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5.2 Die Kommission als supranationale Organisation

5.2.1.2 Die Generaldirektionen

Die Gesetzgebung der Gesetzesvorschläge wird in den jeweiligen zuständigen General-direktionen (GDs)102 vorgenommen. Die Koordination der Zusammenarbeit von Gene-raldirektionen wird von dem Generalsekretär der Kommission überwacht (vgl. Kassim:

2006). In der Literatur werden Generaldirektionen oft als quasi-nationale Ministerien bezeichnet, deren Rivalität untereinander vergleichbar mit der Rivalität in nationalen

102 Für ein besseres Textverständnis wird im weiteren Verlauf für die einzelnen Generaldirektionen die in der Literatur übliche Abkürzung GD verwendet.

│127 Ministerien ist (vgl. Spence: 2006: 129). Jede Generaldirektion wird von einem Gene-raldirektor geleitet und ist in verschiedene Abteilungen unterteilt. Jede Abteilung be-steht wiederum aus verschiedenen Referaten (units) (vgl. Spence: 2006).). Für bestimm-te Politikbereiche wurde die Position der Chefberabestimm-ter (chief advisors) eingeführt, die durch ihren quasi-unabhängigen Status direkt dem Generaldirektor oder dem Kommis-sar berichten können, ohne den Weg über die Referatsleiter suchen zu müssen (vgl.

ebd.).

Bei der Ausarbeitung umweltpolitischer Maßnahmen liegt die Verantwortung und fe-derführende Begleitung des Ausarbeitungsprozesses bei der GD Umwelt. Da jedoch viele Maßnahmen im Umweltpolitikbereich gleichzeitig Auswirkungen auf andere Be-reiche wie Energie, Verkehr und Liberalisierung des Binnenmarktes haben, hat dies zur Folge, dass die GD Umwelt bei der Entwicklung umweltpolitischer Initiativen meist mit anderen Generaldirektionen kooperieren muss, die Aspekten des Umweltschutzes oft eine geringere politische Priorität zuweisen (vgl. Sbragia: 2000: 299; Weale et al.: 2000:

89). Trotz anhaltender Versuche, die Umweltpolitik in andere sektorale Bereiche zu integrieren, können Koordinationsprobleme zwischen den verschiedenen Generaldirek-tionen entstehen. Dies liegt nicht zuletzt an der Einführung von Umweltabteilungen durch wirtschaftsorientierte Generaldirektionen Anfang der 1990er, die nach einge-schliffenen Routinen und Mustern arbeiteten, ohne sich vorrangig mit der GD Umwelt zu koordinieren (vgl. Favoino/Knill/Lenschow: 2000). Diese Generaldirektionen sahen durch die Einführung von Umweltabteilungen die Möglichkeit, ihre eigenen Belange stärker in die Politik der GD Umwelt zu integrieren (vgl. Wilkinson: 1997: 162).

5.2.1.2.1 Die Generaldirektionen und ihre Interessengruppen

Darüber hinaus versuchen externe Stakeholder wie die Mitgliedstaaten, die Wirtschaft und verschiedene NRO, Einfluss auf verschiedene Generaldirektionen zu nehmen (vgl.

Spence: 2006: 142). Einerseits ist die Kommission nicht immer selbst Autor neuer Vor-schläge, sondern nimmt auch eine Koordinierungsfunktion gegenüber den Vorschlägen ihrer Stakeholder wahr (vgl. Diedrichs/Wessels: 2006: 223). Andererseits ermöglicht eine Zusammenarbeit mit entsprechenden Lobbygruppen für die Kommission auch die Unterstützung ihrer eigenen Arbeit (u.a. Sabatier: 1988).

│128 Schon 1993 wurde Konsultation von der Kommission als die favorisierte Form der Zusammenarbeit mit organisierten Interessenvertretern hervorgehoben.103 Insbesondere, nachdem David Francis Williamson 1987 Generalsekretär der Europäischen Kommissi-on wurde, unternahm die KommissiKommissi-on eine vermehrte Anstrengung, um flexiblere Strukturen und Prozeduren einzuführen (vgl. Stevens/Stevens: 2006: 455). Insbesondere nach dem Rücktritt der gesamten Santer-Kommission im Jahr 1999 aufgrund von Vor-würfen der Korruption und Vetternwirtschaft, versuchte die Kommission, ihre Organi-sationsideologie von Offenheit und Konsultation auch nach außen zu transportieren (vgl. White Paper COM (2000) 2000 final/2 ‚Reforming the Commission’, auch die Kinnock Reformen104) und für Konsultationsprozesse standardisierte Verfahren vorzu-schlagen (COM: 2002).

Lange Zeit dominierte in der Verwaltungskultur der Europäischen Kommission das Weltbild der ‚Technokratie’, das sich insbesondere auf „Effizienz, Expertise, Eliten und die funktionelle Vermittlung von Interessen“ (Cini: 2007: 8) konzentriert. Bis in die frühen 1990er Jahre spielten Normen wie „Verantwortlichkeit, Offenheit und Repräsen-tation einer Organisation“ eher eine untergeordnete Rolle, was laut Cini auch auf die Dominanz französischer Administrationstraditionen und die lange Amtszeit des ein-flussreichen französischen Generalsekretärs der Europäischen Kommission, Emile Noël, zurückzuführen ist (vgl. Cini: 2007: 8; auch Kassim: 2006). So orientierte sich insbesondere der Aufbau der Kabinette und der Generaldirektionen lange Zeit an dem französischen Modell öffentlicher Verwaltung (vgl. Spence/Stevens: 2006: 175). Zudem charakterisierten Wissenschaftler die Verwaltungskultur der Kommission bis Anfang der 1990er Jahre als resistent gegenüber Reformen, da verschiedene Reformversuche in den 1960er und 1970er Jahren scheiterten (vgl. Cini: 2007: 8f). Dennoch stellten Stu-dien fest, dass es einige generelle Aspekte gab, die in der Verwaltungskultur der Kom-mission in ihrer Gesamtheit in den letzten Jahren bewusst verankert werden sollten, wie

103 In einer Rede bei einem Roundtable-Meeting mit Interessengruppen machte der damalige Generalsek-retär der Kommission, Williamson, deutlich, dass Konsultationen wichtig seien, um Gesetzesvorschläge praktikabel zu machen (vgl. Mazey/Richardson: 2006: 285).

104 Neil Kinnock wurde 1999 von Kommissionspräsident Prodi als Vize-Präsident und Kommissar für die Administrative Reform berufen und legte im Jahr 2000 ein Weißbuch für Reformen vor.

│129 zum Beispiel die Norm der ‚Konsultation’, sowie formelle und informelle Verhaltensre-geln, wie Stakeholder konsultiert werden sollten (vgl. Mazey/Richardson: 2006: 286).

So führte die Kommission verschiedene Maßnahmen ein, die Offenheit in Konsultati-onsprozessen gewährleisten sollten (unter anderem die stärkere Nutzung der konsultati-ven Grünbücher, sowie die stärkere Einführung von Umfragen und Foren) (vgl. Ma-zey/Richardson: 2006: 287ff). Die Strategien der Kommission, Normen wie Offenheit und Konsultation stärker zu verankern, wurden als Versuch bewertet, ihre eigene Orga-nisationsideologie zu verändern (vgl. Mazey/Richardson: 2006: 280). In der frühen Phase einer Politikformulierung verwenden die Generaldirektionen laut Mazey und Richardson (2006: 289) dabei meist offene und inklusive Strukturen in Form von Kon-ferenzen und offenen Foren. In späteren Phasen bevorzugt die Kommission eher infor-melle oder forinfor-melle Berater, die in Komitees oder Arbeitsgruppen an Konsultationen teilnehmen (vgl. ebd.: 289).

Für die Analyse eines möglichen Präferenzwandels einer supranationalen komplexen Organisation und ihrer Mitarbeiter ist daher auch die Berücksichtigung von verschiede-nen Interessengruppen und ihrer Haltung gegenüber einem Emissionshandel entschei-dend. Zudem muss an dieser Stelle in der empirischen Analyse überprüft werden, in-wieweit eine offenere und flexiblere Verwaltungskultur gegenüber Stakeholdern ihre Haltung und damit auch die Haltung der ihnen nahestehenden Generaldirektionen zu-gunsten einer Einführung des Emissionshandels beeinflusst haben könnte.

Bis heute besitzt dennoch jede Generaldirektion ihren eigenen Ansatz, in welcher Form sie mit Stakeholdern zusammenarbeitet (vgl. Mazey Richardson: 2006: 283), die sich auch in unterschiedlichen Verwaltungskulturen der einzelnen Generaldirektionen nie-derschlagen (vgl. ebd.: 286). Zudem nehmen die Generaldirektionen traditionell unter-schiedlich starke Positionen in der Kommission ein. Einige Generaldirektionen agieren aufgrund größerer personeller und finanzieller Ressourcen unabhängiger als andere und besitzen die Fähigkeit, Einsprüche anderer Generaldirektionen abzuwehren (vgl. Spen-ce: 2006: 148). Um die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Generaldirektionen einerseits und den unterschiedlichen Stakeholdern andererseits zu reformieren, wurden

│130 seit dem Ende der 1990er Jahre verstärkt Reformen angestrebt. Jedoch wurden admi-nistrative Probleme in der Kommission bisher eher benannt, als tatsächlich gelöst (vgl.

Spence: 2006: 143). Insbesondere unterschiedliche administrative Stile oder auch unter-schiedliche Verwaltungskulturen der Generaldirektionen führen zu Konflikten bei der Bearbeitung von Politikvorschlägen bis hin zu Umsetzung dieser Vorschläge unter Auf-sicht der beteiligten Generaldirektionen (vgl. ebd.). Während eines Konsultationspro-zesses der führenden Generaldirektion mit anderen Generaldirektionen kann es zu einer Opposition von Vorschlägen kommen, da die Generaldirektionen ihre eigenen Politik-agenden zu berücksichtigen haben und oft unterschiedliche Interessen und Werte vertre-ten (vgl. Weale et al.: 2000). Auch hier muss ein Schwerpunkt der Analyse auf einer möglichen Vereinbarkeit der unterschiedlichen Subkulturen gelegt werden: Eine verän-derte Verwaltungskultur der einen Generaldirektion muss demnach in entscheidenden Punkten anschlussfähig an die Verwaltungskultur anderer Generaldirektionen sein, wenn sie die Generaldirektionen von der Wichtigkeit eines neuen, innovativen Geset-zesvorschlags überzeugen will (hierzu bereits ausführlich Abschnitt 3.6.2)

Die bisherigen Ausführungen zu dem Aufbau und den Phasen von Entscheidungspro-zessen in der Kommission zeigen (vgl. auch Abbildung 18), dass die Europäische Kommission eindeutig als supranationale Organisation zu klassifizieren ist, da sie eine hohe Supranationalität besitzt und zudem durch ihren internen Aufbau als Bürokratie nach Webers Kriterien der Hierarchie, Kontinuität, Unpersönlichkeit und Expertise klassifiziert werden kann, auch wenn sie politische Entscheidungsstrukturen aufweist, die klassische Bürokratien nicht besitzen. Insbesondere die stark hierarchisch geprägten Strukturen der Kabinette, sowie die Wertlegung auf Experten sowohl in den Generaldi-rektionen als auch den Kabinetten zeigen, dass hier Strukturen vorliegen, die einer Bü-rokratie zugeordnet werden können. Zudem ist die Kommission als solches auf Konti-nuität angelegt und weist als bürokratische Organisation auch eine gewisse Unpersön-lichkeit auf. Die folgende Abbildung verdeutlicht die Phasen der Politikformulierung innerhalb der Kommission, die im Fokus dieser Studie liegen.

│131 Abb. 18: Politikformulierungsphase in der EU-Kommission

(eigene Darstellung)

Festzuhalten bleibt, dass sich die Annahme, die Kommission besitze eine übergeordnete Verwaltungskultur mit ausgeprägten Subkulturen in den einzelnen Generaldirektionen, nach der Analyse der relevanten Literatur bestätigen lässt. Mehrere Autoren (u.a. Cini:

2004, 2007; Spence: 2006) haben auf die sehr differenzierten Verwaltungskulturen in einzelnen Generaldirektionen hingewiesen, deren Aufeinandertreffen bei der Ausarbei-tung von Politikformulierung in der Kommission zu Konflikten führen kann.

Im folgenden Kapitel wird die Ausgangsposition der Generaldirektion Umwelt vor Beginn der Entwicklung eines EU-weiten Emissionshandelssystems dargelegt und die Besonderheit ihrer eigenen Verwaltungskultur gegenüber anderen Generaldirektionen herausgearbeitet. Diese Vorgehensweise dient einem Vergleich zwischen der Aus-gangsposition und der Endposition der Generaldirektion Umwelt bei der Beschließung des Emissionshandelsinstruments innerhalb der Kommission, um eine mögliche Verän-derung der Verwaltungskultur in der Generaldirektion Umwelt und ihren Einfluss auf den Präferenzwandel der Kommissionsmitarbeiter festzustellen.

E

B

E

N

E

Kolleg derKommissare

Chef de Cabinets

Kabinette

Generaldirektionen

Generaldirektionen und Kabinette

Entscheidung

Abstimmung

Einigung

Interservice Konsultation

Drafting

Abteilung Initiierung

│132 6 Die Generaldirektion Umwelt und ihre Verwaltungskultur

In diesem Kapitel wird die Ausgangsposition der Kommission und ihrer verschiedenen Dienststellen gegenüber marktwirtschaftlichen Mechanismen bis zur Kyoto-Konferenz 1997 dargestellt. Das Kapitel beleuchtet dabei sowohl die Zeit vor der Etablierung einer Klimapolitik in der EU-Kommission im Jahr 1992 als auch die Zeit von 1992 bis zur Kyoto-Konferenz der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen im Jahr 1997.

Die Kyoto-Konferenz wird in vielen der geführten Interviews mit Mitarbeitern der Kommission sowie in der Literatur, die sich mit dem Emissionshandel beschäftigt, als erster Wendepunkt im Verhalten der Kommission beschrieben. Von allen drei Variablen werden Bestandsaufnahmen gemacht und ihre Ausgangsposition für die empirische Analyse festgestellt. Dafür werden innerhalb des Beobachtungspunkts entscheidende Politikformulierungsprozesse der Generaldirektion Umwelt analysiert, um ihre Verwal-tungskultur und diejenigen der anderen Generaldirektionen charakterisieren zu können.

Schon zu Beginn der 1990er Jahre haben verschiedene Studien die Kommission als extrem sektoralisierte und fragmentierte Organisation charakterisiert, deren Generaldi-rektionen einen weitestgehend eigenen administrativen Stil entwickelt haben (vgl. u.a.

Mazey/Richardson: 1993: 121). Diese Studie geht im Einklang mit Spence (1997) von der Annahme aus, dass sich im Laufe der Jahre verschiedene Verwaltungskulturen in den einzelnen Generaldirektionen etabliert haben, die sich je nach Offenheit gegenüber Stakeholdern, der Flexibilität in den internen Arbeitsstrukturen und der Verankerung bestimmter Weltbilder unterscheiden. Daher wird in diesem Kapitel der Charakter der Generaldirektion Umwelt (GD Umwelt) im Unterschied zu den wirtschaftsorientierten Generaldirektionen vor der Entwicklung der Emissionshandelsrichtlinie dargestellt.