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6 E RGEBNISDARSTELLUNG

6.1 Hilfe und Kontrolle

6.1.2 Herausforderungen für eüH-Klient*innen aus Sicht der Expert*innen

Zeitkorsett beschrieben. Für viele Strafgefangene sei es besonders schwer, sich an vorgegebenen Zeiten zu halten, da zuvor beispielsweise kein geregeltes Arbeitsleben oder keine vorhandene (Arbeits-)Routine bzw. Tagesstruktur gegeben gewesen sei, an die sie sich halten mussten. Die Schwierigkeit sich daran zu halten, ergebe sich durch die Tatsache, dass viele „überhaupt wirklich mal arbeiten gehen und aufstehen müssen jeden Tag und das auch durchhalten müssen [...] auch dass sie dann wirklich pünktlich zuhause sind“ (Interview 1: Zeile 414-416). Für diese Personen ergibt sich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Routine, die

vorher nicht vorhanden gewesen sei, „weil sie so in den Tag hineingelebt haben oder zumindest schon längere Zeit keinen Job mehr gehabt haben“ (Interview 1: Zeile 416-417).

Die Umstellung auf ein komplett anderes Leben als zuvor, kann durchaus belastend sein, vor allem in der Anfangszeit.

Wie bereits angeführt, sind im Aufsichtsprofil die genauen Zeiten vorgegeben, wann sich der/die Klient*in wo aufzuhalten hat, was nicht immer der Realität entspreche. Änderungen seien möglich, jedoch nur in einem Ausmaß zulässig, in dem immer noch Einschränkungen der betroffenen Personen erkennbar seien (Interview 5: Zeile 36-37). In diesem Aufsichtsprofil sind die Arbeits- sowie Einkaufszeiten genau eingetragen und „das Leben erfolgt nach einem bestimmten Plan, den sie nicht wirklich selbst bestimmen können“ (Interview 4: Zeile 111-112).

Durch diese Einengung erfolge das Gefühl der Fremdbestimmung bei den Klient*innen, was auch der Fall sei (vgl. Interview 4: Zeile 114). Die Folgen davon seien Angst und Stress sowie psychische Belastungen. Kommt es zu Abweichungen, beispielsweise aufgrund einer defekten U-Bahn oder aufgrund von Überstunden, muss dies unmittelbar der Überwachungszentrale mitgeteilt werden. Geschieht dies nicht, erfolgt ein stiller Alarm in der Zentrale, der darauf hindeutet, dass die überwachte Person sich nicht zuhause aufhält. Das ständige Mitdenken bzw. die Angst, nicht immer die Möglichkeit zu haben rechtzeitig anzurufen, weil es beispielsweise die Arbeit nicht zulässt, „erzeugt massiven Stress bei den Betroffenen“ (Interview 1: Zeile 66). Zudem signalisiert die Fußfessel am Bein, dass sie „einer dauerhaften Überwachung ausgesetzt sind [...] und Klient*innen fühlen sich dadurch die ganze Zeit beobachtet, als würde ständig jemand zuschauen“ (Interview 2: Zeile 134-137). Ein*e Befragte*r schildert ein Bespiel eines Klienten, welches deutlich macht, dass genau diese Einengung problematisch werden und zum Abbruch führen kann (vgl. Interview 4).

„Es war ihm einfach alles zu viel, die Verpflichtungen, die enorme Einengung, die er nicht mehr ausgehalten hat [...] er hat es nicht mehr geschafft die ganzen Regeln einzuhalten und er hat es auch nicht mehr akzeptiert, dass er nur eine Stunde am Tag hinaus darf und er hat angefangen sich immer mehr darüber zu ärgern und schließlich kam es dann zum Widerruf“ (Interview 4: Zeile 32-36).

Nicht nur die psychische, sondern auch die räumliche Einengung kann einen Belastungsfaktor für die Strafgefangenen darstellen. Diese haben im eüH nicht mehr die Möglichkeit, jederzeit das Eigenheim zu verlassen, befinden sich aber nach wie vor in ihrem gewohnten Umfeld.

Auch die Tatsache, Selbstverantwortung zu übernehmen und Verpflichtungen nachzugehen, kann sehr belastend sein (vgl. Interview 2).

„Alle anderen können ihr Leben wie gewohnt weiterführen, jederzeit rausgehen und sie müssen ihr Leben quasi komplett umstellen, denn all die Gewohnheiten von früher funktionieren nicht mehr. In der Haft sind quasi alle gleich und man ist voll versorgt,

man bekommt immer gesagt, was man tun soll und draußen muss man halt alles selber organisieren“ (Interview 2: Zeile 108-115).

Der folgende Abschnitt lässt deutlicher erkennen, dass die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit sowie die sozialen Einschränkungen es nicht zulassen, zuvor ausgeübte Routinen oder Aktivitäten beizubehalten (vgl. Interview 1).

„Da ist dann nichts mehr mit, heute gehe ich noch was trinken mit einem Arbeitskollegen oder man sitzt gemeinsam noch mit Arbeitskollegen zusammen oder fährt gemeinsam irgendwohin [...] das geht nicht, weil die Wegzeit nach der Arbeit begrenzt ist. Viele Arbeitskollegen wissen auch nichts und das ist für die Leute dann wirklich sehr anstrengend“ (Interview 1: Zeile 434-437).

Auch wenn die Betroffenen Kinder haben, kann es sehr herausfordernd werden, dahingehend, dass nicht nur die eüH-Klient*innen darunter leiden, sondern auch die Kinder traurig über die Tatsache seien, dass der Vater oder die Mutter nicht ausreichend an ihrem Leben teilnehmen kann (vgl. Interview 4).

„Da ist es schwierig, wenn der Papa oder die Mama in der Fußfessel ist und zum Beispiel an einer Schulaufführung nicht teilnehmen können, weil es nicht bewilligt wird, habe ich alles schon gehabt und das ist dann oft sehr schwer auszuhalten für die Klient*innen, weil sie einfach nur noch beschränkt am Leben der Kinder teilnehmen können. Aber auch für die Kinder ist es sehr schwer“ (Interview 4: Zeile 119-124).

Auch die Tatsache, dass die eigenen Kinder mit einem auf den Spielplatz gehen wollen, sei

„schmerzlich“, weil ihnen erklärt werden muss, dass dies nicht möglich sei, weil spontane Aktivitäten nicht vorgesehen sind (vgl. Interview 2). Mit diesen Herausforderungen umgehen zu können, fordere von den Klient*innen sehr viel Disziplin über den gesamten Verlauf des eüHs. Erstreckt sich der eüH über mehrere Monate „merkt man bei den Klient*innen dann schon, dass es sehr drückend, erdrückend nämlich wird“ (Interview 3: Zeile 116-117). Zudem sei das eigene Zuhause einerseits die gewohnte Umgebung und andererseits wird es als

„Zelle“ (Interview 3: Zeile 121) wahrgenommen.

Nicht nur während der Zeit im eüH sind Menschen mit Herausforderungen konfrontiert, sondern auch in der Vorbereitung können sich einige Schwierigkeiten ergeben. Für BD-Klient*innen, die einen Teil ihrer Strafe in Haft verbüßt haben, kann sich die Vorbereitung zum eüH als große Herausforderung darstellen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass einige Insassen kaum noch ein soziales Netzwerk haben, da dies aufgrund des Gefängnisaufenthaltes abgebrochen sei. Ein*e Expert*in ist davon überzeugt, dass es „bei Back-Door sicher schwieriger ist, wenn man halt niemanden hat, der einen eine Wohnung oder Job zur Verfügung stellt und ja, da muss man halt schauen, wo man unterkommt“ (Interview

5: Zeile 91-93). Eine weitere interviewte Person kommt zur selben Erkenntnis (vgl. Interview 3).

„Back-Door ist die härteste Variante, weil man sich von der Haft heraus um alles kümmern muss [...] vor allem beim Job muss es etwas sein, dass in das Korsett des eüHs passt, also freiberufliche Beschäftigungen oder bei diversen Lieferdiensten passen nicht ganz zum eüH oder sind da halt nicht wirklich vereinbar und das alles sind schon Hürden, die man beim Antrag zu erledigen hat“ (Interview 3: Zeile 102-107).

Um diesen Personen einen Zugang zum eüH zu ermöglichen, unterstützt der Soziale Dienst in der JA in Zusammenarbeit mit dem Verein NEUSTART beispielsweise bei der Organisation eines Wohnplatzes und/oder einer Arbeitsstelle sowie bei der „Sozialversicherung oder um den Meldezettel zu bekommen“ (Interview 5: Zeile 96-100).

Sehr belastend für die Strafgefangenen kann auch das Verheimlichen des eüHs sein. Viele Klient*innen möchten nicht, dass beispielsweise Arbeitskolleg*innen oder der/die Chef*in etwas von der Fußfessel erfahren (vgl. Interview 1).

„Und das ist dann wirklich anstrengend [...] vor allem sehr anstrengend ist es, wenn sie darauf beharren, dass sie den/die Arbeitsgeber*in nicht darüber informieren wollen und das müssen sie auch nicht und ja, weil sie meinen, sie verlieren dann ihren Job, was sicher bei dem einen oder anderen Fall stimmen wird“ (Interview 1: Zeile 440-444).

Die befragte Person sei der Meinung, dass es besser sei, offen zu kommunizieren, dass er/sie die Fußfessel trage. Jedoch sei ihm/ihr auch das Dilemma bewusst, in welchem sich die überwachten Personen befinden. Die Angst der Klient*innen den eüH zu verheimlichen, sei u.a. darauf zurückzuführen, dass es des Öfteren vorkommen würde, dass jemand von seinem*r Arbeitgeber*in ausgenutzt werde, wenn sie darüber informiert sind. Dann werde teilweise „extra“ veranlasst, dass die betroffene Person zum Beispiel länger arbeiten müsse (vgl. Interview 1).

Laut den Expert*innen werde auch das Informieren im privaten Umfeld, wie von Bekannten oder Freund*innen, über die Maßnahme von den Adressat*innen unterschiedlich gehandhabt.

Viele möchten es sagen, andere wiederum nicht. Wenn sich jemand dazu entscheidet, den eüH zu verheimlichen, erhöhe sich der Druck für die Strafgefangenen, „weil man es einfach nicht jeden sagen möchte [...] und dann kommt es halt vor, dass man erklären muss, dass man nicht mit ins Kino geht die nächsten fünf Monate und dann wird es schwer“ (Interview 3:

Zeile 133-136). Folglich ist eine häufige Frage, mit denen sich eüH-Klient*innen befassen, „wie sage ich es den Kindern oder halt anderen oder sage ich es überhaupt, weil es eh nur drei Monate sind [...] oder sage ich ihnen, ich mache eine medizinische Studie“ (Interview 4: Zeile 123-127). Ein*e Expert*in unterstreicht den vorhandenen Stress, in dem sich die überwachte Person befindet, wenn der eüH verheimlicht wird (vgl. Interview 1).

„Das war ein Zweifamilienhaus, sprich unten haben die Eltern gewohnt und darüber hat der Herr gewohnt mit seiner Familie. Der Herr hat die Fußfessel gehabt und seine Frau hat dies gewusst, aber die Kinder und die Eltern haben es nicht gewusst [...] da kam es dann zu Problemen, denn er wollte das Gerät zudecken, dass keiner was sieht, aber dann funktioniert die Kommunikation nicht und es gibt technische Störungen. Also da versuchen Leute wirklich, dass nicht einmal die engsten Personen das mitbekommen und das ist wirklich eine Challenge und eine psychische Belastung [...] eigentlich ein Doppelleben“ (Interview 1: Zeile 446-456).

Laut den Expert*innen kommt es des Öfteren vor, dass nahestehende Freund*innen oder zum Teil Familienangehörige nicht informiert werden, da die Maßnahme des eüHs für die Betroffenen häufig mit Scham besetzt sei (vgl. Interview 1-3). Es werde von den Expert*innen jedoch immer versucht, empathisch mit dieser Situation umzugehen und Lösungen zu finden, damit die Klient*innen sich nicht verpflichtet fühlen, gegen ihren Willen die Tatsache über den eüH offenzulegen. Die Entscheidungen der überwachten Personen werden respektiert und vertraulich behandelt (vgl. Interview 1, 2, 3, 5).

Darüber hinaus werde ein besonderes Augenmerk auf die sozialen Beziehungen der Klient*innen gerichtet, wenn sie sich beispielsweise mit dem*r Lebensgefährt*in den Haushalt teilen. Um den eüH in den eigenen vier Wänden ausführen zu können, bedarf es einer Zustimmung von der gemeinsam im Haushalt lebenden Person. Dies bedeutet, dass die Person jederzeit den eüH beenden und „sagen kann, dass sie nicht mehr damit einverstanden ist und damit hat sich die Sache erledigt“ (Interview 3: Zeile 124-127). Somit entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem*r eüH-Klient*in sowie dem*r Mitbewohner*in, welches wiederum Stress erzeugen kann. Dies sei „vor allem sehr problematisch bei frischen Beziehungen, denn sie sind die ganze Zeit aufeinander und beieinander und das kann natürlich zu Beziehungsproblemen führen, die dann am Ende gipfeln könnten“ (Interview 3:

Zeile 127-130). Ein*e weitere Expert*in macht dies mit dem Beispiel deutlich, dass „es schon vorgekommen ist, dass die Person dann aus der Wohnung geschmissen wird oder einmal hatten wir jemanden, der hat vor der Haustüre geschlafen mit dem Fuß an der Tür, damit das Signal nicht abbricht“ (Interview 6: Zeile 76-78). Durch die benötigte Zustimmungserklärung der gemeinsam im Haushalt lebenden Person kann es zu Spannungsverhältnissen und im weiteren Verlauf zu Konflikten in der Partnerschaft oder im Familiensystem kommen. Folglich ist die strafgefangene Person einem „dauerhaften Druck und einer dauerhaften Belastung ausgesetzt“ (Interview 1: Zeile 547).

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass alle interviewten Personen sich einig darüber waren, dass die Arbeit mit Menschen im eüH, sowohl in der Vorbereitung als auch während der Betreuung und Begleitung, teilweise sehr fordernd sein kann. Die Doppelrolle zwischen Hilfe und Kontrolle, die die Expert*innen einnehmen, wird durchaus als belastend und

herausfordernd geschildert. Es kann vorkommen, dass der eüH für die Klient*innen eher als Kontrollfunktion gesehen werde und weniger der Hilfeprozess im Vordergrund steht. Dies kann für die Expert*innen dahingehend problematisch werden, wenn Klient*innen die entsprechende Hilfeleistung dadurch nur schwer annehmen können. Hierfür bedarf es einem intensiven Aufbau einer vertrauensvollen und professionellen Beziehung (vgl. Interview 1-7).

Auch für Klient*innen stellt der eüH eine herausfordernde und belastende Zeit dar. Die Expert*innen nehmen die Belastungen, die mit dem eüH bei den Klient*innen einhergehen, sehr genau wahr und versuchen mit verschiedenen Interventionen gegenzusteuern.