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TEIL 1: DIE 1860ER BIS 1950ER JAHRE: DIE UNTERSTÜTZUNG VON BEDÜRFTIGEN

2.3. Die Gesetze

Das Armengesetz von 1869 sollte als zentrale rechtliche Grundlage des Fürsorgewesens in Liech-tenstein erst rund hundert Jahre später von einem neuen Sozialhilfegesetz abgelöst werden. Das Bild einer langanhaltenden institutionellen Kontinuität im Umgang mit Armen, Bedürftigen und an-deren Randständigen, das auch von der wissenschaftlichen Literatur zum Thema gezeichnet wird, ist zunächst einmal für die Zeit bis zum europäischen Bruchereignis des Ersten Weltkriegs ein si-cher angemessenes. Tiefgreifende Veränderungen in den rechtlichen Voraussetzungen des Fürsor-gewesens blieben nach den 1860er Jahren für Jahrzehnte aus. Zugleich war die Zeit bis in die 1910er Jahre zu lang, um nicht minimale Erhöhungen der Regelungsdichte und wenigstens limi-tierte gesetzliche Anpassungen an die sich wandelnden Verhältnisse angebracht erscheinen zu las-sen. Im Vordergrund standen hierbei insbesondere Fragen der Finanzierung des Fürsorgewesens.

Der Ehekonsens

Das Bild einer hohen rechtlichen Kontinuität im staatlichen Umgang mit Armut und den Armen bestärkte neben dem Armengesetz nicht zuletzt auch das Instrument des politischen Ehekonsen-ses. Bei dieser repressiven Massnahme stand die liechtensteinische Entwicklung durchaus nicht im Zeichen des Nachvollzugs. Der Fürst verordnete 1804, dass sich, wer eine Ehe schliessen wollte, vorgängig bei der Landesobrigkeit zu melden hatte, um eine durch einen Lizenzschein beglaubigte Erlaubnis dafür einzuholen. Der Befehl reklamierte, die «wohlbestellte[…] Einrichtung des Landes»

und das «gemeine[…] Beste der Ordnung» im Blick zu haben, wenn auf diese Weise verhindert wer-den sollte, dass «durch Ehen solcher Menschen, die weder Vermögen haben, noch eine Profession betreiben, der Armutsstand vermehret und mit diesem noch mehr anderes Unheil veranlasset werde.»176

Als Folge dieser staatlichen Reglementierung der Eheschliessung suchten mittellose Heirats-willige aus Liechtenstein – wie das auch in der Schweiz und in Österreich der Fall war, wo entspre-chende Instrumente ebenfalls existierten – die Verweigerung der Lizenz mit einer vielfach be-schwerlichen Reise nach Rom zu umgehen, um sich dort kirchlich trauen zu lassen. Diese Rom-Ehen als Form des Widerstandes, die von der Kirche teilweise mitgetragen wurde, schränkten die Wirk-samkeit des armutspolitisch motivierten Eingriffs des Staates in die Ehe spürbar ein. Landvogt Pe-ter Pokorny beklagte dies Ende der 1820er Jahre denn auch mit deutlichen Worten, wenn er dem Fürsten berichtete, dass «[l]iederliches und hergelaufenes Gesindel, welches nach den Gesetzen dieses Landes nicht die geringste Hoffnung zu einer Heiratsbewilligung haben konnte, […] zu allen Zeiten sichere Zuflucht in Rom [fand]».177 Auf die aus staatlicher Sicht unbefriedigende Situation reagierte Alois II. 1841 mit einer Verordnung, die «[j]ede ohne Erlaubniss Unseres Oberamtes oder Unserer Hofkanzlei im Wege der höheren Berufung von einem Liechtensteiner im Auslande einge-gangene Ehe» für ungültig erklärte.178 Schon im Jahr darauf erging dann mit einer weiteren Verord-nung eine schon länger fällige Präzisierung der Bedingungen, unter denen das Oberamt eine Lizenz zur Eheschliessung vorenthalten durfte. Heiratswillige Staatsbürger mussten demnach den Nach-weis erbringen, dass sie in der Lage waren, sich und ihre Familie zu ernähren, «von besitzenden

Fürstentums Liechtenstein: Abschrift des an den Ortsvorstand in Eschen gerichteten Erlasses, Vaduz, 23. Dezem-ber 1902.

176 LI LA RV 1804/01: Liechtensteinische Hofkanzlei in Wien: [Verordnung betreffend die Einführung des politischen Ehekonsenses], Wien, 14. Oktober 1804.

177 LI LA RC 5/31: Rom-Ehen, Bericht von Landvogt Peter Pokorny an Fürst Johann I., 12. Februar 1828, zitiert nach:

Biedermann, 2012, S. 163. Biedermann schildert detailliert einige Fälle solcher Rom-Ehen. Ebd., S. 164–168.

178 LI LA SgRV 1841/1: Fürst Alois Joseph von und zu Liechtenstein: [Verordnung betr. Ungültigkeit von Ehen ohne staatlichen Ehekonsens], Wien, 15. Juli 1841.

Stephan Scheuzger

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Gründen oder durch den Betrieb eines Gewerbes oder einer sonstigen Beschäftigung».179 Neben dem «Mangel an dem nöthigen Einkommen oder an hinreichender Erwerbsfähigkeit»180 gab es auch Gründe nicht materieller Art, aus denen die Behörden einen Verehelichungs-Lizenzschein zu verweigern hatten. Das waren gemeinhin bekannte schlechte Sitten, ansteckende Krankheiten oder andere, «dem Zwecke der Ehe hinderliche[…] Gebrechen».181

So wie die Verordnung zum Ehekonsens von 1842 mit der Verabschiedung des Gemeindege-setzes koinzidierte, mit der eine wesentliche normative Grundlage des staatlichen Armenwesens gelegt wurde, so gab die gesetzliche Ausgestaltung des Ehekonsenses das nächste Mal im Umfeld des Armengesetzes Ende der 1860er Jahre politisch zu reden. Dass in dem Jahrzehnt, in dem sich die Anstrengungen der Regierung zur Regulierung des Armenwesens verdichteten, auch der Ehe-konsens in seiner Ausgestaltung wieder thematisiert wurde, unterstreicht die Notwendigkeit, diese Institution als Teil staatlicher Fürsorgepolitik zu betrachten. Eine im Juli 1868 erlassene Verord-nung zum Ehekonsens ergänzte jene von 1842 um die Präzisierung, dass die schriftliche Stellung-nahme des zuständigen Ortsvorstandes zugunsten oder gegen die Eheschliessung eines Antragstel-lers «auf Grund eines von Fall zu Fall einzuholenden Gemeinderatsbeschlusses auszufertigen»

war.182 Ursprünglich sollte die neue Regulierung des Ehekonsenses in der Form eines Gesetzes er-folgen. In einem Schreiben, mit dem er den Gesetzesentwurf im Januar an Fürst Johann II. nach Wien übersandt hatte, hatte es von Hausen angebracht erschienen, auf den Umstand aufmerksam zu machen,

«dass sich die Behörden vorkommendenfalls bisher an die im bürgerl. Gesetzbuche enthaltenen eherechtlichen Bestimmungen gehalten haben, und dass es der Klugheit des jeweiligen Landes-verwesers anheim gestellt bleibt, in Ermangelung eines Concordates mit den kirchlichen Behör-den bei strittigen Eheschliessungen sich so gut als möglich durchzusetzen.»183

Er verwies damit auf die anhaltend ungelöste Situation, dass sich die Instanzen der römisch-katho-lischen Kirche als nicht verpflichtet betrachteten, sich an die staatlich ausgesprochene Verweige-rung der Eheschliessung zu halten, worin der Landesverweser eine klare Beeinträchtigung der Ef-fektivität der Massnahme erkannte. Da Liechtenstein die Entkonfessionalisierung der Ehe, die sich in der Zeit in Österreich wie in der Schweiz anbahnte, nicht vollzog, liessen sich diese Hindernisse nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen.

Im Zusammenhang mit den eherechtlichen Veränderungen in Österreich stand auch ein Schreiben, mit dem sich von Hausen am Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes im Landtag an das Landtagspräsidium wandte, um den eingebrachten Gesetzesentwurf «[i]nfolge Regierungsbe-schlusses» zurückzuziehen.184 Damit blieb nur noch die Verordnung übrig. Zur Begründung gab er an,

«dass die benachbarten Staaten eben daran sind die auf das Eherecht Bezug nehmenden Gesetze nach gleichmässigen Grundsätzen zu regeln und eben diese Abänderungen dann auch im Fürs-tenthum ein ähnliches Vorgehen wünschenswert machen dürften.»185

Von Hausens Blick über die Grenze richtete sich auf Entwicklungen, die im folgenden Jahr in die Abschaffung des politischen Ehekonsenses in weiten Teilen der Habsburger Monarchie mündeten.

Für alle Länder des habsburgischen Reiches eingeführt worden war das Instrument 1820. Mit der Einführung im Jahr 1804 kann Liechtenstein also in dieser Hinsicht durchaus eine Vorreiterrolle

179 LI LA SgRV 1842/21: Verordnung, die Ertheilung von Vereheligungs-Lizenzen betreffend, Wien, 12. November 1842.

180 Ebd.

181 Ebd.

182 Verordnung [zum Ehekonsens], 1868. Vgl. LI LA RE 1868/112: Karl Haus von Hausen: [Eingabe Gesetzesentwurf zum Ehekonsens im Landtag], Vaduz, 6. Juni 1868.

183 LI LA RE 1868/111: Karl Haus von Hausen: [Bericht des Fürstlichen Landesverwesers an Fürst Johann II. über den Gesetzesentwurf betreffend den Ehekonsens], Vaduz, 26. Januar 1868, S. 2.

184 LI LA RE 1868/555: [Karl Haus von Hausen]: Schreiben an das Landtagspräsidium, Vaduz, 12. Juli 1868.

185 Ebd.

zugeschrieben werden. Bereits im 18. Jahrhundert hatte Tirol entsprechende Regelungen gekannt.

Und es war auch in Tirol und in Vorarlberg, wo der politische Ehekonsens in Österreich auch über 1869 hinaus beibehalten werden sollte.

Im Sommer 1872 richtete von Hausen dann auch an die zuständige Bezirkshauptmannschaft die Anfrage, ob in Vorarlberg Eheschliessungen an keine «politische Genehmigung» mehr gebun-den seien und mit welchem Gesetz die politischen Ehekonsense allenfalls aufgehoben worgebun-den seien.186 Umgehend wurde die Unsicherheit des Landesverwesers über die Rechtslage im Nachbar-land aus Feldkirch mit dem Hinweis beseitigt, «dass auf Grundlage der Verordnung vom 12ten Mai 1820 der Ehekonsens noch fortbestehe, und dass ausser obiger Verordnung keine andere mehr in Tirol und Vorarlberg massgebend sei.»187 Auf die diesbezügliche Situation im übrigen habsburgi-schen Reich ging das Antwortschreiben indes nicht ein. Gleichwohl leitete von Hausen im Frühjahr 1875 ein Schreiben an Fürst Johann II. mit dem Satz ein: «Gegenwärtig existiren wohl nur sehr we-nige Länder in Europa, wo Heiratswerber noch an die Einholung von Verehelichungslizenzen oder politischen Ehekonsensen gebunden sind.»188 Der liberale Landesverweser zeigte sich entschlos-sen, den politischen Ehekonsens abzuschaffen, und argumentierte dabei vor allem mit dem inter-nationalen Kontext, der die Institution als nicht mehr zeitgemäss erscheinen lasse. Das Recht auf Eheschliessung werde in den Staaten des ehemaligen Deutschen Bundes inzwischen als ein Men-schenrecht behandelt, während Liechtenstein mit den Bedingungen, unter denen eine staatliche Behörde berechtigt sei, die Erlaubnis zur Eheschliessung vorzuenthalten, nun weitgehend alleine dastehe und sich «mit vollem Grund vielerlei Anfechtungen von Seite des Auslandes ausgesetzt»

sehe.189 Von Hausen erbat vom Fürsten die Erlaubnis, den im Brief enthaltenen Gesetzesentwurf zur Aufhebung des politischen Ehekonsenses dem Landtag vorlegen zu dürfen. Dort erwartete er durchaus, auf Widerstand zu stossen, insbesondere «von jener Partei, welche […] bei jeder Gele-genheit die ÜberleGele-genheit der besitzenden Bürgerklasse gegenüber der unbemittelten zur Geltung bringt».190 Als Mittel zur Armutsbekämpfung betrachtete von Hausen den Ehekonsens an keiner Stelle seines ausführlichen Schreibens.

Tatsächlich war der Landesverweser nicht in der Lage, die Gesetzesvorlage zur Abschaffung des politischen Ehekonsenses, die von Johann II. genehmigt worden war, vom Landtag absegnen zu lassen. Aus den Verhandlungen mit dem vorbereitenden Ausschuss resultierte ein Kompromiss, den von Hausen, keineswegs frei von Beschönigung, als nicht wesentlich von der ursprünglichen Fassung abweichend bezeichnete.191 Der Landtag war jedoch nicht bereit, den Ehekonsens abzu-schaffen. Als Erfolg verbuchte von Hausen, dass der Einfluss der Gemeindevertretungen auf die Er-teilung der Heiratserlaubnis zugunsten der Regierung zurückgedrängt wurde und die Gründe für die Vorenthaltung des Konsenses noch einmal deutlich eingeschränkt wurden. Die Bestimmungen würden derart nun, so der Landesverweser in seinem Bericht an den Fürsten, im Einklang mit den-jenigen stehen, die in Vorarlberg und Tirol noch in Kraft seien.192 Das vom Fürsten genehmigte Ge-setz machte die Vorenthaltung des Ehekonsenses nur noch in Fällen möglich, in denen Heiratswil-lige Armenunterstützung genossen und diese nicht zurückvergütet hatten, in denen sie ihr Vermö-gen verschwendeten oder die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigten. Finanzielle ErwägunVermö-gen

186 LI LA RE 1872/631: Karl Haus von Hausen: Schreiben an die löbliche Bezirkshauptmannschaft Feldkirch, Vaduz, 28. Juni 1872.

187 LI LA RE 1872/631: K.K. Bezirkshauptmann: An die löbliche Regierung des Fürstenthums Liechtenstein in Vaduz, Feldkirch, 1. Juli 1872.

188 LI LA RE 1875/503: Karl Haus von Hausen: Bericht des h. Landesverwesers, unterbreitet eine Regierungsvorlage für den Landtag betreffend die Aufhebung des politischen Ehekonsenses, Vaduz, 16. April 1875, S. 1.

189 Ebd., S. 2.

190 Ebd., S. 3.

191 LI LA RE 1875/812: Karl Haus von Hausen: Bericht, Vaduz, 4. Juli 1875, S. 1.

192 Ebd.

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der öffentlichen Hand konnten damit auch im ausgeprägt katholischen und verbreitet konservativ eingestellten Land höher gewichtet werden als die Aufhebung der Unehelichkeit von Kindern.193

In der Tat blieben Verweigerungen des politischen Ehekonsenses seltene Ereignisse. Ernst genommen wurde die Institution gleichwohl. Davon zeugt auch die Einführung von neuen Formu-laren für die zur Erteilung des Ehekonsenses durch die Regierung erforderliche Bestätigung der zuständigen Gemeinden, dass gegen die Eheschliessung «kein Hindernis obwaltet» und dass der Gesuchsteller die Heiratssteuer bezahlt hatte, im Jahr 1886.194 Wie ein Fall gezeigt hatte, war es mit der bis dahin verwendeten Version des Formulars möglich gewesen, im Ausland, wo der genaue Ablauf des Entscheidungsverfahrens nicht bekannt war, mit der Gemeindebestätigung das Vorlie-gen des Ehekonsenses vorzutäuschen.195 Dem sollte mit einer neuen Formulierung auf der Bestäti-gung fürderhin ein Riegel geschoben werden.

Auf einem solchen neuen Formular bestätigte der Ortsvorsteher von Triesenberg, Franz Beck, im April 1893, dass seitens der Gemeinde kein Hindernis für die Eheschliessung des derzeit in Zürich wohnhaften Vinzenz Schädler mit Anna Vollenweider, geborene Hintermeister, aus Diet-likon bestehe. Da die Braut geschieden war, weigerte sich jedoch das Pfarramt, welches dies eben-falls zu tun hatte, das Dokument zu unterschreiben. Beck wandte sich an den Landesverweser Friedrich Stellwag von Carion, Schädler ebenfalls.196 Stellwag, von einer deutlich konservativeren Grundhaltung als von Hausen, bestätigte die Position des Triesenberger Pfarrers und beschied Schädler abschliessend, dass eine Eheschliessung mit Anna Hintermeister nach liechtensteini-schem Gesetz unmöglich sei, da der von ihr geschiedene Mann noch am Leben sei. Daran würde auch eine Konvertierung der Brautleute zum evangelischen Glauben nichts ändern.197 Dies ent-sprach den Bestimmungen des 1812 von Österreich übernommenen Allgemeinen bürgerlichen Ge-setzbuches mit seinem konfessionell gebundenen Eherecht, das sich in Liechtenstein ungebrochen gehalten hatte. Es entsprach nicht dem Gesetz zum politischen Ehekonsens, der sich, wie der Fall von Vinzenz Schädler zeigt, indes auch für andere als armenpolitische Zwecke einsetzen liess.

Die Finanzierung des Armenwesens

Im Zentrum der fürsorgepolitischen Aushandlungsprozesse zwischen der Regierung und den Ge-meinden standen die finanziellen Mittel. Sie waren massgebend für die Skepsis bis hin zum Wider-stand der Gemeinden verantwortlich, an welchen verschiedene Landeslösungen im Armenwesen, am prominentesten in der Frage eines Armenhauses, scheiterten – oder aufgrund derer sie sich verzögerten. Die Regierung war ihrerseits durchaus bestrebt, neben der gesetzlich vorgesehenen Oberaufsicht auch über Unterstützungszahlungen lenkend auf die Fürsorge in den Gemeinden Ein-fluss auszuüben. Beispielhaft für diesen Konflikt war ein Gesetzesentwurf, der im Sommer 1871 in den Landtag gelangte. Als das Armenhaus in Schaan seinen Betrieb noch nicht einmal aufgenom-men hatte, trat der Ortsvorstand an die Regierung mit dem Gesuch auf die jährliche Unterstützung aus dem landschaftlichen Armenfonds heran, die das Armengesetz jenen Gemeinden in Aussicht stellte, welche Armenhäuser errichteten.198 Die neben der allgemeinen Bestimmung in Paragraph 30, dass der landschaftliche Armenfonds die Armenpflege in den Gemeinden durch Zuwendungen unterstützen sollte, vom eigenständigen Paragraphen 31 vorgesehene Subvention für die Gemein-den mit Armenhäusern war auch ein Lenkungsmittel.199 Es lässt sich kaum von der Hand weisen,

193 Gesetz betreffend Vorenthaltung des politischen Ehekonsens, 1875. Vgl. LTP 1875: Protokoll ordentliche Land-tagssitzung, 3. Juli 1875.

194 LI LA SF 14/1886/12: Bestätigung.

195 LI LA SF 14/1886/12: Carl von In der Maur: Amtserinnerung betr. Einführung eines neuen Formulars für die Er-wirkung des polit. Ehekonsenses, Vaduz, 17. September 1886.

196 LI LA RE 1893/29/527: Bestätigung, Triesenberg, 30. April 1893; Franz Beck: Hohe f. Regierung, Triesenberg, 30. April 1893; Vinzenz Schädler: An die hohe Fürstlich Liechtensteinische Landesregierung, Zürich, 12. Juli 1893.

197 LI LA RE 1893/29/527: Friedrich Stellwag: Erlass an Vincenz Schädler, Vaduz, 16. Juli 1893.

198 LI LA RE 1871/239: Karl Haus von Hausen: Bericht Gesetzesentwurf über die Zuweisung der Zinsen aus dem Lan-desarmenfond an diejenigen Gemeinden, welche Armenhäuser errichten, Vaduz, 20. April 1871, S. 2.

199 Armengesetz, 1869, § 30, § 31.

dass mit dieser gebundenen Unterstützung den Gemeinden nicht nur geholfen werden, sondern diesen, nachdem eine Landeslösung in der Armenhausfrage durch die Gemeindeinteressen im Landtag zu Fall gebracht worden war, ein finanzieller Anreiz geboten werden sollte, nun tatsächlich den Bau eigener Armenhäuser an die Hand zu nehmen. Das Gesetz sah vor, dass die Höhe dieser Unterstützung vom Landtag bestimmt werden sollte. Angesichts der Absehbarkeit, dass in Kürze nicht nur Schaan, sondern noch weitere Gemeinden über Armenhäuser verfügen würden, und aus, wie er in einem Schreiben an den Fürsten herausstrich, Gerechtigkeitsüberlegungen, zeigte sich der Landesverweser von Hausen nun bestrebt, die Bedingungen dieser Subvention stärker zu regle-mentieren. Sein Justierungsplan ging zulasten des Handlungsspielraums der Gemeinden.

Das Armengesetz begründete in Paragraph 31 einen Anspruch auf «jährliche Unterstützung aus dem landschäftlichen Armenfonds» für die in den Armenhäusern untergebrachten Armen und sah vor, dass die Höhe dieser Unterstützung vom Landtag bestimmt werden sollte.200 Von Hausen legte dem Landtag mit der erforderlichen Zustimmung des Fürsten einen Gesetzesvorschlag vor, der in einem ersten Artikel präzisierte, dass nur die jährlichen Zinsen «zur Unterstützung der Ge-meinden für errichtete Armenhäuser verwendet werden» durften.201 Ein zweiter Artikel sollte ei-nen festen Verteilschlüssel etablieren, demzufolge die Gemeinden mit Armenhäusern eiei-nen Anteil aus den laufenden Armenfondszinsen im Verhältnis ihrer relativen Einwohnerstärke erhalten soll-ten. Schliesslich sollte der dritte Artikel abzusichern helfen, dass «[n]ur jene Gemeinden […] auf Subventionen einen Anspruch [haben], deren Armenhäuser genau den Bestimmungen des Armen-gesetzes vom 20 Oktober 1869 entsprechen, worüber die endgültige Entscheidung der Regierung zusteht.»202 Der Landtag verwarf den ersten Artikel einstimmig. Der zweite Artikel wurde ange-nommen und der dritte auf Kommissionsantrag ebenfalls abgelehnt. Stattdessen wurde ein neuer Artikel formuliert, der die Gemeinden, die ihre Armen in Armenhäusern anderer Gemeinden unter-brachten, mit jenen gleichsetzte, die selber über Armenhäuser verfügten.203 Die Debatte im Landtag unterstrich noch einmal die Partikularinteressen der einzelnen Gemeinden, indem beispielsweise ein Ruggeller Abgeordneter dafür plädierte, dass alle Gemeinden gleichermassen von der Unter-stützung profitieren sollten, ungeachtet des Umstandes, ob sie über ein Armenhaus verfügten oder ihre Armen in einem solchen versorgen liessen. Das bedeutete aber auch, dass die Positionen in der Frage durchaus auseinandergingen. Während andere die Armenhäuser für eine kostspielige Ineffi-zienz kritisierten, wies ein Abgeordneter aus Schaan darauf hin, dass es auffallend sei, wie jetzt gegen die Gemeindearmenhäuser gesprochen werde, nachdem an gleicher Stelle zuvor gegen das projektierte landschaftliche Armenhaus und für die Errichtung von Armenhäusern in den Gemein-den eingetreten worGemein-den sei. Er machte seinerseits geltend, dass sich seine Gemeinde mit dem kos-tenintensiven Bau eines Armenhauses den gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung erworben habe und ein Unrecht begangen werde, wenn Gemeinden, die keine Armenhäuser errichteten, die-selben Subventionen erhalten würden.204 Schaan erhielt für das Jahr einen Betrag von 200 Gulden aus dem Armenfonds zugesprochen. Und die Gemeinde musste, wie wenig später auch Triesen, bis auf weiteres jährlich Gesuche um Unterstützung für das Armenhaus stellen, über die vom Landtag entschieden wurden. Von Hausens weitergehender Regulierungsversuch war gescheitert.

Die Verhältnisse hatten sich verändert, als die Verwaltung des landschaftlichen Armenfonds zur Jahrhundertwende neuen gesetzlichen Bestimmungen unterworfen wurde. Nun sollten nicht mehr die gesamten Zinsen, sondern höchstens noch 80 Prozent davon den Gemeinden zugewiesen werden. Der übrige Anteil floss in das Fondsvermögen zurück. Die Gemeinden erhielten die Zuwen-dungen unter der alleinigen Auflage, die Verhältnisse in der Armenpflege nachzuweisen. Die Be-messung der Beiträge richtete sich nach der «Seelenzahl» in den Gemeinden. Von den Gemeinden

200 Ebd., § 31.

201 LI LA RE 1871/239: Karl Haus von Hausen: Bericht Gesetzesentwurf über die Zuweisung der Zinsen aus dem Lan-desarmenfond an diejenigen Gemeinden, welche Armenhäuser errichten, Vaduz, 20. April 1871, S. 4.

202 Ebd., S. 5.

203 LTP 1871: Protokoll ordentliche Landtagssitzung, 10. Juli 1871, S. 5–6.

204 Ebd., S. 6–7.

Stephan Scheuzger

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nicht verausgabte Mittel aus dem landschaftlichen Armenfonds waren den lokalen Armenfonds zu-zuschlagen. Dem landschaftlichen Armenfonds flossen neben einem grossen Teil der Geldstrafen die Hälfte der Verlassenschaftsabhandlungs- und der Grundbuchsteuern sowie 10 Prozent der Salzsteuer zu.205

Ein wesentlicher Schritt in der finanziellen Ausstattung des liechtensteinischen Fürsorgewe-sens wurde schliesslich noch einmal am Ende des in diesem Kapitel betrachteten Zeitraums getan.

Anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Fürst Johann II. beschloss der Landtag in einer Festsitzung «in dankbarer Ehrung der vielen hochherzigen Wohltätigkeitsakte unseres Landesfürs-ten als bleibendes Denkmal an das Jubeljahr», so Landtagspräsident Albert Schädler, die Einrich-tung eines landschaftlichen Irrenfürsorgefonds.206 Der Fonds sollte aus Landesmitteln mit 40’000

Anlässlich des 50-jährigen Regierungsjubiläums von Fürst Johann II. beschloss der Landtag in einer Festsitzung «in dankbarer Ehrung der vielen hochherzigen Wohltätigkeitsakte unseres Landesfürs-ten als bleibendes Denkmal an das Jubeljahr», so Landtagspräsident Albert Schädler, die Einrich-tung eines landschaftlichen Irrenfürsorgefonds.206 Der Fonds sollte aus Landesmitteln mit 40’000