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II. Zur Ausgangslage auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Die

2. Konsequenzen für den Arbeitsmarkt und die Rekrutierung

2.3. Fachkräfteengpässe und Fachkräftemangel

a. Definitorische Abgrenzung

WEISE gibt mit Blick auf die Diskussion um den (drohenden) Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu bedenken, dass offene Stellen nicht auto-matisch als Fachkräftemangel interpretiert werden dürften. Vielmehr seien offe-ne Stellen charakteristisch für eioffe-nen funktionierenden Arbeitsmarkt. Erst wenn dieser Fachkräftebedarf nicht zum gewünschten Zeitpunkt befriedigt werde und Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt auf Dauer nicht zusammen kä-men, dann läge der Tatbestand eines Fachkräftemangels vor.56 Die Gründe hierfür seien zu sehen als ein komplexes Zusammenspiel von individuellen

53 Vgl. Pronos 2009, S. 27 f.

54 Vgl. Fuchs/Zika 2010, S. 5; Badura/Walter/Hehlmann 2010, S. 18.

55 Vgl. Weise 2012, S. 48.

56 Vgl. Weise 2012, S. 48.

31 scheidungen bei den Erwerbspersonen (wie zum Beispiel hinsichtlich der Per-sönlichkeitsentwicklung und der Aus- und Weiterbildung) sowie bei den poten-ziellen Arbeitgebern, deren Unternehmensplanung branchen- und betriebsspe-zifisch ganz unterschiedlichen Kosten-/Erlöskalkülen folgt.57

Um von einem Fachkräftemangel zu sprechen, sind laut der BUNDESAGEN-TUR FÜR ARBEIT zwei zentrale Kriterien zu erfüllen:58

(1) Auf 100 bei der Agentur für Arbeit gemeldete offene Stellen entfallen we-niger als 150 Arbeitslose, welche das benötigte Qualifikationsniveau mit-bringen.

(2) Die Vakanzzeit liegt mindestens 40% über dem Bundesdurchschnitt aller Berufe.59

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die auf Kettner zurückgehende Diffe-renzierung des IAB ebenfalls zielführend, die zwischen einem (1) Arbeitskräf-temangel einerseits und einem (2) FachkräfArbeitskräf-temangel andererseits unterschei-det.60

(1) Von einem Arbeitskräftemangel kann dann gesprochen werden, wenn auf einem regional abgegrenzten Arbeitsmarkt die Anzahl der benötigten Ar-beitskräfte die Anzahl der verfügbaren ArAr-beitskräfte über längere Zeit hin-weg übersteigt (quantitative Dimension). In der betrieblichen Realität äu-ßert sich dieser Tatbestand in vielen Vakanzen, auf die es keine oder nur wenige Bewerbungen gibt.

(2) Ein Fachkräftemangel ist dagegen durch die qualitative Dimension charak-terisiert. In diesem Falle entsprechen die Qualifikationsprofile der internen und externen Bewerber über einen längeren Zeitraum hinweg nicht den geforderten Anforderungsprofilen der vorhandenen Arbeitsplätze. Dabei kann es sich sowohl um formale Qualifikationen als auch um Soft Skills oder Zusatzqualifikationen handeln.

57 Vgl. Prognos 2009, S. 21.

58 Vgl. Kolodziej 2012, S. 15.

59 Unter der sog. „Vakanzzeit“ wird die durchschnittlich benötigte Zeit verstanden, die typischer-weise für die (Wieder)besetzung einer freien Stelle mit einer geeigneten Fachkraft benötigt wird.

60 Vgl. Kettner 2011, S. 1 f.

32 b. Studienergebnisse

Verschiedene Studien beschäftigen sich mit der aktuellen Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt und prognostizieren die zukünftige Verfügbarkeit von Fachkräften unter den oben skizzierten demographischen Bedingungen.

In diesem Kontext zeigt bspw. die IAB-Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots, dass Betriebe heute nur selten aufgrund fehlender Bewerber auf dem Arbeitsmarkt die Personalsuche erfolglos abbrechen müssen. In den meisten dieser Fälle abgebrochener Suche kommen in Folge personalwirt-schaftliche Flexibilisierungsinstrumente zum Einsatz, indem fehlende Kapazitä-ten über eine Verteilung der Arbeit auf die BeschäftigKapazitä-ten, z. Bsp. durch Über-stundenaufbau, Überführung von Teilzeit- in Vollzeitverträge, oder indem Sub-unternehmen beauftragt werden. Demnach werden die meisten offenen Stellen nach wie vor erfolgreich besetzt, wenngleich das IAB in seiner Untersuchung feststellt, dass damit auch häufiger Kompromisse bei der Bewerberauswahl einhergehen oder die Personalsuche im Vergleich zu früher auch länger dauern kann. Die Verlängerung von Suchzeiten ist allerdings auf bestimmte Berufe be-schränkt, denn im Durchschnitt aller Berufe ist dieser Trend bislang nicht ein-deutig zu beobachten. Zudem reduziert sich die durchschnittliche Anzahl der Bewerbungen im Zeitvergleich. Gab es 2005 im Durchschnitt noch pro Vakanz 29 Bewerbungen, waren es 2010 nur noch 23.Der Großteil aller tatsächlich rea-lisierten Neueinstellungen bereitet den Betrieben der IAB-Erhebung zufolge noch keine schwerwiegenden Schwierigkeiten.61

Basierend auf der o.g. Definition lässt sich ein flächendeckender Fachkräfte-mangel heute lediglich in den Gesundheits- und Pflegeberufen feststellen, wel-cher alle Qualifikationsebenen betrifft. Regionale Engpässe sind bei Ingenieu-ren in Maschinen- und Fahrzeugtechnikberufen durchaus auch beobachtbar.

Dieser beinhaltet, mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, alle westlichen Bun-desländer.62 Die regionale Differenzierung ist jedoch charakteristisch für den Status Quo, da Regionen von einer spezifischen demographischen Entwicklung

61 Vgl. Kettner 2011, S. 1 ff.

62 Vgl. Kolodziej 2012, S. 15 ff.

33 und von speziellen Anforderungen der regionalen Wirtschaft gezeichnet sind.63 Des Weiteren weisen die Ausbildungsstatistiken des BUNDESMINISTERIUMS FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) bereits heute eine wachsende An-zahl unbesetzter Ausbildungsstellen aus. 2011 konnten demnach bundesweit 29.689 Ausbildungsplätze mangels geeigneter Bewerber nicht besetzt wer-den.64 Diese Zahlen können bereits als ein Indikator interpretiert werden, dass der demographische Wandel bei den jüngeren Zielgruppen bereits spürbar wird.

Unternehmen müssen demzufolge vorliegende Aufträge heute nur selten we-gen Arbeitskräftemangel ablehnen. Alle Studien kommen zu dem Schluss, dass mit Bezug auf den deutschen Arbeitsmarkt derzeit eher von regionalen, bran-chenspezifischen oder berufsbezogenen Fachkräfteengpässen gesprochen werden sollte, jedoch (noch) nicht von einem breiten Fachkräftemangel.65

Wird der Blick vom Status Quo auf die Zukunft gerichtet, so prognostizieren und quantifizieren verschiedene Studien den zukünftigen Fachkräftemangel für den deutschen Arbeitsmarkt. Auch wenn die statistischen Berechnungs- und Prog-nosemodelle mit den unterstellen Annahmen sich unterscheiden und folglich die Dimension des Fachkräftemangels unterschiedlich vorhergesagt wird, so kom-men doch alle zum Fazit, dass sich die Situation sukzessive verschärfen wird.

BIBB und IAB prognostizieren für die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktent-wicklung bis 2030 eine deutliche Verschiebung zwischen Arbeitskräfteangebot und -nachfrage. In den nächsten 20 Jahren werden ca. 19 Mio. Personen aus der Erwerbstätigkeit und somit aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden und es wer-den gleichzeitig lediglich 15,5 Mio. Neuzugänge registriert. Durch das Aus-scheiden der geburtenstarken Jahrgänge wird ein relativ großer Ersatzbedarf generiert. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass das Fachkräfte-angebot weniger stark ansteigen wird als der prognostizierte Fachkräftebedarf,

63 Vgl. Weise 2012, S. 48. Zur differenzierten Betrachtung der Entwicklung auf dem west- und ostdeutschen Arbeitsmarkt vgl. Fuchs/Zika 2010, S. 5 ff.

64 Vgl. BMBF 2012, S. 12. Es bleibt an dieser Stelle jedoch einschränkend zu erwähnen, dass die Schwierigkeiten bei der Besetzung von Ausbildungsstellen unter anderem auch maßgeblich in der eingeschränkten Mobilität der Jugendlichen begründet sind.

65 Vgl. Weise 2012, S. 48; Kettner 2011, S. 1.

34 der sich auch dem eben genannten Ersatzbedarf und einem Neubedarf zu-sammensetzt.66

Neben dieser quantitativen Komponente sehen BIBB und IAB auch Passungs-probleme, die aus dem ungleichen Verhältnis von Angebot und Nachfrage re-sultieren können, jedoch nicht auf allen Qualifikationsebenen. Generell wird diesen Ergebnissen zufolge der Bedarf an Fachkräften mit einer abgeschlosse-nen Berufsausbildung weniger stark ansteigen als der Bedarf an Akademikern.

Bis zum Jahr 2030 rechnen die Forschungsinstitute mit einem Zuwachs von 24,8% für das Qualifikationsniveau der Akademiker, was ihren Anteil am Er-werbspotenzial um ca. 6% auf insgesamt 23,7% erhöht.67

Abbildung 8: Erwerbspersonen bis 2030

Quelle: Helmrich et al. 2012, S. 5.

66 Während sich der Ersatzbedarf auf die Anzahl der vom Arbeitsmarkt ausscheidenden Mitar-beiter bezieht, unterstellt der Zusatzbedarf ein Wirtschaftswachstum, welches zu einem Mehr-bedarf an Fachkräften führt.

67 Vgl. Helmrich et. al 2012, S. 3 ff.

35 PROGNOS kommt in seiner Untersuchung zum Ergebnis, dass sich die grund-legende Richtung des Strukturwandels auch durch die Einflüsse der Wirt-schafts- und Finanzkrise nicht verändert habe. Globalisierung und technischer Fortschritt seien als Haupttreiber zu sehen, die zu einer deutlichen Verschie-bung der Beschäftigungsstruktur zwischen den Branchen führen. Zudem prog-nostizieren sie einen signifikanten Beschäftigungsaufbau in den Dienstleis-tungsbranchen. In der Industrie (Verarbeitendes Gewerbe) steigt jedoch die Produktivität erheblich schneller als der Output ausgeweitet wird. Deshalb geht der Personalbedarf in diesem Wirtschaftsbereich langfristig deutlich zurück, bis 2030 um über 1,8 Mio.68

Auf dieser Grundlage ermittelt PROGNOS bis zum Jahr 2030 eine Fachkräf-telücke von insgesamt 5,2 Mio. Personen auf dem deutschen Arbeitsmarkt.

Wird diese Fachkräftelücke differenziert nach Qualifikationsniveau betrachtet, so beträgt der Mangel an Hochschulabsolventen knapp 2,4 Mio. Personen, an Personen mit beruflicher Bildung rund 2,15 Mio. und ohne berufliche Bildung69 fehlen dem Arbeitsmarkt rund 0,6 Mio. Personen.70

MCKINSEY bestätigt mit den Prognosen in seiner Studie die von PROGNOS erwarteten Ausmaße des Arbeitskräftemangels. Das Beratungsunternehmen errechnet für das Jahr 2020 eine Fachkräftelücke je nach hinterlegtem Szenario zwischen 2,4 und 6,1 Mio., davon 1,2 Mio. Akademiker.71

68 Vgl. Prognos 2009, S. 19.

69 Die in der Prognos-Studie (2010, S. 57) betrachtete Qualifikationsstufe „ohne berufliche Bil-dung“ ist nicht gleichzusetzen mit Personen ohne Qualifikation bzw. Geringqualifizierten. Laut der vorliegenden Definition haben Personen „ohne berufliche Bildung“ nach der Schule keine zusätzliche berufliche Qualifikation erlangt bzw. abgeschlossen (inkl. Praktikum). Im Wesentli-chen handelt es sich dabei um Personen mit Hauptschul- oder Realschulabschluss.

70 Vgl. Prognos 2009, S. 57 f.

71 Vgl. McKinsey 2008, S. 6 f.

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