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Emotionen im Kontext von Macht

Im Dokument Sprache im Kontext von Macht (Seite 28-32)

2.3 Die Untersuchungsparameter

2.3.6 Emotionen im Kontext von Macht

Quoi que ce soit qu’on veuille persuader, il faut avoir égard à la personne à qui on en veut, dont il faut connaître l’esprit et le cœur, quels principes il accorde, quelles choses il aime [...]. De sorte que l’art de persuader consiste autant en celui d’agréer qu’en celui de convaincre, tant les hommes se gouvernent plus par caprice que par raison (Pascal 1914:

356).

Nach Blaise Pascal ist die Kenntnis der ,Geistes- und Herzensangelegenheiten’, der Vorlieben des Gegenübers, die Grundvoraussetzung für eine Überzeugung. Die Kunst der Überzeugung liegt zudem in gleichen Teilen in der Hand des Überzeugenden wie in der Hand von demjenigen, der ein Argument annimmt. Diese Reziprozität in Pascals Darstellung erinnert unweigerlich an Pierre Bourdieus Gedanken des pouvoir symbolique, des Kräfteverhältnisses zwischen dem autorisé und den autorisants, welche das symbolische Kapital des Wortführers entschlüsseln. Dieser Grundsatz Bourdieus jedweder sozialen Interaktion spiegelt sich bei Pascal in der reflexiven Verbverwendung se gouverner wider: Se gouverner unterstreicht im obigen Zitat die unbedingte Autonomie, von der Herrschaftsprozesse unter Menschen geprägt sind. Für das

41 Ironie wird in diesem Beitrag zudem als ein Phänomen dargestellt, welches durch eine Offenheit in seiner Definition charakterisiert ist: «Décider de ce qu’est l’ironie engage en réalité une certaine conception du sens, de l’activité de parole et de la subjectivité» (Charaudeau/Maingueneau 2002: 332).

vorliegende Teilkapitel ist darüber hinaus Pascals These, Menschen beherrschen einander mehr durch caprice als durch raison, relevant.42 Die Anwendung von Pascals Gedanken auf Bourdieus Machtverständnis verleitet zu der Annahme, dass Emotionen innerhalb von Überzeugungsprozessen von den Grundsätzen determiniert sind, die Pierre Bourdieu jeglicher Interaktion zuschreibt. Das bedeutet, dass Emotionen nur dann als Überzeugungsmittel wirken können, wenn das Verhältnis zwischen autorisé und autorisant es zulässt.

Im Rahmen der Untersuchungskategorie ,Emotionen im Kontext von Macht’ steht die Frage im Vordergrund, inwieweit Emotionen in den argumentativen Sprechhandlungen im politischen Bereich eine Rolle spielen.43 Die Auseinandersetzung in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen liefert inzwischen eine recht breite Thematisierung des Verhältnisses zwischen Sprache und Emotionen.44 In diesem Rahmen können nur diejenigen Beiträge eine Berücksichtigung finden, die Aspekte für den Überzeugungskontext liefern. Erkenntnisleitend bleibt weiterhin die oben angeführte These von Ekkehard Eggs, die Mediatisierung des politischen Bereichs führe eine Dominanz der Überzeugungsbereiche des Ethos und Pathos mit sich (vgl. Eggs 1990: 66f.). Das Hauptaugenmerk wird in dieser Korpusanalyse auf dem Pathos liegen.

Die Überzeugungsarbeit eines Politikers an seinem Ethos wird nur in einer Hinsicht berücksichtigt, nämlich in seiner Nähe zum Pathos.45 Hier wird die Frage zu klären sein, inwiefern die Präsidentschaftskandidaten ihre Selbstinszenierung anhand von Argumenten vollziehen, die der Ebene des Pathos zuzuweisen sind.

Grundlegend ist die Beobachtung, dass Politiker auch im Hinblick auf ihre Emotionalität in ihren Sprechhandlungen in einer double identité discursive gespalten sind. Auf der Ebene von le politique wird vom politischen Akteur eine von Vernunft geleitete Führung verlangt, da emotionale Entscheidungen dem Vorwurf der Willkür unterliegen. Die Machtstrategien der Politikers allerdings - la politique - sind auf die Überzeugung des Wählers ausgerichtet. Überzeugungsstrategien müssen im Rahmen

42 Pascal verwendet zwar nicht explizit den Begriff sentiments oder émotions. Sein Akzent liegt allerdings auf der Kenntnis des esprit und cœur sowie der Dinge, die das Gegenüber mag.

43 Einen systematischen Überblick zu den Definitionen von émotion in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen und Richtungen der Sprachwissenschaft liefert das Dictionnaire de l’analyse de discours (vgl. Charaudeau/Maingueneau 2002: 214-220).

44 Catherine Kerbrat-Orecchioni erstellt in ihrem Aufsatz „Quelle place pour les émotions dans la linguistique du XXe? Remarques et aperçus“ einen umfassenden Forschungsüberblick zur Beschäftigung mit Emotionen in der Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts (vgl. Kerbrat-Orecchioni 2000: 33-74).

Des Weiteren liefert Martina Drescher in der deutschen Romanistik einen wichtigen Beitrag mit ihrer Habilitationsschrift unter dem Titel: Sprachliche Affektivität. Darstellung emotionaler Beteiligung am Beispiel von Gesprächen aus dem Französischen (vgl. Drescher 2003).

45 Die Nähe zwischen Ethos und Pathos stellt Charaudeau dar, denn das Ethos ist «également susceptible de toucher l’auditoire par identification possible de celui-ci à la personne de l’orateur» (Charaudeau 2005:

62).

von la politique besonders, wie Pascal hervorhebt, auf l’esprit et le cœur abgestimmt sein. Diese Verhältnisbestimmung von Vernunft und Gefühl im Kontext von Überredung und Überzeugung hat laut Charaudeau ihren Ursprung in der aristotelischen Rhetorik (vgl. Charaudeau 2005: 62). Auf dieser Grundlage hat sich die Unterscheidung zwischen conviction einerseits und persuasion andererseits durchgesetzt. Eine vom Logos dominierte Argumentationsführung zielt dieser Differenzierung zufolge auf eine conviction während die Überzeugungsmittel Ethos und Pathos die persuasion herbeiführen (vgl. Charaudeau 2005: 62; Amossy 22006: 180).

Die Untersuchungsschritte der nachstehenden Korpusanalyse orientieren sich eng an den Beiträgen von Ruth Amossy und Patrick Charaudeau zu Emotionen in Argumentationskontexten (vgl. Amossy 22006; Charaudeau 2000, 2005). Während im Dictionnaire de l’analyse de discours Emotionen in Interaktionen nach einem pragmalinguistischen Ansatz in communication émotive (intendiert) und communication émotionelle (nicht intendiert) unterteilt werden (vgl. Charaudeau/Maingueneau 2002:

218), gehen Amossy und Charaudeau unter diskursanalytischen Gesichtspunkten von einem rein intentionalen Einsatz von Emotionen in Diskursen aus (vgl. Amossy 22006:

179ff.).46

Amossy insistiert auf der Tatsache, dass es sich beim Pathos um Gefühle handelt, die als Überzeugungsmittel beim Rezipienten evoziert werden: «[...] ce que l’orateur éprouve n’a que peu de pertinence dans ce contexte» (Amossy 22006: 187). Diese Anregung von Gefühlen bei den Zuhörern beruht laut Amossy auf verschiedenen Strategien des Redners. Amossy stellt zunächst ein Verfahren in den Vordergrund, bei dem Gefühle in der Argumentationsführung expressis verbis eingesetzt werden. Unter der Bezeichnung argumenter l’émotion fasst die Linguistin eine Argumentationsführung, die darauf beruht, Gründe anzuführen, die ein Gefühl rechtfertigen. Für die nachfolgende Korpusanalyse ist ferner ein weiteres Verfahren besonders relevant, welches sowohl Amossy als auch Charaudeau beschreiben.

Laut Amossy werden Gefühle beim Rezipienten häufig anhand von Gefühlsäußerungen des Sprechers bzw. durch dessen anrührenden Zustandsbeschreibungen, durch eine inscription de l’affectivité dans le discours hervorgerufen. Mit inscription de l’affectivité meint Ruth Amossy die Vorlage von Identifikationsmustern auf emotionaler Ebene, die auf einen Ansteckungseffekt beim Rezipienten abzielen: «Il faut amener

46 Vgl. dazu Charaudeau: «[...] les émotions sont d’ordre intentionnel [...] celles-ci ne sont pas pour autant totalement irrationnelles et ne sont donc pas réductible à ce qui est de l’ordre de la simple sensation ou de la pulsion irraisonnée» (Charaudeau 2000: 128).

l’auditoire à s’identifier aux sentiments de celui qu’il écoute, ou dont on lui décrit l’état (Amossy 22006: 195).

Dieses Verfahren findet bei Charaudeau eine Parallele in der Bezeichnung des effet de pathémisation. Charaudeau definiert Emotionen unter diskursanalytischen Gesichtspunkten als intentionale mentale Zustände, welche sich als représentations in einer Interaktion manifestieren (vgl. Charaudeau 2000: 132). Ausgehend vom aristotelischen Gedanken des Pathos, des Leids im Überzeugungskontext, begründet Charaudeau seine Termini pathémisation und pathémique (Charaudeau 2000: 137).

Zunächst unabhängig vom Kontext eines Diskurses erklärt er seine Betrachtung einer représentation pathémique:

[...] je dirai qu’une représentation peut être dite “pathémique” lorsqu’elle décrit une situation à propos de laquelle un jugement de valeur collectivement partagé – et donc institué en norme sociale – met en cause un actant qui se trouve être bénéficiaire ou victime, et auquel le sujet de la représentation se trouve lié d’une façon ou d’une autre [...]

(Charaudeau 2000: 133).

Charaudeau bezeichnet folglich eine Vorstellung als pathémique, wenn die Beschreibung einer Situation nach Kriterien gesellschaftlicher Normen eine Verbindung zwischen einer allgemein gültigen Bewertung und einem Akteur herstellt, welcher entweder Nutznießer oder Opfer einer Situation ist. Als Beispiel für eine solche Situation nennt er einen Unfall, der die Vorstellung von leidenden Menschen weckt und somit je nach der Beziehung zu den Unfallopfern ein mehr oder weniger starkes Mitleid diesen Personen gegenüber zur Konsequenz hat (vgl. Charaudeau 2000: 133). Diese représentations pathémiques können argumentativ eingesetzt werden, indem der Sprecher durch eine Beschreibung oder Manifestierung seines gefühlsgeladenen Zustands auf einen effet de pathémisation bei seinem Rezipienten setzt (vgl.

Charaudeau 2000: 136). Der effet de pathémisation sowie seine Intensität hängen laut Charaudeau vom Zusammenspiel zwischen den Kommunikationspartnern ab – ein Grundgedanke, der dem obigen Zitat Pascals sowie der Machtkonzeption Bourdieus entspricht. Sowohl Ruth Amossy als auch Patrick Charaudeau stellen demzufolge Argumentationsstrategien im Rückgriff auf Emotionen in den Vordergrund, welche auf eine empathische Natur des Rezipienten setzen.47

47 In der nachfolgenden Korpusanalyse werden die Termini pathémisation und inscription de l’affectivité weitgehend synonym gebraucht.

3. Korpusanalyse

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