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Teil II Fallstudie

5.4 Partizipation

5.4.1 Hinweise aus der Literatur

120 Kapitel 5 Diskussion der Erfolgskriterien

„The primary objective is . . . to achieve, as soon as possible, substantial impro-vements in ... participation of people in setting priorities and in decision-making relating to sustainable development“ 3.

Auch im Energiesektor wird die Forderung nach Beteiligung der Bürger lauter, wie die diversen Bürgerinitiativen rund um das Thema Energie zeigen (vgl. Unterkapitel 2.1).

In der aktuellen MCDA-Forschung für den Energiebereich wird auch noch Hand-lungsbedarf in Bezug auf Partizipation identifiziert. So schreibt Oberschmidt im Ausblick ihrer Dissertation [Obe10]: „Für zukünftige Anwendungen sollte eine mög-lichst weitgehende Einbeziehung der betroffenen Akteure in den Entscheidungspro-zess angestrebt werden, insbesondere im Rahmen der Vorauswahl und Gewichtung der zu berücksichtigenden Kriterien. Herausforderungen werden hierbei insbesondere darin gesehen, den Akteuren, die nicht mit Methoden der multikriteriellen Entschei-dungsunterstützung vertraut sind, die angewendeten Methoden nahe zubringen, und diese zu motivieren, aktiv am Entscheidungsprozess teilzunehmen.“

Die Frage, warum die Partizipation zu mehr Praxisbezug in den MCDA- Anwen-dungen führen soll, beantworten Banville et al.. Ein Entscheidungsproblem ist nicht bereits existent und wartet darauf, entdeckt zu werden. Vielmehr ist es eine Kon-struktion von vielen Subjekten. Es besteht also immer eine Beziehung zwischen dem Entscheidungsproblem und den Akteuren [BLMB98]. Aus dieser Aussage lässt sich folgern, dass das Entscheidungsproblem ohne Einbeziehung der Akteure an der Rea-lität vorbei geht, da sie keine Möglichkeit hatten, es mit zu gestalten. Letztlich sind es die Entscheidungsträger, die die Entscheidung fällen und umsetzen.

Theoretische Grundlagen zur Partizipation

Omann definiert Partizipation als Einbeziehung von Personen, die ein Interesse, einen Bezug zu dem Entscheidungsproblem haben oder davon betroffen sind und ihre Ideen und ihr Wissen in den Beratungs- und Abwägungs-Prozess einbringen können. Unter diesem Akteurskreis versteht sie die Gruppen der Experten und Wis-senschaftler, die Projektsponsoren, Bürger oder Laien, die Entscheidungsträger und Personen, die einen speziellen Bezug dem Thema haben wie z.B. Politiker [Oma04].

3Kapitel 35.6, Erklärung über Umwelt und Entwicklung, Annex I: „The Rio De-claration on Environment and Development“; UNCED: Rio de Janerio, Brazil, 1992, http://www.un.org/esa/dsd/agenda21/ Zugriff am 12.07.2012

5.4 Partizipation 121

In der Literatur sind lange Listen zu finden, die die Chancen der Partizipation aufführen, einige Aspekte seien hier genannt.

Durch Partizipation entsteht eineDefinition der Forschungsfrage, die eine stärkere Praxisrelevanz hat. Das Wissen und die Kreativität der Akteure bilden eine ande-re Form von Wissen, die zu neuen Lösungen und Problemstrukturierungen fühande-ren können. Wissenschaftler sind alleine nicht in der Lage, komplexe Problemstellungen mit Praxisrelevanz vollkommen zu präsentieren [Oma04].

Wenn Partizipation in Bezug auf Qualität des Prozesses, Ergebnisse und deren Um-setzung gut durchgeführt wird, dann entsteht eine höhere Legitimität der Ergebnis-se [WD09]. Insbesondere wenn eine Entscheidung negative Auswirkungen auf eine Gruppe hat, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Gruppe die Entscheidung ak-zeptiert, wenn sie in den Entscheidungsprozess involviert war [Oma04]. Partizipation erhöht somit auch das Vertrauen in eine Entscheidung.

Durch Partizipation wird sichergestellt, dassöffentliche Anliegen berücksichtigt wer-den. Insbesondere können auch Minderheiten integriert werden, die ansonsten nicht in eine Entscheidung einbezogen würden.

Das Ziel eines Konsenses kann durch Partizipation besser erreicht werden. Falls nicht, wird aber das gegenseitige Verständnis zu unterschiedlichen Positionen erhöht [Oma04].

Bei Walk und Dienel werden ergänzend noch die Aspekte,verbesserte Repräsentati-vität von partizipativen Entscheidungen sowie dieAkteure zu eigenverantwortlichem Handeln zu motivieren, genannt [WD09].

Auf der anderen Seite ist Partizipation aber auch mit vielenRisiken verbunden.

Das größte Risiko der Partizipation ist, dass sie nicht gelingt. Das kann zum Bei-spiel dadurch entstehen, dass sich einige Gruppenmitglieder nicht richtig einbezogen fühlen, dann nicht an den Veranstaltungen teilnehmen oder nicht konstruktiv mit-arbeiten. Ein weiteres Risiko ist dieskeptische Sicht einiger Teilnehmer, sie können die Veranstaltungen als Zeitverschwendung betrachten. Auch die zeitliche Verfüg-barkeit der Akteure setzt der Partizipation Grenzen, in der Regel nehmen immer die Gruppen teil, die sich die Zeit für die Veranstaltungen leichter nehmen können wie z.B. Rentner [Oma04]. Eine misslungene Partizipation kann zu wiederum we-niger Akzeptanz der Ergebnisse führen und Vertrauen in den Entscheidungsprozess zerstören.

Newig und Fritsche haben anhand von Fallstudien untersucht, ob Partizipation den

„policy output“ erhöht und unter welchen Bedingungen [NF08]. Partizipation führt

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zu kreativen Lösungen, hilft bei Konfliktlösung und bei Vertrauensbildung, aber nicht bei der Informationsgewinnung (im Sinne von Laien als Experten nutzen).

Alle diese Errungenschaften führen auch nicht unbedingt zu besseren Lösungen für die Umwelt, da diese sehr stark von den Präferenzen der Akteure und vom Kontext abhängig sind [NF08]. Aus diesen Ergebnissen lässt sich schließen, dass Partizipation nicht alle Probleme lösen kann, aber richtig eingesetzt, hilft es bei Konflikten, stärkt die Vertrauensbildung und unterstützt das Entdecken neuer Lösungen.

Partizipation in der MCDA

Partizipation und MCDA-Anwendungen sind bereits lange verbunden, auch die Urväter der Methoden beziehen sich darauf [Oma04]. Es verblieb jedoch auf einer eher theoretischen Ebene. Bis zu den Arbeiten von Banville et al. aus dem Jahr 1998 lagen keine sozialwissenschaftlichen Hinweise vor, wie die Partizipation in der MCDA konkret umgesetzt werden könnte.

Banville et al.führen die „Stakeholder Multiple Criteria Decision Aid“ (SMCDA) ein, in der sie verschiedene sozialwissenschaftliche Modelle nutzen, um eine Vorgehens-weise zu entwickeln, wie der Akteurskreis für die MCDA zusammengestellt werden und dann mit dem Prozess verwoben werden kann [BLMB98].

Aus der Sicht einer Organisation denkend schlagen Banville et al. für die SMCDA folgende Vorgehensweise vor [BLMB98]:

1. Generierung einer langen Liste von Akteuren durch ein Projektmanagement-team aus dem Unternehmen und einen externer Berater mit Hilfe von z.B.

Brainstorming oder der Methode von Mason und Mitroff4.

2. Diese Akteure kategorisieren und Beziehungen zwischen den Akteuren und dem Projekt aufzeichnen, dabei die Liste gegebenenfalls kürzen. Der Berater hat dabei immer im Auge, dass nicht ohne gute Argumentation irgendwelche Gruppen gestrichen werden.

3. Überlegungen, wie die einzelnen Gruppen einbezogen werden sollen. Auch da gibt es Ansätze z.B. das Modell von Savage, der Akteure nach Gefahr für das Projekt und Kooperationsbereitschaft klassifiziert und Strategien zur Einbe-ziehung für jede Kategorie vorschlägt [SNW91].

4Mason und Mitroff haben 7 Perspektiven vorgestellt, aus der man die Akteure identifizieren kann [MM81].

5.4 Partizipation 123

4. Pro vorhandener Alternative je eine Liste mit Akteuren entwickeln, die da-gegen, dafür oder indifferent sind. Während dieses Prozesses sollen dann die Attribute entwickelt werden, eventuell entstehen auch weitere Alternativen.

5. Abschließend wird die Legitimität des ausgewählten Ergebnisses in Bezug auf die Akteure dargestellt, in dem die Reaktion der Akteure auf die Lösung si-muliert wird.

Munda hat das Konzept der „Social Multi-Criteria Evaluation“ (SMCE) vorge-stellt [Mun03] [Mun04] [Mun08]. Die SMCE ist ein theoretisches Modell, das Munda basierend auf vielen verschiedenen Theorien entwickelt hat. Er sieht es als einen An-satz der „Post-normal sciences“. Dieser neue AnAn-satz der Wissenschaft soll Antwor-ten geben auf die neuen Herausforderungen der Gegenwart: Unsicherheit der DaAntwor-ten, dringende Entscheidungen, konfliktierende Werte und stark ausgeprägte Interessen der Akteure [FR94]. Als konkrete Ergebnisse der SMCE werden die MCDA-Methode NAIADE (vgl. Unterkapitel 2.2.2) und die Institutionsanalyse (vgl. Unterkapitel 5.2) angeboten.

Während bei Banville et al. die Partizipation zentral ist, beschreibt Munda es als eine notwendige Bedingung, aber keine hinreichende [Mun04]. Er beschränkt die exo-genen Daten durch Akteure nur auf die Gewichtungen und höchstens noch auf die Thresholds/Schwellenwerte [Mun05]. In einem sozialen Kontext besteht laut Munda die Gefahr, dass zu viele Parameter die Transparenz reduzieren und die Beliebig-keit erhöhen. Seine Methode NAIADE arbeitet überhaupt nicht mit Gewichtungen.

In der Institutionsanalyse erhebt er mit sozialwissenschaftlichen Methoden die Si-tuation vor Ort. Es werden u.a. vorhandene Dokumente und Zeitungen gesichtet, Interviews geführt. Die Attribute für die Bewertung und die Entscheidungsalterna-tiven leitet er aus dieser Analyse ab, manchmal erarbeitet er das auch mit einer Fokusgruppe, behält sich aber immer vor, von Seiten der Wissenschaft das noch zu ändern, also nicht rein partizipativ zu entwickeln [Mun05].

Omann schlägt hingegen eine partizipative Gestaltung folgender Schritte der MCDA vor [Oma04]: Beschreiben und Strukturieren des Entscheidungsproblems, Definition von Zielen und Attributen, Entwicklung von Alternativen (falls noch nicht existent) und die Identifikation von Präferenzen. Ob die Präferenzen auch die Festlegung von Schwellenwerten enthalten, wird nicht genannt. Eine gemeinsame Gestaltung der Entscheidungsmatrix mit Erhebung der Daten macht laut Omann diese Phase komplizierter und zeitintensiver, würde aber das relevante Wissen der Akteure vor Ort einbeziehen. Die Aggregation bedarf der meisten mathematischen Expertise und

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sollte daher nur durch den Analysten durchgeführt werden. Die Interpretation der Ergebnisse und die Sensitivitätsanalyse sollten von den Analysten vorbereitet und dann mit den Akteuren diskutiert werden. Omann legt die Partizipation innerhalb der MCDA also sehr viel breiter an als Munda.

Ein weiterer Aspekt ist dieFrage, ob Laien im Rahmen einer partizipativen Entwicklung in der Lage sind, ein Problem ohne spezifisches Fachwissen einzuschätzen.

Für die Gewichtungen wurden daher von Smets die „belief functions“ vorgestellt [Sme02]. Hier wird den Kriterien mit hoher Unsicherheit wie z.B. den ökologischen Attributen noch eine ergänzende Gewichtung zu der Akteursgewichtung hinzugefügt, damit diese Attribute eine stärkere Berücksichtigung finden [PHMV06].

Rogers und Bruen beurteilen die Festlegung der „Thresholds“ bzw. Schwellenwerte (vgl. Unterkapitel 2.2.2) aus der Sicht der Umweltverträglichkeitsprüfung und kriti-sieren die Art, wie diese in den meisten MCDA-Studien zur Abbildung der Ungenau-igkeit genutzt werden [RB98]. Sie machen den Vorschlag, alles von der Wirkung auf den Menschen her zu denken. Der Indifferenzschwellenwert sollte auf den Wert ge-legt werden, bei dem für den Menschen ein Unterschied wahrnehmbar ist, also keine Indifferenz mehr vorliegt. Den Präferenz-Schwellenwert entsprechend dort, wo eine klare Präferenz vorliegt (vgl. Unterkapitel 2.2.2). Den Veto-Schwellenwert bei ELEC-TRE sollte man als eine Art Notbremse für den Umweltbereich festlegen [RB98]. Sie plädieren also für eine nicht-partizipative Festlegung der Schwellenwerte, sondern durch eine Einschätzung von Experten bezüglich Wirkung auf den Menschen.

In Literaturauswertungen für MCDA-Anwendungen im Bereich Energie ist zu sehen, dass die Einbindung der Akteure zunimmt [KSMO08], [BPR09]. Auch wird die Partizipation durchaus in allen Schritten angewandt, am häufigsten jedoch in der Nutzung der Gewichtung für die Einbindung der Akteure [Obe10], [Sch11b].

BeiOberschmidt ist eine Auswertung verfügbar, welche Akteursgruppen in MCDA-Fallstudien im Bereich Energie in welchen MCDA-Fallstudien vertreten waren. Hier ist ein breites Spektrum von verschiedenen Gruppen genannt [Obe10]: Energieversorgungs-unternehmen, Verbände/Industrievertreter, Gewerkschaften, Verbraucherorganisa-tionen, Anlagenentwickler und -bauer, Anwohner/Bürger, Investoren, Regierungs-vertreter, kommunale Vertreter, fachliche Experten, Umweltschutzorganisationen/

Nicht-Regierungs-Organisationen, Kirchen/Philosophen.Scholz beschreibt in seiner Literaturanalyse zur Vorbereitung der Fallstudie, dass Akteure bei allen Schritten der MCDA eingebunden werden [Sch11b]. Hier ist auch zu sehen, dass die

Ein-5.4 Partizipation 125

bindung der Akteure am meisten bei dem Schritt der Gewichtungen durchgeführt wird [Sch11b].

Konkrete Hinweise zur Gestaltung des Akteurskreises sind jedoch wenig in der Lite-ratur zu finden. Bei Omann werden die Akteure nach den beiden Kriterien „betroffen sein“ und „Wichtigkeit“ ausgewählt [Oma04]. Munda gewinnt sein Wissen über die Akteure für die MCDA-Anwendung im Rahmen der Institutionsanalyse. Hieraus er-hält er Informationen zu Werten, Bedürfnissen und Präferenzen der Akteure und versteht ihre Verbindungen untereinander [Mun05]. Der Akteurskreis ist also von der jeweiligen Situation abhängig.