• Keine Ergebnisse gefunden

Gehörschäden durch Schallüberlastung

Im Dokument Lärm und Gesundheit (Seite 31-35)

Bei Schallüberlastung werden im Innenohr zuerst die Zilien der äußeren Haar-zellen geschädigt. Bei kurzzeitiger moderater Schallüberlastung werden sie nur vorübergehend beeinträchtigt, was sich in einer zeitweilig wahrnehmbaren Ver-täubung äußert. Sie können sich in entsprechend langen Lärmpausen mit Schallpegeln von unter 70 dB (A) regenerieren. Fehlen diese Ruhepausen oder ist die Belastung zu hoch oder zu lange, so werden die Zilien irreparabel geschädigt.

SA CHINFORMA TIONEN

Hörschwelle

0 40 – 50 120 – 130 dB

Dynamikbereich des lärm-geschädigten Ohres

Schalldruckpegel

Lautstärke

Schmerzschwelle

Dynamikbereich des normalen Ohres

Abb. 8: Linearisierter Zusammenhang zwischen Lautstärke und Schallpegel bei intakten äußeren und inneren Haarzellen und bei Ausfall der äußeren Haarzellen. Schematische Darstellung zur Erklärung des Rekruit-ment-Phänomens (s. S. 36).

Bei kurzer extremer Schallüberlastung werden die Zilien mechanisch geschädigt. Da die stärksten Scherkräfte an der äußersten Reihe der äußeren Haarzellen auftreten, sind hier auch die stärksten Schäden zu finden. Abb. 10.2 zeigt einen Ausschnitt von äußeren Haarzellreihen eines Meerschweinchen-Innenohres nach Belastung durch Impulsschall. Einen solchen Schaden kann bereits das Abfeuern einer Zündblätt-chenpistole direkt am Ohr verursachen. Die Zilien der äußersten Reihe der Haar-zellen sind zum Teil abgebrochen. Längere Belastungen mit Schallpegeln zwischen 100 und 120 dB (A) führen zu einer energetischen Erschöpfung der Haarzellen (Abb.

10.3). In diesem Fall sind die Zilien der innersten Reihe der äußeren Haarzellen am stärksten geschädigt. Diese Haarzellen haben bei der aktiven Schwingungsdämp-fung zum Schutz der inneren Haarzellen die höchste Belastung und geraten daher am schnellsten in einen Zustand der energetischen Erschöpfung.

Bei breitbandigen Schallereignissen, also bei Geräuschen, die viele Frequenzen beinhalten, werden im Vergleich zu schmalbandigen Schallereignissen deutlich mehr Zilien gereizt. Bei gleichem Schalldruck bedeutet dies bei schmalbandigen Geräuschen, dass wenige Zilien mit dem gleichen Druck erregt werden wie sonst viele Zilien bei breitbandigen Geräuschen. Somit ist der schmalbandige Lärm besonders gefährlich. Bei derartigen Geräuschen, die meist im gewerblichen Bereich auftreten, bedarf es deshalb besonderer Schutzmaßnahmen.

SA CHINFORMA TIONEN

Abb. 9: Audiogramme zur Genese einer Lärmschwerhörigkeit.

Die untersuchte Person arbeitete im Alter von 30 bis 40 Jahren in einem nicht gegen Lärm geschützten Raum nahe einer Flaschenabfüllanlage. In den folgenden 10 Jahren war der Raum schallgedämmt.

Danach arbeitete sie an anderer Stelle in der Firma. Auf der Abszisse werden die Frequenzen und auf der Ordinate die Hörminderung aufgetragen. Deutlich erkennbar sind die überdauernden und teilweise erst später auftretenden Schäden früherer Lärmbelastungen.

Diese Schäden wirken sich erst dann in Form einer messbaren Hörschwellenver-schiebung aus, wenn bereits eine erhebliche Anzahl von Zilien funktionsunfähig geworden ist. Jede Zilienschädigung macht aber das Innenohr bei späterer Schall-überlastung leichter verletzlich, d.h., bei fortgesetzter hoher Schallbelastung ent-steht im Fall einer Vorschädigung in verkürzter Zeitdauer eine Innenohrschwer-hörigkeit. Außerdem wächst das Risiko für chronische Ohrgeräusche (Tinnitus), an denen bereits bis zu 10 Millionen Menschen in Deutschland leiden.

Der Entstehungsmechanismus ist ähnlich dem der Phantomschmerzen nach Amputation eines Gliedes; der Verlust von taktilen bzw. auditiven Rezeptoren führt im Gehirn zu phantomartigen Sinneseindrücken in Form von Schmerzen bzw. Schallwahrnehmungen. Die Störgeräusche können weit mehr als Sausen sein. Pfeifen, Dröhnen, hubschrauberartiges Knattern, Brummen wie ein Schiffs-motor etc. werden gehört. Ihre Entstehung ist wohl multifaktoriell und von Per-sönlichkeitseigenschaften bestimmt. Die Krankheit tritt besonders häufig in Deutschland auf. Diese quälenden Ohrengeräusche (CD, Audio-Datei Nr. 13, S. 67) belasten die Betroffenen häufig noch stärker als die Schwerhörigkeit.

Berufsunfähigkeit, Vereinsamung, Depression und Suizidfälle sind die Folgen dieser Krankheit.

SA CHINFORMA TIONEN

20 μm

Abb. 10.1 – 10.4: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von intakten (oben), aufgrund von energetischer Erschöpfung metabolisch geschädigten, verklebten (2. Bild) und Steifeverlust zeigenden (3. Bild) sowie mechanisch geschädigten, abgebrochenen Zilien (unten).

Die Ursachen des Tinnitus und das Krankheitsgeschehen sind sehr vielfältig und in weiten Bereichen noch unbekannt. Nur bei einem Drittel der Erkrankten kann die Ursache festgestellt werden. Bei ihnen ging der Erkrankung meistens großer Lärm voraus. Besonders gefährdet sind „Workaholics“ und Patienten nach einem Hörsturz, der zunehmend häufiger auch bei jungen Menschen auf-tritt.

Der Erfolg einer Heilung hängt wesentlich davon ab, dass der Tinnitus unverzüg-lich behandelt wird, weshalb man bereits nach wenigen Stunden Ohrensausen einen HNO-Arzt aufsuchen soll. Die anfängliche Behandlung zielt u.a. auf eine verstärkte Sauerstoffversorgung der Haarzellen. Bei chronisch andauerndem Tinnitus werden Patienten z.B. mit Geräten ausgestattet, die ständig die Geräu-sche und Tonlagen ihres Tinnitus produzieren.

Bei Schäden durch Schallüberlastung des Innenohres wird die Hörschwelle bei höheren Frequenzen angehoben (Abb. 11). Nach Überschreiten der erhöhten Hörschwelle wird subjektiv ein steilerer Anstieg der Lautstärke wahrgenommen (Rekruitment) (vgl. Abb. 8, S. 33). Außerdem wird die Schmerzschwelle abgesenkt (Hyperakusis), wie die folgende Abbildung zeigt.

Abb. 11: Lärmbedingte Innenohrschwerhörigkeit führt zu Einschränkungen des Hörbereiches bei hohen Frequen-zen – der normale Hörbereich ist gestrichelt (vgl. Abb. 4, S. 24).

SA CHINFORMA TIONEN

Insgesamt wird bei lärmbedingter Innenohrschwerhörigkeit die Dynamik des Innenohres erheblich verringert sowie das Sprachhörvermögen beeinträchtigt.

Die stark verringerte Analysenleistung des Innenohres wirkt sich besonders hin-derlich bei Kommunikation mit Hintergrundgeräuschen aus.

Aus diesem Grund ist es kontraproduktiv lauter zu reden, wenn in einer Runde einige – oft Ältere – nicht alles verstehen, sondern hilfreich ist es, die oder den anderen anzusehen und artikuliert zu sprechen. Das „Brüllen“, z.B. bei Gesprä-chen mit Großeltern, ruft bei diesen nur Unwillen hervor, denn zum einen ver-stehen sie dann immer noch nicht mehr und zum anderen ist die große Laut-stärke aufgrund der herabgesetzten Schmerzschwelle äußerst unangenehm und wirkt aggressiv.

Lärmquellen sind neben lauter Musik jeder Musikrichtung häufig Geräusche am Arbeitsplatz. Ferner ist auf Impulsschall hinzuweisen, der oftmals unterschätzt wird, s. S. 23, Feuerwerkskörper und leider viel Spielzeug kommen hier als Geräuschquelle infrage.

Auch im Laufe des Alterungsprozesses nimmt die Leistungsfähigkeit des Innen-ohres ab. Diese altersbegleitende Hörminderung (Presbyakusis) beginnt im höchs-ten Frequenzbereich und beeinträchtigt mit der Zeit auch mittlere Frequenzen.

Die Gehörschädigung durch Schallüberlastung wirkt sich ganz ähnlich aus und kann deshalb als beschleunigte Alterung des Innenohres bezeichnet werden.

Schwerhörigkeit ist nicht nur unheilbar, sondern kann mit Hörgeräten nur sehr unvollkommen in ihren Wirkungen gemildert werden. Die feine Orientierung und das exakte Sprachverstehen bei Hintergrundgeräuschen ist auch bei den besten Geräten nicht möglich. So können Schwerhörige gerade in fröhlicher Runde dem Gespräch nicht folgen. Das kennt man von alten Menschen, die oft nicht verste-hen, worüber gerade gesprochen wird. Das sind nicht Desinteresse, Altersstarr-sinn oder Ahnungslosigkeit, sondern ist oft die durch die Schwerhörigkeit einge-schränkte Kommunikationsfähigkeit. Soziale Isolation kann Auswirkung dieser Krankheit sein, wenn man den Menschen nicht entgegenkommt. Hörgeräte sind keine Brillen, im Gegensatz zum Sehvermögen des Brillenträgers, das zu einem sehr großen Teil wiederhergestellt wird, kann der Schwerhörige nie mehr richtig hören.

Nur wenigen ist bewusst, dass z.B. die Berufswahl durch Schwerhörigkeit einge-schränkt ist. Nicht nur Traumberufe, wie Pilot oder Kameramann, sondern Tätigkeiten am Schalter oder Berufe mit hoher Lärmbelastung, wie Autome-chaniker, Schreiner, Schlosser, Textilarbeiter, kommen nicht infrage. Firmen und Berufsgenossenschaften wollen nicht bereits mit Lärmschäden vorbelastete Menschen einstellen, die dann später lärmschwerhörig eine vorzeitige Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalten.

Im Dokument Lärm und Gesundheit (Seite 31-35)