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V. Die Zielgruppe der High Potentials

3. Theoretisch-konzeptionelle Perspektiven zur Erfassung des High-

3.3. High Potentials im Kontext der Eliten- und Milieuforschung

146 mit der ein Mitarbeiter in einem Unternehmen als Talent identifiziert und be-nannt wird. Gemäß den Autoren gibt es einen zweistufigen Entscheidungspro-zess zur Aufnahme in einen „Talentpool“397. Im ersten Schritt wird die Leistung eines Kandidaten evaluiert. Dieser Schritt liefert den Input für die zweite Stufe, die kognitiv-basierte Managerentscheidung. Diese Entscheidung wird jedoch durch kulturelle und institutionelle Distanz beeinflusst. Das heißt, je größer die kulturelle und institutionelle Distanz ist, desto geringer fällt die Wahrscheinlich-keit aus, als Talent identifiziert zu werden. Je ähnlicher jedoch ein Kandidat dem Entscheider ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, als Talent erkannt zu werden. Die Ergebnisse implizieren, dass nicht nur formale Faktoren wie der Bildungsgrad, diagnostizierte Charaktereigenschaften und (objektiv) bewertete Leistung eines Mitarbeiters ausschlaggebend sind, sondern vielmehr die Ent-scheidung auch von der auswählenden Person selbst beeinflusst wird.

147 bestimmen. KAINA ergänzt insoweit, dass neben der Benennung der Merkmale auch zu prüfen sei, inwiefern spezifische historische Konstellationen und ge-sellschaftliche Rahmenbedingungen im Sinne von institutionellen Arrangements den Prozess beeinflussen.400 Aufgrund dieses komplexen sozialen Phänomens ist es nicht verwunderlich, dass bis heute kein Konsens darüber existiert, „wer zu den Eliten einer Gesellschaft gehört und warum jemand zum Mitglied dieses Kreises wird“401. Des Weiteren ist unklar, ob Eliten als Gruppe, gesellschaftliche Schicht oder Klasse zu definieren wären.402

In der Eliteforschung lassen sich jedoch drei zentrale Konzepte identifizieren, die das Elitephänomen zu klassifizieren versuchen:403

 Unter „Werte-Elite“ wird eine Minderheit einer Gesellschaft verstanden, deren Mitglieder die in der Gesellschaft gültigen Grundwerte und Normen besonders glaubwürdig nach innen und außen vertreten und damit eine Vorbildfunktion einnehmen.404

„Funktions-Eliten“ sind das Ergebnis einer funktionellen Betrachtung, der Personen zugrechnet werden, die aufgrund spezieller und herausra-gender Leistungen auf einem bestimmten Gebiet die Funktionsfähigkeit einer Gesellschaft erhalten und damit zum Gemeinwohl beitragen.405

 Die „Macht-Eliten“ ist die dritte Kategorie, dessen Mitglieder Macht über Nicht-Mitglieder ausüben und allgemeinverbindliche Entscheidungen tref-fen oder die Entstehung dieser Regeln maßgeblich beeinflussen.406

400 Vgl. Kaina 2004a, S. 17.

401 Kaina 2004a, S. 17.

402 Vgl. Kaina 2004a, S. 17 f.; Endruweit 1979, S. 32 ff.

403 Vgl. Kaina 2004a, S. 18 f.

404 Vgl. auch Schäfers 2004, S. 4 f.

405 Vgl. auch Schäfers 2004, S. 6; Kaina 2004b, S. 8 f.

406 Diese Betrachtungsweise, die explizit das Kriterium der Macht in den Vordergrund stellt, ist insbesondere für politik- und verwaltungswissenschaftliche Untersuchungen handlungsleitend, die das Phänomen der Elite im Kontext von Herrschaft und politischen Willensbildungsprozes-sen thematisieren. – Vgl. hierzu Kaina 2004a, S. 19; Hoffmann-Lange 2004, S. 25 ff.; Wie-sendahl 2004, S. 124 ff. Neben der Politik- und Verwaltungswissenschaft setzt auch Bourdieu aus Sicht der Soziologie an dieser Kategorie an. Bourdieu (1991: 97) sieht es als Aufgabe der Soziologie an, die Reproduktionsmechanismen der Macht aufzudecken und damit ihre

„symbo-148 Insbesondere der Ansatz der Funktions-Eliten kann durchaus für die vorliegen-de Problemstellung interessant sein. Mit einer gesellschaftlichen Systembildung erfolgt auch im Bereich der Eliten eine „Ausdifferenzierung in funktionale Sekto-reliten“407. High Potentials sind in diesem Eliteverständnis als Personengruppe im Subsystem der Wirtschaft zu verstehen, die aufgrund bestimmter Leistungen für die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftssystems, einer Branche oder einem Unternehmen unverzichtbar sind. Diese „Wirtschaftselite“408 lässt sich nach HARTMANN in deutschen Großunternehmen durch vier zentrale Persönlich-keitsmerkmale beschreiben: (1) intime Kenntnis der Dress- und Benimmcodes, (2) breite Allgemeinbildung, (3) unternehmerisches Denken sowie (4) persönli-che Souveränität im Auftreten. Dieses Bündel an charakteristispersönli-chen Persönlich-keitsmerkmalen beschreibt er mit dem „Habitus der Chefetagen“.409

Dieser Ansatz der Wirtschaftselite spiegelt jedoch einen zentralen Unterschied im Vergleich zum bereits diskutierten betrieblichen Talentmanagement wider.

High Potentials werden dort definiert als Personenkreis, deren hohes Fähig-keits- und Leistungspotenzial noch nicht vollständig aktiviert ist. In einschlägi-gen Untersuchuneinschlägi-gen zur deutschen Wirtschaftselite wird fast ausnahmslos da-von ausgegangen, dass hierzu nur Personen mit langer Berufserfahrung in der Regel aus dem Top-Management zählen.410

b. Soziale Milieus in Deutschland

Personengruppen mit ähnlichem Habitus können zu „Milieus“ zusammengefasst werden. Damit lassen sich auch Eliten im Sinne „sozialer Milieus“ erfassen. Die wohl bekannteste sozialwissenschaftliche Milieu-Studie in Deutschland stammt vom SINUS-INSTITUT. Der Kernpunkt des Ansatzes liegt in einer Zielgruppen-Segmentation, die sich an den Lebenswelten der Gesellschaft orientiert. Die lische Wirksamkeit zu zerstören“, indem sie „an den Glauben der herrschenden Klassen an ihre eigene Legitimität“ rührt. – Vgl. hierzu auch Hartmann 2002.

407 Kaina 2004a, S. 22.

408 Vgl. hierzu RUST (2005), der sich kritisch über die deutsche Wirtschaftselite äußert und auf-grund aktueller Diskussion um überzogene Managergehälter, Selbstbedienung und mangelnde Verantwortungsgefühl von einer „entfremdeten Elite“ (ebd. 2005, S. 23 ff.) spricht.

409 Vgl. Hartmann 2004, S. 21. Der Begriff des „Habitus“ wird analog zu BOURDIEU (1987) verwendet und darunter gemeinsame Gewohnheiten im Denken, Fühlen und Handeln innerhalb einer Gruppe verstanden. „Habitus“ ist in diesem Sinne gleichzusetzen mit „sozialer Persönlich-keitsstruktur“.

410 Vgl. Kaina 2004b, S. 13 ff; Hartmann 2004, S. 17 ff.

149 zehn identifizierten Zielgruppen, welche als Sinus-Milieus ausgewiesen sind, ähneln sich bezüglich ihrer Lebensauffassung und Lebensweise. Diese werden erfasst über die Merkmale:

 Grundlegende Wertorientierungen,

 Arbeitseinstellung,

 Bedeutung der Familie,

 Einstellung zu Freizeit,

 Geld und

 Konsumorientierung.411

Die ursprüngliche Intention zur Erfassung der Sinus-Milieus liegt in der ziel-gruppenspezifischen Fundierung strategischer Marketingansätze, sowie die Verwendung für Produktentwicklung und Kommunikation. Neben der kommer-ziellen finden die Sinus-Milieus Anwendung durch politische Parteien, Ministe-rien, Gewerkschaften, Kirchen und Verbänden.412 Das Resultat des Ansatzes ist die sog. "strategische Landkarte", die zur Positionierung von Produkten, Marken, Medien, Wahlprogrammen etc. genutzt werden kann. Dabei bleibt zu konstatieren, dass die Grenzen zwischen den Milieus fließend sind, da die indi-viduellen Lebenswelten und die reale soziale Lage nicht exakt einem Milieu zu-geordnet werden können. Diese „Unschärferelation der Alltagswirklichkeit“413 ist konzeptimmanent und damit grundlegender Bestandteil des Milieu-Konzepts.

Für die Betrachtung der Zielgruppe der High Potentials bietet der Milieu-Ansatz durchaus einen Anknüpfungspunkt. Aus der o.g. Grafik ist die Logik zu entneh-men, dass je höher ein Milieu in der Matrix angesiedelt ist (vertikal), desto ge-hobener auch Bildung, Einkommen und die Zugehörigkeit zu einer Berufsgrup-pe anzunehmen sind. Ferner gilt, dass sich mit zunehmender Orientierung auf der horizontalen Achse auch eine modernere Grundorientierung im soziokultu-rellen Sinne verbindet.414

411 Vgl. Sinus-Institut 2011, S. 1.

412 Vgl. Sinus-Institut 2011, S. 1.

413 Sinus-Institut 2011, S. 1.

414 Vgl. Sinus-Institut 2011, S. 1.

150 Abbildung 26: Die Sinus-Milieus in Deutschland 2010

Quelle: Sinus-Institut 2013, S. 1.

Als High Potentials im Sinne dieser Arbeit lassen sich daher drei Milieu-Gruppen als besonders interessant herausgreifen und beschreiben:415

Milieu der Performer: Unter diesem Milieu wird die multi-optionale, effizi-enz-orientierte Leistungselite gefasst, die sich durch global-ökonomisches Denken; Konsum-und Stil-Avantgarde sowie durch hohe IT- und Multime-dia-Kompetenz auszeichnet.

Expeditives Milieu: Dieses Milieu fasst die ambitionierte kreative Avant-garde, die gekennzeichnet ist durch mentale und geografische Mobilität und einem hohen Vernetzungsgrad (online und offline). Die Mitglieder die-ses Milieus sind auf der Suche nach neuen Grenzen und neuen Lösun-gen.

415 Vgl. Sinus-institut 2011, S. 2.

151

Liberal-intellektuelles Milieu: Unter dieser Kategorie wird die aufgeklärte Bildungselite gefasst, die mit einer liberalen Grundhaltung und postmateri-ellen Wurzeln beschrieben werden kann, die sich in dem Wunsch nach selbstbestimmtem Leben sowie in vielfältigen intellektuellen Interessen äußern.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich High Potentials im Kon-zept der Sinus-Milieus auf drei Milieu-Gruppen eingrenzen lassen. Allen ge-meinsam ist die soziale Lage, d.h. die Mitglieder der drei Milieus zeichnen sich durch überdurchschnittliche Bildung und Einkommen aus und gehören i.d.R.

bestimmten Berufsgruppen an. Hinsichtlich der Grundorientierung kann festge-halten werden, dass sich keines der drei Milieus durch eine traditionelle Orien-tierung auszeichnet. Vielmehr stehen das Milieu der Performer und das expedi-tive Milieu für eine Neuorientierung. Das liberal-intellektuelle Milieu zeichnet sich durch eine hohe individualistische Orientierung aus.