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TEIL 1: DIE 1860ER BIS 1950ER JAHRE: DIE UNTERSTÜTZUNG VON BEDÜRFTIGEN

3. Die 1910er bis 1950er Jahre

3.3. Die 1940er und 1950er Jahre

Die Kriegsjahre

Auch wenn die Wirtschaftskrise im Land ab 1938 im Wesentlichen als überwunden gelten konnte, hatte Liechtenstein deren Folgen noch keineswegs hinter sich gelassen, als die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs über Europa und die Welt hereinbrach. Auch die sozialpolitischen Debatten im Landtag von 1939 spiegeln ein Land in den Spannungen zwischen Alt und Neu, zwischen angestreb-ter Normalisierung und Bewältigung des Ausserordentlichen. So setzte sich der Landtag Anfang des Jahres erneut kritisch mit den für die Gemeinden, deren finanzielle Situation teilweise nach wie vor angespannt war, lukrativen Einbürgerungen auseinander. Kritisch bedeutete in dem Zusammen-hang vom Standpunkt eines die Debatte prägenden Antisemitismus aus. Wenn die Abgeordneten das Recht des Landes forderten, vor den Gemeinden über Einbürgerungen zu entscheiden, ging es ausdrücklich darum, jüdischen Menschen den Erwerb der Staatsbürgerschaft zu verunmöglichen – wobei nicht nur sich notorisch über judenfeindliches Gedankengut profilierende VU-Politiker mit einer Heimatdienst-Vergangenheit, wie Otto Schädler oder Alois Vogt, sondern auch Landtagsprä-sident Anton Frommelt von der FBP sich wiederholt für eine Bestimmung des «Juden» über das

«Blut» und nicht über das religiöse Bekenntnis aussprach.322 Widerspruch gab es in der ausführli-chen Diskussion keinen. Aus einer Gemengelage von offenem und latentem Antisemitismus und tatsächlichen und vorgeschobenen aussenpolitischen Bedenken war der Landtag nun bereit, die Einbürgerungen drastisch einzuschränken, von denen Regierungschef Hoop rückblickend sagte, dass er sich nicht vorstellen könne, wie die Gemeinden ohne sie ihren Haushalt hätten bestreiten können.323

Im Mai befürwortete der Landtag grundsätzlich die Einführung einer Kinderbeihilfe, die, wie der Präsident festhielt, durch die wirtschaftliche Not gerechtfertigt sei.324 In der gleichen Sitzung wurde auch die Einrichtung einer Altersversicherung erneut diskutiert. Die Diskussion reichte bis mindestens zu den Beratungen des Gewerbegesetzes von 1910 zurück, und die Idee war seit 1930 wiederholt erörtert worden.325 1937 war vom Landtag ein Pensionsgesetz für Beamte verabschie-det worden, worauf Abklärungen über eine allgemeine teilobligatorische Altersversicherung, ins-besondere mit schweizerischen Versicherungsgesellschaften, durchgeführt wurden. Diese hatten 1938 zwar in die Ausarbeitung eines Gesetzesvorschlags zu Händen des Landtags gemündet, des-sen «Verwirklichung durch die später eingetretenen Ereignisse», so die Regierung, aber «in Frage

322 Zu Vogt vgl. Schremser, 2011b.

323 LTP 1939/8–14: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 11. Januar 1939, S. 1–5.

324 LTP 1939/69–70: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 12. Mai 1939, S. 2–3.

325 Hoch, 1990, S. 76; LTP 1930/113–58: Protokoll über die Landtagssitzung, 7. Juli 1930, S. 5–11.

gestellt» worden war.326 Das Thema war indes auch 1939 noch nicht ganz vom Tisch. Die Gegenar-gumente, die vom Regierungschef und vom Landtagspräsidenten gegen eine solche Versicherungs-lösung vorgebracht wurden, blickten indes nicht auf internationale Zusammenhänge – Hilmar Hoch hat den «Anschluss» Österreichs an das Deutsche Reich als die besagten Ereignisse identifiziert327 –, sondern machten ein ungünstiges Verhältnis von Aufwand und Ertrag geltend, was bedeute, dass eine obligatorische Altersversicherung vom Volk abgelehnt würde, wie das auch in der Schweiz der Fall gewesen sei.328 Auch dieser zweite Anlauf zur Einrichtung einer staatlichen Altersversicherung in den späten 1930er Jahren führte damit ebenfalls zu keinem Ergebnis.

1939 beschloss der Landtag ebenfalls, aufgrund einer anhaltend grossen «Arbeitslosigkeit am Berg» den Bergbauern mit finanziellen Unterstützungen unter die Arme zu greifen.329 Und wie dies schon im 19. Jahrhundert ein Mittel der Armutsbekämpfung im Lande gewesen war, sprachen sich die Abgeordneten auch in diesem Jahr noch für die Auszahlung von Auswanderungsbeiträgen aus.330 Nachdem die Landesausgaben für «Soziale Fürsorge» im Vorjahr und im aktuellen Jahr Höchststände erreicht hatten, sollte das Budget für diesen Bereich für 1940 wieder etwas gekürzt werden, was auch gelang. Allerdings waren trotz der Bemühungen um Einschränkungen die Ge-werbevertreter in ihrem Bestreben erfolgreich, die im Vorschlag nicht mehr enthaltenen Brautaustattungssubventionen in der Höhe von 40’000 Franken wieder ins Budget aufnehmen zu lassen.331

Als die Regierung Ende 1940 auf die Ausgaben für die «Soziale Fürsorge» zurückblickte, tat sie das unter der Einleitung, dass «[d]ieser Ausgabentitel […] am fühlbarsten die Zeichen der schweren Krise [trägt], die der Krieg auch für unser Land gebracht hat.»332 Die Gesamtausgaben lagen mit 264’673 Franken gleichwohl rund 25’000 Franken unter denjenigen vom Vorjahr.333 Die Zahl der einzelnen Teilrubriken hatte sich unterdessen auf 31 erhöht. Nach der Sammelrubrik «Ver-schiedenes» machten die Bausubventionen mit 35’323 Franken nach wie vor den grössten Ausga-bentitel aus. Sie waren Ausdruck des anhaltenden Arbeitslosigkeitsproblems. Die Arbeitslosigkeit entwickelte sich auch in Abhängigkeit des Kriegsverlaufs. So sank sie, als die Wehrmacht im Mai 1940 Frankreich angriff, die schweizerische Armeeführung mit der zweiten Generalmobilmachung reagierte und im Nachbarland wieder verstärkt Arbeitskräfte gesucht wurden. Mit der Rückkehr der Schweiz in die Teilmobilmachung nach der raschen französischen Niederlage stieg die Arbeits-losenzahl danach aber auch wieder an.334 Gleichzeitig bestand der Mangel an landwirtschaftlichen Hilfskräften fort. Es wurden Massnahmen ergriffen, um Arbeitssuchende vermehrt von den begehr-ten Anstellungen in den staatlich geförderbegehr-ten Bauprojekbegehr-ten in die Landwirtschaft umzuleibegehr-ten. Die Bausubventionen wurden 1940 schliesslich abgeschafft – ebenso wie nun endgültig auch die Braut-ausstattungssubventionen.335 Einen hohen Anteil an den für die «Soziale Fürsorge» verausgabten

326 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1938, S.

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327 Hoch, 1990, S. 79.

328 LTP 1939/69–70: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 12. Mai 1939, S. 2–3.

329 LTP 1939/119–126: Protokoll über die Konferenzsitzung [des Landtages], 18. Juli 1939, S. 6–7; Zitat: LTP 1939/170–176: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 17. November 1939, S. 4.

330 LTP 1939/84–93: Protokoll über die öffentliche Sitzung des Landtages, 19. Mai 1939, S. 5. Der Beitrag für den Auswanderer Josef Sele aus Triesenberg belief sich auf 1’000 Franken und entsprach damit dem, was früher in ähnlichen Fällen gezahlt worden war. Mit dem Hinweis, dass es einen Unterschied mache, ob jemand nach Amerika oder nach Italien auswandere, wurden Euphrasio Kaiser aus Vaduz, der ein Gesuch für 2’000 Franken gestellt hatte, einige Monate später 500 Franken zugesprochen. LTP 1939/181–185: Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Landtages, 21. Dezember 1939, S. 5.

331 LTP 1939/181–185: Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Landtages, 21. Dezember 1939, S. 5; LTP 1939/190: Protokoll über die öffentliche Landtagssitzung, 29. Dezember 1939, S. 3.

332 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1940, S. 117.

333 Ebd., S. 24, 117.

334 Geiger, 2010, Bd. 1, S. 327–329.

335 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1940, S.

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Landesmitteln hatte die Arbeitslosenfürsorge: 23’250 Franken.336 In die Jugendfürsorge flossen 4’345 Franken, in die Altersfürsorge 10’025 Franken, in die Kranken- und Spitalfürsorge 6’674 Franken, in die Säuglingsfürsorge 1’159 Franken, in die Irrenfürsorge 2’714 Franken und in die Tuberkulosefürsorge 4’714 Franken.337 Die Unterstützungszahlungen an die Arbeiter durch Bei-träge an deren Transportauslagen für Auto und Zug liess sich die Landesregierung 6’314 Franken kosten.338 Den Umstand, dass den im Vergleich zu den beiden Vorjahren nach wie vor hohen Aus-gaben im anhaltend breit ausgelegten Haushaltsposten für die «Soziale Fürsorge» nun stark sin-kende Einnahmen gegenüberstanden, milderte 1940 eine Spende von Maurice Arnold Baron von Forest-Bischoffsheim, dem Grafen von Bendern, für soziale Zwecke in der Höhe von 100’000 Fran-ken, die hier eingesetzt wurde, ab.339 Die Unterstützungszahlungen aus den Fonds wurden weiter-hin konservativ gehandhabt. Die Zahlungen aus dem landschaftlichen Armenfonds in der Höhe von 5’508 Franken reduzierten dessen Kapitalausstattung um rund 2’000 Franken (auf 14’792 Fran-ken). Die Unterstützungen aus dem Wohltätigkeitsfonds in der Höhe von 13’738 Franken blieben unter den Einnahmen, zu denen ein Obligationengewinn von 10’000 Franken gehörte. Aus dem Kranken-, Alters- und Invalidenfonds flossen gerade einmal 405, aus dem Irren-Fürsorgefonds 664 Franken bei einem Kapital von 214’205 beziehungsweise 25’927 Franken.340 Während sie in den Bereichen, in denen in den folgenden Jahrzehnten die Kernaufgaben der Sozialhilfe angesiedelt sein sollten, nach wie vor die tragende Rolle spielten, war die Bedeutung der Fonds in den fürsorgepo-litischen Bereichen, für die der moderne Wohlfahrtsstaat zunehmend Versicherungslösungen auf obligatorischer Grundlage vorsah, neben den regulären Ausgaben aus den Landesmitteln nur noch eine komplementäre.

Mit Ausnahme des Wohlfahrtsfonds, dessen Zahlungen wieder auf das einer normalen Er-tragslage entsprechende Mass zurückgingen, blieben die aus den Fonds 1941 geleisteten Unterstüt-zungen in einem ähnlichen Umfang. Deutlich zurück gingen demgegenüber die Ausgaben für die

«Soziale Fürsorge» aus den Landesmitteln: auf 168’649 Franken, was noch gut 60 Prozent der Aus-gaben im Vorjahr entsprach.341 Geändert wurde auch die Rechnungslegung in diesem Haushaltbe-reich. Dabei wurde nun «Fürsorge» bezeichnenderweise zu einer neuen Sammelrubrik innerhalb des Bereichs der «Sozialen Fürsorge». Diese umfasste die ausgewiesenen Bestandteile «Lehrlinge»,

«Säuglinge», «Jugend», «Alter», «Kranke und Spital», «Irre», «Tuberkulose» und «Arbeitslose». Die Ausgaben in dem Bereich beliefen sich insgesamt auf 48’758 Franken.342 Am meisten Mittel setzte der Staat im Bereich Altersfürsorge ein mit 10’105 Franken, dicht gefolgt von den zur Unterstüt-zung Arbeitsloser eingesetzten Mitteln in der Höhe von 10’014 Franken.343 Das bedeutete, dass die Ausgaben für die Altersfürsorge gegenüber dem Vorjahr praktisch gleich geblieben, während die-jenigen für die Arbeitslosenfürsorge um deutlich mehr als die Hälfte gefallen waren. Die Arbeitslo-sensituation hatte sich in dem Jahr denn auch deutlich verändert. So hielt die Regierung in ihrem Rechenschaftsbericht fest: «Die Nachfrage nach Arbeitskräften war während des ganzen Jahres sehr stark. Arbeitgeber in Liechtenstein, der Schweiz und in Deutschland konnten nicht voll befrie-digt werden.»344 Das Arbeitsamt vermittelte in dem Jahr 1’644 Personen Stellen, wozu im Frühjahr noch rund 600 Stellen im Rahmen der Notstandsmassnahmen subventionierten Landes- und Ge-meindearbeiten gehörten. 177 der Vermittelten erhielten Anstellungen in der Schweiz, 218 in

336 Ebd., S. 117.

337 Ebd.

338 Ebd.

339 Zu von Forest-Bischoffsheim vgl. Büchel, 2011a.

340 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1940, S. 30–31.

341 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1941, S. 24–25.

342 Ebd.

343 Ebd.

344 Ebd., S. 102.

Deutschland.345 Indessen war Arbeitslosigkeit kein notwendiger Grund für Bedürftigkeit. So wur-den 1941 im Landtag auch die Lohnverhältnisse in der Ramco AG kritisch diskutiert, einem Unter-nehmen für Dentaltechnik, das 1933 in der Wirtschaftskrise nach Schaan gekommen war, Teil der zweiten Industrialisierungswelle in Liechtenstein war, immer noch staatliche Unterstützung erhielt und steuerbefreit war. Von den niedrigen Löhnen betroffen waren insbesondere junge Frauen.

Landtagspräsident Frommelt gab dabei zu Protokoll, «[e]s sei schon vorgekommen, dass Leute bei der Regierung um Unterstützung angesucht haben und darauf verwiesen, dass ihre Tochter in die Ramco gehe und sie kämen nicht aus.»346 Otto Schädler beantragte keine Massnahmen gegen das Unternehmen, sondern

«inskünftig an solche Leute keine Unterstützung mehr zu verabfolgen. Die Löhne seien zu niedrig und die Leute sollen heraus aus diesem Betriebe und dann müsse das Unternehmen auch andere Löhne bezahlen.»347

Frommelt hielt dem entgegen, «dass wenn eine gehe, stehen gleich wieder 10 andere vor der Türe.

Sie schauen die saubere Arbeit an.»348 Diese Diskussion fand im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes betreffend Versicherungspflicht der Fabriksinhaber für ihr Hilfspersonal statt.349 Die Debatte illustriert einmal mehr auch eine liechtensteinische Eigenheit der Aushandlung der Regulierung des Fürsorgewesens. Der FBP-Abgeordnete Oswald Bühler beantragte, in Artikel 3 die auch für Wöchnerinnen vorgesehene Mindestdeckung von 85 Prozent der Arzt- und Apothekerkosten zu streichen, wenn es sich dabei um ledige Frauen handelte. «Er möchte nicht ein Gesetz machen, wo unsittliche Handlungen noch unterstützt werden.»350 Die Intervention Bühlers hatte offenbar ein besonderes Ereignis als Ursache. Dieser «Fall in Ruggell» brauchte indes nicht näher ausgeführt zu werden, da alle Abgeordneten, die in der Folge zum Antrag Stellung nahmen, wussten, wovon die Rede war.351 Nicht nur erhielten einzelne Ereignisse in der Kleinräumigkeit des Landes ein ganz anderes Gewicht bei der Erörterung und Festlegung der gesetzlichen Normen des Fürsorgewesens als anderswo. Sie waren auch ohne weiteres landesweit bekannt. Bühlers Antrag wurde schliesslich abgelehnt.

1941 wurde eine Kinderzulage eingeführt, mit der einerseits wirtschaftlicher Druck von Fa-milien genommen werden sollte, die andererseits aber auch unter dem Druck einer von Einschrän-kungen geprägten Finanzlage stand. Während sich einige Abgeordnete für eine allgemeine Kinder-zulage aussprachen, hielt Regierungschef Hoop in der Diskussion über die Ausgestaltung dieses Unterstützungsmechanismus in der Budgetdebatte für 1942 fest, dass nicht alle Familien in den Genuss einer solchen Zulage kommen sollten. Mit einem Betrag von 100’000 Franken, so rechnete er weiter vor, seien substanzielle Zahlungen an die bezugsberechtigten Familien in der Höhe von 100 Franken pro Kind und Jahr möglich.352 Schädler, der das Instrument ablehnte und das «Abwür-gen» des Mittelstandes durch Steuererhöhungen drohen sah, sprach seinerseits davon, dass mit einem finanziellen Aufwand von einer halben Million Franken zu rechnen sei.353 Der Landtag stimmte einem Vorschlag zu, der 55’000 Franken für Kinderzulagen vorsah – und dafür denselben Betrag für ausserordentliche Entwässerungsarbeiten strich.354 Anfang 1942 einigte sich der Land-tag dann nach einer nochmaligen langen Diskussion vorerst auf das Vorgehen, dass «Bezugswillige»

345 Ebd., S. 102–103.

346 LTP 1941/72–75: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 11. Dezember 1941, S. 2.

347 Ebd.

348 Ebd.

349 Gesetz betreffend Versicherungspflicht der Fabriksinhaber für ihr Hilfspersonal, 1941.

350 LTP 1941/72–75: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 11. Dezember 1941, S. 2.

351 Ebd., S. 3.

352 LTP 1941/78–83: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 18. Dezember 1941, S. 3–4.

353 Ebd., S. 3.

354 Ebd., S. 5.

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Anträge stellen konnten, über die danach vom Landtag entschieden werden sollte.355 Noch im De-zember abgelehnt worden war ein Antrag des Präsidenten des Liechtensteiner Arbeiterverbandes (LAV) Josef Sele, einen Fonds für eine Altersversicherung zu äufnen.356

1942 gab die Regierung dann 55’266 Franken für die Kinderzulage an bedürftige Familien aus. Sie zog eine positive Bilanz über die Wirkung der eingesetzten Gelder, die «manche Not gelin-dert» hätten, und versprach gleichzeitig, «verschiedene Mängel in der Verteilung zu beheben».357 Insgesamt schwächten sich die parteipolitischen Gegensätze bei der institutionellen wie der orga-nisatorischen Regelung der Verteilungsfrage im Fürsorgewesen ab, nachdem 1938 die FBP die VU angesichts der äusseren Bedrohungslage in eine Koalitionsregierung aufgenommen hatte und im folgenden Jahr das Majorz- durch ein Proporzwahlsystem ersetzt worden war, was Klientelpolitik einschränkte. Die Beschäftigungslage im Land entwickelte sich 1942 weiter günstig, was die Prob-leme, schlecht bezahlte Stellen in der Landwirtschaft zu besetzen, weiter verschärfte. Der Landtag diskutierte in diesem Jahr neben anderen Massnahmen gar die Einrichtung eines Arbeitslagers, um diese Probleme zu entschärfen.358 Eingeführt wurde erstmals ein Landjahrdienst, der im Frühjahr 1943 auch Teil der Verordnung betreffend den Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft wurde. Dieses umfangreiche Gesetz suchte über eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht für alle Liechtensteinerin-nen und Liechtensteiner sowie alle im Land lebenden Ausländer und AusländerinLiechtensteinerin-nen vom vollen-deten 16. bis zum vollenvollen-deten 60. Lebensjahr «der Landwirtschaft jene Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, die sie benötigt, um die Ernährung der liechtensteinischen Bevölkerung sicherzustel-len.»359 Diese grundsätzliche Norm wurde mit zahlreichen Bestimmungen detailliert ausgeführt.

Sie etablierte zuvorderst ein «Landjahr», das alle männlichen liechtensteinischen Einwohner im Kalenderjahr, in dem sie das 17. Lebensjahr erreichten, verpflichtete

«nach den Anordnungen der Regierung in einem fremden Betriebe für die Dauer einer Anbaupe-riode und zwar in der Regel vom 1. März bis 31. Oktober landwirtschaftlichen Arbeitsdienst (Landjahr) zu leisten.»360

Das galt auch für Jugendliche, die auf dem heimischen Hof mitarbeiteten. Interessant war ebenfalls, dass der einleitende Artikel 3, ohne in einem direkten sachlichen Zusammenhang mit dem Gegen-stand des Gesetzes zu stehen, festhielt:

«Personen, die ihre Familie vernachlässigen, ihren Lohn verschwenden (verbringen) oder einen unverhältnismässig hohen persönlichen Aufwand betreiben oder arbeitsscheu sind, können auf Antrag oder von Amtswegen durch die Fürstliche Regierung verhalten werden, ihren Lohnan-spruch an ihre Ehefrau bzw. an ihren Beistand oder im Falle der Bedürftigkeit an ihre Eltern ab-zutreten.»361

1942 und 1943 lagen die Ausgaben aus Landesmitteln für «Soziale Fürsorge» fast identisch hoch:

179’853 Franken und 178’778 Franken. Der Anteil dessen, was die Landesrechnung als «Fürsorge»

im engeren Sinn auswies, sank allerdings von 51’220 Franken auf 39’025 Franken.362 Die Beschäf-tigungslage blieb auch 1943 gut. Die Regierung berichtete, dass die Situation sie «der Notwendig-keit zu irgendwelchen sozialfürsorgerischen Aktionen» enthoben habe.363 Im Regierungsbericht zu 1944 war die Tonlage dann wieder eine andere: «Der unselige Krieg tobt weiter und stellte die

355 LTP 1942/8–9: Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Landtages, 5. Februar 1942, , S. 1.

356 LTP 1941/84–90: Protokoll über die öffentliche Sitzung des Landtages, 18. Dezember 1941, S. 5.

357 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1942, S.

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358 LTP 1942/13-18: Protokoll über die Konferenzsitzung des Landtages, 2. März 1942, S. 1.

359 Verordnung betreffend den Arbeitseinsatz in der Landwirtschaft, 1943, Art. 9.

360 Ebd., Art. 4.

361 Ebd., Art. 3.

362 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1942, S.

26–27; Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1943, S. 26–27.

363 Fürstliche Regierung: Rechenschafts-Bericht der fürstlichen Regierung an den hohen Landtag für das Jahr 1943, S.

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Behörden in sozialer und fürsorgerischer Hinsicht vor große Probleme.»364 Das Problem war dabei weniger die Arbeitslosigkeit als die zunehmende Teuerung. Die Gesamtausgaben für die «Soziale Fürsorge» stiegen nun wieder auf 231’560 Franken, diejenigen für die «Fürsorge» alleine kehrten wieder auf einen Stand von 50’131 Franken zurück.365 Der Anteil der Arbeitslosenfürsorge lag da-bei tief, am meisten Mittel wurden für die Altersfürsorge und zur Unterstützung von Kranken auf-gewendet.366 Für die Kinderzulagen, die nicht Teil der Ausgaben für «Soziale Fürsorge» waren, zahlte der Staat in dem Jahr 62’048 Franken.367 Die Zahlungen aus den einschlägigen Fürsorgefonds bewegten sich in einer ähnlichen Bandbreite wie 1941, wobei neu eine gegenläufige Bedeutungs-entwicklung des Armenfonds – von 3’957 Franken 1942 über 6’397 Franken 1943 auf 8’171 Fran-ken 1944 – und des Landes-Wohltätigkeitsfonds – von 7’622 Franken 1942 über 5’918 Franken 1943 auf 2’911 Franken 1944 – auffällt.368

Private Akteure

Als eine Partikularität des Fürsorgewesens in Liechtenstein lässt sich die im Vergleich mit den um-liegenden Ländern neben den staatlichen Massnahmen wenig bedeutende Rolle privater Akteure bezeichnen. Bis zum Zweiten Weltkrieg beschränkten sich die in der Fürsorge engagierten nicht staatlichen Akteure im Wesentlichen auf Repräsentanten der Kirche. Zwei Gruppen waren dabei seit den 1860er Jahren von besonderem Gewicht. Zum einen waren dies die Dorfpfarrer, die in den Gemeinden das Armenwesen mittrugen. Zum anderen waren es die Barmherzigen Schwestern, die mit der Leitung der Armenanstalten betraut waren. Beide waren eng mit den staatlichen Instanzen der Sozialpolitik verflochten. Die Pfarrer waren ein institutionell vorgesehener Teil des öffentlichen Armenwesens und der Fürsorge. Das Armengesetz von 1869, das auch in den 1940er und 1950er Jahren noch die normative Grundlage des Fürsorgewesens bildete, legte bezüglich der Armenpflege in der Gemeinde fest:

«Den einschlägigen Gemeinderatssitzungen ist weiters bei sonstiger Nichtigkeit der gefassten Be-schlüsse der jeweilige Ortsseelsorger mit entscheidendem Stimmrecht beizuziehen.»369

Die Klärung, welche Rolle die Pfarrer dabei genau spielten, bedarf der Auswertung weiterer Quel-lenbestände, gerade auch in den Gemeindearchiven und den Archiven der Pfarrämter. Dasselbe gilt für die Bedeutung materieller Ressourcen der Kirche in der Unterstützung Bedürftiger. Das Armen-gesetz sah unter den Mitteln, mit denen die Gemeinden die «Armenunterstützung» zu bestreiten hatten, explizit auch «milde[…] Sammlungen an Geld oder Naturalien» vor,370 von denen kirchliche Sammelaktionen durchaus Teil gewesen sein konnten. Und die Pfarrer waren keineswegs nur in die unterstützenden Massnahmen des Armenwesens beziehungsweise der Fürsorge eingebunden, sondern auch in repressive. Zwar bot, wie dargelegt, das Instrument des Ehekonsenses im 19. Jahr-hundert Anlass zu einem Konflikt zwischen Staat und Kirche. Geschildert worden ist an dieser Stelle aber ebenfalls ein Fall, in dem es das Pfarramt war, das seine Unterschrift unter das Gemeinde-Dokument zur Erteilung des Ehekonsenses verweigerte – auch wenn es der kirchlichen Instanz da-bei nicht um die Verhinderung von Armengenössigkeit, sondern um die Verhinderung einer Ehe

Die Klärung, welche Rolle die Pfarrer dabei genau spielten, bedarf der Auswertung weiterer Quel-lenbestände, gerade auch in den Gemeindearchiven und den Archiven der Pfarrämter. Dasselbe gilt für die Bedeutung materieller Ressourcen der Kirche in der Unterstützung Bedürftiger. Das Armen-gesetz sah unter den Mitteln, mit denen die Gemeinden die «Armenunterstützung» zu bestreiten hatten, explizit auch «milde[…] Sammlungen an Geld oder Naturalien» vor,370 von denen kirchliche Sammelaktionen durchaus Teil gewesen sein konnten. Und die Pfarrer waren keineswegs nur in die unterstützenden Massnahmen des Armenwesens beziehungsweise der Fürsorge eingebunden, sondern auch in repressive. Zwar bot, wie dargelegt, das Instrument des Ehekonsenses im 19. Jahr-hundert Anlass zu einem Konflikt zwischen Staat und Kirche. Geschildert worden ist an dieser Stelle aber ebenfalls ein Fall, in dem es das Pfarramt war, das seine Unterschrift unter das Gemeinde-Dokument zur Erteilung des Ehekonsenses verweigerte – auch wenn es der kirchlichen Instanz da-bei nicht um die Verhinderung von Armengenössigkeit, sondern um die Verhinderung einer Ehe