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VII. Modell zur Bindungswirksamkeit von Rekrutierungsinstrumenten

3. Arbeitsrechtliche Bindung und die Bedeutung des psychologischen

191 verhältnisses beginne und sich nicht als singuläre Aktivität, sondern vielmehr als weit reichende Daueraufgabe charakterisieren lasse.558

Klassische Interventionen zur Mitarbeiterbindung, wie sie bspw. die Personal-entwicklung darstellt, bleiben auf „reaktive, kurzfristige Aktionsspielräume redu-ziert“559. Vielmehr müssen Kündigungsentscheidungen der Mitarbeiter als ein Ergebnis eines vorangegangenen und längere Zeit andauernden Abwägungs-prozesses verstanden werden. Diese Phasen gilt es systematisch in die Be-trachtungen des Bindungsmanagements aufzunehmen, um dem Unternehmen größere Handlungsspielräume mit langfristiger Perspektive zu eröffnen.560 Dar-aus wird deutlich, dass bereits in den frühen Phasen des Personalmarketings, des Rekrutierungs- und Einarbeitungsprozesses (Onboarding) ein entscheiden-der Beitrag für eine langfristige Bindung geleistet wird. Damit wird die Aktualität der Problemstellung dieser Arbeit untermauert. Diese frühen Phasen des sog.

„Mitarbeiterzyklus“ werden im englischsprachigen Begriffsverständnis unter

„Recruitment“ zusammengefasst.561

3. ARBEITSRECHTLICHE BINDUNG UND DIE BEDEUTUNG DES

192 Die zu Grunde liegenden arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften begründen grundsätzlich für jeden Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleiche Rechte und Pflichten. Jedoch gibt es von diesem Grundsatz auch Ausnahmen, in denen Rechte und Pflichten von der Dauer der Betriebszugehörigkeit des einzelnen Arbeitnehmers abhängig gemacht werden. „Diese Normen des Arbeits- und Sozialrechts knüpfen an die Tatbestandsvoraussetzung des Bestehens eines tatsächlichen oder rechtlichen Bandes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an.“564 Als Beispiele können bspw. der Kündigungsschutz des einzelnen Arbeit-nehmers oder seine Beteiligungsrechte an der kollektiven Mitbestimmung ge-nannt werden.565 Zudem werden in einem Arbeitsvertrag auch die Vergütungs-modalitäten geregelt, die bei attraktiver Ausgestaltung des Vergütungssystems ebenfalls einen Beitrag zur Personalbindung leisten.566

Folglich hat ein Arbeitsvertrag zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeit-nehmer hinsichtlich der Personalbindung eine zweifache Wirkung:

 Zum einen wirkt ein Arbeitsvertrag direkt auf die Mitarbeiterbindung ein, indem ein Arbeitgeberwechsel über die Definition von Kündigungsfristen einen zeitlichen Vorlauf benötigt. Hierfür sind die Grundkündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse in § 622 BGB geregelt, die für alle Arbeitsverhält-nisse Gültigkeit besitzen, jedoch durch vertragliche Regelungen unter be-stimmten Rahmenbedingungen verlängert oder gekürzt werden können.

Personalbindung erstreckt sich damit auf die Dauer der gesetzlich bzw. in-dividualrechtlich vereinbarten Kündigungsfristen. Des Weiteren verlängern sich die gesetzlichen Kündigungsfristen mit zunehmender Betriebszugehö-rigkeit und erhöhen damit die formalrechtliche Bindungsdauer.567

564 Pulte 2004, S. 168.

565 Eine detaillierte Darstellung zur Wahlberechtigungen zu Betriebsrat, Personalrat, kirchliche Mitarbeitervertretungen, Arbeitnehmervertretung, Sprecherausschuss, Schwerbehinderten-vertretung etc. findet sich bei Pulte 2004, S. 170 ff.

566 NIETHAMMER (2009, S. 68 f.) schränkt jedoch diesbezüglich ein, dass die finanziellen Res-sourcen vieler Unternehmen keine „privilegierte Vergütungsgestaltung“ (S. 68) und „Sonderbe-handlungen für spezifische Mitarbeitergruppen“ (S. 68 f.) ermöglichen würde. Zudem zeigten Forschungsergebnisse, dass Entlohnungssysteme als extrinsisch wirkende Motivationskompo-nente zu sehen sei, die hinsichtlich einer intendierten affektiv-emotionalen Mitarbeiterbindung keinen Beitrag leisten könne. Auch die TRENDENCE-Studie (2011, S. 76 f.) kommt zu dem Ergebnis, dass der Faktor „Gehalt“ eine nachrangige Bedeutung bei der Wahl eines Arbeitge-bers hat.

567 Vgl. Pulte 2004, S. 184 ff.

193 zende Aspekte wie bspw. Wettbewerbsklauseln, die einen direkten und friktionsfreien Übergang zu einem anderen Arbeitgeber im selben Tätig-keitsfeld meist nur mit zeitlicher Verzögerung erlauben, unterstützen diese direkte Bindungswirkung. Und nicht zuletzt wirken natürlich auch die im Arbeitsvertrag vereinbarten Leistungen direkt auf die Verbleibsabsicht des Arbeitnehmers ein.568

 Eine indirekte Bindungswirkung entfachen die arbeitsvertraglichen Re-gelungen, indem vertraglich fixierte Vereinbarungen oder Leistungszusa-gen erst mit einer bestimmten Betriebs- oder Unternehmenszugehörigkeit in Kraft treten. Als Beispiel sei an dieser Stelle auf die Betriebsrente ver-wiesen, deren Ansprüche meist ab dem ersten Arbeitstage erworben wer-den, die Unverfallbarkeit der Ansprüche in der Regel allerdings an eine Mindestbetriebszugehörigkeit geknüpft sind. Andererseits erwirbt ein Mit-arbeiter neben diesen monetären Ansprüchen mit einer bestimmten Be-triebszugehörigkeit weitergehende Rechte, bspw. – wie oben bereits ge-nannt – in der kollektiven Mitbestimmung.

Der formale Arbeitsvertrag beinhaltet allerdings nicht alle Vorstellungen und Ansprüche beider Vertragsparteien. Zusätzlich zum formalen Arbeitsvertrag schließen Arbeitnehmer und Arbeitgeber implizit einen weiteren Vertrag – den psychologischen Arbeitsvertrag. Der psychologische Arbeitsvertrag beschreibt das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welches auf Kooperati-on und Reziprozität beider Anspruchsgruppen basiert und die Voraussetzung für eine beidseitig zufriedenstellende Arbeitsbeziehung darstellt.569 In diesem impliziten psychologischen Vertrag verpflichtet sich der Mitarbeiter zu Einsatz, Leistung und Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber und erwartet im Gegenzug eine langfristige Sicherheit und Fürsorge durch das Unternehmen.570

568 Vgl. Niethammer 2009, S. 68.

569 Vgl. Kobi 2012, S. 155. Auf eine weitergehende Spezifizierung der Begrifflichkeit „zufrieden-stellende Arbeitsbeziehung“ wird an dieser Stelle bewusst verzichtet und stattdessen auf das Konstrukt der „Arbeitszufriedenheit“ verwiesen, welches in Kapitel VII.4.1 detaillierter dargestellt wird.

570 Vgl. Felfe 2008, S. 18.

194 Werden diese meist nicht-monetären und immateriellen Erwartungen nicht er-füllt oder die impliziten Vereinbarungen gebrochen, gerät die Basis für eine ausgeglichene Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer leicht ins Wanken.571 Forschungsergebnisse zeigen andererseits auch, dass eine ausge-prägte sozio-emotionale Bindung auf Grundlage des psychologischen Vertrags erheblich zu Engagement, Loyalität und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter beiträgt.572 Damit sind die Überlegungen zum psychologischen Arbeitsvertrag und dessen mögliche Konsequenzen eng verbunden mit der Equity-Theorie.573 Diese betrachtet die Arbeitszufriedenheit als das Ergebnis individueller Interpre-tation von Fairness zwischen Input und Output des oben skizzierten Aus-tauschprozesses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Demnach kann kein objektiv richtiges Verhältnis ermittelt werden, sondern die subjektive Wahrneh-mung und Bewertung des Arbeitnehmers ist die letztlich ausschlaggebende und handlungsleitende Größe.574

Für die Bindung der High Potentials ist aus dieser Perspektive festzuhalten, dass die arbeitsrechtlichen Bestimmungen den Unternehmen die Möglichkeit bieten, unterschiedliche Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen mit unterschiedli-chen Zeithorizonten an sich zu binden, indem entspreunterschiedli-chende Kündigungsfristen und ggf. Wettbewerbsklauseln vereinbart werden.575 Ergänzend dazu gilt es, die im Arbeitsvertrag definierten Leistungszusagen des Unternehmens entspre-chend attraktiv für High Potentials zu gestalten. Insbesondere die nicht-monetären und immateriellen Bedürfnisse, die meist nicht im Arbeitsvertrag festgehalten werden, sind aus Sicht des Arbeitnehmers trotzdem als Bestandteil der Gesamtvereinbarung mit dem Arbeitgeber zu sehen. Um einen nachhaltig wirkenden Bindungserfolg zu realisieren, müssen daher sowohl die

571 Vgl. DGFP 2014, S. 53 ff.; Stock-Homburg 2008, S. 52; Knoblauch 2004, S. 112 f.

572 Vgl. Behrens 2009, S. 120; Kobi 2012, S. 155.

573 Die Equity-Theorie ist auch als eine der Grundlagen des Konstrukts der Personalzufrieden-heit zu bezeichnen (vgl. Pepels 2004, S. 54), hat allerdings weniger ihren Ursprung in der Or-ganisationspsychologie, sondern hat eher verhaltenswissenschaftliche Wurzeln.

574 Vgl. Pepels 2004, S. 54.

575 Als besonderes Bindungsinstrument für Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer bietet sich Gestaltung der sog. „Change of Control“-Klauseln an. Dieser ermöglichen den genannten Per-sonen einen vorzeitigen Ausstieg bei Wechsel der Eigentumsverhältnisse bzw. eines Mehr-heitswechsels. – Vgl. hierzu Fritz 2014, S. 110 f.

195 tragsrechtlichen Aspekte als auch die impliziten Forderungen des psychologi-schen Arbeitsvertrages Berücksichtigung finden.