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Die Definition des Begriffs der ‚supranationalen Organisation’ erfordert zunächst eine Abgrenzung zu dem häufiger verwendeten Begriff der ‚internationalen Organisation’.

Die ersten Vorläufer internationaler Organisationen traten im 19. Jahrhundert zum Vor-schein (vgl. Rittberger/Zangl: 2006). Generell lassen sich internationale Organisationen in Internationale Regierungsorganisationen (International Governmental Organisations, IGOs) und Internationale Nichtregierungsorganisationen (International Non-Governmental Organisation, INGO) unterscheiden. Zudem wird in den Internationalen Beziehungen zwischen den Begriffen ‚Institutionen’ und ‚Organisationen’ differenziert.

Während Untersuchungen zu Organisationen und ihren ‚Unternehmern’ (entrepre-neurs)21 an der Rolle von Organisationen als Akteure des institutionellen Wandels (a-gents of institutional change) interessiert sind, dienen formale und informelle

20 Hierzu exemplarisch die Veröffentlichungen von Cini (1997, 2004, 2007), Weaver (2003), Leiteritz (2005).

21 Als ‚Unternehmer’ (entrepreneur) gelten laut Kingdon Akteure oder Organisationen, die eine Politik vorantreiben, in Ressourcen investieren und eine bestimmte Position fördern, um im Gegenzug davon zu profitieren (vgl. Kingdon: 1984: 188, zit. nach Zito: 2001: 586).

│14 nen22 (formal and informal institutions) laut der Forschung zu internationalen Institutio-nen zur Reduktion von Unsicherheit, indem sie menschliches Verhalten strukturieren (u.a. North: 1990: 3ff).23

Als Institutionen mit expliziten Regeln gelten unter anderem Regime24 (Keohane: 1989:

3ff). Je nach theoretischer Ausrichtung können Regime als interessenbasiert, machtba-siert oder wissensbamachtba-siert analymachtba-siert werden (vgl. Hasenclever et al.: 1997). Regimen wird jedoch kein eigener Akteurscharakter zugewiesen, da sie durch die Interaktion ihrer Mitgliedsstaaten entstehen und geprägt werden (vgl. Hasenclever et al.: 1997: 27f) und keine eigene Handlungsbefugnis haben. Internationale Organisationen können da-gegen Akteursrollen übernehmen, da sie in der Lage sind, nach innen und außen von den Mitgliedstaaten unabhängige Handlungen durchzuführen und oftmals eine rechtli-che (juristisrechtli-che) Persönlichkeit besitzen (vgl. u a. Rittberger/Zangl: 2006: 7). Jedoch können Organisationen selbst auch wiederum Institutionen beinhalten (vgl. Young:

2002: 5). Aufgrund dieser Voraussetzungen sind sie in der Lage, auch eigene Interessen zu entwickeln und zu verfolgen. Dennoch erscheint es in der Praxis schwierig, stets eine klare Trennung zwischen Regimen und internationalen Organisationen durchzuhalten (vgl. Keohane: 1989: 5).

Rittberger unterscheidet zwei unterschiedliche Varianten des Begriffs ‚Internationale Organisationen’: Einerseits beinhalte der Begriff ‚politisch-administrative Steuerungs- und Koordinationsmechanismen’ zwischen Staaten im Sinne internationaler Regime, andererseits stehe der Name für eine ‚bestimmte Klasse zwischenstaatlicher Institutio-nen’, die auf gefestigte Verhaltensmuster, basierend auf bestimmten Normen und Re-geln in Form sozialer Institutionen abzielt (vgl. Rittberger: 1994: 22ff). Rittberger defi-niert ‚internationale Organisationen’ als soziale Institutionen, die gegenüber ihrer Um-welt als Akteure auftreten können, die einerseits zwischenstaatliche Verhaltensmuster bilden und andererseits aufgrund ihrer organisatorischen Struktur als kollektiver

22 Formale Institutionen beinhalten Regeln und Gesetze, während informelle Institutionen aus Konventio-nen oder ungeschriebene Regeln für menschliches Verhalten bestehen (vgl. North: 1990: 4).

23 Im Gegensatz zu North (1990) definieren Rittberger und Zangl (2006: 6) internationale Organisationen als Sonderkategorien von internationalen Institutionen.

24 Robert O. Keohane (1989: 4) definiert Regime als „institutions with explicit rules, agreed upon by governments, that pertain to particular sets of issues in international relations“.

│15 re auftreten können (vgl. Rittberger: 1994: 22ff). Internationale Organisationen lassen sich dabei hinsichtlich ihrer räumlichen Ausdehnung, ihrer formalen Kompetenzen und Sanktionsmöglichkeiten, sowie ihrer Binnen- bzw. Organisationsstruktur einerseits und ihrer Wirkungsweise andererseits unterscheiden (vgl. Woyke: 2000: 192ff).

Gehring (2002) erweitert diese Definition internationaler Organisationen, indem er bei komplexen internationalen Institutionen insbesondere auf die spezifischen Entschei-dungssysteme der einzelnen Organisationen abzielt. In seiner Konzeption lässt sich die Europäische Union als komplexe internationale Organisation verstehen, obwohl sie sich deutlich von anderen internationalen Organisationen unterscheidet. Gehrings Definition (vgl. 2002: 275ff) zufolge lassen sich komplexe internationale Organisationen anhand des Grades ihrer Komplexität, des Grades ihrer ausdifferenzierten Entscheidungsprozes-se, sowie anhand des Grades ihrer Autonomie unterscheiden. So lässt sich die Europäi-sche Union als eine von vielen spezifiEuropäi-schen internationalen Organisationen verstehen, die über einen besonders ausdifferenzierten Entscheidungsprozess und ein hohes Maß an institutioneller Autonomie verfügt (vgl. Gehring: 2002: 283). Für diese Studie wird das Konzept von Gehring verwendet, da es die Integration der Europäischen Union in die Definition internationaler Organisationen nach Gehring ermöglicht.

2.1.1 Definition ‘supranationale Organisation’

Im Vergleich zu internationalen Organisationen haben supranationale Organisationen einen anderen Wirkungsgrad. ‚Supranationalität’ bedeutet ‚überstaatlich’ und kann als Spezialfall des Begriffes ‚Internationalität’ gelten (Zeitverlag Gerd Bucerius: 2005).

Supranationale Organisationen besitzen Hoheitsrechte, die ihnen durch ihre Mitglied-staaten übertragen wurden (vgl. ebd.). Laut Pollack (1997) unterscheidet die klassische Definition von Supranationalität zwischen supranationalen Institutionen und supranati-onalen Organisationen. Nach dieser Definition sind supranationale Organisationen kol-lektive Akteure, die in einem institutionellen System auftreten und starken Organisati-onscharakter aufzeigen (Pollack: 2003), während supranationale Institutionen generelle Entscheidungsregeln für Politikentwicklung und Politikwandel festlegen (Pollack: 1997:

99). Pollack selbst verwendet insbesondere in seiner neueren Literatur den Begriff ‚sup-ranationale Organisationen’ (supranational organisations) unter anderem für die

Euro-│16 päische Kommission.25 Hooghe verwendet dagegen weiterhin den Begriff ‚internationa-le Organisationen’ und fügt ‚internationa-lediglich die Spezifizierung hinzu, dass diese Organisatio-nen auch supranationale Normen verteidigen und fördern könOrganisatio-nen (vgl. Hooghe: 2005:

861). Demnach gelten supranationale Organisationen in dieser Arbeit als Unterkategorie von internationalen Organisationen, die sich aufgrund ihrer Komplexität durch erweiter-te Hoheitsrecherweiter-te von klassischen inerweiter-ternationalen Organisationen wie den Vereinerweiter-ten Nationen unterscheiden. Diese supranationalen Organisationen haben durch eine partiel-le Abtretung von Souveränität ihrer Mitgliedstaaten gegenüber klassischen Internationa-len Organisationen einen höheren Grad an Durchsetzungskompetenzen. Diese Definiti-on schließt sich an das KDefiniti-onzept vDefiniti-on Gehring an, wDefiniti-onach sich internatiDefiniti-onale Organisati-onen am Grad der Ausdifferenziertheit ihrer Entscheidungsprozesse unterscheiden (Gehring: 2002: 283). Demnach sind supranationale Organisationen als internationale Organisationen mit einem besonders hohen Maß an Autonomie und differenzierten Entscheidungsprozessen zu verstehen und gelten als Spezialfall internationaler Organi-sationen.

2.1.2 Supranationale Organisationen als Bürokratien

Das Konzept von internationalen Bürokratien wird in der rationalistischen und kon-struktivistischen Forschungsliteratur unterschiedlich behandelt. Rationalistische Theo-rien setzten sich lange Zeit wenig mit dem Konzept von internationalen Bürokratien auseinander (vgl. Biermann/Bauer: 2005: 13ff). Der Schwerpunkt dieser Forschungs-richtung lag auf internationalen Institutionen und stufte internationale Bürokratien meist als Produkte internationaler Verhandlungen ein, die in der Umsetzung der Theorien als intervenierende Variable operationalisiert wurden (vgl. Biermann/Bauer: 2005: 13).

Konstruktivistische Theorieansätze, die sich auf einen soziologischen Institutionalismus beziehen, sprechen internationalen Bürokratien dagegen einen Akteursstatus zu und untersuchen, inwieweit internationale Bürokratien im Gegensatz zu rationalistischen

25 Zu Autoren, die in ihren Studien den Begriff ‚supranationale Organisationen’ für supranationale Orga-nisationsgebilde verwenden, siehe auch Pollack (2003) und Lucas (1999).

│17 Annahmen auf Basis einer Logik der Angemessenheit26 handeln (Biermann/Bauer:

2005: 15). An diesem Punkt knüpfen Barnett und Finnemore (2004: 17f) an und beto-nen den Verwaltungscharakter von internationalen Organisatiobeto-nen im Sinne von Hierar-chie, Kontinuität, Unpersönlichkeit und Expertise nach Max Webers Konzept zu Orga-nisationen. Bürokratie ist danach als eine bestimmte soziale Form von Autorität mit ihrer eigenen internen Logik und Verhaltensweisen zu verstehen (vgl. Bar-nett/Finnemore: 2004: 3). Barnett und Finnemore (2004) identifizieren neben der von Staaten delegierten Autorität drei weitere Autoritätsquellen, die aus den internationalen Organisationen und ihren Verwaltungsstäben selbst hervorgehen: Erstens verfügen Bürokratien und damit auch die Verwaltungen internationaler Organisationen über eine rational-legale Autorität nach Max Weber. Zweitens orientieren sich Bürokratien am Gemeinwohl (moralische Autorität), indem sie sich nicht nach den Interessen einzelner Staaten oder Wirtschaftsunternehmen richten (Barnett/Finnemore: 2004; vgl. Lie-se/Weinlich: 2006: 506f). Darüber hinaus verfügen internationale Organisationen drit-tens über eine gewisse Expertise (spezialisiertes Wissen), aufgrund dessen ihre Politik-formulierungsvorschläge gegenüber ihren Mitgliedstaaten Gewichtung erlangen (vgl.

Barnett/Finnemore: 2004: 24f; Liese/Weinlich: 2006: 506f). In Verhandlungen können sie als ‚knowledge brokers’ (Bestimmung von Agenden), ‚negotiation-facilitators’ (Be-einflussung von Verhandlungsstrukturen) oder als ‚capacity-builders’ (Herstellung von Zusammenhängen, die Kooperationen ermöglichen) Einfluss nehmen (vgl. Bier-mann/Bauer: 2005: 24ff).

Laut Barnett und Finnemores Konzeption verfügen Organisationen als Bürokratien auch über eine Verwaltungskultur, die eine Identität innerhalb der Organisation erschafft (Barnett/Finnemore: 2004: 19). Diese Definition nach Weber greift Pollitt (1988: 159f, siehe auch Pollitt/Bouckaert: 2004) indirekt auf und spricht von verschiedenen Typen von Verwaltungen, die mehr oder weniger politisierende Elemente aufzeigen können (wie zum Beispiel die Entwicklung von Regeln, Normen, Gesetzesvorschlägen). Eine ausgeprägte Form politisierender Elemente in Verwaltungen kann somit als ‚politicized bureaucracy’ (politisierte Verwaltung) bezeichnet werden (vgl. Christiansen: 1997: 77).

26 Der Logik der Angemessenheit zufolge handeln Akteure regelbasiert und auf der Basis dessen, was sie für ‚angemessen’ halten (vgl. March/Olsen: 1998: 951).

│18 Um diesen Eigenschaften von Bürokratien Rechnung zu tragen, sollen die Kriterien nach Max Weber anstatt finaler Kategorien in dieser Studie eher als Maßstäbe für die Festlegung von Bürokratien gelten (vgl. Pollitt: 1988, Christiansen: 1997: 77).

Eine Konzeptualisierung von supranationalen Organisationen generell als Verwaltungen ermöglicht es somit, den Charakter von komplexen, differenzierten Organisationen zu erfassen. Da sich Verwaltungen inhaltlich spezialisieren, entwickeln sie Untereinheiten, in denen es wahrscheinlicher ist, dass sich in ihnen auch Subkulturen ausbilden, die eine von der Gesamtverwaltungskultur unabhängige eigene Interpretation von Weltbildern und Normen formulieren (vgl. Barnett/Finnemore: 2004). Der Ansatz von supranationa-len Organisationen als Bürokratien ist zudem in der Lage, der Vermischung von Begrif-fen wie ‚Institutionen’ und ‚Organisationen’ entgegenzuwirken (siehe Definition von Pollack: 1997), da Bürokratien sowohl eine normative Struktur (Normen, Regeln etc.) umfassen, als auch im Gegensatz zu institutionalisierten Regimen materielle Strukturen in Form von Personal, Gebäuden, Büroräumen etc. beinhalten (vgl. Biermann/Bauer:

2005: 11). Indem für Organisationsgebilde mit einer hohen Supranationalität der Begriff

‚Bürokratie’ verwendet wird, lassen sich auch Organisationen untersuchen, die in ande-ren Studien klassischerweise als Institutionen oder Organe bezeichnet werden (siehe Abschnitt 2.1.1).

Eine derartige Konzeption von internationalen und supranationalen Organisationen lässt es zu, dass auch den hier relevanten komplexen supranationalen Organisationen ein Verwaltungscharakter zugeschrieben werden kann. Damit sind solche Organisationen nicht eine Organisation ‚sui generis’27, sondern lassen sich als supranationale Organisa-tionen im Sinne von Bürokratien verstehen.

In dieser Studie wird daher das Konzept von Barnett und Finnemore verwendet, die internationale Organisationen als Bürokratien mit rational-legaler Autorität nach Weber und einer vorhandenen Expertise auffassen. Dieses Konzept wird aufgrund der ausge-führten Argumente im Abschnitt 2.1.1 auf komplexe supranationale Organisationen übertragen. Ausgehend von dieser Definition werden nun die Begriffe ‚Präferenzen’

27 lat.: seiner (eigenen) Art: durch sich selbst eine Klasse bildend, einzig, besonders

│19 und ‚Präferenzwandel’ im Hinblick auf komplexe supranationale Organisationen spezi-fiziert.