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Befunde zur inhaltlichen Gestalt von

Ausstellungen: Zum Stand der empirischen Forschung

5.3 Befunde ausgewählter Studien

5.3.2 Befunde zur inhaltlichen Gestalt von

Ausstellungs besuchen: Kategorisierungen von Besuchserfahrungen jenseits des Erwerbs von Wissensbeständen

Was passiert nun in inhaltlicher Hinsicht im Verlauf von Ausstellungsbesuchen?

Dass diese mehr beinhalten als den Erwerb von deklarativen Beständen eines first-order knowledge und dass sie von der empirischen Besuchendenforschung auch nicht mehr auf diese Funktion reduziert werden, wurde bereits ausgeführt.734 Mehrere Studien versuchen entsprechend, die ganze Bandbreite der beim Ausstel-lungsbesuch möglichen Erfahrungen in ihrer Vielfalt in den Blick zu nehmen.

730 Kohler 2016, S. 209.

731 Wise 2011, S. 75. Kurz darauf beschreibt sie den Zeitpunkt, wann eine Beschriftung gele-sen wird, als variabel (ebd., S. 75).

732 Lewalter/Noschka-Roos 2009, S. 532; ähnlich auch bei Noschka-Roos 2001, S. 89.

733 Vgl. Abschnitt 5.3.5.

734 Vgl. insb. Abschnitt 3.2.

Bereits 1995 stellte Colette Dufresne-Tassé, offensichtlich von einem sehr engen Lernbegriff ausgehend, fest, dass

«for an adult, the most obvious benefit of a visit to the museum is not learning, but a cognitive and intense affective functioning because this determines a series of pleasures not afforded by lerning. The benefit may be:

Aesthetic pleasure, resulting from the observation of beautiful or important objects;

pleasure of recognizing and identifying oneself with what is beautiful, va-luable, rare;

pleasure of using one’s intellectual skills to imagine, remember, acquire knowledge, extend it, reflect, modify one’s ideas;

pleasure of easily overcoming a major difficulty;

pleasure of coming into contact with something new, internalizing it or having new ideas.»735

Eine ganze Bandbreite von Erfahrungen nehmen auch Andrew J. Pekarik, Zahava D. Doering und David A. Karns in den Blick, die sich mit «Satisfying Experiences in Museums» beschäftigen.736 Aus Interviews und Umfragen mit Besuchenden von Smithonian Museums, darunter das Museum of Natural History und das Museum of American History, entwickelten sie, startend mit einem induktiven Vorgehen und anschliessendem mehrstufigem Prozess, ein Set von befriedigenden Besuchs-erfahrungen, die Besuchende entweder vor einem Besuch erwarten oder im Anschluss an diesen rückblickend als befriedigend erlebt feststellen.737 Sie unter-scheiden vier Cluster, nämlich «Object Experiences», «Cognitive Experiences»,

«Instrospective Experiences» und «Social Experiences» und ordnen diesen jeweils zwischen zwei und fünf Erfahrungsdimensionen zu.738 Konkret unterscheiden sie folgende Erfahrungen:

735 Dufresne-Tassé 1995, S. 251.

736 Pekarik et al. 1999.

737 Pekarik et al. 1999, insb. S. 152–156, S. 161, explizite Unterscheidung der zwei Varianten auf S. 152.

738 Pekarik et al. 1999, S. 155 f.

«Object Experiences Seeing ‹the real thing›

Seeing rare/uncommon/valuable things Being moved by beauty

Thinking what it would be like to own such things Continuing my professional development

Cognitive Experiences

Gaining information or knowledge Enriching my understanding Introspective Experiences Imagining other times or places

Reflecting on the meaning of what I was looking at

Recalling my travels/childhood experiences/other memories Feeling a spiritual connection

Feeling a sense of belonging or connectedness Social Experiences

Spending time with friends/family/other people Seeing my children learning new things.»739

Jeweils zwei der Cluster werden als sich tendenziell gegenseitig ausschliessend betrachtet, nämlich zum einen Object Experiences vs. Cognitive Experiences, weil Ausstellungen entweder objekt- oder informationsfokussiert sein könnten, zum anderen Introspective Experiences vs. Social Experiences, da Erstere «enhanced by a quiet environment and ‹inner space›» seien, Zweitere «enhanced by activity and engagement with others».740

Welche Erfahrungen Besuchende tatsächlich in einem Museum als befriedi-gend erleben, hänge von einer Kombination aus drei Faktoren ab, «the availabili-ty of particular experience or availabili-type of experience», «the qualiavailabili-ty or intensiavailabili-ty of that experience» und «individual preference», wobei Letztere unter anderem in Ab-hängigkeit von Alter und Geschlecht variiere.741 Ähnlich wie im Contextual Model

739 Pekarik et al. 1999, S. 155 f.

740 Pekarik et al. 1999, S. 161.

741 Pekarik et al. 1999, S. 164.

of Learning742 wird also auch bei Pekarik et al. die Vielfalt der Einflussfaktoren auf die Erfahrungen im Museum betont und werden in der Person der Besuchenden liegende wie auch ausstellungsseitige und den sozialen Kontext der Besuchssitua-tion einbeziehende Dimensionen genannt.

Die Liste von Erfahrungen beinhaltet mit «Feeling a sense of belonging or connectedness» auch einen Aspekt, den Berit Pleitner in ihrem Datenmaterial als

«identitätsstiftende Funktion» erkennt743 und der in den weiter oben dargestellten theoretischen Überlegungen zu den Dimensionen von Geschichtskultur im All-gemeinen und historischen Museen im Speziellen als ein möglicher Effekt einge-führt wurde.744 Sowohl bei Pleitner als auch bei Pekarik et al. werden in den jeweils beispielhaft angeführten Äusserungen von Besuchenden Bezüge zu regionaler oder nationaler Zugehörigkeit bzw. Herkunft genannt.745

In einer Forschergruppe um Eilean Hooper-Greenhill wurde am Research Center for Museums and Galleries an der Universität Leicester ein ganz ähnliches holistisches Anliegen wie bei Pekarik et al. verfolgt, nämlich die aus Besuchen von Museen (sowie Archiven und Bibliotheken) resultierenden Lernergebnisse in ihrer Gesamtheit abzubilden.746 Im Gegensatz zu Pekarik et al. ist dieses Projekt stärker an Lernergebnissen und weniger an im Besuchsverlauf gemachten Erfahrungen interessiert, verfolgt aber einen ähnlich ganzheitlichen Zugriff. Das Projekt zeitig-te, unter Einbzug von 15 als repräsentativ eingestuften Institutionen bzw. deren Besuchenden,747 ein Set von «Generic learning outcomes»,748 nämlich

742 Falk/Dierking 2000.

743 Pleitner 2011, S. 41.

744 Vgl. Abschnitt 3.1.

745 Bei Pleitner lautet das gewählte Materialbeispiel: «It’s about where we come from, really»

(Pleitner 2011, S. 41). Bei Pekarik et al. wird als Beispiel genannt: «This is my favourite museum. I like it because it has American artists. I like it because they have Californian artists represented. It’s where I’m from» (Pekarik et al. 1999, S. 159).

746 Research Center for Museums and Galleries 2003.

747 Research Center for Museums and Galleries 2003, S. 18. Dort ist von nach Institutionen un-terschiedlichen Vorgehensweisen die Rede, unter anderem von der Auswertung bereits durch die Institutionen gesammelter Daten und Neuentwicklung von Evaluationsinstrumenten.

748 «Generic learning outcomes» werden wie folgt definiert: «Learning outcomes can also be defined as specific or generic. Specific learning outcomes are related to specific programmes of study and are more tightly focused than generic learning outcomes which consist of broader categories. For example, after a programme of study in art history, participants might gain some specific knowledge about the names and styles of different artists. The generic outcomes of this learning would be an increase in knowledge and (possibly) un-derstanding» (Research Center for Museums and Galleries 2003, S. 11).

«Increase in knowledge and understanding»,

«Increase in skills»,

«Change in attitudes or values»,

«Evidence of enjoyment, inspiration and creativity»,

«Evidence of activity, behaviour, progression».749

Auch Christian Kohler entwickelte im Rahmen seiner Dissertationsschrift eine Typologie von Zugangsweisen.750 Seinem Interesse an «Schülervorstellungen über Präsentation von Geschichte im Museum» entsprechend, unterscheidet er fünf Vorstellungen, nämlich

«Typus 1: Geschichte wird erlebt – Die emotionale Zeitreise- und Alteri-tätserfahrung»,

«Typus 2: Geschichte wird entdeckt – Die von Eigenaktivität geprägte Erfahrung»,

«Typus 3: Geschichte wird gefühlt – Die kontemplative Objekterfahrung»,

«Typus 4: Geschichte wird rezipiert – Die museale Erfahrung als Informa-tionsentnahme»,

«Typus 5: Geschichte wird angelesen – Der Museumsbesuch als Leseer-fahrung».751

An Berichten der Besuchenden über tatsächlich gemachte Erfahrungen mit einer zuvor besuchten Gedenkstätte setzt demgegenüber Bert Pampel an und liefert ebenfalls eine Typologie von Besuchserfahrungen. Pampel unterscheidet

«emotionale Erfahrungen»,

«kognitive Erfahrungen»,

«Vorstellungen (Imaginative Erfahrungen)»,

«Einfühlung (Empathische Erfahrungen)»,

«Erinnerungen (Memorierende Erfahrungen)»,

«Ortserfahrungen»,

«Soziale Erfahrungen»,

749 Research Center for Museums and Galleries 2003, S. 12. Ausführungen zu den fünf Be-reichen von generic learning outcomes ausserdem bei Hooper-Greenhill 2007, S. 53 ff.

750 Kohler 2016, S. 223 ff., insb. S. 230 ff.

751 Kohler 2016, S. 230 ff.

«Selbst-Erfahrungen» und

«Dissonanzerfahrungen».752

In sämtlichen vorgestellten Systematisierungen zeigt sich, dass Museums-/Aus-stellungs- wie auch Gedenkstättenbesuche in den Erwartungen und Vorstellungen der Besuchenden wie auch in den konkret gemachten Erfahrungen über einen eng verstandenen kognitiven Wissenserwerb hinausgehen, stattdessen um ein ganzes Spektrum weiterer Erfahrungen ergänzt werden, wozu auch emotionale Erfah-rungen zählen.

Eine spezifisch räumliche Erfahrung durch Bewegung in der Dreidimensio-nalität des Ortes findet demgegenüber interessanterweise nur bei Pampel Berück-sichtigung. Andere Systematisierungen beinhalten zwar die Begegnung mit dem einzelnen Objekt und in dieser Hinsicht durchaus eine physische Erfahrung, neh-men daneben aber nicht die gesamte Ausstellungsfläche als räumliche Struktur in den Blick, innerhalb deren spezifische Erfahrungen möglich werden.