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2. Literaturübersicht

2.7. M INERALSTOFFWECHSEL

2.7.2. K ALZIUM

2.7.2.2. G EBÄRPARESE UND SUBKLINISCHE H YPOKALZÄMIE

Die Gebärparese (GP) ist eine akut bis perakut verlaufende Regulationsstörung des Elektrolytstoffwechsels bei meist älteren Tieren. Charakteristisch ist hierbei die meist von einer Senkung des Serumphosphorgehaltes begleitete Hypokalzämie, die sich klinisch in einer bis zum Festliegen fortschreitenden Lähmung der quergestreiften und glatten Muskulatur, Kreislaufschwäche und zunehmender Trübung des Bewusstseins äußert. Die GP tritt im unmittelbaren peripartalen Zeitraum (+/-3 d) auf.

Ein Maximum der Erkrankungshäufigkeit ist dabei innerhalb der ersten 24 h p.p. zu beobachten (BOSTEDT 1973, MULLEN 1975, HOLZHAUSEN 1991). Über die Gebärpareseinzidenz liegen im Schrifttum eine Reihe von Angaben vor. Sie schwanken von 1,5 % (MARKUSFELD 1990) über 9 % (GOFF et al. 1988) bis zu 50 % (ROSSOW u. HORVATH 1988) für die einzelnen Herden, wobei neben regionalen Faktoren besonders betriebsspezifische Unterschiede eine Rolle spielen.

Die GP gehört zu der Art von Krankheiten, die infolge abnehmender

Regulationsvarianz im Stoffwechselbereich mit steigendem Alter der Tiere an Häufigkeit zunimmt. So gibt STÖBER (1994b) eine Gebärpareseinzidenz von 0,5 % bei Kühen nach der zweiten Abkalbung und eine solche von 20 % bei Muttertieren nach der neunten Geburt an. Die GP ist von erheblicher ökonomischer Bedeutung.

Diese entsteht direkt durch Tierverluste, Behandlungskosten und indirekt durch Leistungsminderung in der folgenden Laktation. Weiterhin kann die GP prädisponierend für weitere Erkrankungen wie beispielsweise das Fettmobilisationssyndrom sein (ZAPPERITZ et al. 1996). GRÖHN et al. (1989) und CORREA et al. (1993) fanden infolge einer GP ein höheres Risiko für das Auftreten einer Ketose bzw. einer Labmagenverlagerung. Auch MASSAY et al. (1993) beobachteten ein über viermal höheres Risiko an einer linkseitigen Labmagenverlagerung zu erkranken (siehe dazu auch Tabelle 3).

GOFF et al. (1987) beziffern die jährlichen Behandlungskosten in den USA auf 15 Millionen US-$, die indirekten Kosten auf über 120 Millionen US-$. Subklinische Hypokalzämien dürfen dabei nicht unterschätzt werden. Untersuchungen von BEEDE (1992) haben gezeigt, daß in gut geführten Herden, die kaum Probleme mit klinischen Gebärparesen und Ketosen hatten, pro Kuh 230-450 kg mehr Milch in der folgenden Lakation erzielt werden konnten, wenn subklinische Hypokalzämien vermieden wurden. Wenn auch nur in einer milderen Form, können Hypokalzämien dieselben Folgeprobleme wie die Gebärparese haben (GOFF 1992). Insbesondere ist die Trockensubstanz-Aufnahme gerade in der kritischen Phase nach der Geburt reduziert, wodurch Milch- und Fruchtbarkeitsleistungen negativ beeinflußt werden.

Nach GOFF (1992) beeinträchtigen die subklinischen Hypokalzämien, welche viel häufiger als eine klinische GP vorkommen, im Endeffekt die Herdengesundheit fast so stark, wenn nicht sogar stärker als die klinisch manifeste Hypokalzämien. Daraus wird ersichtlich, wie wichtig die Prävention zur Verminderung der ökonomischen Verluste ist (BLOCK 1994).

Tabelle 3: Peripartale Gesundheitsprobleme in Abhängigkeit von der Gebärparese Odds ratio 1) Dystokie Ret. sec. LMV li Ketose Mastitis Quelle

GP- ja (GP= 4,3 %;

n= 2190, HF)

6,5* 3,2* 3,4*** 8,9* 8,1*

9,0**

(Koli-mastitis)

CURTIS et al.

1983

* :P< 0,0001 ; ** : P< 0,005 ; ***: P< 0,06 ; 1) : Wahrscheinlichkeitsfaktor. Gibt an, wievielfach größer die Wahrscheinlichkeit für ein milchfiebererkranktes Tier ist, eine der aufgeführten Erkrankungen zu erleiden als für ein nicht an Milchfieber erkranktes bzw. normokalzämisches Tier. GP= Gebärparese, HF= Holstein-Friesian, LMV li= linksseitige Labmagenverlagerung, Ret. sec.= Nachgeburtsverhaltung

Ätiologie und Pathogenese

Bereits unter normalen Bedingungen intra- und unmittelbar post partum kommt es temporär zu einer Reduktion der Ca- und anorganischen Phosphat- sowie leichten Erhöhung der Mg-Konzentration. Entscheidener pathogenetischer Aspekt ist die zum Zeitpunkt um den Partus ungenügende Adaptation des Mineralstoffhaushaltes, Kalzium und Phosphor aus dem Skelett zu mobilisieren sowie aus dem Darm zu resorbieren. Die Lokalisation des Defektes im Ca-Stoffwechsel konnte bisher nicht exakt bestimmt werden. Bei GP-erkrankten Kühen, wie auch bei nicht betroffenen Tieren, ist eine ähnlich hohe Ca-Sekretion in die Milch registriert worden. Dies lässt eine exzessive Ca-Sekretion als primäre Ursache der GP in Frage stellen (HIBBS et al. 1951). Die Ausscheidung des Ca über die Milch kann ebenso nicht alleinige Ursache für den Ca-Abfall im Blutplasma sein, da dieser schon ca. 5 Tage a. p.

beginnt (FÜRLL et al. 1994).

Bei gesunden und an GP erkrankten Kühen sind gleichartig hohe PTH- und 1,25(OH)2D3-Konzentrationen nachweisbar (GOFF et al. 1991b; HORST et al. 1994).

Diese Tatsache weist auf anderweitige Ursachen hin als auf einen Mangel calzitropher Hormone. Eine mögliche Überproduktion von Kalzitonin konnte als GP-Ursache ebenfalls widerlegt werden (MAYER et al. 1975).

Die Anzahl bzw. die Ansprechbarkeit dewr 1,25(OH)2D3-Rezeptoren spielen ebenso eine Rolle bei der Entstehung der GP (GOFF et al. 1991b/1986). Neben der Verringerung der Anzahl mit steigendem Alter, nimmt ihre Dichte im Interstitium unmittelbar vor der Geburt sehr stark ab, wenn auch während der Trächtigkeit ein Ansteigen ihrer Zahl zu beobachten ist (GOFF et al. 1991b). Jedoch liegen bei

gesunden und an GP erkrankten Kühen gleichen Alters keine unterschiedlichen Konzentrationen dieser Rezeptoren vor (GOFF et al. 1991b).

Die hohe Östrogensynthese durch die Plazenta ab dem 30. Tag a.p. (SABA 1964) hat ebenfalls eine negative Beeinflussung der Kalziumhomöostase zur Folge. Der Serumöstradiolspiegel zeigt im peripartalen Zeitraum eine negative Korrelation zur Blutkalziumkonzentration. Daraus ergibt sich ein möglicher Einfluß des Serumöstradiols bei der Pathogenese der GP (PYÖRÄLÄ et al. 1992). Hohe Östrogenkonzentrationen sind mit vermindertem Appetit und reduzierter intestinaler Absorption verbunden. Außerdem hemmen sie die Ca-Mobilisation aus dem Skelett (LAFFERTY et al. 1964).

Von nicht zu unterschätzender Wirkung ist auch die besonders bei älteren Kühen peripartal zu beobachtende Störung der Verdauungstätigkeit, die sich in verminderter Nahrungsaufnahme und herabgesetzter Pansenmotorik (DIRKSEN u. KAUFMANN 1977) äußert. Die Inappetenz ist bei a.p energetisch intensiv gefütterten Kühen noch verstärkt (VAN DE BRAAK et al. 1986).

Als wichtigste Ursachen werden zwei wesentliche Dinge in der Fütterung der Kühe während der Trockenstehperiode für die Entstehung einer GP genannt. Zum einen wird ein hohes Ca-Angebot in der Fütterung der Trockensteher als Ursache beschrieben (FÜRLL et al. 1996; KOLB 1983). Grundsätzlich kann mit dem Futter aufgenommenes Ca durch passive Diffusion oder einen aktiven Transportmechanismus in die Blutbahn gelangen. Bei hohem Ca-Gehalt der Nahrung wird bevorzugt die passive Diffusion gewählt. Die aktive Absorption aus dem Darm, sowie die aktive Resorption aus den Knochen werden hierdurch unterdrückt.

Zum anderen sehen HORST et al. (1997) und GOFF (2000) in einer Veränderung der PTH-Rezeptorstruktur in den Zielgeweben infolge einer metabolischen Alkalose, welche bei kationenreicher Ration entstehen kann (GOFF u. HORST 1997a) eine mögliche Ursache, da das Zielgewebe nicht adäquat auf das PTH reagieren kann.

Die Parathormonsekretion scheint vom pH-Wert abhängig zu sein. Eine metabolische Alkalose senkt die Ansprechbarkeit der Zelle auf Parathormon, eine metabolische Acidose erhöht sie. Daher fördert eine azidotische Stoffwechsellage die Ca-Absorption im Darm und die Ca-Mobilisierung aus dem Skelett, während eine alkalotische Stoffwechsellage das Gegenteil bewirkt (HORST et al. 1997).