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Forschungsgegenstände

Ausstellungen: Zum Stand der empirischen Forschung

5.1 Forschungsgegenstände

Wenn ich nun die Gegenstände von Studien im Bereich der Besuchendenfor-schung systematisiere, so meine ich mit Gegenständen in erster Linie zugrunde liegende Forschungsfragen/-anliegen, bei ausgesprochen weiten Forschungsfra-gen im Rahmen qualitativer Vorhaben bisweilen jedoch auch die thematischen Bereiche, in denen sich anschliessend die Analyse bewegt.611 In der Literatur wer-den verschiewer-dene Wege beschritten, um die Vielfalt an bearbeiteten Forschungs-gegenständen zu systematisieren. Einer davon ist die von Annette Noschka-Roos vorgeschlagene Differenzierung in «Besucherstrukturanalysen», «Evaluationsstu-dien» und «Besucherforschung als Grundlagenforschung».612

Erstgenannte Studien zielen auf die Erhebung soziodemografischer und wei-terer mitgebrachter Merkmale der Besuchenden, um Einblicke darüber zu geben,

«welche Besucher kommen bzw. fernbleiben, welche Motive dem zugrundeliegen, oder welche Interessen und Vorkenntnisse Besucher zu einem bestimmten Aus-stellungsthema haben».613 Vielfach werden solche Besucherstrukturanalysen von Museen selbst oder von zu diesem Zweck engagierten Marktforschungsunterneh-men durchgeführt.614 Insbesondere in den USA haben die «marketingorientierten

611 Beispielsweise nennt Victoria Bishop Kendzia in Bezug auf Besuchende des Jüdischen Muse-ums in Berlin zunächst recht allgemein das Anliegen, «to understand how Berlin-based high school students approach this museum and the history it presents», dem sie sich mittels Groun-ded Theory zuwendet und auf diesem Weg schliesslich auf den Umgang der Besuchenden mit Architektur, Objekten, interaktiven Elementen und Informationsfülle zu sprechen kommt (Bishop Kendzia 2011, S. 51 und S. 54 ff.; direktes Zitat: S. 51). In solchen Fällen einer zunächst recht unspezifischen Forschungsfrage erscheint es mir hilfreich, für die Identifizierung behan-delter Themen auch die Bereiche der Datenanalyse zu berücksichtigen, ohne dabei im engeren Sinn bereits Ergebnisse zu rezipieren. Dies ist erst Gegenstand von Abschnitt 5.3.

612 Noschka-Roos 1994, S.163, 168, 172. Nach Besucherstrukturanalysen und Evaluations-forschung differenziert auch Hoffrichter 1998, S. 109.

613 Noschka-Roos 1994, S. 168.

614 Macdonald 2011, S. 240. Beispielhaft für Museen der Stadt Köln: Hoffrichter 1998.

Besucherstrukturanalysen» eine bis in die 1920er-Jahre zurückreichende Tradi-tion,615 wie Horst Hoffrichter zeigt, ergänzt um einen weiteren Zweig, «dessen Ziel es ist, die kulturellen Vermittlungsprozesse in Museen zu fördern», und die

«der sozialwissenschaftlichen Evaluationsforschung (Wirkungsforschung) zuge-ordnet» werden könnten.616 Diese Studien entsprechen dem zweiten von Noschka-Roos benannten Bereich. Hierzu zählt sie «Untersuchungen, welche die Wirkung von Ausstellungselementen auf Besucher erforschen und damit u.a. die Wirksam-keit methodischer Massnahmen beantworten».617 Während sie den beiden bereits beschriebenen Studientypen «den Charakter einer wissenschaftlichen Begleitfor-schung von Ausstellungen» zuweist, sei neben «dieser anwendungsbezogenen Funktion» noch eine dritte Gruppe von Besucherstudien festzustellen, nämlich eine Gruppe, «die explizit im Sinne einer Grundlagenforschung arbeitet, um die Bedingungen des Lernens an diesem Ort wissenschaftlich aufzuklären».618

Die Unterscheidung in Besucherstrukturanalysen, Evaluationsstudien und Grundlagenforschung stellt einen möglichen Weg dar, um das Feld empirischer Arbeiten zu systematisieren und zu strukturieren. In einem jüngeren Beitrag von Annette Noschka-Roos, gemeinsam mit Doris Lewalter, finden sich Anregungen für zwei weitere mögliche Unterscheidungen. Zum einen unterscheiden die Au-torinnen Studien dahingehend, ob ihnen ein instruktionales/behavioristisches oder eher konstruktivistisches Verständnis des Lernens und Aneignens im Museum zugrunde liegt.619 Eine entsprechende Differenzierung erscheint mir allerdings für einen aktuellen Forschungsüberblick derzeit nicht zielführend, da erstgenannte Zugänge aus der aktuellen Forschungslandschaft nahezu vollständig verschwun-den zu sein scheinen.620

615 Im Vergleich zur verhältnismässig langen Tradition der Besucherforschung in den USA sieht Hoffrichter den «Aufschwung» der Besucherforschung in Deutschland in den 1970er-Jahren und assoziiert diesen vor allem mit den Soziologen Heiner Treinen und Hans-Joachim Klein sowie dem Berliner Institut für Museumskunde (Hoffrichter 1998, S. 109). Zu einem ähn-lichen Gesamteindruck kommt Noschka-Roos (Noschka-Roos 1994, S. 165).

616 Hoffrichter 1998, S. 109.

617 Noschka-Roos 1994, S. 168.

618 Noschka-Roos 1994, S. 172.

619 Analog zu den weiter oben bereits vorgestellten theoretischen Überlegungen zum Lernen bzw. Aneignen im Museum (vgl. Abschnitt 3.2). Diese Unterscheidung findet sich, wie im genannten Abschnitt differenzierter dargelegt, bei: Falk/Dierking/Adams 2006; Hooper-Greenhill 2006; Noschka-Roos/Lewalter 2013.

620 So formuliert Eckart Liebau etwa den Eindruck, dass behavioristische Zugänge «heute als geradezu rührend altmodisch und überholt» eingeschätzt würden (Liebau 2012, S. 39).

Ebenfalls festgestellt wird eine deutliche Verschiebung bei Macdonald 2009, S. 242.

Weiter regen die Autorinnen an, danach zu unterscheiden, ob eher Prozesse oder Ergebnisse der Museumsnutzung in den Blick genommen werden.621 Diese Differenzierung greife ich für meinen nachfolgenden Forschungsüberblick auf, da sie mir später erlaubt, mein eigenes Forschungsvorhaben innerhalb der prozess-orientierten Anliegen zu verorten. Allerdings ergänze ich die von Noschka-Roos/

Lewalter vorgeschlagene Unterscheidung in Prozesse und Ergebnisse der Muse-umsnutzung um eine dritte Variante, die mir ausgehend von einem Blick in die Forschungssituation notwendig erscheint. So interessieren sich viele konstruktivis-tisch angelegte Studien statt oder neben Prozessen und Ergebnissen auch für die Ausgangslage der Museumsnutzung, also für Voraussetzungen auf Ebene der Be-suchenden.

Die beschriebene Dreiteilung von Anliegen entspricht dem jüngst von Chris-tian Kohler vorgelegten und weiter oben bereits beschriebenen domänenspezifi-schen Modell des musealen Lernens,622 in dem er den Prozess musealen Lernens in drei Aspekte bzw. Phasen untergliedert: die «Lernvoraussetzungen», den «Re-zeptions- bzw. Lernprozess» und schliesslich die «Lernergebnisse».623 Kohler selbst möchte es als «Rahmenmodell für die Untersuchung und Analyse des ge-samten Lernprozesses oder einzelner Aspekte» verstanden wissen.624 Das von ihm vorgeschlagene Modell ist nicht nur geeignet, um Aneignungsprozesse in einzelne Phasen bzw. Dimensionen zu segmentieren, sondern gleichzeitig auch die zuge-hörige empirische Forschung nach den jeweils schwerpunktmässig verfolgten In-teressen zu systematisieren.

Eine entsprechende Dreigliederung stellt eine systematischere Alternative zu der weiter oben genannten Differenzierung in Besucherstrukturanalysen, Evalua-tionsstudien und Grundlagenforschung dar bzw. ist geeignet, diese Typen in sich aufzunehmen. So liessen sich Besucherstrukturanalysen tendenziell der ausgangs-lagen-/voraussetzungsorientierten Forschung zuordnen, Evaluationsstudien mit

621 Roos/Lewalter 2013, S. 206 ff. Allerdings gehe ich in Abgrenzung zu Noschka-Roos und Lewalter davon aus, dass eine Fokussierung auf Lernergebnisse nicht per se gleichbedeutend sein muss mit einem instruktionalen Lernverständnis, vor allem aber um-gekehrt eine Fokussierung auf Lernprozesse nicht gleichbedeutend mit einem konstrukti-vistischen Lernverständnis sein muss.

622 Kohler 2016, S. 70; vgl. Abschnitt 3.2.

623 Kohler 2016, S.  70. In Abweichung zu Kohler spreche ich selbst allerdings nicht von Lernvoraussetzungen, sondern lediglich von Voraussetzungen usw., um den weiter oben ausgeführten bedingten Vorbehalten gegenüber dem Lernbegriff im Kontext meines Pro-jekts Rechnung zu tragen (vgl. Abschnitt 3.2).

624 Kohler 2016, S. 69.

ihrem Blick auf Effekte der ergebnisorientierten Betrachtung. Grundlagenfor-schung kann innerhalb von allen drei Perspektiven erfolgen und sich Vorausset-zungen, Prozessen oder Ergebnissen von Museums- bzw. Ausstellungsbesuchen zuwenden.

Tabelle 1 im digitalen Anhang stellt die drei möglichen Fokussierungen ein-ander gegenüber, zergliedert sie weiter in Teilbereiche und nennt jeweils zugehö-rige Studien. Dass sich Studien mehr als einer der drei Ebenen zuordnen lassen, erweist sich dabei eher als Regel denn als Ausnahme. Die einzelnen Bereiche werden nachfolgend näher beschrieben.

Zu Studien mit Interesse für Ausgangslage und Voraussetzungen des Muse-umsbesuchs gehören zunächst einmal Erhebungen, in denen die soziodemografi-schen Daten von Besuchenden erfasst werden, beispielsweise um einen Überblick über Alters- und Geschlechtsverteilung oder Bildungshintergründe zu erhalten.

In vielen wissenschaftlichen Studien liegt die Erhebung von soziodemografischen Daten allerdings nicht im Zentrum des Forschungsinteresses, sondern dient der Einordnung eines Samples, an das weitere Fragen herangetragen werden.625

Studien zu den Voraussetzungen von Besuchen interessieren sich ausserdem beispielsweise dafür, welches Wissen, Vorverständnis, welche Konzepte oder Ein-stellungen Besuchende in Bezug auf ein ausgestelltes Thema mitbringen, welche Erwartungen, Gründe und Motivation dem Besuch eines Museums oder einer Gedenkstätte zugrunde liegen oder welche Einstellungen gegenüber der Manifes-tation Museum bzw. Vorstellungen von der ManifesManifes-tation Museum Besuchende mitbringen.626 Häufig beziehen sich die Untersuchungen dabei auf Besuchende einer spezifischen Einrichtung.627

625 So auch in meiner Untersuchung. Ich komme auf ausgewählte Befunde von Besucherstruk-turanalysen weiter unten zu sprechen, wenn ich mein eigenes Sample charakterisiere und einordne (vgl. Abschnitt 6.2).

626 In diesen Feldern bewegen sich beispielsweise folgende Studien: Adams 1999, zit. n. Falk/

Dierking/Adams 2006; Falk 2006; Falk/Dierking/Adams 2006; Höge 2006; Pampel 2007; Pleitner 2008; Christmeier/Reither 2009, S. 135; Christmeier 2011, S. 313; Marx/

Sauer 2011; Schönert/Weckwerth 2011, S. 294 ff.; Lenz/Talsnes 2014, S. 99 f.; Paufler-Gerlach 2014; Kohler 2016. Für eine differenzierte Zuordnung der einzelnen Studien zu den genannten Feldern siehe Tabelle 1 im elektronischen Anhang.

627 So beforschen beispielsweise Martina Christmeier und Ingmar Reither Besuchende des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Christmeier 2011;

Christmeier/Reither 2009), Volker Schönert und Susanne Weckwerth Besuchende des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden (Schönert/Weckwerth 2011).

Studien, die sich mit der Ausgangslage des Museums- bzw. Ausstellungsbe-suchs beschäftigen, erweisen sich als sensibel dafür, dass Besuchende weder eine tabula rasa sind noch alle Besuchenden identische Voraussetzungen mitbringen – eine Vorstellung, die für eher behavioristisch und instruktionistisch orientierte Arbeiten leitend wäre.628 Stattdessen kommen die vielfältigen Bedingungen in den Blick, die das Erlebnis des Besuchs prägen können. Wie weiter oben bereits ein-geführt, schlagen John F. Falk und Lynn D. Dierking, teilweise mit Marianna Adams, eine Systematisierung für diese zahlreichen Faktoren vor, nämlich unter-scheiden sie nach «Personal Context», «Sociocultural Context» und «Physical Con-text» des Lernens im Museum,629 wobei der zweit- und der drittgenannte Faktor in der von mir verwendeten Dreigliederung bereits den Prozess des Museumsbe-suchs berühren. Konkret differenzieren Falk und Dierking innerhalb dieser drei Bereiche insgesamt acht Schlüsselfaktoren, nämlich

innerhalb des Personal Context in «Motivation and expectations», «Prior knowledge, interests, and beliefs» und «Choice and control»,

innerhalb des Sociocultural Context in «Within-group sociocultural mediati-on» und «Facilitated mediation by others» und

innerhalb des Physical Context in «Advance organizers and orientation», «De-sign» und «Reinforcing events and experiences outside the museum».630 Wird, wie weiter oben angeführt, von Studien beispielsweise nach dem von Besu-chenden mitgebrachten Vorverständnis, ihren Interessen und Erwartungen ge-fragt, so wären diese Forschungsinteressen nach dieser Kategorisierung dem per-sonal context zuzurechnen.

Die Vielfalt von Bedingungsfaktoren eines Museums-/Ausstellungsbesuchs im Blick zu behalten, ist, so bemerkt Sharon Macdonald, gleichzeitig geboten wie auch herausforderungsreich: «Trying to understand this variability and the factors that may influence it is a major task of current museum eduational research. […]

Trying to incorporate even some of these factors into an analysis is clearly extre-mely difficult.»631 So erscheint es nicht verwunderlich, dass sich empirische Studi-en in der Regel lediglich auf Teilbereiche des Bedingungsgefüges fokussierStudi-en.

628 Vgl. hierzu die Ausführungen in Abschnitt 3.2.

629 Falk/Dierking 2000, insb. S. 15 ff. und 135 ff., direkte Zitate: S. 137, Kursivsetzung ana-log zum Original. Hierzu ausserdem: Falk/Dierking 1997; Falk/Dierking/Adams 2006, S. 327.

630 Falk/Dierking 2000, S. 136 f., direkte Zitate S. 137.

631 Macdonald 2006, S. 321.

Neben den an der Ausgangslage interessierten Forschungsarbeiten bilden eine zweite Gruppe, nun am Ende des Besuchsverlaufs angesiedelt, solche Arbeiten mit Blick auf die Ergebnisse von Museumsbesuchen. In dieser Gruppe fällt auf, dass die Erhebung von deklarativem Wissen in Bezug auf das ausgestellte Thema oder auf Geschichte im Allgemeinen nur für einen geringen Teil der rezipierten Studien überhaupt eine Rolle spielt632 oder dass sie anders benannt wird.633 Erhoben wer-den stattdessen etwa Einstellungen in Bezug auf Geschichte oder ein Thema und der Umgang der Besuchenden damit,634 Konzepte,635 Motivation oder Interesse an einem Thema,636 allgemein gemachte Erfahrungen mit oder Wahrnehmungen der Ausstellung.637 Weiter geht es um die Bewertung von besuchten Museen, Ausstellungen oder Programmen durch die Besuchenden,638 auch im Kontext von erfüllten oder unerfüllten Erwartungen,639 und um die Reflexion der Besuchenden über eigene Lern-/Aneignungsprozesse.640

Nur idealtypisch abgrenzbar von den geschilderten ergebnisorientierten Anliegen sind solche, die sich den Prozessen eines Museums- bzw. Ausstellungsbe-suchs widmen. Stark vereinfacht ausgedrückt, geht es ergebnisorientierten For-schungsvorhaben um die Klärung des «Was?», prozessorientierten Anliegen demgegenüber um die Frage des «Wie?» der Rezeption und Aneignung, wobei beide Perspektiven selbstredend in einem wechselseitigen Interdependenzverhält-nis stehen, in der Praxis miteinander verwoben sind und von vielen Studien gemeinschaftlich behandelt werden. Allerdings gibt es durchaus Unterschiede da-hingehend, wie unmittelbar Studien ihre Befunde über entstehende  Sinnbil-dungen, Einstellungen, Konzepte usw. an den konkreten Verlauf des Museums-besuchs und an die Ausstellung als Manifestation zurückbinden. Prozessbezogene Forschung ist sensibel für die Interaktion der Besuchenden mit dem jeweiligen

632 Christmeier/Reither 2009, S. 136; Marx/Sauer 2011, S. 62.

633 Volker Schönert und Susanne Weckwerth fragten Besuchende des Hygiene-Museums in Dresden unter anderem danach, was sie «Neues erfahren» hätten (Schönert/Weckwerth 2011, S. 302). An anderer Stelle heisst es allerdings, es gehe nicht darum, das Gelernte zu erheben (ebd., S. 293).

634 Marx/Sauer 2011; Klein 2011.

635 Adams 1999 zit. n. Falk/Dierking/Adams 2006; Falk/Dierking/Adams 2006.

636 Lewalter 2009; Marx/Sauer 2011; Schönert/Weckwerth 2011.

637 Klein 2011; Pleitner 2011; Schönert/Weckwerth 2011.

638 Christmeier 2011, S. 311 f.; Franz/Siegele/Warmbold 2011, S. 332 f.; Schönert/Weck-werth 2011, S. 284, S. 297 f.; Klein 2011.

639 Lenz/Talsnes 2014, S. 99 ff.

640 Pleitner 2011; Lenz/Talsnes 2014.

physical context, für die ausstellungsseitig vorhandenen Bedingungen des Aneig-nens.641 Mit eng prozessbezogenen Anliegen liesse sich dann etwa fragen: Wie und auf welchem Weg gehen Besuchende durch eine Ausstellung? Welche Elemente wecken dabei ihre Aufmerksamkeit und warum? Welche Elemente führen zu wel-chen Deutungen? Welche Elemente evozieren Vorwissen?

So betrachten manche Studien Verhalten im Raum, etwa die Bewegungsmus-ter bzw. Laufwege von Besuchenden,642 teilweise verstanden als Indizien für Inte-resse oder Strategien der Auseinandersetzung, und fragen nach der Bedeutung von Raum und Architektur im Besuchsverlauf.643 Zahlreiche Arbeiten interessieren sich für die Rolle von Ausstellungselementen, u. a. Quellen, und den Umgang der Besuchenden mit diesen Elementen,644 teilweise verbunden mit der Frage nach der

641 Interessanter Ausgangspunkt hierfür könnten im Übrigen Arbeiten sein, die im Bereich der Museumsanalysen entstehen und dort die ausstellungsseitig vorhandene Angebotsstruktur in den Blick nehmen und die bislang kaum systematisch mit einer Erforschung der Nutzungs-seite zusammengedacht werden. Museumsanalysen stellen (wie im Übrigen auch Denkmals-analysen) ein stetig wachsendes und heterogenes Forschungsfeld dar, auf das ich an dieser Stelle nicht näher eingehe, obwohl es nach der hier vorgestellten Systematik der Analyse des physical context zugerechnet werden kann und insofern durchaus erwähnenswert ist. Da ich mich mit meinem Forschungsüberblick jedoch auf die Nutzungsperspektive, weniger die Angebotsperspektive von Museen fokussieren möchte, verweise ich lediglich auf einige ein-schlägige Publikationen. Für Einblicke in Methoden und Zugänge der Museums analyse empfiehlt sich der Sammelband von Baur 2010. Ausgewählte Analysen konkreter Museen finden sich beispielsweise bei: Hass 2002; Pieper 2006; Köhr 2012; Pohl 2013.

642 Wolf 1980, zit. n. Noschka-Roos 1994, S. 155; Serrell/Associates 2010; Bishop Kendzia 2011; Heikkilä et al. 2011; Wise 2011, S. 21 ff.; Röttele 2017.

Ein Bereich, den ich in meinem Forschungsüberblick nur am Rande berücksichtigen kann, sind Studien, welche Steven S. Yalowitz und Kerry Bronnenkant im Rahmen einer Metadar-stellung unter dem Dach «timing and tracking» zusammenfassen (Yalowitz/Bronnenkant 2009, S. 47). Die Anfänge dieser Forschung verorten Yalowitz/Bronnenkant – vermutlich bezogen auf die USA – in den 1920er-Jahren und konstatieren dann ab den 1980er-Jahren einen rasanten Anstieg (ebd., S. 47). Zum Feld des «Timing and Tracking» ordnen sie Stu-dien mit Interesse für unter anderem folgende Aspekte zu: «Total time in area», «Total number of stops», «Proportion of visitors who stop at a specific element», «Time (min:sec) of a stop at a specific element», «‹Down time› or non-exhibit related behaviors», «Visitor path» (ebd., S. 49 f.). Derartigen Studien liegt somit ein formales Interesse an Verweilzeiten und -häufigkeiten zugrunde. Eine Metaanalyse empirischer Studien zum Thema findet sich bei Beverly Serrell (Serrell 1998, zit. n. Rounds 2004, S. 401; Rounds 2004, S. 401). Da in meiner Forschung das gesprochene Wort der Besuchenden bzw. die geäusserten Gedanken im Fokus stehen und nicht das non-verbale Verhalten im Raum – auch wenn ich zur Einord-nung der Daten knapp auch auf diese Aspekte zu sprechen komme (vgl. Abschnitt 8.3) –, verzichte ich auf die detaillierte Aufarbeitung des zugehörigen Forschungsfelds.

643 Christmeier 2011; Bishop Kendzia 2011.

644 Rowe 2002; Bishop Kendzia 2011; Christmeier 2011, S. 320 ff.; Wise 2011, S. 9, v. a.

S. 90 ff.; Wagner 2013; Röttele 2017.

Bedeutung von Echtheit/Originalität/Authentizität von Objekten.645 Manche Studien interessieren sich für Fragen der Objekt-/Informationsauswahl bzw. des Umgangs mit Informationsfülle.646 Eine ganze Reihe von Studien betrachtet das Vorkommen oder die Rolle von Emotionen und Empathie647 oder (sinnlicher) Wahrnehmung648 beim Museums-, Ausstellungs- oder Gedenkstättenbesuch. Vie-le Studien gehen noch nicht mit einem stark gerichteten Interesse in die Erhebung, sondern fragen möglichst offen etwa nach den beim Besuch auftretenden Erfah-rungen649 oder «sense-making processes»,650 die dann ausgehend vom Datenma-terial ausdifferenziert werden. Eine kleine Anzahl von Studien widmet sich zudem namentlich dem historischen Denken beim Ausstellungsbesuch651 oder spezifi-scher noch der Anwendung von Kompetenzen historischen Denkens.652

Am Besuchserlebnis und -verlauf interessierte Forschungen, zu denen auch meine Arbeit gehört, scheinen mit Blick auf das breite Spektrum der bearbeiteten Themen bereits umfangreich erforscht zu sein.653 Das eigentliche Forschungsde-siderat offenbart sich erst mit Blick auf die für die Bearbeitung der jeweiligen Anliegen ausgewählten Methoden. Für die Bearbeitung solcher eng am Besuchs-erlebnis orientierter Anliegen wird nämlich, wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde, nur bedingt auf eine prozessorientierte Erhebungsmethodik gesetzt, wer-den viele Aspekte ganz im Gegenteil retrospektiv im Anschluss an wer-den Besuch oder lediglich auf beobachtendem Weg erhoben.

645 Bishop Kendzia 2011.

646 Bishop Kendzia 2011; Christmeier 2011; Röttele 2017.

647 Erdmann 1994; Ameln-Haffke/Schuster 2006; Höge 2006; Schuster/Ameln-Haffke 2006; Bishop Kendzia 2011; Christmeier 2011; Heikkilä et al. 2011; Klein 2011; Schö-nert/Weckwerth 2011.

648 Erdmann 1994; Röttele 2017.

649 Pampel 2007, S. 18 f., S. 235 ff.; Bishop Kendzia 2011.

650 Wise 2011, S. 9, S. 90 ff.

651 Wise 2011.

652 Schreiber et al. 2015.

653 Etwas anders stellt sich die Lage offenbar für empirische Studien zu Gedenkstättenbesu-chenden dar. So findet sich in einer Auflistung von Bert Pampel, der in Form eines Litera-turreviews die Gegenstände von insgesamt 21 Studien in diesem Bereich zusammenstellt, lediglich ein einziges Forschungsinteresse, das im weitesten Sinn als prozessbezogen be-zeichnet werden könnte, nämlich die «Interaktion zwischen Schülern, Lehrern und Ge-denkstättenmitarbeitern» (Pampel 2011, S. 27 f., direktes Zitat: S. 28). Die Darstellung von Befunden im Bereich «Lerneffekte» nimmt entsprechend in Pampels Artikel den weit-aus grössten Anteil ein (ebd., S. 35 ff., direktes Zitat: S. 35).

5.2 Erhebungsmethoden

Neben den thematischen Zugängen wende ich mich in meinem Forschungsüber-blick den gewählten Erhebungsmethoden zu, die ich ebenfalls in drei Bereiche unterteile: prospektive, retrospektive und prozessbegleitende Methoden. Für die-se Gliederung greife ich auf zwei Vorschläge in der Forschungsliteratur zurück. So unterscheidet Susie Wise Erhebungsmethoden in der Museumsbesuchendenfor-schung anhand zweier Dimensionen, und zwar erstens dahingehend, ob sie Indi-viduen oder Gruppen in den Blick nehmen, und zweitens dahingehend, ob die Erhebung innerhalb der Ausstellungsräumlichkeiten durchgeführt wurde oder ausserhalb davon.654 In eine ähnliche Richtung wie die zweitgenannte Differen-zierung zielt eine Unterscheidung bei Marcel V. Veenman. Dieser systemati-siert Erhebungsmethoden danach, ob die Erfassung interessierender kognitiver Prozesse «[p]rospective», «[c]oncurrent» oder «[r]etrospective» sei.655 Ich greife diese Unterscheidung auf, ergänze allerdings die drei von Veenman vorgeschlage-nen Erhebungszeitpunkte um eivorgeschlage-nen vierten, indem ich die retrospektiven Erhe-bungsmethoden nach unmittelbar retrospektiven Methoden im Anschluss an den Ausstellungsbesuch und retrospektiver Erhebung mit zeitlichem Abstand unter-teile, ausgehend von der Feststellung von Falk, Dierking und Adams, dass auch mit zeitlichem Abstand zum Besuch und in Abhängigkeit von den nachfolgenden Umständen Lernprozesse stattfinden können.656

Tabelle 2 im digitalen Anhang zeigt, dem geschilderten Prinzip folgend, ein-gesetzte Erhebungsformen im Überblick (prospektiv, prozessbegleitend,657 retrospek-tiv I, retrospekretrospek-tiv II) und differenziert überdies, auf dem Vorschlag von Wise auf-bauend, nach den dabei interessierenden Personenkreisen (Individuen oder Gruppen, Schülerinnen und Schüler oder Erwachsene). Innerhalb der in der

Ge-654 Wise 2011, S. 17.

655 Veenman 2005, S. 78 ff., direkte Zitate: S. 78, 80, 83, am Beispiel von Methoden zur Erfassung von Metakognitionen. Diese Unterscheidung wird aufgegriffen von Maria Ban-nert, die «Prospektive Methoden», «Online-Methoden» und «Retrospektive Methoden»

unterscheidet (Bannert 2007, S. 128 ff., direkte Zitate: S. 129, 131, 132). Günter L. Hu-ber und Heinz Mandl differenzieren Methoden in «präaktional», «periaktional» und

«postaktional» (Huber/Mandl 1982, S. 23).

656 Falks/Dierking/Adams 2006, S. 327.

657 In Analogie zu «[c]oncurrent» bei Veenman (Veenman 2005, S. 80, s. o.), unter Entwen-dung der Begrifflichkeit von einer spezifischen online erhebenden Methode, nämlich dem Prozessbegleitenden Lauten Denken (z. B. Wallach/Wolf 2001), das in meiner Studie zum

657 In Analogie zu «[c]oncurrent» bei Veenman (Veenman 2005, S. 80, s. o.), unter Entwen-dung der Begrifflichkeit von einer spezifischen online erhebenden Methode, nämlich dem Prozessbegleitenden Lauten Denken (z. B. Wallach/Wolf 2001), das in meiner Studie zum