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Gegenüberstellung der Spitzenkandidaten

Im Dokument Sprache im Kontext von Macht (Seite 108-134)

Die Korpusanalyse hat bisher von einer direkten Gegenüberstellung der Präsidentschaftskandidaten abgesehen. Ziel war es zunächst, die Politiker in ihren Wahlkampfreden und Fernsehinterviews einzeln zu portraitieren. Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Sprechhandlungen der Spitzenkandidaten stehen in diesem

Abschlusskapitel im Vordergrund. Ferner ist die Frage von Bedeutung, inwiefern sich die unterschiedlichen Kommunikationssituationen auf das Rede- und Gesprächsverhalten der Kandidaten auswirken.

Unter lexikalischen Gesichtspunkten wurde eine Analyse mehrerer Lexeme durchgeführt, die deutliche Charakteristika in der Sprache des einzelnen Kandidaten aufzeigen konnte. Anhand zahlreicher Beispiele wurde hervorgehoben, dass das Lexem la France bei beiden Spitzenkandidaten eine zentrale Verwendung findet. Dieser Befund bezieht sich sowohl auf die Reden der Politiker als auch auf ihre Gesprächsanteile in den Fernsehinterviews und im Fernsehduell. Eine Gegenüberstellung der Präsidentschaftskandidaten hinsichtlich dieser Lexemverwendung legt einige Differenzen offen. Ségolène Royal umschreibt in der Verwendung von la France zum einen den desolaten Ist-Zustand des Landes und zum anderen den zukunftsweisenden Soll-Zustand. In Anlehnung an Patrick Charaudeau, der von einer double identité discursive eines Politikers – seinem Spannungsverhältnis zwischen le politique und la politique – ausgeht, kann in Bezug auf Royals Verwendung von la France Folgendes festgehalten werden: Der uneinheitliche Gebrauch des Lexems repräsentiert Royals Identitätsspaltung in ihrer Rolle als Politikerin zwischen dem Ist- und dem Sollzustand. Das bedeutet, dass die Kandidatin ihre double identité discursive auf das Anwendungsgebiet ihrer Reformen, la France, projiziert. Dem Lexem kommt überdies durch die Anführung ihres Wahlslogans La France présidente eine zentrale Bedeutung zu. Im Unterkapitel 3.3.1.1 wurde hervorgehoben, dass die Rednerin mit diesem Wahlspruch die Rolle der Präsidentin fiktiv auf la France überträgt. Die Kandidatin richtet demnach den Fokus auf ihre Wähler bzw. wendet das Interesse von sich als Führungsfigur ab.

Nicolas Sarkozy stellt auf einer metasprachlichen Ebene sein Interesse an la France in den Vordergrund. Der Kandidat hebt die Notwendigkeit hervor, ein festes Frankreichbild zu vertreten, so dass seine häufige Verwendung des Lexems auf diesem Schwerpunkt des Kandidaten beruht. Es konnte zudem aufgezeigt werden, dass es dem Politiker nicht gelingt, seine Darstellungen von la France zu einem Konzept zusammenzufügen. Vielmehr lässt sich Nicolas Sarkozy angesichts der Deutungsoffenheit dieses Abstraktums dazu verleiten, seine Aussagen in Unbestimmtheit zu gestalten. Bei Sarkozys Interviewbeteiligung ist belegt worden, dass der Kandidat Äußerungen über la France als Versatzstücke aus seinen Wahlkampfreden verwertet.

Beiden Kandidaten konnte demzufolge ein uneinheitlicher Gebrauch von la France nachgewiesen werden. Insgesamt ist daraus zu schließen, dass dem Begriff eine Deutungsoffenheit innewohnt, so dass die Politiker anhand dieses Lexems einen Unbestimmtheitscharakter ihrer Aussagen kultivieren können. Zudem rechnen beide Kandidaten offenbar mit einem ausgeprägten Interesse ihrer Rezipienten an Aussagen über la France. Es ist davon auszugehen, dass ein patriotisches Gedankengut in Frankreich die Verwendung dieses Lexems motiviert.

In Royals unterschiedlichen Sprechhandlungen wurde das Lexem juste als Schlüsselbegriff der Kandidatin hervorgehoben. In diesem Zusammenhang konnte aufgezeigt werden, dass die Politikerin ihre Projekte mit einer Gerechtigkeitsgrundlage ausstattet. Mit ihren Moralbekenntnissen vermeidet Royal präzise Auskünfte darüber, wie sie ihre Ideale erreichen will. Aus der Analyse wurde geschlossen, dass der Bewertungsvorgang der Kandidatin letztendlich mehr Raum einnimmt, als ihre Ausführungen über den zu bewertenden politischen Prozess. Eine Vagheit ihrer Aussagen ist die Folge.

Royals vermehrter Gebrauch der Verben rassembler und se rassembler in ihren Wahlkampfreden ist auf die Betonung eines Gemeinschaftsaspektes zwischen ihr und ihren adressierten Wählern bezogen worden. Wie oben hinsichtlich des Wahlslogans la France présidente hervorgehoben wurde, wird auch in der Verwendung dieser Verben deutlich, dass die Kandidatin ein Demokratieverständnis vertreten möchte, in dem sie als Führungsfigur in den Hintergrund tritt. Ihr Verzicht auf dieses Lexeme im face à face und in den Fernsehinterviews ist auf die veränderten Kommunikationsbedingungen zurückzuführen: Die Gesprächspartner in diesen Situationen hemmen eine direkte Anrede der potentiellen Wähler.

Beim Präsidentschaftskandidaten wurden die Lexeme détester und détestation nicht als Leitmotive beschrieben, da sie nur in einzelnen Bereichen der Wahlkampfreden und nicht in den beiden weiteren Kommunikationssituationen auftreten. Die Analyse hat indessen aufgezeigt, dass Sarkozy diese drastischen Gefühlsäußerungen in seinen Reden punktuell verwendet, um Kontraste zwischen negativen Handlungsvarianten und seiner zukunftsweisenden Politik aufzubauen. Enge Verbindungen zum Vokabular der Liebe konnten Sarkozys Inszenierung von Spannungsfeldern in seinen Wahlkampfreden belegen. Beide Lexeme wurden in den Interview- und Fernsehduellbeiträgen des Kandidaten nicht verzeichnet. Dies wurde auf die Radikalität der Ausdrucksweise zurückgeführt, welche im Gegenüber mit Gesprächspartnern deplaziert erscheint und den Konventionen dieser Kommunikationssituationen nicht entspricht.

In Bezug auf la volonté wurde festgestellt, dass der Redner entgegen der Gesetzmäßigkeiten eines Wahlkampfes, wo der Einzelne seinen Willen erst durch seine Wählerstimme manifestieren kann, von einer kollektiven volonté du peuple ausgeht.

Innerhalb dieser Lexemverwendung ist eine Generalisierung der Bedürfnisse seines Wählers verzeichnet worden. Auch dieses Lexem nimmt lediglich in den Wahlkampfreden eine zentrale Funktion ein, da die Suggestion einer volonté beim Rezipienten an den Fernsehbildschirmen eine direkte Adressierung erfordert.

Im Hinblick auf die Untersuchungskategorie ,Affirmation und Negation’ wurde erarbeitet, dass sich der Präsidentschaftskandidat in seinen Reden in hohem Maße Negationen bedient. Dabei konnte durchgängig eine Abfolge innerhalb seiner Argumentation nachgewiesen werden. Die Beispiele haben gezeigt, dass der Politiker zunächst immer diejenigen Zustände, Handlungsvarianten oder Gruppierungen anhand von Negationen darlegt, die er ablehnt. Vor diesem Hintergrund stellt er daraufhin seine reformversprechenden Vorhaben dar. Sarkozys Schwarzweißmalereien betonen seine Bemühung um eine Abgrenzung vom politischen Gegner. Auf gleicher Ebene wie die Verwendung der gefühlsindizierenden Lexeme détester und détestation ist demnach eine Inszenierung von Gegensätzen in den Wahlkampfreden des Kandidaten festzuhalten. Die Polarisierungen des Spitzenkandidaten haben bei den Meetings eine Radikalität in seinem Redeverhalten zur Folge. In den dialogischen Sprechhandlungen mäßigt der Politiker diese drastischen Ausführungen bzw. verzichtet auf kontrastreiche Darstellungen.

Ségolène Royals Wahlkampfreden weisen in dieser Hinsicht eindeutige Unterschiede auf. Eine vermehrte Verwendung von Negationspartikeln konnte in den Sprechhandlungen der Politikerin nicht verzeichnet werden. Im Gegenzug haben mehrere Beispiele eine Typisierung ihrer Wahlkampfreden durch Affirmationen aufgezeigt. Hierbei wurde eine Regelmäßigkeit festgestellt: Die Kandidatin leitet ihre Sätze mehrfach durch das Affirmationspartikel oui ein. Dieses Merkmal wurde als Inszenierung eines Dialoges mit dem adressierten Wähler gedeutet, in dem das oui als Antwort innerhalb einer Partnerhypothese fungiert. Nach gleichem Muster verfährt Royal in einigen Passagen des Fernsehduells. Hier motiviert jedoch möglicherweise die direkte Interaktion mit dem Konkurrenten und nicht mit dem Fernsehzuschauer solche affirmativen Wendungen. Während andere Untersuchungsschritte ergaben, dass Royals Reden von Unbestimmtheit und Vagheit geprägt sind, wurden ihre affirmativen Äußerungen als klare Auskünfte über ihr Programm eingeordnet. Hieraus wurde

geschlossen, dass Royal deutlich um eine dialogische Verbindung mit ihren Sympathisanten bemüht ist.

Die Untersuchungen der pronominalen Referenzen in den drei Korpuselementen zeigen klare Differenzen zwischen den Kandidaten auf. In Bezug auf Ségolène Royal wurde festgestellt, dass sich die Politikerin bei ihren Meetings als Einzelperson vorwiegend in ein Verhältnis zum Kollektiv ihres Teams und ihrer Anhänger setzt. Royals dominanter Rückgriff auf das Pronomen nous ist als eine Betonung auf ihrem gemeinschaftlichen Handeln bei der Realisierung von Reformvorhaben gedeutet worden. In Anlehnung an die Ergebnisse hinsichtlich der Verben se rassembler und rassembler wurde bei der Analyse des Fernsehduells deutlich, dass die Kandidatin auf nous als Indikator für einen solchen Solidaritätsaspekt verzichtet. Im débat präsentiert sie sich mit dem Gebrauch des je als zukünftige Präsidentin, was auf ihre Konfrontation mit dem Gegner zurückzuführen ist. In dieser Situation geht es nicht um einen gemeinschaftlichen Triumph, sondern um ihren Sieg der Präsidentschaftswahl.

Die Analyse der Sprechhandlungen von Sarkozy hat diesbezüglich ergeben, dass der Politiker sich durch das Personalpronomen je als Einzelperson und zukünftige Führungsfigur in den Vordergrund stellt. Ein signifikanter Gebrauch des Pronomens nous konnte nicht nachgewiesen werden. Indessen wurde durchgängig ein vermehrter Rückgriff auf das Indefinitpronomen on konstatiert, wobei eine uneinheitliche Verwendung zu verzeichnen war. Dem on wurde zum einen ein generalisierender und neutralisierender Charakter zugesprochen. Zum anderen sind Uneinheitlichkeiten beim Gebrauch dieses Indefinitpronomens als Indikatoren für die Mehrfachadressiertheit des Kandidaten gedeutet worden. Unter allen drei Interaktionsbedingungen vollzieht Sarkozy eine Vernetzung der verschiedenen Perspektiven durch das Indefinitpronomen on.

Die Analyse des Fernsehduells ergab eine weitere Besonderheit. Während ermittelt wurde, dass die Kandidatin sogar in Momenten, in denen sie zu einer unabhängigen Stellungnahme aufgefordert ist, eine Kontroverse mit ihrem Konkurrenten offensiv kultiviert, löst Sarkozy die Einseitigkeit des Kommunikationsablaufes stückweit auf. In einigen Passagen spricht er den anwesenden Journalisten direkt an. Diese Adressierungen von Poivre d’Arvor wurden als Hinwendungen des Kandidaten zum unsichtbaren Fernsehzuschauer gedeutet. Darüber hinaus wurde entwickelt, dass der Politiker in Teilen des Fernsehduells durch eine Anrede seiner Konkurrentin in der dritten Person Singular die Auseinandersetzung auf einen vermeintlich neutralen Kommentar verlagert. Sowohl in Bezug auf Ségolène Royal als auch im Hinblick auf

Nicolas Sarkozy ist abschließend festzuhalten, dass die pronominalen Referenzen die Komplexität der Kommunikationssituationen im politischen Bereich anzeigen.

In Teilkapitel 2.3.3 wurde die Sprache der Politiker in Fernsehinterviews als eine homogénéisation du discours bezeichnet, welche auf die Komplexität dieser Kommunikationssituation zurückgeführt wurde. Beiden Spitzenkandidaten konnten in allen drei Korpuselementen Verfahren zur Reduktion von Komplexität nachgewiesen werden. In diesen Sprechhandlungen der Kandidaten wurde ein Nominalstil ermittelt, so dass dieses Merkmal als typisch für die Sprache der Politik bezeichnet wurde. Trotz der ,Wuchtigkeit’ dieses Stils wurde die Aufzählung einer Vielzahl von abstrakten Substantiven beim unmittelbaren Rezeptionsprozess als Komplexität reduzierendes Verfahren ausgewiesen. Eine Reihe von Indefinitpronomina, die auf ihrer Bedeutungsebene bereits eine Gesamtheit von Gegenständen, Sachverhalten oder Personengruppen darstellen, sind als Anzeichen für Generalisierungen bei beiden Kandidaten hervorgehoben worden. In Nicolas Sarkozys Sprache wurden besonders Generalisierungen und Übertreibungen als dominante Verfahren aufgedeckt.

In Bezug auf Ségolène Royal sind mehrere Verfahren zur Steigerung von Komplexität dokumentiert worden. Es wurden zahlreiche Belege dafür geliefert, dass komplexe hypotaktische Strukturen, fehlende Verweise zur Verknüpfung der Textteile sowie logische Ungenauigkeiten die Wahlkampfreden der Kandidatin dominieren. Diese Unebenheiten sind als intendiertes Überzeugungsmittel der Politikerin aufgefasst und als Abbild Royals innerlicher Ergriffenheit beurteilt worden. Daraus wurde geschlossen, dass die Kandidatin mit ihren Gefühlsausbrüchen eine emotionale Beteiligung, nicht aber das Verständnis ihres Rezipienten anregt. Da diese Verfahren eine Vagheit kultivieren, konnten sie als Mittel zur Reduktion von Komplexität eingestuft werden. In den Interviews und im Fernsehduell war eine solche Typisierung nicht nachzuweisen.

Die Fragestellungen der Journalisten im Interview sowie die face à face-Situation in der Debatte schränken offenbar den Aufbau eines Zustands innerlicher Ergriffenheit ein.

Der Untersuchungskategorie ,Ironie’ wurde in dieser Arbeit eine Definition dieses Merkmals zugrunde gelegt. Es handelte sich dabei um die Auffassung von Ironie comme mention, welche die Disqualifizierung des Gegners in den Vordergrund stellt.

Im Rahmen einer Ironie comme mention wird ein Zitat des Kontrahenten angeführt, welches daraufhin vom Sprecher als banal hingestellt wird. Ein solcher Umgang mit dem Gegner konnte in den Wahlkampfreden beider Präsidentschaftskandidaten vermerkt werden. Während Nicolas Sarkozy mit vermeintlichen Zitaten des Gegners arbeitet, ist die Definition im Hinblick auf Ségolène Royal erweitert worden.

Bemerkungen wurden ebenfalls als Ironie klassifiziert, wenn eine Reproduktion des Verhaltens von ihrem Konkurrenten vorlag. Die Ironie comme mention wurde als geeignetes Mittel wahrgenommen, den politischen Gegner zu disqualifizieren. Zum einen kann der Politiker seine Kritik innerhalb einer Ironie comme mention an eine vermeintliche Aussage oder ein Verhalten des Gegners knüpfen. Er beugt dadurch dem Vorwurf vor, den Konkurrenten haltlos zu diffamieren. Zum anderen löst die banalisierende Nachrede, die Lächerlichkeit der Äußerungen, Amüsement beim Rezipienten aus.

In den Interviews waren keine entsprechenden Degradierungen des Gegners vorzufinden. Dieser Umstand wurde auf die Andersartigkeit der Kommunikationssituation zurückgeführt, in dem der Moderator als neutralisierende Instanz fungiert.

In der Analyse des Fernsehduells ist der Umgang mit dem politischen Gegner in einem Schwerpunkt behandelt worden. Bei Nicolas Sarkozy ist die Einbindung von vermeintlichen Zitaten des Gegners weiterhin als Ironie comme mention gedeutet worden. In dieser Hinsicht konnte eine Orientierung an seinen Strategien in den Wahlkampfreden festgehalten werden. Zur repräsentativeren Darstellung des Umgangs mit dem Kontrahenten im débat wurde der Untersuchungsparameter geringfügig erweitert. Der Kandidat greift im duel télévisé sehr ausgeprägt auf ironische Anspielungen zurück, wobei er sich der Ironie in traditionellem Sinne bedient: Er äußert das Gegenteil vom Gemeinten. Bei Ségolène Royal konnten weniger ironische als vielmehr zynische Bemerkungen nachgewiesen werden. Sarkozys Ironie und Royals Zynismus wurden abschließend als antrainierte Argumentationsstrategien gedeutet, welche Willkür und Unüberlegtheiten in der direkten Konfrontation so gering wie möglich halten. In dieser Hinsicht wurden auch beim Umgang mit dem politischen Gegner in der Konfrontationssituation Automatismen im Gesprächsverhalten der Kandidaten aufgezeigt.

Ein Vergleich der Präsidentschaftskandidaten hinsichtlich ihrer Einbindung von Emotionen in ihren Sprechhandlungen liefert besonders im Hinblick auf das Fernsehduell uneinheitliche Ergebnisse. Die Analyse der Wahlkampfreden hat verdeutlicht, dass Nicolas Sarkozy weitaus mehr von anrührenden Schicksalsbeschreibungen Gebrauch macht als seine Konkurrentin. Royal verbindet ihre Argumentation nur vereinzelt mit Darstellungen, welche Emotionen in ihrem Rezipienten wecken. Ferner sind diese Beschreibungen nicht an das Vorwissen ihrer Rezipienten geknüpft, sondern entsprechen ihrem Erfahrungshorizont. Es wurde

allerdings aufgezeigt, dass sich die Spitzenkandidatin als Identifikationsfigur für den Rezipienten darstellt, indem sie Höhen und Tiefen in ihrer Karriere offen eingesteht.

In Nicolas Sarkozys Reden wurden dahingegen zahlreiche, sehr detaillierte dramatische Schicksalsbeschreibungen, die den Adressaten vielfach aus Mediendarstellungen bekannt sind, registriert. Diese inscriptions de l’affectivité wurden als Strategie des Kandidaten verstanden, sich selbst als die Schlüsselfigur zu inszenieren, die das beschriebene Leid aufheben kann.

Die Analyse der Fernsehinterviews ergab in Bezug auf beide Kandidaten eine ausgeprägte Einbindung von Emotionen. Die Zusammentreffen mit den Journalisten, die nicht als rein politische Interviewgespräche klassifiziert wurden, wiesen bei beiden Kandidaten Bemühungen um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen emotionalen und rationalen Äußerungen auf. Nicolas Sarkozy wurde in allen drei Interviews ein starker Rückgriff auf die pathémisation als Überzeugungsstrategie nachgewiesen. Während der Kandidat im Interview vom 03.04.2007 seine Durchschnittlichkeit hervortut, indem er sich dem Rezipienten als Identifikationsfigur vorhält, wurden in den übrigen Interviews erneut dramatische Schicksalsbeschreibungen als pathémisations eingestuft. Angesichts Sarkozys wiederholter Anführung des Vergewaltigungsdramas konnten Inkohärenzen im Vergleich zu der Version in seiner politischen Rede aufgezeigt werden. Vor diesem Hintergrund wurde dem Präsidentschaftskandidaten ein unaufrichtiges Interesse an dem leidvollen Schicksal der jungen Ghofrane vorgehalten. Die überwiegende Intention des Politikers, das Mitgefühl seines Rezipienten zu evozieren, konnte jedoch umso deutlicher dokumentiert werden.

Ein direkter Vergleich der Interviews vom 20.11.2006 und vom 14.01.2007 weist eine Gemeinsamkeit zwischen den Kandidaten bezüglich ihrer gefühlsindizierenden Äußerungen auf.157 Sowohl Ségolène Royal als auch Nicolas Sarkozy setzen in der Anfangspassage dieser Interviews ihren Respekt vor Verantwortungsgefühlen argumentativ ein. Sarkozys Authentizität seiner Gefühlsäußerungen ist dadurch eingeschränkt, dass er sich in diesem Zusammenhang formelhafter Wendungen bedient, die auch in seinen Wahlkampfreden vorkommen. Ségolène Royals Insistieren auf ihrem Schwächegefühl entspricht dem Schwerpunkt ihrer Sprechhandlungen wie er in dieser Korpusanalyse erarbeitet wurde: Die Kandidatin inszeniert ihre Schwäche als Stärke. In Bezug auf Nicolas Sarkozy wurde ein solcher Aspekt nicht ermittelt. Diese Haltung am Tag der Wahl zum Kandidaten erscheint zwar konsequent, da Sarkozy sein Profil als Sieger erst noch erstellen muss. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich der

157 Bei beiden Politikern handelt es sich um ihren ersten Fernsehauftritt als Präsidentschaftskandidaten.

Kandidat in seiner Antwort auch am Fernsehauftritt zum gleichen Anlass seiner Konkurrentin orientiert.

Bei der Analyse des Fernsehduells wurde in den Vordergrund gestellt, dass auch in dieser Kommunikationssituation die inscription de l’affectivité von Bedeutung ist. Die Gewichtung der Kandidaten bei dieser Argumentationsstrategie ist – verglichen mit der vorangegangenen Korpusauswertung – als deutlich verschoben wahrgenommen worden. Nicolas Sarkozys setzt im Fernsehduell erkennbar andere Prioritäten als in den übrigen Sprechhandlungen des vorliegenden Korpus. Er verzichtet auf gefühlsindizierende Ausführungen, die bei ihm fortwährend im Rahmen polarisierender Darstellungen standen. Folglich vermeidet er in dieser Konfrontation, durch hitziges Auftreten in Verruf zu geraten. Überdies ist nicht auszuschließen, dass er sein Temperament mäßigt, weil er, im Gegenüber mit einer Frau, dazu gesellschaftlich verpflichtet ist.

In der Analyse des débat wurde herausgearbeitet, dass Ségolène Royal eindeutig häufiger auf anrührende Zustandsbeschreibungen zurückgreift als ihr Gesprächpartner.

Es liegt damit die Vermutung nahe, dass die Kandidatin sich in dieser Interaktion an den bekannten Argumentationsmustern im Wahlkampf ihres Konkurrenten orientiert.

Überdies konnte in einer zentralen Phase im face à face ein Rückgriff auf die Überzeugungsstrategie argumenter l’émotion hervorgehoben werden. Dieses Argumentationsverfahren wird von Ségolène Royal in die Debatte eingeführt. Royals Wutausbruch in dieser Passage wurde in ihr Profil als Politikerin mit menschlichen Schwächen eingefügt und insofern als durchdachte Argumentationsstrategie ausgelegt.

Unabhängig von den Untersuchungsparametern dieser Arbeit wurde sowohl in den Unterkapiteln 3.6.1 und 3.7.1 sowie hinsichtlich des Fernsehduells in 3.8.1 eine weiterführende Analyse durchgeführt, bei der den Spitzenkandidaten jeweils ähnliche Verfahren zur Annäherung an die monologische Struktur der politischen Rede nachgewiesen wurde. Bei beiden Kandidaten ist in den Interviews und bei der Debatte ein inszeniertes Frage- und Antwortspiel dokumentiert worden, welches die Politiker jeweils in ihre Gesprächsanteile einfügen. Diese Inszenierungen folgten durchgängig einem Muster: Royal und Sarkozy formulieren eines ihrer politischen Ziele und liefern dann über eine selbstgestellte Rückfrage Erklärungen. Sie setzen dieses Mittel einerseits zur Organisation und Lenkung des Gesprächs ein und simulieren andererseits einen Informativitätsgehalt ihrer Aussage. Bei der Analyse des TV-Duells wurde außerdem die Anapher als Mittel zur Rhythmisierung monologischer Elemente hervorgehoben.

Ein gezielter Aufbau des Antwortmonologes nach vertrauten Argumentationsmustern

konnte erarbeitet werden, da diese Stilfigur von den Politikern vorwiegend am Ende eines Antwortmonologes eingesetzt wird. In dieser Position wirkt sich eine Anapher beim Rezipienten einprägend aus.

In Anlehnung an die These von Ekkehard Eggs, dass die Überzeugungsarbeit eines politischen Akteurs in seinen Reden Eingang in die Argumentationsführungen bei Fernsehduellen findet, wurde eine Untersuchung durchgeführt, die diesen Gedanken auf die Fernsehinterviews dieses Korpus übertragen hat. In Bezug auf beide Spitzenkandidaten ist erarbeitet worden, dass das Interviewgenre deutlichen Einfluss auf das Gesprächsverhalten der Politiker hat. Während in den Gesprächsanteilen der Kandidaten bei den Interviews im journal télévisé eindeutig ein Einfluss der politischen Reden verzeichnet werden konnte, wurden bei Gesprächen außerhalb des rein politischen Bereichs eine Überzeugungsarbeit beider Politiker an ihrem Ethos betont.

Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zum Fernsehinterview in Unterkapitel 2.2.3 konnte bestätigt werden, dass die Kandidaten zur direkten Adressierung ihrer Wähler Fragen des Moderators umgehen. Sowohl Nicolas Sarkozy als auch Ségolène Royal lassen besonders in Bedrängnis Fragen unbeantwortet. Stattdessen übernehmen sie die Kontrolle, indem sie Versatzstücke aus ihren Reden heranziehen. Bei Nicolas Sarkozy wurde diesbezüglich eine ausgeprägtere Stereotypie in seinen Argumentationsführungen nachgewiesen als bei Ségolène Royal. Es ist der Eindruck entstanden, dass der Politiker über ein ganzes Repertoire von formelhaften Wendungen

Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zum Fernsehinterview in Unterkapitel 2.2.3 konnte bestätigt werden, dass die Kandidaten zur direkten Adressierung ihrer Wähler Fragen des Moderators umgehen. Sowohl Nicolas Sarkozy als auch Ségolène Royal lassen besonders in Bedrängnis Fragen unbeantwortet. Stattdessen übernehmen sie die Kontrolle, indem sie Versatzstücke aus ihren Reden heranziehen. Bei Nicolas Sarkozy wurde diesbezüglich eine ausgeprägtere Stereotypie in seinen Argumentationsführungen nachgewiesen als bei Ségolène Royal. Es ist der Eindruck entstanden, dass der Politiker über ein ganzes Repertoire von formelhaften Wendungen

Im Dokument Sprache im Kontext von Macht (Seite 108-134)