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Befunde zu geschichtstheoretischen Zugängen:

Ausstellungen: Zum Stand der empirischen Forschung

5.3 Befunde ausgewählter Studien

5.3.3 Befunde zu geschichtstheoretischen Zugängen:

Vorstellungen der Besuchenden zur Manifestation Museum/Ausstellung und ihren Elementen

In der kompetenzorientierten geschichtsdidaktischen Literatur wird die Notwen-digkeit deutlich gemacht, mit Museen und Ausstellungen als Manifestationen um-gehen zu können, ihre Konstruktionsprinzipien zu verstehen und zu entschlüs-seln, eine Ausstellung also als «gemachten» Ort und die Aussagen in Ausstellungen als eine mögliche Geschichte zu erkennen.753 Leitend ist dafür die Ansicht, dass Museen, wie Christian Kohler formuliert, «nicht nur Lernumgebung, sondern auch Lerngegenstand» sind754 – oder anders ausgedrückt, dass es neben den Kom-petenzen, die beim Besuch selbst erworben werden können bzw. die aus dem Besuch resultieren, auch solche für die Nutzung von Museen und Ausstellungen braucht, weil sie als Manifestationen mit spezifischen Konstruktionsbedingungen auch spezifischer Fähigkeiten bedürfen.755 Im Kern geht es dabei unter anderem

752 Pampel 2007, S. 236, S. 248, S. 257, S. 262, S. 267, S. 269, S. 276, S. 283, S. 288.

753 Vgl. Abschnitt 3.3.

754 Kohler 2014, S. 85.

755 Körber 2009, S. 62; Borries 2009, S. 116 f.; Sauer 2009, S. 81 f. Vgl. Abschnitt 3.3.

auch darum, am Beispiel einer Ausstellung den Unterschied zwischen Vergangen-heit und Geschichte wahrzunehmen und Letztere zu de-konstruieren.756

Wie denken nun Besuchende über die Manifestation Museum bzw. Ausstel-lung, inwieweit sind sie sensibel für ihre Konstruktionsbedingungen? Sharon Macdonald kommt zu dem Schluss, Museen würden «verbreitet als autoritative Einrichtungen» betrachtet757 und Besuchende des von ihr selbst beforschten Science-Museums neigten dazu, «in diesem Museum eine Einrichtung zu sehen, die ihnen neutrale, wertfreie Fakten präsentiert, auch wenn sie sich an anderer Stelle kritisch zu dem geäussert hatten, was sie die ‹Verzerrung› durch ‹andere Medien› nannten».758

Der aus Macdonalds Einschätzung herauslesbare Befund, dass medienkriti-sche Einsichten nicht zwingend auf den Umgang mit der Manifestation Museum umgemünzt werden, knüpft an einen Befund an, den auch Kohler in seiner Studie zu «Schülervorstellungen über die Konstruktion von Geschichte im Museum»

berichtet.759 Kohler stellt fest, «dass knapp die Hälfte der befragten Jugendlichen tendenziell ein konstruktivistisches Geschichtsverständnis» besitze, bemerkt aber auch, dass sich eine solche konstruktivistische Grundhaltung nicht zwangsläufig im Umgang mit einer konkreten historischen Ausstellung und im Durchschauen von deren Konstruktcharakter niederschlägt.760

Kohler arbeitet heraus – und zu ganz ähnlichen Befunden kommt auch Pleit-ner761 – dass die Schülerinnen und Schüler analog zu Grundannahmen der Muse-umstheorie Objekte für die zentralen Bestandteile von Museen halten, dass sie damit allerdings weder zwingend Quellen meinen noch über ein differenziertes Quellenverständnis verfügen.762 Ausstellungen würden, so Kohler, von den Schü-lerinnen und Schülern vor allem als «Ansammlung einzelner Objekte» betrach-tet.763 Sie könnten sich nicht vorstellen, «dass eine Abteilung in einem Museum

756 Zur Differenz zwischen Vergangenheit und Geschichte siehe Fussnote 3. Zur Idee der De-Konstruktion: Schreiber 2007b, S. 224 ff.

757 Macdonald 2011, S. 246, darin Bezug nehmend auf «verschiedene Studien», namentlich genannt Usherwood et al. 2004, mir als Usherwood et al. o. J. vorliegend.

758 Macdonald 2011, S. 246.

759 Kohler 2016. Zur Studie von Kohler habe ich eine Rezension verfasst (Thyroff 2017d).

Meine hier und im Folgenden formulierten Einschätzungen zu Kohlers Studie habe ich dort dargelegt und beziehe mich nun darauf.

760 Kohler 2016, S. 150, S. 193 ff., S. 226 ff., direktes Zitat: S. 150.

761 Pleitner 2008, S. 109; Pleitner 2011, S. 39.

762 Kohler 2016, S. 172 ff.

763 Kohler 2016, S. 226.

eine Einheit bildet und dies durch die Raumgestaltung ausgedrückt werden kann»,764 und ebenso wenig, «dass die einzelnen Elemente der Abteilung zusam-men eine historische Narration forzusam-men».765 Den chronologischen Aufbau der Aus-stellung beschreibt Kohler hingegen als den meisten Schülern und Schülerinnen

«fast wie selbstverständlich»,766 er sei «in ihren Vorstellungen typisch für den Auf-bau historischer Ausstellungen».767

Kohler zeigt, dass die beforschten Schüler und Schülerinnen dabei insbeson-dere den in der Ausstellung enthaltenen Texten Glaubwürdigkeit attestieren und deren Inhalte als «Verständnishilfen» oder gar als «gesichertes Wissen» betrach-ten.768 Lernen und Wissenserwerb assoziieren die Schülerinnen und Schüler Koh-ler zufolge mit der «klassischen Objekt-Text-Vermittlung».769

«Die kognitive Dimension der musealen Erfahrung besteht für die Schüler […] darin, sich Informationen über die Objekte oder das Ausstellungsthema anzueignen, und dies geschieht massgeblich unter Rückgriff auf schriftliche Präsentationsmedien. Als Präsentationsmedien scheinen Texte somit in den Augen der Schüler eine zentrale Bedeutung für die Vermittlung der Ausstel-lungsinhalte zu besitzen.»770

Hingegen würden in der Ausstellung enthaltene Rekonstruktionen – im konkreten Fall von Kohlers Studie die Inszenierung eines Kaufmannstisches mit darauf be-findlichen Objekten aus dem Arbeitsbereich eines Kaufmanns771 – demgegenüber als Anlass für «historische Imagination und ein bisweilen emphatisches Nachvoll-ziehen des Lebens in der Vergangenheit» empfunden.772 Kohler stellt fest, «dass rekonstruierende Präsentationsformen den Eindruck vermitteln können, das Mu-seum zeige die Vergangenheit, wie sie vermeintlich wirklich war».773 Zwar würden

764 Kohler 2016, S. 197.

765 Kohler 2016, S. 227.

766 Kohler 2016, S. 197.

767 Kohler 2016, S. 226.

768 Kohler 2016, S. 208 f.

769 Kohler 2016, S. 226.

770 Kohler 2016, S. 168.

771 Kohler 2016, S. 86, S. 202. Kohler beschreibt die Ausstellungseinheit wie folgt: «Auf dem Tisch liegen unter Glas einzelne Utensilien, die ein Kaufmann für seine Arbeit benötigte.

Originale aus mehreren Jahrhunderten und Repliken werden hier zusammen inszeniert.

Die Beschriftung ist an der Wand angebracht» (ebd., S. 86).

772 Kohler 2016, S. 226.

773 Kohler 2016, S. 203.

derartige Vorstellungen bei den Schülerinnen und Schülern vielfach nicht expli-ziert, jedoch auch nur in wenigen Fällen ein Wissen «um die Künstlichkeit der Inszenierung» zum Ausdruck gebracht.774

Der zuletzt angesprochenen Punkt, die Wahrnehmung von rekonstruieren-den Präsentationsformen und die Idee eines Nachvollziehens oder Sich-Hinein-versetzens in historische Gegebenheiten, leitet über zu einem Aspekt, den ich im nächsten Abschnitt betrachte, nämlich Befunde zu den «nicht-nur-kognitiven»

Dimensionen eines Ausstellungsbesuchs.

5.3.4 Befunde zum Nicht-nur-Kognitiven775 (1): Imagination