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Die GD Umwelt besitzt eine besondere Position in der Kommission. Lange Zeit hatte sie den Ruf einer ‚Wissenschafts’-Generaldirektion, die in der Bekämpfung von Um-weltverschmutzung sehr vehemente und extreme politische Ziele vertrat (vgl. Weale et al.: 2000: 89). Cini führt diesen Zustand darauf zurück, dass bei der Gründung der Um-welt-Generaldirektion, nicht wie sonst üblich, Personal aus anderen Generaldirektionen

│133 eingestellt wurde, sondern Umweltschützer rekrutiert wurden (vgl. Cini:1997: 78). Ein Merkmal der GD Umwelt war lange Zeit, dass ihre Mitarbeiter von der Notwendigkeit des Umweltschutzes sowohl persönlich als auch beruflich überzeugt waren (vgl. Ma-zey/Richardson: 2005: 137; Peterson: 1995: 482). Die Mitarbeiter der GD Umwelt be-saßen daher von Beginn an ein hohes Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Poli-tikfeld ‚Umwelt’. Trotz dieser starken Identifikation der Mitarbeiter mit der Arbeit der Generaldirektion besaß die GD Umwelt zu dieser Zeit das Image, ineffiziente und nicht bearbeitbare Vorschläge vorzulegen (vgl. u.a. Weale et al.: 2000: 121; Cini: 1997).

Zudem hatte die Arbeitsweise der GD Umwelt laut der Beobachtung anderer Generaldi-rektionen den Anschein, Vorschläge hinter verschlossenen Türen zu entwickeln und aufgrund mangelnder Kooperation mit Stakeholdern oft unrealistische oder sogar utopi-sche Vorschläge vorzulegen, die sich ausschließlich an dem Weltbild der klassiutopi-schen Umweltpolitik orientierten (vgl. Cini: 1997: 79, 81) und die Effektivität von Politikin-strumenten unbeachtet ließen. So wurde dem Personal der GD Umwelt105 vorgeworfen, nicht in der realen Welt zu leben, Sachverhalte zu simplifizieren (vgl. Weale et al.:

2000: 121) und ein vereinfachtes Bild der Wirklichkeit wiederzugeben.

Zudem wurde die Umweltpolitik der Kommission in der Außenwahrnehmung von an-deren Generaldirektionen, den Mitgliedstaaten und Interessenvertretern aus der Wirt-schaft und dem Umweltschutz oft getrennt von der Gesamtausrichtung der Kommission wahrgenommen. Dies liegt unter anderem an der Hauptorientierung der Kommission hinsichtlich einer ökonomischen Integration (vgl. ebd.: 121), weshalb ökonomische Weltbilder wie ‚Aufbau eines Binnenmarktes’ und ‚Wettbewerbsfähigkeit’106 im Vor-dergrund standen (vgl. ebd.: 120f), wie die Politikvorschläge und Stellungnahmen die-ser Zeit zeigen.107 Dieser Zustand führte dazu, dass die GD Umwelt aus historischer Perspektive eine schwache Position innerhalb der Kommission einnahm (vgl. Cini:

105 Damals Generaldirektion XI, zuständig für Umwelt, Nuklearsicherheit und Schutz der Zivilbevölke-rung. Unter Kommissionspräsident Prodi (1999-2004) wurden die Generaldirektionen neu zugeschnitten und nach ihrem Tätigkeitsfeld genannt. Aus der Generaldirektion XI wurde daher die Generaldirektion Umwelt (ENV). Um Verwirrungen zu vermeiden und um dennoch den Umstrukturierungen der General-direktionen gerecht zu werden, werde ich daher durchgehend die ab 1999 eingeführten Namen der Gene-raldirektionen beibehalten und einmalig in Klammern die römischen Zahlen der jeweiligen Generaldirek-tionen verwenden.

106 Beide Weltbilder bilden eine Unterkategorie des Weltbildes der Liberalisierung.

107 u.a. in dem vierten Umweltaktionsrahmenprogramm der Kommission verankert.

│134 1997: 81; Knill: 2003; Interview Nr. 11108) und im Vergleich zu anderen Generaldirek-tionen mit geringen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet war. Dies ist laut Knill ein Grund für ein bisheriges Scheitern von Reformversuchen in der EU-Umweltpolitik gewesen (Knill: 2003). Die Zusammenarbeit stellte sich aus Sicht ande-rer Generaldirektionen insofern als problematisch heraus, als dass Mitarbeiter der GD Umwelt vorab nur selten andere Generaldirektionen konsultierten, dann einen sehr an-spruchsvollen Vorschlag vorlegten und sich wunderten, wenn sich die Umsetzung eines solchen Vorschlags als schwierig erwies (vgl. Peterson: 1995: 482). Die Generaldirekti-on Umwelt war wiederum bemüht, diese schwache PositiGeneraldirekti-on durch Allianzbildung mit Interessenvertretern des Umweltschutzes auf nationaler und lokaler Ebene auszuglei-chen (vgl. Wynne: 1993: 107; Mazey/Richardson: 1993). Diese Allianzbildung mit Umweltvertretern wurde von den wirtschaftsorientierten Generaldirektionen und Indust-riestakeholdern insbesondere Anfang der 1990er Jahre als intransparentes und selektie-rendes Verhalten interpretiert (Peterson: 1995: 482f).

Diese Problematik war auch ausschlaggebend für die Neuorientierung der Umweltpoli-tik im fünften Aktionsrahmenprogramm. Durch die Verankerung von Weltbildern wie

‚geteilte Verantwortung’ (shared responsibility) und ‚Integration’109 wollte die GD Umwelt eine neue Vorgehensweise bei der Entwicklung von Politikvorschlägen ermög-lichen (vgl .Cini: 1997: 79). Um die Integration von Umweltbelangen in andere Sekto-ren zu gewährleisten, wurde das Weltbild der ‚Nachhaltigkeit’ im fünften Umweltrah-menaktionsprogramm (1992-2000) der Kommission etabliert (vgl. Rittber-ger/Richardson: 2003: 577): „The long-term success of the Internal Market will be de-pendent upon the relative contributions of the industrial, energy, regional development and the agricultural policies and the ability of the transport policy literally to deliver goods. All of these policies are interdependent; the ultimate limiting factor for contin-ued efficiency and growth as they interface with one another is the tolerance level of the natural environment“ (COM: 1993: 24). Diese Aussage im fünften

108 Interview Nr. 11: ehemalige Mitarbeiterin von CAN Europe, Bonn, 23.02.2007, zitiert als Interview Nr. 11.

109 Beide Weltbilder bilden eine Unterkategorie des Weltbildes ‚Supranationale Integration’, wonach Probleme auf einem hohen institutionellen Niveau gelöst werden sollen, wobei verpflichtendes Gemein-schaftsrecht bevorzugt wird sowie Gemeinschaft und Solidarität durch eine multinationale politische Ordnung garantiert werden soll (vgl. Jachtenfuchs: 1996: 442).

│135 menprogramm verdeutlicht, dass die Kommission das Weltbild der nachhaltigen Ent-wicklung gegenüber anderen Weltbildern favorisierte, da es die Interdependenz von Ökonomie und Ökologie beinhaltete.

Das Programm sollte eine Reform des umweltpolitischen Ansatzes der GD Umwelt widerspiegeln und die Entwicklung einer effektiveren Umweltpolitik ermöglichen (vgl.

Sbragia: 2000: 311). Da die Verwaltungskultur der GD Umwelt von anderen Generaldi-rektionen als sehr ineffektiv wahrgenommen wurde, gab es unter dem Umweltkommis-sar Carlo Ripa di Meana aus Italien erste größere Bestrebungen, die zugrunde liegende Kultur der GD Umwelt zu verändern. Unter der Führung seines Generaldirektors Lau-rens-Jan Brinkhorst wurde der Versuch unternommen, die Generaldirektion in eine Direktion abzuwandeln, die sich dem ‚mainstream’ der anderen Generaldirektionen anpasste (vgl. Weale et al.: 2000: 89). Aufgrund ihrer schwachen Position innerhalb der Kommission sahen die verantwortlichen Politikunternehmer in der Generaldirektion die Notwendigkeit, das Image der Generaldirektion dahingehend zu verändern, dass Allian-zen mit anderen GDs eher möglich wurden.

Erst Anfang der 1990er Jahre gab es demnach Initiativen in der GD Umwelt, um das Image der Generaldirektion positiver zu gestalten. Seit dem Aufbau der Generaldirekti-on im Jahr 1973 gilt Carlo Ripa di Meana als der erste Umweltkommissar, der innerhalb der Kommission eine Sonderstellung einnahm (vgl. ebd.). Obwohl ihm 1989 sein Port-folio von Kommissionspräsident Delors vorgegeben wurde, versuchte di Meana, sich durch eigene Aktionen zu profilieren (vgl. Barnes/Barnes: 1999: 80). So bemühte sich di Meana darum, die Führung der Europäischen Union im Umweltschutz auf internatio-naler Ebene anzustreben (Jachtenfuchs/Huber: 1993: 43). Dennoch galt er aufgrund seines sehr forcierenden und die Öffentlichkeit nutzenden Politikstils als umstritten (ebd.) Carlo Ripa die Meana selbst war überzeugt von der Notwendigkeit eines wir-kungsvollen Umweltschutzes (vgl. auch Weale et al.: 2000: 87). Seine persönliche Ein-stellung zu einer europäischen Umweltpolitik traf mit einem starken Anstieg der öffent-lichen Wahrnehmung hinsichtlich von Umweltverschmutzungen in Europa während seiner Amtszeit zusammen (vgl. Jachtenfuchs/Huber: 1993: 43). Unter seiner Führung wurde auch der erste Entwurf der CO2-Steuer entwickelt (vgl. Barnes/Barnes: 1999).

│136 Trotz di Meanas Bestrebungen, das Image der Europäischen Umweltpolitik auf interna-tionaler Ebene zu verbessern, muss die Verwaltungskultur der GD Umwelt noch bis Anfang der 1990er Jahre als geschlossen und eher inflexibel bezeichnet werden, da Politikvorschläge autark entwickelt und Stakeholder aus der Wirtschaft, sowie andere wirtschaftsorientierte Generaldirektionen selten im Vorhinein konsultiert wurden.

NPM-Prinzipien wie Transparenz, Partizipation und Fairness sowie Effizienz und Ef-fektivität von Politikvorschlägen waren zu diesem Zeitpunkt in der Verwaltungskultur der GD Umwelt nicht verankert, wie die Abbildung 19 zeigt. Auch von anderen Gene-raldirektionen wurde die GD Umwelt als intransparent und ineffektiv wahrgenommen.

Abb. 19: Grad der Offenheit und Flexibilität der Verwaltungskultur Anfang der 1990er Jahre