wird geplündert" von Herbert Gruhl in der Bundesrepublik. Berücksichtigt man das heutige, komplexe Verständnis des Begriffes Nachhaltigkeit als Verknüpfung der bis dato separat betrachteten Bereiche Umwelt- und Entwicklungspolitik, so läßt sich die Verwendung bis in die 70iger Jahr zurückverfolgen. Vorher wurden Umweltprobleme im wesentlichen nur zwischen Industrieländern diskutiert, während Entwicklungspolitik und die Fragen der sogenannten Dritten Welt unberücksichtigt blieben. Bedeutsam für die weite Verbreitung des Begriffes "Sustainability" waren dann die Veröffentlichungen der Welt Bank und des Worldwatch Institutes. In diesem Zeitraum laufen die Entwicklungen dann zusammen, und die meisten Veröffentlichungen zur globalen Entwicklung setzen sich auch mit dem Konzept der Nachhaltigkeit auseinander (Übersicht 2).

Übersicht 2: Entstehung der Nachhaltigkeit als umfassender Entwicklungsbegriff

Erscheinungs-jahr

Titel

1972 Leitartikel in der englischen Zeitschrift "The Ecologist" mit dem Titel

"Blueprint for survival"

Im Jahrbuch der International Union for the Conservation of Natur (IUCN) wird ein Zusammenhang zwischen nachhaltiger Entwicklung und

Umweltfragen hergestellt

1974 - 1979 Verschiedene Tagungen in den USA widmen sich speziell den Fragen der nachhaltigen Entwicklung

1977 Nachhaltige Landwirtschaft als Titelthema der ersten IFOAM-Tagung in der Schweiz

ab 1978 Der Begriff Nachhaltigkeit wird in einer Reihe von Dokumenten der Vereinten Nationen verwendet

1980 World Conservation Strategy der IUCN

Ab 1981 Nachhaltigkeit wird in einer großen Zahl von Veröffentlichungen so unterschiedlicher Institutionen wie der Weltbank, dem World Resource Institute und dem Worldwatch Institute verwendet

Inwieweit die Unfähigkeit des einzelnen Menschen, die kartesianische Trennung von Mensch und Natur zu überwinden, ein Gesichtspunkt bei der Entwicklung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise darstellt, läßt sich an dieser Stelle nicht ausführlich darstellen. In Anlehnung an die Thesen von Autoren wie Friedjoff Capra ist diese Trennung von Mensch und Natur die wesentliche Rechtfertigung für den gegenwärtigen unverantwortlichen Umgang mit natürlichen Ressourcen (CAPRA 1987 und 1990, REID 1995). Folgt man dieser Überzeugung, so ist für die Veränderung der Wirtschaftsweise eine komplette Neu- und Umorientierung des Denkens, ein sogenannter Paradigmen-Wechsel, notwendig (KUHN 1973). Dieser Paradigmenwechsel ist in der Geschichte der Menschheit nur mit der neolithischen und der industriellen Revolution vergleichbar. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht steht die Diskussion über eine nachhaltige Entwicklung in der Tradition der Ecological Economy und geht ursprünglich auf die Arbeiten des englischen Ökonomen John Stuart Mill aus dem 19.

Jahrhundert zurück. Aktuelle Konzepte aus den Wirtschaftswissenschaften, die durchaus auch unterschiedliche ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt haben, bevor der Begriff Nachhaltigkeit wiederentdeckt wurde, sind beispielsweise das organische, selektive oder entkoppelte Wachstum (HUBER 1995).

Nur am Rande sei an dieser Stelle auf die Diskussion zur vermeintlich besten Übersetzung der englischen Begriffe "Sustainability" und "Sustainable development" bzw. "Sustainable agriculture" ins Deutsche hingewiesen. Zwar liefern die einschlägigen englischen Nachschlagewerke eine Vielzahl von Bedeutungen, die im übrigen teilweise schon auf die forstwirtschaftliche Bedeutung bezogen sind. Durchgesetzt hat sich aber eindeutig Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung oder nachhaltige Landwirtschaft (REGANOLD et al. 1990; BUSCH-LÜTY 1992; KLEMMER 1994; CHRISTEN 1996). Was allerdings nicht bedeutet, daß immer noch abweichende Übersetzungen wie "dauerhaft" (deutsche Übersetzung des Brundtland-Berichts), "dauerhaft umweltgerecht Entwicklung (SRU 1994),

"zukunftsfähig" (WUPPERTAL INSTITUT 1996), "zukunftsbeständig" (KUHN et al. 1998) oder

"anhaltend umweltgerecht" (KEHR 1993) zu finden sind.

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